Bljuma Wulfowna Zeigarnik

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Bljuma Wulfowna Seigarnik (früher meist Bluma Zeigarnik, russisch Блюма Вульфовна Зейгарник, wiss. Transliteration Bljuma Vul'fovna Zejgarnik; * 27. Oktoberjul. / 9. November 1900greg. in Prienai, heute Litauen; † 24. Februar 1988 in Moskau) war eine sowjetische Gestaltpsychologin.

Leben

Bluma Zeigarnik entstammte einer litauisch-jüdischen Familie, studierte und promovierte 1927 an der Universität zu Berlin im Bereich der gestaltpsychologischen Handlungstheorie nach Kurt Lewin. 1931 kehrte sie in die Sowjetunion zurück, wo sie u.a. mit dem Psychologen Lew Wygotski zusammenarbeitete. Sie widmete sich in weiterer Folge vor allem der Pathopsychologie, insbesondere den Denkstörungungen. Ihr Enkelsohn Andrey V. Zeigarnik veröffentlichte 2007 einen biographischen Beitrag zu ihrem Leben und Werk, in dem auch die Schwierigkeiten zur Sprache kommen, denen Bluma Zeigarnik und ihr Mann in der Stalinschen Ära ausgesetzt waren.[1]

Leistungen

Zeigarnik fand in den 1920er-Jahren bei ihren Experimenten in Berlin heraus, dass unter bestimmten Bedingungen unerledigte Handlungen besser behalten werden als erledigte (Zeigarnik-Effekt). Als Ursachen gelten „Restspannungen“ im Erinnerungsvermögen und eine nicht eingetretene Wunscherfüllung. Der Fachjargon nennt den Zeigarnik-Effekt auch „Cliffhanger-Effekt“ (von englisch Cliffhanger, wörtlich: an einer Klippe hängen), in Anspielung auf das Stilmittel, eine Geschichte an einer spannenden Stelle („unerledigt“) zu unterbrechen. Den Kernsatz: „Unerledigte Handlungen bleiben besser im Gedächtnis haften als erledigte Handlungen!“ bezeichnet das Englische auch als „interrupted tasks“. Dass Vorhaben, bei deren Umsetzung man unterbrochen wird, auch einen viel stärkeren Handlungszwang (Drang zur Wiederaufnahme der unterbrochenen Handlung) hinterlassen als erledigte, wies Zeigarniks Kollegin Maria Ovsiankina nach (Ovsiankina-Effekt).

Der Zeigarnik-Effekt spielt auch im psychotherapeutischen Geschehen mit. Man geht davon aus, dass in der Psychotherapie aktivierte Erinnerungen in vielen Fällen mit „unerledigten Geschäften“ (Unfinished Business) aus der Vergangenheit zu tun haben, deren neuerliche Durcharbeitung und Schließung wesentlich zur seelischen Gesundung beitragen können. Explizit nutzen insbesondere die Gestalttherapie, die Gestalttheoretische Psychotherapie und das Erfolgsmonitoring den Effekt systematisch.[2]

Die Werbung setzt ihn in (zunächst) unaufgelösten Spots oder Anzeigen ein. Beispielsweise brachte sie bei der Einführung von E.ON in Deutschland zuerst nur das Logo ohne Zusatzinformation auf Plakatwände. Auch viele der TV-Seifenopern sind so gestaltet: Handlungsstränge zum Abschluss einer Folge bleiben offen, um im Zuschauer die quälende Frage zu hinterlassen, wie die Serie weitergeht – sodass er zur inneren Befriedigung auch zur nächsten Folge wieder einschaltet.

Schriften

  • 1927: Das Behalten erledigter und unerledigter Handlungen. Psychologische Forschung 9, 1-85. elektronische Fassung (PDF; 5,1 MB)
  • 1961: Denkstörungen bei psychiatrischen Krankheitsbildern: eine experimentalpsychologische Untersuchung. Berlin: Akademie Verlag.
  • 1965: The pathology of thinking. New York: Consultants Bureau Enterprises.
  • 1972: Experimental Abnormal Psychology. New York: Plenum Press.
  • 1984: Kurt Lewin and Soviet psychology. Journal of Social Issues 40, 193.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Andrey V. Zeigarnik (2007): Bluma Zeigarnik: A Memoir. Gestalt Theory - An International Multidisciplinary Journal, 29 (3/2007), 256-268.
  2. Siehe dazu Lindorfer & Stemberger (2012), Unfinished Business, unter "Weblinks".