Das Verlangen (2002)

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Film
Titel Das Verlangen
Produktionsland Deutschland
Erscheinungsjahr 2002
Länge 94 Minuten
Stab
Regie Iain Dilthey
Drehbuch Iain Dilthey,
Silke Parzich
Produktion Till Schmerbeck
Musik Johannes Kobilke
Kamera Justus Pankau
Schnitt Barbara Hoffmann
Besetzung

Das Verlangen ist ein deutscher Film aus dem Jahre 2002. Als erster deutscher Film nach Jahren gewann Das Verlangen den Hauptpreis eines A-Festivals, nämlich 2002 den Goldenen Leoparden des Internationalen Filmfestivals von Locarno.

Handlung

In einem Dorf lebt Lena mit ihrem despotischen Mann in einer Zweckbeziehung: Johannes ist der Dorfpfarrer und Lena die ihm stets zur Seite stehende Gattin. Ein Mord an einem Mädchen bringt Unruhe ins Dorf, in deren Folge sich Lena in den Dorfmechaniker Paul verliebt. Die aufkeimende, verbotene Liebe bringt sie dazu, Pauls Verbindung zu dem Mord zu verschweigen.

Hintergrund

Der Film ist eine Produktion von Studenten der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg im Rahmen ihres Studiums und wurde mit äußerst geringem Budget hergestellt (Low-Budget-Film). Die Dreharbeiten fanden im Herbst 2001 an Originalschauplätzen in Oberstenfeld-Prevorst statt. Für eine Filmproduktion unüblich wurde in chronologischer Reihenfolge gedreht. Der Arbeitstitel des Films war Glaube, Liebe, Hoffnung.

Nach seiner Premiere beim Filmfest München 2002, wo der Film für den Förderpreis Deutscher Film nominiert war, wurde er in den Wettbewerb des Internationalen Filmfestivals von Locarno im gleichen Sommer eingeladen, wo er den Hauptpreis gewann. Er lief danach weiterhin auf unzähligen Festivals und gewann eine Reihe weiterer Preise.

Kritik

film-dienst 9/2004: Das Kammerspiel bezieht seine Intensität mehr aus Gesten, Haltungen und Blicken statt aus Worten. Dabei hinterlassen die oft zu bloßen Stichwortgebern der Protagonistin reduzierten Figuren zunehmend den Eindruck, einem kühl kalkulierten Kunstprodukt ohne überzeugende Lebendigkeit beizuwohnen.

Frankfurter Allgemeine Zeitung 27. Mai 2004, von Andreas Kilb

Aus der Seelentiefe deutscher Provinz: Iain Diltheys beeindruckender Film „Das Verlangen“

Ein Pfarrhaus in Schwaben, unweit von Heilbronn. Lena, die Pfarrersfrau, macht ihrem Ehemann das Frühstück. Sie schneidet ihm die Wurstbrote vor, schmiert ihm ein Käsebrot für unterwegs, hilft ihm in seinen Mantel und reicht ihm die Ledertasche. Ein Mädchen aus dem Dorf ist ermordet worden, da hat der Pfarrer zu tun. Aber auch der schrottreife alte Opel, den er fährt, will gepflegt sein. Lena überwacht die Arbeit des Mechanikers, der ein ganz anderer Mann ist als ihr vierschrötiger Gatte, dunkel, blaß, mit weichen, rätselhaften Zügen. Später, beim Gastmahl für das tote Mädchen, sieht sie ihn draußen vor dem Wirtshaus unter einem Baum sitzen, und er bringt sie nach Hause. Und so fängt alles an.

Wenn dieser Film aus Frankreich käme, würde man vermutlich staunen über ein kleines Stück radikales Kino, eine Geschichte in der Tradition von, vielleicht, Bernanos und Maurice Pialat. Weil er aber aus Deutschland kommt, gab es erst einmal Gemecker über seine Düsternis, seine Kargheit, seine Stille, die fehlenden Erklärungen, die starren Einstellungen, die spärliche Musik. Das war vor zwei Jahren, als „Das Verlangen“ beim Filmfestival von Locarno den Goldenen Leoparden gewann, den ersten in jener Reihe von Festival- und Industriepreisen für deutsche Filme, die im Februar auf der Berlinale durch den Goldenen Bären für Fatih Akins „Gegen die Wand“ gekrönt wurde.

Wofür bekam der Film den Leoparden? Vielleicht kommt man dem Geheimnis dieser Auszeichnung nahe, wenn man von der Schauspielerin Susanne-Marie Wrage spricht, die die Lena verkörpert, von der Lesbarkeit und zugleich Verschlossenheit ihres ruhigen, schönen, wie von weither in sich hineinlauschenden Gesichts, von der vorsichtigen Demut ihres Körpers, der die Unterwürfigkeit selbst ist, bis er anfängt, sich den Ansprüchen seiner Umgebung zu verweigern und seinen eigenen Impulsen nachzugeben. Es gibt eine Szene in „Das Verlangen“, in der Lena sich vor dem Automechaniker, ihrem Geliebten, auszieht, um ein Kleid anzuprobieren, das er ihr geschenkt hat, und so, wie Susanne-Marie Wrage das spielt, hat man es tatsächlich noch nie gesehen – dieses Zögern vor der eigenen Entblößung, der völligen Schutzlosigkeit; dann der Ruck, mit dem die Scham überwunden, die Konvention gebrochen wird; schließlich der leuchtende Stolz einer Frau, die nichts mehr hat als ihren gealterten, von der Zeit schon gezeichneten Leib, um ihr Begehren auszudrücken, das so spät und unvermutet geweckt worden ist. Es geht um alles in „Das Verlangen“, um Leben und Tod vom ersten Augenblick an, und wenn am Ende Blut fließt und ein Mensch stirbt in der Pfarrersküche, dann hat das nichts von der ausgeglichenen kriminalistischen Handelsbilanz des „Tatorts“. Es ist eine Tat, die Widerspruch einlegt gegen die Ordnung der Welt, gegen das Dorf und seine Bewohner, gegen die Ehe und ihren Triebhaushalt, gegen den Pfarrer und seine Heuchelei. Die Antwort der Außenwelt wird nicht auf sich warten lassen, aber für den Moment, den langen Augenblick dieses Films, hat Lena die Leinwand für sich allein wie alle großen Heldinnen des Kinos, die Göttinnen, die Rächerinnen, die Königinnen der Nacht.

Iain Dilthey, der Regisseur, ist aus Schottland nach Deutschland gekommen, wo er Chemie und Pharmazie studierte, bevor er an die Ludwigsburger Filmakademie ging. „Das Verlangen“, seine Examensarbeit in Ludwigsburg, ist zugleich der Abschluss einer Trilogie, die mit den mittellangen Filmen „Sommer auf Horlachen“ (1999) und „Ich werde dich auf Händen tragen“ (2000) begonnen hat. Auch darin ging es um Frauen, die für ihr Glück kämpfen und dabei ins Unglück gehen, um das Rütteln an den Gitterstäben der Verhältnisse, in denen jeder und jede einzelne gefangen ist. Seine Filme seien „ein langsames Weitergehen“, hat Dilthey in Locarno gesagt. Schon an der Formulierung merkt man, daß es ihm an Selbstbewußtsein nicht mangelt. Dilthey weiß genau, was er tut, und dieses Wissen spricht aus jeder Einstellung seines Films, der nur der äußeren Form nach ein Kinodebüt, in seiner inneren Logik und Genauigkeit aber das Werk eines Könners ist.

Diese Gesichter, diese Straßen, dieses Licht, diese langsamen Bewegungen und Dialogsätze – wo hat man das alles schon einmal gesehen, gehört? Damals, vor dreißig, fünfunddreißig Jahren, in den ersten Filmen von Wenders, Schlöndorff, Herzog und Fassbinder. Dilthey selbst nennt Chabrol als Vorbild, aber sein Film beweist, daß es unter den digitalen Mätzchen und Komödienfaxen eine tiefe Schicht alltäglicher Wahrheit gibt, einen Fundus, auf den das deutsche Kino immer wieder zurückgreifen kann. Tief unten und tief innen, in der Provinz des Verlangens, wo jede Geschichte ans Herz der Dinge rührt.

Auszeichnungen

Weblinks