Gotisches Alphabet

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Transkription der gotischen Buchstaben

Das gotische Alphabet ist eine alphabetische Schrift, die der gotische Bischof Wulfila im 4. Jahrhundert zur Übersetzung des Neuen Testaments in die gotische Sprache entwickelt hat (Wulfilabibel). Die gotische Übersetzung des Neuen Testaments war das erste Buch in einer germanischen Sprache. Es wurde in Nicopolis ad Istrum, heute in Bulgarien, geschaffen. Nicopolis ad Istrum wurde somit zum Geburtsort der germanischen Literaturtradition.

Die gotische Schrift beruht in ihrer ganzen Anlage auf dem griechischen Alphabet. Dieses lieferte nicht nur die grundsätzliche Buchstabenreihenfolge und das Prinzip der Zahlenschreibung mit Buchstaben, sondern auch die meisten Zeichenformen. Einzelne Buchstaben jedoch für Laute, die das Griechische nicht kennt, stammen aus der lateinischen Schrift und aus der Runenschrift. Die Buchstaben tragen Namen – gewöhnlich ein Wort, das mit dem entsprechenden Laut beginnt. Dieses Prinzip ist aus den griechischen und lateinischen Schriftsystemen nicht bekannt (Namen wie alpha, beta bedeuten im Griechischen nichts), sondern ist ein Kennzeichen der Runenschrift.

Lautwert, Reihenfolge und Namen der Buchstaben sind durch eine Alkuin-Handschrift aus dem 9. Jahrhundert überliefert. Demnach gab es 25 Buchstaben mit Lautwert und – genau wie im Griechischen – zwei weitere, die nur einen Zahlenwert besaßen (90 und 900). Die Namen der Buchstaben zeigen eine Kontamination zwischen spätgotischen und jüngeren westgermanischen Lautungen. Aus den überlieferten Formen können jedoch 'klassisch' gotische Formen rekonstruiert werden, die in vielen Fällen die sprachhistorisch genauen Entsprechungen zu den anderweitig überlieferten altgermanischen Runennamen bilden. Damit scheint sicher, dass bei der Konzeption der Schrift auch das gesamte Runenalphabet als ideeller Ausgangspunkt präsent war. Nur die Buchstabennamen eze, thyth, laaz, quertra, uuaer, möglicherweise auch aza, sind Neuschöpfungen.

In der folgenden Tabelle sind bei den Namen an erster Stelle die nach den Runennamen und den überlieferten Namensformen rekonstruierten gotischen, an zweiter Stelle die überlieferten Namensformen eingetragen.[1]

Buchstabe Unicode Wert Name
(rekonstruiert)
Name
(überliefert)
Bedeutung des Namens Zahlwert
𐌰 U+10330 a ans? *ahsa? aza Ase? Achse? 1
𐌱 U+10331 b *baírkan bercna Birkenreis 2
𐌲 U+10332 g giba geuua Gabe 3
𐌳 U+10333 d dags daaz Tag 4
𐌴 U+10334 e *aíƕs eyz Pferd (?) 5
𐌵 U+10335 q *qaírþra (qairthra) quertra Köder (?) 6
𐌶 U+10336 z ? ezec ? 7
𐌷 U+10337 h *hagl(s) haal Hagel 8
𐌸 U+10338 þ, th þiuþ (thiuth) thyth Gutes 9
𐌹 U+10339 i *eis iiz Eis 10
𐌹̈ U+10339 U+0308 i (ï) [2] 10
𐌺 U+1033A k *kusma chozma Geschwür (?) 20
𐌻 U+1033B l *lagus laaz Lache, Wasser 30
𐌼 U+1033C m manna manna Mann, Mensch 40
𐌽 U+1033D n nauþs (nauths) noicz Not 50
𐌾 U+1033E j jer gaar Jahr 60
𐌿 U+1033F u *urus uraz Ur, Auerochs 70
𐍀 U+10340 p *paírþra (pairthra) pertra ? 80
𐍁 U+10341 90
𐍂 U+10342 r *raida reda Wagen (?) 100
𐍃 U+10343 s sauil sugil Sonne 200
𐍄 U+10344 t *teiws tyz got. Gott Tyr 300
𐍅 U+10345 w winja? *wunja? uuinne Weideplatz (Wonne?) 400
𐍆 U+10346 f faíhu fe Vieh, bewegliche Habe 500
𐍇 U+10347 x *iggws enguz Mann 600
𐍈 U+10348 ƕ, hv, hw *ƕaír (hvair) uuaer Kessel 700
𐍉 U+10349 o *oþal (othal) utal Erbbesitz 800
𐍊 U+1034A 900

Hinweise:

  • Das Symbol * markiert diejenigen Namenwörter, die in den gotischen Texten sonst nirgends überliefert sind. Ihre Lautgestalt ist nach sprachhistorischen Gesetzmäßigkeiten rekonstruiert, bleibt aber vielfach unsicher.
  • Das Zeichen für w stand nicht nur für den gotischen Laut w, sondern auch für das griechische y. So wurde Paulus (griechisch Παῦλος Paûlos) im Gotischen als Pawlos wiedergegeben.

Unicode

Das gotische Alphabet ist in Unicode unter U+10330 bis U+1034F kodiert. Da ältere Software oft annimmt, dass alle Unicode-Kodepunkte als 16-Bit-Zahlen (kleiner als U+10000) ausgedrückt werden können, können Probleme mit der Darstellung des gotischen Alphabetes auftreten.

Anmerkungen

  1. Über das gotische Alphabet siehe auch Fausto Cercignani, The Elaboration of the Gothic Alphabet and Orthography, in “Indogermanische Forschungen”, 93, 1988, S. 168-185.
  2. Das I zu Silbenbeginn; siehe Das Gothische Elementarbuch, Wilhelm Streitberg (1920)

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Commons: Gotisches Alphabet – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien