Harriet Martineau

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Harriet Martineau

Harriet Martineau (* 12. Juni 1802 in Norwich, Norfolkshire; † 27. Juni 1876 bei Ambleside, Westmoreland, Grafschaft Cumbria) war eine britische Schriftstellerin, die in allgemeinverständlicher Sprache die reformbewußten politischen und naturwissenschaftlichen Ideen ihrer Zeit in zahlreichen Zeitungsartikeln und Büchern darlegte. Sie gilt als frühe Vorkämpferin für Frauenrechte und wird oft als erste feministische Soziologin bezeichnet.[1]

Herkunft und Jugend

Harriet Martineau entstammte einer Familie, die der Großvater Gaston Martineau (Hugenotte) nach seiner Flucht aus Frankreich im protestantischen England begründete. Ihre Eltern waren der Tuchfabrikant Thomas Martineau und Elizabeth Martineau, geb. Rankin. Der jüngere Bruder James Martineau wurde später einer der renommiertesten Religionsphilosophen seiner Zeit. Ihre Kindheit beschrieb sie als schwer und von Krankheit und Nervosität geprägt. Nicht nur Tast- und Geschmacksempfinden waren beeinträchtigt, auch machte sich im 12. Lebensjahr eine Schwerhörigkeit bemerkbar, die sie ihr Leben lang begleitete. Während ihre Brüder eine umfassende Schulausbildung mit anschließender Studienmöglichkeit bzw. Berufsausbildung erhielten, wäre für sie – wie auch für ihre Schwestern – die damals übliche Frauenrolle vorgegeben gewesen. Nach Besuch der Mädchenschule erhielt sie aber eine weitergehende Unterrichtung und Anregung durch unitarische Geistliche. Für kirchliche Blätter schrieb sie erste Beiträge für Kinder und über das Schul- und Armenwesen.[2] Dadurch eröffnete sich ihr eine literarische Laufbahn.

Leben und Werk

Ein großer Erfolg war das 1832 bis 1834 erschienene neunbändige Werk Illustrations of Political Economy, in dem sie Fragen der Nationalökonomie im Sinne von Malthus und Ricardo populärwissenschaftlich erläuterte. Ihr sozialreformerisches Wirken war vom Utilitarismus von Bentham und Mill beeinflusst.[3] Von 1834 bis 1836 unternahm Martineau eine Reise durch Nordamerika. Aus dieser Zeit stammt ihre Freundschaft zu Margaret Fuller. Nach ihrer Rückkehr lebte sie in London, wo sie in Intellektuellenkreisen verkehrte, die den freiheitlichen Whigs nahestanden. Aus diesem reformerischen Umfeld heraus prangerte sie die Sklaverei, die Korruption des Klerus und die Benachteiligung von Frauen an.

Durch ihre Artikel und Bücher konnte Martineau ihren Lebensunterhalt bestreiten. Während Darwins spätere Biographen Desmond und Moore ihre volkstümliche Sprache kritisierten, versicherten Darwins Schwestern schon in Briefen an ihn, der vor Feuerland mit dem Forschungsschiff Beagle ankerte, sie verschlängen die „kleinen Bücher“ der „großen Londoner Gesellschaftslöwin“ mit Genuss.[4] Als Martineau 1837 Darwin traf und ihm aus dem Entwurf ihres Romans Deerbrook vorlas, zeigte er sich ebenfalls von ihrer „flüssigen Prosa“ angetan, die sie aus dem Ärmel zu schütteln schien und nie zu korrigieren brauchte.[5] Eine längere Liebesbeziehung unterhielt Martineau zu Darwins älterem Bruder Erasmus. Sie machte die Bekanntschaft zahlreicher Berühmtheiten, darunter Malthus, der sie für die Popularisierung seiner Ideen ausdrücklich lobte.[6] Zu Martineaus (Brief-)Freundinnen zählten Florence Nightingale und Charlotte Brontë.

Krankheit

Auf einer weiteren Reise 1839 nach Italien erkrankte sie schwer. Sie suchte den Beistand ihres Schwagers Thomas Michael Greenhow, der sich als Arzt in Tynemouth bei Newcastle upon Tyne niedergelassen hatte. Man diagnostizierte einen Unterleibstumor mit einer Überlebensrate von fünf Jahren. Während sie gegen die Schmerzen Opiate nahm, erhoffte sie auch vom Mesmerismus Heilung.[7] Nach Ablauf der fünf Jahre ließ sie sich 1845 in der Nähe der Schriftsteller William Wordsworth und Matthew Arnold, mit denen sie befreundet war, ein eigenes Haus (The Knoll) in Ambleside/Cumbria errichten, wo sie noch rund 30 Jahre lebte. Sie galt nun als genesen und setzte ihre schriftstellerische Arbeit fort, schrieb auch regelmäßige Beiträge für die Londoner Daily News, wozu auch Übersetzungen aus dem Französischen gehörten. Eine freie Bearbeitung von Auguste Comtes Cours de philosophie positive erschien 1853. Daneben betrieb Martineau etwas Landwirtschaft, hielt im Winter Kurse für Arbeiter ab und vermietete ihren Landsitz an Sommergäste. Von ihren Fahrten durch England und Irland brachte sie Reisebeschreibungen mit. Das Ergebnis ihrer Orientreise 1846 war die Schilderung des Wandels der Weltreligionen.[8]

Vermeintliche Herzbeschwerden führten 1856 zu der Diagnose, dass ihr Tumor wieder beträchtlich gewachsen war. Martineau wurde unter anderem von ihrer Nichte Maria (die allerdings 1864 an Typhus starb) und deren jüngerer Schwester Jane (Jenny) betreut. 1866 musste sie ihr Schreiben krankheitsbedingt einstellen. Vorher unterzeichnete sie wie viele andere prominente Vorkämpferinnen der Emanzipation eine Petition an das Londoner Parlament für das Frauenwahlrecht. Zehn Jahre darauf erlag sie einer Bronchitis.[7]

Werke

  • Illustrations of taxation; 5 Bände, Charles Fox, 1834
  • Illustrations of Political Economy; 9 Bände, Charles Fox, 1834
  • Miscellanies; 2 Bände, Hilliard, Gray and Co., 1836
  • Society in America; 3 Bände, Saunders and Otley, 1837, Neuauflage Cambridge University Press, 2009
  • Retrospect of Western Travel, Saunders and Otley, 1838
  • How to Observe Morals and Manners, Charles Knight and Co, 1838
  • Deerbrook, London 1839
  • The Crofton Boys. A Tale, Charles Knight, 1841
  • Eastern Life. Present and Past, 3 Bände, Edward Moxon, 1848
  • Mit H. G. Atkinson: Letters on the Laws of Man’s Nature and Development, Chapman, 1851, Neuauflage Cambridge University Press, 2009
  • The Positive Philosophy of Auguste Comte, von M. ausgewählt und übersetzt, 2 Bände, Chapman, 1853, Neuauflage Cambridge University Press, 2009
  • Harriet Martineau’s Autobiography. With Memorials by Maria Weston Chapman, 2 Bände, Smith, Elder & Co, 1877

Literatur

  • Maria Weston Chapman: Autobiography, with Memorials. Ursprünglich 1877, Wiederauflage Virago, London 1983.
  • Florence Fenwick Miller: Harriet Martineau. Ursprünglich 1884, Neuauflage Nabu Press, 2010.
  • R. K. Webb: Harriet Martineau, a radical Victorian. Heinemann, London 1960
  • Paul L. Riedesel: Who Was Harriet Martineau? In: Journal of the History of Sociology, Nr. 3, 1981, S. 63–80.
  • Gaby Weiner: Harriet Martineau: A reassessment (1802–1876). In: Dale Spender (Hrsg): Feminist theorists: Three centuries of key women thinkers. Pantheon, 1983, S. 60–74.
  • Valerie Sanders: Reason Over Passion: Harriet Martineau and the Victorian Novel. New York 1986.
  • Deirdre David: Intellectual Women and Victorian Patriarchy: Harriet Martineau, Elizabeth Barrett Browning, George Eliot. Cornell University Press, 1989.
  • Joan Rees: Women on the Nile: Writings of Harriet Martineau, Florence Nightingale, and Amelia Edwards. Rubicon Press, 1995/2008.
  • Michael R. Hill: Harriet Martineau: theoretical and methodological perspectives. Routledge, 2002.
  • Deborah Anna Logan: The Hour and the Woman: Harriet Martineau’s “Somewhat Remarkable” Life. Northern Illinois University Press, 2002.
  • Deborah Anna Logan (Hrsg): The Collected Letters Of Harriet Martineau. Pickering and Chatto, London 2007.
  • Ella Dzelzainis, Cora Kaplan (Hrsg): Harriet Martineau: Authorship, Society, and Empire (Sammelband mit Aufsätzen), Manchester University Press, 2011.

Weblinks

Commons: Harriet Martineau – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Michael R. Hill, 2002
  2. Meyers Konversations-Lexikon. Bibliographische Anstalt, Leipzig/Wien 1896, Band 11, S. 997.
  3. Meyers Lexikon. Bibliographisches Institut, Leipzig 1927, Bd. 7, Spalte 1782.
  4. Adrian Desmond, James Moore: Darwin. London 1991, zitiert nach der Rowohlt-Ausgabe Hamburg 1994, S. 178.
  5. Desmond/Moore, 1994, S. 285.
  6. Desmond/Moore, 1994, S. 231.
  7. a b Uni Graz, abgerufen am 21. Juli 2011
  8. Eastern Life. Present and Past, 1848.