Heimatrecht

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Urkunde über Verleihung des Heimatrechtes in der Stadtgemeinde München (1910)

Der Begriff Heimatrecht hat drei verschiedene Bedeutungen.

Traditionelle Bedeutung

Die traditionelle Bedeutung besteht in der Gewährung der Garantie des Aufenthalts einer Person in Verbindung mit sozialstaatlichen Zusagen der öffentlichen Hand. In modernen Staaten wurden diese Garantien durch das Recht auf Freizügigkeit und das Sozialstaatsprinzip abgelöst.

Österreich

Heimatschein als Bestätigung des lokalen Heimatrechts, Österreich, 1929

Das so verstandene Heimatrecht beschreibt eine Zugehörigkeit einer bestimmten Person zu einer bestimmten Gemeinde, mit dem Wohnsitz als einem gebührend zu würdigenden Grund.[1] Das Heimatrecht wurde in Österreich 1849 eingeführt[2] und gab den Anspruch auf ungestörten Aufenthalt und auf Armenpflege im Falle der Not. 1939 wurde es aufgehoben[3] und nach 1945 durch den Nachweis der Staatsbürgerschaft ersetzt.

Erwerb und Verlust des Heimatrechts in den Staaten des Deutschen Bundes (1814–1866)

Das Heimatrecht wurde regelmäßig durch

  • Geburt,
  • Aufnahme,
  • Verheiratung und
  • Anstellung in einem öffentlichen Amt

erworben.

Der Verlust trat nur infolge des Erwerbs einer andern Staatsangehörigkeit oder eines andern Heimatrechts ein. So hatte der Wegzug (damals auch: Überzug für Umzug) aus einer Gemeinde in eine andere nicht den Verlust des Heimatrechts zur Folge, vielmehr musste die Heimatgemeinde den verarmten Heimatberechtigten notfalls wieder an- und aufnehmen. Die Befugnis zur Eheschließung war von dem Besitz des Heimatrechts und von der Zustimmung der Heimatbehörde abhängig. Das Recht, Grundbesitz zu erwerben und ein Gewerbe zu betreiben, hing vom Heimatrecht ab.

Der Erwerb des Gemeindebürgerrechts war den Heimatberechtigten vielfach gegen ein geringeres Bürgergeld (in den Städten) oder Einzugsgeld (in den Gemeinden) gestattet. Personen, die in einer Gemeinde nicht heimatberechtigt waren, hatten kein Recht auf den Aufenthalt in der Gemeinde. Schon die bloße Befürchtung künftiger Verarmung berechtigte zu ihrer Ausweisung. Dagegen hat z. B. das preußische Recht den Begriff des Heimatrechts nicht weiter entwickelt. Jeder preußische Staatsangehörige hatte das Recht, sich an dem Ort aufzuhalten, wo er eine eigne Wohnung oder ein Unterkommen hatte. Wer nach erlangter Volljährigkeit drei Jahre lang an einem Ort seinen Aufenthalt gehabt hatte, musste im Falle der Verarmung dort unterstützt werden.

Erwerb und Verlust des Heimatrechts im Norddeutschen Bund und Gesetzgebung ab 1867

Durch die Gründung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches entstand eine nahezu einheitliche Regelung durch die Ausdehnung des preußischen Systems auf das Bundesgebiet. Artikel 3 der deutschen Reichsverfassung vom 16. April 1871[4] bestimmte, dass für ganz Deutschland ein gemeinsames Indigenat (Staatsangehörigkeit, Ortsangehörigkeit, Heimatrecht) bestehe mit der Wirkung, dass der Angehörige eines jeden Bundesstaates in jedem andern Bundesstaat als Inländer zu behandeln und demgemäß

  • zum festen Wohnsitz,
  • zum Gewerbebetrieb,
  • zu öffentlichen Ämtern,
  • zum Erwerb von Grundstücken,
  • zur Erlangung des Staatsbürgerrechts und zum
  • Genuss aller sonstigen bürgerlichen Rechte

unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen war, und auch hinsichtlich

  • der Rechtsverfolgung und
  • des Rechtsschutzes

gleich zu behandeln sei.

Vorausgegangen waren dieser umfassenden Vorschrift bereits zur Zeit des Norddeutschen Bundes eine Reihe von Gesetzen, so das Recht der Freizügigkeit durch Gesetz vom 1. November 1867[5], die Eheschließungsfreiheit durch das Gesetz vom 4. Mai 1868 über die polizeilichen Beschränkungen der Eheschließung[6], die Gewerbefreiheit durch die Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869[7] und der gemeinsame Rechtsschutz durch das Gesetz vom 21. Juni 1869, betreffend die Gewährung von Rechtshilfe[8], während ein Gesetz vom 13. Mai 1870 die Doppelbesteuerung der Bundesangehörigen[9] in verschiedenen Bundesstaaten beseitigte. Hierzu kam das Gesetz vom 1. Juni 1870, das die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit[10] für das ganze Bundesgebiet in einheitlicher Weise regelte. Die Befugnis zum Gewerbebetrieb wurde durch die Reichsgewerbeordnung von der Gemeindeangehörigkeit und von dem Gemeindebürgerrecht losgelöst.[11]

Erwerb und Verlust des Heimatrechts im Deutschen Reich (1894–1919)

Im Deutschen Kaiserreich wurde ab 1894 das Heimatrecht nach zweijährigem, ununterbrochenem Aufenthalt automatisch verliehen. Damit wurden ältere, noch aus preußischer Zeit stammende Regelungen entscheidend liberalisiert, auch vor dem Hintergrund der massiven Industrialisierung des Landes und der dadurch geforderten größeren Mobilität von Arbeitern.[12]

Sonderfall: Königreich Bayern bis 1917

Dieses Heimatrecht galt noch bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs hinein in Bayern, auf das sich die Gesetzgebungszuständigkeit des Reiches in bezug auf Heimat- und Niederlassungsverhältnisse nicht erstreckte.[13] Demgemäß galten die Reichsgesetze über die Aufhebung der polizeilichen Verehelichungsbeschränkungen und über den Unterstützungswohnsitz für Bayern nicht. Das bayerische Heimatrecht ist in dem Gesetz über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt vom 16. April 1868[14] und seinen Novellen vom 28. Februar 1872[15], 21. April 1884, 17. März 1892 und 17. Juni 1896 geregelt. Für Bayern rechts des Rheins (der heutige bayerische Freistaat) ist bestimmt, dass die Verehelichung eines dort Heimatberechtigten nur auf Grund eines Verehelichungszeugnisses erfolgen darf, das die zuständige Distriktsverwaltungsbehörde ausgestellt hat. Gegen die Ausstellung dieses Zeugnisses kann die Heimatgemeinde des Mannes aus gewissen, gesetzlich festgestellten Gründen Einspruch erheben. Das Zeugnis hat nicht die Bedeutung einer polizeilichen Erlaubniserteilung; denn es kann nur aus gesetzlichen Gründen versagt werden. Vor dem Gesetz vom 17. März 1892 war die ohne Verehelichungszeugnis geschlossene Ehe regelmäßig bürgerlich ungültig; jetzt hat der Mangel des Verehelichungszeugnisses nur die Wirkung, dass die Ehe, solange das Zeugnis nicht beigebracht ist, keinen Einfluss auf die Heimatverhältnisse der Frau und der Kinder hat.

Durch die Novelle vom 17. Juni 1896 sollte das Auseinanderfallen von Wohn- und Heimatgemeinde dadurch verhindert werden, dass der Anspruch einer Person auf das Heimatrecht ihrer Aufenthaltsgemeinde nach vier bzw. sieben Jahre nicht nur von der Person selbst, sondern auch von der bisherigen Heimatgemeinde geltend gemacht werden konnte. Wer auf diese Weise zwangsweise sein bisheriges Heimatrecht verlieren sollte, konnte hiergegen Einspruch erheben, wenn der Heimatwechsel für ihn mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre.[16]

Schweiz

In der Schweiz besteht das Heimatrecht bis heute. Siehe hierzu Bürgerort und Bürgergemeinde.

Bedeutung im Privatrecht

Im deutschen internationalen Privatrecht wird als Heimatrecht die Gesamtheit der Rechtsordnung des Staates bezeichnet, dem der in Deutschland lebende Ausländer angehört. Dieser jeweilige Staat gilt als der Heimatstaat des Ausländers.

Bedeutung im Völkerrecht

Im Völkerrecht steht der Begriff Heimatrecht für das umstrittene Recht auf Heimat. Demzufolge gilt jede Vertreibung von Menschen aus ihrer angestammten Heimat auf Grund ihrer Ethnie als Verstoß gegen ein Menschenrecht, siehe Heimatvertriebene.

Der Völkerrechtler Alfred de Zayas interpretiert dieses Recht folgendermaßen:

„Es gibt keinen Zwang, in der Heimat zu leben, jedoch gibt es ein Recht, in der Heimat zu verbleiben und nicht von dort vertrieben zu werden. Wenn man vertrieben wird, gibt es dann ein Rückkehrrecht.“[17]

Siehe auch

Literatur über das Heimatrecht in Österreich

Literatur über das Heimatrecht in Deutschland

  • Eger Das Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz 4. Aufl., Breslau 1900;
  • Wohlers, Das Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz 9. Aufl., Berlin 1901;

Literatur über das Heimatrecht in Bayern

  • Riedel, (bayerisches) Gesetz über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt, Kommentar, 7. Aufl., Pröbst, München 1898.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Waltraud Heindl, Edith Saurer (Hg.): Grenze und Staat: Paßwesen, Staatsbürgerschaft, Heimatrecht und Fremdengesetzgebung in der österreichischen Monarchie 1750–1867. Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2000, ISBN 3-205-99199-0, S. 122 online.
  2. 170. Kaiserliches Patent vom 17. März 1849. In: Allgemeines Reichs-Gesetz- und Regierungsblatt für das Kaiserthum Österreich, Jahrgang 1849, S. 203–222. (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/rgb.
  3. GBlÖ 1939/840. Kundmachung (…), wodurch die Zweite Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit im Lande Österreich vom 30. Juni 1939 bekanntgemacht wird. In: Gesetzblatt für das Land Österreich, Jahrgang 1939, S. 3235. (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/glo.
  4. Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871, Bundes-Gesetzblatt des Deutschen Bundes, 1871, S. 63–85
  5. Gesetz über die Freizügigkeit vom 1. November 1867, Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1867, S. 55–58
  6. Gesetz über die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der Eheschließung vom 4. Mai 1868, Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1868, S. 149–150, In-Kraft-Treten ab 1. Juli 1868
  7. Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869, Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1869, S. 245–282, In-Kraft-Treten ab 1. Oktober 1869, zum Teil 1. Januar 1870
  8. Gesetz, betreffend die Gewährung der Rechtshülfe vom 21. Juni 1869, Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1869, S. 305–315
  9. Gesetz wegen Beseitigung der Doppelbesteuerung vom 13. Mai 1870, Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1870, S. 119–120
  10. Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870, Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, , 1870S. 355–360
  11. § 1 GewO
  12. Rolf Petri: Cittadinanza, dimora, espulsione. Riflessioni sull’Austria ottocentesca. In: Hannes Obermair et al. (Hrsg.): Regionale Zivilgesellschaft in Bewegung. Wien-Bozen, Folio-Verlag 2012. ISBN 978-3-85256-618-4, S. 32–52, hier S. 42f.
  13. Vgl. den zweiten Halbband von Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, I. Abteilung: Von der Reichsgründungszeit bis zur Kaiserlichen Sozialbotschaft (1867-1881), 7. Band: Armengesetzgebung und Freizügigkeit, 2 Halbbände, bearbeitet von Christoph Sachße, Florian Tennstedt und Elmar Roeder, Darmstadt 2000.
  14. Gesetz über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt, Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, No 25, München, den 25. April 1868, Sp. 357 ff.
  15. Gesetz vom 23. Februar 1872, die Abänderung einiger Bestimmungen des Gesetzes vom 16. April 1868 über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt betr., Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, No 9, München, den, 27. Februar 1872 Sp. 213 ff.
  16. Meyers Großes Konversation-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909, [1]
  17. Alfred de Zayas: Wer hat Anspruch auf Heimatrecht?, Rede vom 9. Oktober 2004.