Jüdische Gemeinde Orsenhausen

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Die Jüdische Gemeinde Orsenhausen bestand von ca. 1520 an über einen Zeitraum von mindestens 150 Jahren in Orsenhausen, einem heutigen Teilort der Gemeinde Schwendi im Landkreis Biberach in Oberschwaben.

Geschichte der Gemeinde[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die heutige Weiherstraße in Orsenhausen, einst das „Judengässle“

Anfang des 16. Jahrhunderts waren die Juden aus fast aus allen Reichsstädten vertrieben worden. Viele siedelten sich daraufhin innerhalb kleinerer Ortsherrschaften an. Es ist deshalb auch von der Landjudenschaft die Rede. Die Orsenhausener Grundherren der von Roth nahmen vermutlich in den 1510er oder 1520er Jahren die ersten Juden in Orsenhausen auf.[1] Der älteste schriftliche Beleg für Juden in Orsenhausen stammt aus dem Jahr 1527. Seit dieser Zeit lebten jeweils zwischen 10 und 15 Familien im Ort, das entsprach rund einem Viertel der Einwohnerschaft. Die jüdische Ansiedlung von Orsenhausen war damit außergewöhnlich groß. Auch hielt sie sich vergleichsweise lange: Wie eine Steuerliste von 1651 belegt, gab es noch Mitte des 17. Jahrhunderts eine ansehnliche jüdische Gemeinde.[2] Im Orsenhausener Taufbuch ist noch 1673 die Taufe eines Juden vermerkt.

Die Rechte und Pflichten der Juden waren in Schutzbriefen festgeschrieben, wie in jenem von 1534, der bis heute überliefert ist. Dieser kollektive Schutzbrief regelte insbesondere die zu leistenden Abgaben, die – je nach Besitz und Vermögenindividuell festgelegt wurden.[3] Die meisten Orsenhausener Juden lebten von der Geld- und Pfandleihe. Wie aus vermerkten Steuerzahlungen hervorgeht, waren die Orsenhausener Juden Anfang des 17. Jahrhunderts vergleichsweise arm. Zeitweise lebten in dem Dorf allerdings auch einzelne vermögende Geschäftsleute.[4]

1550 verfügten die Ortsherren die Ausweisung der Orsenhausener Juden. Dagegen klagten zehn von ihnen vor dem Reichskammergericht in Speyer.[5] Obwohl das Gericht nach vier Jahren die Ausweisung für zulässig erklärte, konnten die Juden in Orsenhausen schließlich bleiben.

Das Judengässle und der Friedhof[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Standort des ehemaligen jüdischen Friedhofs von Orsenhausen
Die Orsenhausener Pfarrkirche „Mariä Unbefleckte Empfängnis“

Die Orsenhausener Juden lebten vorwiegend im „Judengässle“, dem westlichen Teil der heutigen Weiherstraße, außerhalb des Ortskerns. Damals führte das „Judengässle“ zu einem großen Weiher, der bis zum 19. Jahrhundert trockengelegt wurde. Die Wohnverhältnisse waren beengt, teilweise teilten sich vier Parteien ein Haus.[6]

Mit seinen kulturellen und religiösen Einrichtungen war Orsenhausen ein wichtiger Ort des Landjudentums: Spätestens 1539 existierte ein jüdisches Tanzhaus, das für Feierlichkeiten genutzt wurde. Eine Synagoge wurde erstmals 1550 erwähnt. Der jüdische Friedhof lag außerhalb des Dorfes am Waldrand. Der Flurnamen „Judengräber“ verweist bis heute darauf.[7]

Forschung und Erinnerung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die erste Abhandlung zur Geschichte der Orsenhausener Juden publizierte der Bußmannshausener Pfarrer Phillip Graf 1903 im „Diöcesanarchiv von Schwaben“.[8] Er setzte sich insbesondere mit dem Prozess gegen den Orsenhausener Juden Aaron auseinander, der mit dessen Tod 1583 endete. Darauf aufbauend und unter Heranziehung neu erschlossener Archivquellen verfasste der Laupheimer Archivar Georg Schenk 1971 einen Aufsatz über die Juden von Orsenhausen.[9] Schenks Angaben gingen 1988 in den Überblicksband „Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte Baden-Württembergs“ ein.[10]

Die erste umfassende Darstellung zur Geschichte der Orsenhausener Juden veröffentlichte Stefan Lang im Jahr 2008. In seiner Dissertation zu jüdischem Leben im frühneuzeitlichen „Land zu Schwaben“ behandelte er Orsenhausen als ein Beispielterritorium.[11] In einer juristischen Arbeit hatte sich Sabine Frey bereits 1983 mit dem Reichskammergerichts-Prozess beschäftigt, den die Judenschaft von Orsenhausen gegen die Freiherren von Roth 1550 bis 1554 führte.[12]

In Orsenhausen und in der Region war über die frühere Existenz einer jüdischen Gemeinde lange kaum etwas bekannt. Infolge zweier Veröffentlichungen in den „Heimatkundlichen Blättern“ des Landkreises Biberach und der Lokalpresse im Jahr 2021 beabsichtigt die Gemeinde Schwendi nun, an den früheren Standorten von Friedhof und Synagoge Gedenktafeln aufzustellen.[13]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Sabine Frey: Rechtsschutz der Juden gegen Ausweisungen im 16. Jahrhundert. Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 1983 (Rechtshistorische Reihe. Band 30)
  • Stefan Lang: Ausgrenzung und Koexistenz. Judenpolitik und jüdisches Leben in Württemberg und im „Land zu Schwaben“ (1492–1650). Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2008 (Schriften zur Südwestdeutschen Landeskunde. Band 63)
  • Volker Strähle: Als eine Synagoge in Orsenhausen stand. In: Gesellschaft für Heimatpflege Biberach: BC. Heimatkundliche Blätter für den Kreis Biberach, 44. Jg., 2–2021, S. 20–25.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Stefan Lang: Ausgrenzung und Koexistenz. Judenpolitik und jüdisches Leben in Württemberg und im „Land zu Schwaben“ (1492–1650). Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2008 (Schriften zur Südwestdeutschen Landeskunde. Band 63), S. 344.
  2. Volker Strähle: Als eine Synagoge in Orsenhausen stand. In: Gesellschaft für Heimatpflege Biberach: BC. Heimatkundliche Blätter für den Kreis Biberach, 2-2021, S. 22.
  3. Stefan Lang: Ausgrenzung und Koexistenz, S. 345.
  4. Stefan Lang: Ausgrenzung und Koexistenz, S. 348.
  5. Sabine Frey: Rechtsschutz der Juden gegen Ausweisungen im 16. Jahrhundert. Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 1983 (Rechtshistorische Reihe. Band 30), S. 50ff.
  6. Stefan Lang: Ausgrenzung und Koexistenz, S. 348.
  7. Volker Strähle: Als eine Synagoge in Orsenhausen stand, S. 22.
  8. Phillipp Graf: Ein schwäbischer Judenprozeß des 16. Jahrhunderts, in: Diöcesanarchiv von Schwaben. Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diöcese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete 21 (1903), S. 53–55.
  9. Schenk, Georg: Von den Juden in Orsenhausen und Umgebung. Ein unvollendeter Justizmord. In: Pessach-Zeitschrift der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs, 5731 (1971), S. 25–26.
  10. Hahn, Joachim: Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Theiss, Stuttgart 1988, S. 130.
  11. Stefan Lang: Ausgrenzung und Koexistenz.
  12. Sabine Frey: Rechtsschutz der Juden.
  13. Volker Strähle: Tafeln sollen an Orsenhausener Juden erinnern. In: schwaebische.de. 15. November 2021, abgerufen am 3. Dezember 2021.