Jelena Andrejewna Ossipowa

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Jelena Ossipowa 2019 bei einem Protest anlässlich des vierten Jahrestages der Ermordung von Boris Nemzow

Jelena Andrejewna Ossipowa (russisch Елена Андреевна Осипова, wiss. Transliteration Elena Andreevna Osipova; * 1945 in St. Petersburg) ist eine russische Künstlerin, Kunstpädagogin und Aktivistin. Sie engagiert sich seit der Jahrtausendwende als Pazifistin, außerhalb Russlands wurde sie durch eine Verhaftung aufgrund von Protesten gegen den Russischen Überfall auf die Ukraine 2022 bekannt.

Biographie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Familiärer Hintergrund und Berufsleben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ossipowas Eltern, ein Arzt und eine Krankenschwester, hatten sich während des Kriegsdienstes kennengelernt. Ihr Vater wurde bald nach ihrer Geburt zum Einsatz im Pazifikkrieg abkommandiert und starb in Japan, als Ossipowa neun Monate alt war. Sie wuchs in der Obhut ihrer Mutter und Großmutter in einer St. Petersburger Kommunalka auf, ihr Großvater war bereits während der Leningrader Blockade verstorben.[1][2] Sie studierte an der Tawritscheskoja-Kunstschule (heute Roerich-Kunstschule) und wollte danach die Mukhina-Akademie (heute Staatliche Stieglitz-Akademie für Kunst und Design) besuchen. In dem von ihr angestrebten Studiengang für Monumentalgemälde waren jedoch keine Frauen zugelassen. Folglich betätigte Ossipowa sich rund 30 Jahre lang als Kunstpädagogin und war an der Gründung mehrerer Kunstschulen beteiligt.[3] Neben ihrer pädagogischen Arbeit malte sie in einem Atelier des Jussupow-Palasts. Als Künstlerin schuf sie vor allem expressive Ansichten ihrer Heimatstadt.[2] Jelena Ossipowa war Mutter eines Sohnes, der 2009 im Alter von 28 Jahren an Tuberkulose verstarb und ihr eine Enkelin hinterließ.[1][4]

Politisches Engagement[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1. Mai 2014: Protest für Frieden mit der Ukraine nach der Annexion der Krim wenige Wochen zuvor
Jelena Ossipowa 2019 bei einer Protestaktion zur Unterstützung politischer Häftlinge

Ossipowas öffentliches Engagement wurde vor allem durch den Tschetschenienkrieg, die Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater und die Geiselnahme von Beslan ausgelöst. Sie begann, mit handgemalten Plakaten einerseits auf die Tragödien selbst und andererseits auf die mangelnde Reaktion der russischen Zivilgesellschaft hinzuweisen. Seither kommentieren ihre generell pazifistisch ausgerichteten Plakate Themen wie den Irakkrieg, den G20-Gipfel in Sankt Petersburg 2013 oder die russischen Bombardements im Syrischen Bürgerkrieg. Wegen ihrer Teilnahme an einem Protestmarsch von Das andere Russland gegen die Politik Wladimir Putins wurde Ossipowa 2007 erstmals verhaftet. Weitere Verhaftungen und Geldstrafen folgten im Lauf der folgenden Jahre aus unterschiedlichen Gründen, so etwa 2020 nach Protesten gegen Nuklearenergie anlässlich des 34. Jahrestages der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl.[5][3][6] 2017 erregte ein Video in Russland Aufsehen, das zeigt, wie Jelena Ossipowa im Umfeld der Parade am Tag des Sieges für Pazifismus eintritt und dafür von Umstehenden beschimpft wird.[7] Durch ihre unnachgiebige Art und die wiederholten Bilder einer kleinen alten Frau, die von schwerbewaffneten Sicherheitskräften abgeführt wird, wurde Ossipowa zu einem prägenden Gesicht der kritischen Öffentlichkeit ihrer Heimatstadt und mit Beinamen wie „Gewissen von St. Petersburg“ oder „Großmutter der Opposition“ bedacht.[4][5][8] 2019 erschien ein Bildband, der ihre Protestaktionen der Jahre 2012 bis 2019 dokumentiert.[9]

In einem Interview für die BBC erklärte Ossipowa, sie habe aus Schock über den Russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 drei Tage lang nichts essen können.[10] Am 24. Februar wurde sie von ihrem Protest in einem Polizeifahrzeug nach Hause gefahren. Am 27. Februar 2022 wurde sie in Gewahrsam genommen.[11] Internationale Aufmerksamkeit erhielt Ossipowa für eine erneute Verhaftung am Abend des 2. März 2022,[12][13][14] wobei sie in den Medien fälschlicherweise oft mit Zuschreibungen wie „Überlebende der Leningrader Blockade“[15][16][17][18] (die bereits im Januar 1944 geendet hatte) versehen wurde. Die Bezeichnung Ossipowas als Blokadnitsa (Überlebende der Blockade) geht allerdings bereits auf russische Medien zurück. Nach der Freilassung wurde sie am 11. und ebenso am 13. März 2022 erneut wegen ihres Protests in Gewahrsam genommen,[19] sie setzte diesen jedoch auch in den Folgemonaten unvermittelt fort.[1] Die Stadt Mailand verlieh Ossipowa für ihren Einsatz und zu Ehren „all jener, welche in Russland gegen den Krieg in der Ukraine protestieren und riskieren, dafür verhaftet zu werden“ die Ehrenbürgerschaft.[20] In einem Interview im April 2022 erklärte sie: „Schon 2014 war mir klar, wohin alles führt. Die meisten meiner Antikriegsplakate sind damals entstanden. Aber niemand glaubte, dass dies passieren könnte.“ Das erste gezeigte Plakat habe sie 2015 gezeichnet. Sie habe schon im ersten Jahr mit der ‚Scheisshaus-Rede‘ Putins[21] alles verstanden gehabt; Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden sollten niemals in derart hohe Posten in einem Staat gelangen. Sie tausche nun im Internet freie Informationen mit jungen Leuten aus und empfehle ihnen den Film Der gewöhnliche Faschismus.[22]

„Wenn die Leute sofort angefangen hätten, herauszukommen und zu protestieren, wäre vielleicht alles anders gekommen.“

Jelena Andrejewna Ossipowa[22]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Elena Andreevna Osipova – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c A casa di Elena Osipova, „la nonna“ pacifista russa: „In piazza per i giovani e per non sentirmi sola“. In: repubblica.it. 18. Juni 2022, abgerufen am 8. Juli 2022 (italienisch).
  2. a b Ну, город жив!.. Петербург Елены Осиповой в Фонтанном Доме. In: gorod-812.ru. 10. Februar 2021, abgerufen am 3. März 2022 (russisch).
  3. a b Yelena Osipova: “Russia Is a Bird, Not a Bear”. In: therussianreader.com. 23. November 2015, abgerufen am 3. März 2022 (englisch).
  4. a b Diese „Oppositions-Oma“ ist eine Heldin in ihrer Heimatstadt. In: tagesspiegel.de. 3. März 2022, abgerufen am 4. März 2022.
  5. a b Profile: Russian painter and activist Elena Andreyevna Osipova – FSRN. In: fsrn.org. 1. April 2014, abgerufen am 4. März 2022 (englisch).
  6. Police Detain, Rob, and Charge Petersburg Artist and Activist Yelena Osipova. In: therussianreader.com. 27. April 2020, abgerufen am 3. März 2022 (englisch).
  7. Художницу-пенсионера с антивоенными плакатами обругали в день Победы в Петербурге. In: echo.msk.ru. 11. Mai 2017, abgerufen am 3. März 2022 (russisch).
  8. “Стоит, как совесть на ветру”. Зачем 74-летняя художница выходит на площадь. In: severreal.org. 23. November 2019, abgerufen am 3. März 2022 (russisch).
  9. Стоит художница с плакатом. In: valenik.ru. Abgerufen am 3. März 2022.
  10. Ukraine-Russia: The 76-year-old artist taking on Putin. In: bbc.com. 24. März 2022, abgerufen am 26. März 2022 (englisch).
  11. Грани.Ру: В Петербурге и Москве прошли новые антивоенные акции. In: graniru.org. 27. März 2022, abgerufen am 3. März 2022.
  12. Rusya'da Savaş Karşıtı Gösterilere Katılan 77 Yaşındaki Sanatçı Yelena Osipova Gözaltına Alındı. In: onedio.com. 3. März 2022, abgerufen am 3. März 2022 (türkisch).
  13. La policía rusa detiene a una superviviente del nazismo por oponerse a la guerra en Ucrania. In: elpais.com. 3. März 2022, abgerufen am 3. März 2022 (spanisch).
  14. A Saint-Pétersbourg, la «grand-mère contre la guerre» devient un symbole de paix. In: parismatch.com. 3. März 2022, abgerufen am 3. März 2022 (französisch).
  15. Berühmte Leningrad-Überlebende protestiert gegen Putins Krieg und wird abgeführt – Video. In: focus.de. 3. März 2022, abgerufen am 3. März 2022.
  16. Russian pensioner 'who survived siege of Leningrad' arrested for protest against Ukraine war – video. In: theguardian.com. 3. März 2022, abgerufen am 3. März 2022 (englisch).
  17. Überlebende der Blockade von Leningrad bei Anti-Kriegsdemo festgenommen. In: de.euronews.com. 2. März 2022, abgerufen am 3. März 2022.
  18. Ucraina, arrestata l’80enne sopravvissuta all’assedio di Leningrado: Yelena Osipova protestava a San Pietroburgo contro la guerra. In: ilfattoquotidiano.it. 3. März 2022, abgerufen am 3. März 2022 (italienisch).
  19. Das „Gewissen von St. Petersburg“. In: n-tv.de. 21. März 2022, abgerufen am 26. März 2022.
  20. Milano dà la cittadinanza onoraria a Yelena Osipova, arrestata a Mosca per la protesta contro la guerra in Ucraina. In: milano.repubblica.it. 7. April 2022, abgerufen am 8. Juli 2022 (italienisch).
  21. Putin: Diese Rede lässt tief blicken – „Notfalls machen wir sie auf dem Scheißhaus kalt“. In: derwesten.de. 9. März 2022, abgerufen am 8. Juli 2022.
  22. a b 76-летняя художница Елена Осипова 20 лет протестует против российской власти. In: meduza.io. 16. April 2022, abgerufen am 8. Juli 2022 (russisch, Titel: „Die 76-jährige Künstlerin Elena Osipova protestiert seit 20 Jahren gegen die russischen Behörden“).