Kernkraftwerk Bohunice

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 22. November 2015 um 22:45 Uhr durch Århus (Diskussion | Beiträge) (HC: neuer Sortierschlüssel für Kategorie:Kernkraftwerk in Europa: "Bohunice"). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Kernkraftwerk Bohunice
Kühltürme (stillgelegte V1 links und vorne, V2 rechts und hinten)
Kühltürme (stillgelegte V1 links und vorne, V2 rechts und hinten)
Kühltürme (stillgelegte V1 links und vorne, V2 rechts und hinten)
Lage
Kernkraftwerk Bohunice (Slowakei)
Kernkraftwerk Bohunice (Slowakei)
Koordinaten 48° 29′ 40″ N, 17° 40′ 50″ OKoordinaten: 48° 29′ 40″ N, 17° 40′ 50″ O
Land Slowakei Slowakei
Daten
Eigentümer V1: JAVYS
V2: Slovenské Elektrárne
Betreiber V1: JAVYS
V2: Slovenské Elektrárne
Projektbeginn 1958
Kommerzieller Betrieb 25. Dezember 1972

Aktive Reaktoren (Brutto)

2  (904 MW)

Stillgelegte Reaktoren (Brutto)

3  (1.023 MW)
Eingespeiste Energie im Jahr 2006 7.779 GWh
Eingespeiste Energie seit Inbetriebnahme 263.471 GWh
Stand 31. Dezember 2008
Die Datenquelle der jeweiligen Einträge findet sich in der Dokumentation.
f1

Das Kernkraftwerk Bohunice (slowakisch Atómové elektrárne Bohunice, Abk. EBO) steht etwa 2,5 km vom Dorf Jaslovské Bohunice entfernt im Okres Trnava in der Westslowakei. Es besteht aus insgesamt drei Anlagen mit den Bezeichnungen Bohunice A1 (abgeschaltet seit 1979), Bohunice V1 (abgeschaltet seit 2008) und Bohunice V2 (in Betrieb). Die Anlagen V1 und V2 besitzen jeweils zwei Druckwasserreaktoren vom Typ WWER-440. In unmittelbarer Nähe zum Kernkraftwerk entstand ab Herbst 2009 das Gas- und Dampfkraftwerk Malženice unter der Leitung von E.ON, dieses befindet sich seit Oktober 2013 in Kaltreserve.

Bohunice A1

Am Standort befindet sich auch das erste tschechoslowakische Kernkraftwerk Bohunice A1. Der seit 1979 stillgelegte Reaktor war ein sowjetisch-tschechoslowakischer Prototyp mit der Bezeichnung KS 150. Es handelt sich hierbei um einen mit Kohlenstoffdioxidgas gekühlten und mit schwerem Wasser moderierten Druckröhrenreaktor, der mit nichtangereichertem Uran betrieben wurde. Außer den Brennelementen wurde der Reaktor ab 1958 von Škoda gebaut und ging 1972 in Betrieb.[1]

Es ereigneten sich in kurzer Folge zwei schwere Unfälle. Am 5. Januar 1976 trat radioaktiv kontaminiertes Kühlmittel in die Reaktorhalle aus. Die Brennelemente wurden normalerweise unter Vollbetrieb gewechselt. Nach dem Auswechseln eines Brennelementes löste sich dieses in der Druckröhre, schoss aus dem Reaktor hinauf in die Reaktorhalle und zerschellte an dem über dem Reaktor stehenden Kran. Durch den offenen Kanal strömte das als Kühlmittel verwendete, unter Druck stehende Kohlenstoffdioxid in den Reaktorraum. Der Bedienungsmannschaft gelang es zwar, mit dem Ladekran den offenen Kanal abzudichten, zwei Mitarbeiter konnten sich aber nicht rechtzeitig retten und erstickten.[2] Am 22. Februar 1977 wurde die Anlage beim Wiederbefüllen mit Brennstäben schwer beschädigt: Bei dem Unfall führten vergessene Reste des der Verpackung beigefügten Trocknungsmittels Silicagel an einem Brennelement zu Verstopfungen, sodass das Kühlmittel nicht richtig durchströmen konnte und es zu einer lokalen Überhitzung kam. Die Druckröhre sowie umliegende technologische Kanäle wurden beschädigt. In den Gas-Kühlkreislauf drang schweres Wasser ein. Aufgrund des schnellen Temperaturanstieges wurde die Beschichtung der Brennstäbe in der aktiven Zone beschädigt. Durch das Wegfallen dieser Sperre wurde der Primärbereich kontaminiert und anschließend wegen Undichtigkeiten der Dampfgeneratoren auch Teile des sekundären Bereiches.[1] Bereits im ersten Halbjahr 1978 war klar, dass der Betrieb aus wirtschaftlichen sowie technischen Gründen nicht wieder aufgenommen wird.[3] Die föderale Regierung entschied 1979, den Betrieb nicht wieder aufzunehmen und das Kernkraftwerk stillzulegen.[1]

Der Unfall im Jahr 1977 wird in der internationalen Unfallstatistik in der Stufe 4 der INES-Skala geführt, der Vorfall im Jahr 1976 wird als ernster Störfall (INES 3) geführt.[4] Die beschädigten und auch die restlichen Brennelemente aus dem Reaktor A1 wurden zwischenzeitlich wieder nach Russland zurückgebracht.[5] Das Reaktorgebäude stellt eine bisher nicht sanierte Altlast auf dem Kraftwerksgelände dar.

Bohunice V1

In der Anlage V1 sind zwei 440 MW WWER vom Typ WWER-440/230 der 1. Generation eingesetzt, die konstruktionsbedingt eine Reihe von Sicherheitsmängeln aufweisen. Die Blöcke besitzen jeweils eine installierte Leistung von 440 MW und gingen zwischen 1978 und 1985 ans Netz. Bis zum Jahr 2000 wurden die Notkühlsysteme verbessert sowie die Kontroll- und Leittechnik der beiden Reaktoren für mehr als 120 Millionen Euro mit westlicher Steuertechnik und Elektronik nachgerüstet. Diese beiden Blöcke haben nun die am stärksten verbesserten Reaktoren der Version 230 weltweit.

Umrüstung

Von 1996 bis 2000 wurde Bohunice für 215 Millionen US$ modernisiert. Das Konsortium REKON – Siemens KWU und VUJE Trnava – war Hauptauftragnehmer. Es wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Teile des Kraftwerks erneuert, dazu zählen Notkühlsystem, Notstromversorgung und die Instrumente inkl. Steuerung.

Stilllegung

Die Stilllegung der Anlage V1 mit den Reaktoren 1 und 2 wurde mit der EU im Beitrittsvertrag 2003[6] durch Protokoll Nr. 9 betreffend die Reaktoren 1 und 2 des Kernkraftwerks Bohunice V1 in der Slowakei vereinbart. Der erste Block wurde am 31. Dezember 2006 abgeschaltet.[7][8] Der Block 2 wurde planmäßig am 31. Dezember 2008 abgeschaltet.[9][10] Vier Reaktoren des gleichen Typs wurden im Kernkraftwerk Greifswald schon im Jahr 1990 abgeschaltet, da auch hier festgestellt wurde, dass die Reaktoren der Version 230 nicht im ausreichenden Umfang modernisierungsfähig sind. Als Ersatz sollen zwei Reaktoren im zweiten slowakischen Kernkraftwerk in Mochovce fertiggestellt werden.

Geplante Wiederinbetriebnahme wegen Gasstreit

Aufgrund der am 7. Januar 2009 wegen des Streites zwischen Russland und dem Gas-Transitland Ukraine unterbrochenen Gaslieferung stand das Land laut Wirtschaftsminister Lubomir Jahnatek nach dem Verbrauch der letzten für die Stromversorgung verfügbaren Gasreserven vor einem energetischen Kollaps. Deshalb beschloss die slowakische Regierung am 10. Januar 2009, als Notmaßnahme den abgeschalteten Block für begrenzte Zeit wieder in Betrieb zu nehmen, um den Zusammenbruch des slowakischen Energieversorgungsnetzes zu verhindern. Die Verletzung des EU-Beitrittsvertrages durch diesen Schritt sowie die zu erwartenden Proteste von Österreich und von Umweltverbänden nahm Ministerpräsident Robert Fico dabei bewusst in Kauf.[11]

Schon nach wenigen Tagen gab das slowakische Außenministerium jedoch bekannt, dass durch unterstützende Gaslieferungen aus Tschechien ein Wiederanfahren vorläufig vom Tisch sei.[12]

Bohunice V2

Die in der Anlage V2 eingesetzten WWER sind vom Typ WWER-440/213 aus der 2. Generation und gingen am 20. August 1984 und 18. Dezember 1985 ans Netz. 1987 und 1997 wurde die Anlage V2 zur zusätzlichen Nutzung von Fernwärme umgebaut. Die beiden Reaktorblöcke Bohunice-3 und Bohunice-4 des Typs WWER-440/213 sind modernisierungsfähig und werden nachgerüstet und weiterbetrieben.[13]

2005 bis 2008, wurden die Bohunice-V2-Reaktoren einer Modernisierung unterzogen. Unter Anderem wurde die seismische Stabilität, das Kühlsystem und das Steuerungssystem modernisiert. Der weitere Betrieb ist bis 2025 geplant. In weiterer Folge wurde bis November 2010 die Leistung beider Einheiten von 440 MW auf je 505 MW gesteigert.

Bohunice V3

Die slowakische Regierung hatte bekanntgegeben, dass für die Abschaltung von Bohunice V1 ein neues Kernkraftwerk gebaut werden soll. Es gab die Möglichkeit eines fünften Blocks in Mochovce und ein neues Kernkraftwerk in Kecerovce. E.ON äußerte im März 2007 sein Interesse an einem neuen Kernkraftwerk in Bohunice und ČEZ einige Monate später im Oktober ebenfalls. Später hatte man beschlossen in Bohunice ein 1200 MW starkes Kernkraftwerk zu bauen und in Kecerovce ebenfalls einen 1.200 MW starken Block. Bohunice V3 soll 3 Milliarden Euro kosten.[14] Am 17. September 2008 unterzeichnete die Slowakei mit Frankreich ein Rahmenabkommen über die Zusammenarbeit im Bereich der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Bis zum Jahresende sollte eine internationale Ausschreibung des Bauauftrages folgen. Mit der neuen Energiequelle in Bohunice wird ca. ab 2025 gerechnet.[15]

Daten der Reaktorblöcke

Das Kernkraftwerk besteht aus den drei Teilanlagen Bohunice A1, Bohunice V1 (Block 1 und 2) und Bohunice V2 (Block 3 und 4).

Reaktorblock[7] Reaktortyp Netto-
leistung
Brutto-
leistung
Baubeginn Netzsyn-
chronisation
Kommer-
zieller Betrieb
Abschal-
tung
Bohunice A1 Druckröhrenreaktor KS-150 93 MW 143 MW 01.08.1958 25.12.1972 25.12.1972 17.05.1979

Bohunice V1

Bohunice 1 WWER-440/230 408 MW 440 MW 24.04.1972 17.12.1978 01.04.1980 31.12.2006
Bohunice 2 WWER-440/230 408 MW 440 MW 24.04.1972 26.03.1980 01.01.1981 31.12.2008

Bohunice V2

Bohunice 3 WWER-440/213 472 MW 505 MW 01.12.1976 20.08.1984 14.02.1985 (2025 geplant)
Bohunice 4 WWER-440/213 471 MW 505 MW 01.12.1976 09.08.1985 18.12.1985 (2025 geplant)

Siehe auch

Weblinks

Quellen

  1. a b c JAVYS: Angaben zum Kernkraftwerk Bohunice A-1 (englisch/slowakisch)
  2. SME.sk: Černobyľ mohol byť u nás (Interview mit Milan Antolík, Mitglied der Bedienungsmannschaft während des Unfalls)
  3. Jozef Keher: Historické aspekty JE V1 - Historic Aspects of V1 NPP. In: Dobroslav Dobák et al.: 50 rokov jadrových elektrární na Slovensku. Jadrová a vyraďovacia spoločnosť und Enel Slovenské elektrárne, 2007. S. 56–75 (PDF)
  4. Martin Slezák: Historické aspekty VYZ – Historical aspects of VYZ. In: Dobroslav Dobák et al.: 50 rokov jadrových elektrární na Slovensku. Jadrová a vyraďovacia spoločnosť und Enel Slovenské elektrárne, 2007. S. 98–109 (PDF)
  5. Miroslav Lipár: Pod kontrolou dozoru – Under kontrol of supervision. In: Dobroslav Dobák et al.: 50 rokov jadrových elektrární na Slovensku. Jadrová a vyraďovacia spoločnosť und Enel Slovenské elektrárne, 2007. S. 118–133 (PDF)
  6. Protokolle zum BV 2003, http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/dat/12003T/htm/L2003236DE.093100.htm
  7. a b Power Reactor Information System der IAEA: „Slovakia (Slovak Republic): Nuclear Power Reactors“ (englisch)
  8. DPA Meldung vom 29. Dezember 2006 veröffentlicht durch Kurier Online
  9. EU-Beitrittsvertragsgesetz vom 18. Sept. 2003 (BGBl. II S. 1408)
  10. Jaslovske Bohunice: Atomreaktor abgeschaltet auf n-tv abgerufen am 31. Dezember 2008
  11. Spiegel online: Slowakei knipst Atomkraftwerk wieder an
  12. Energie: Atomkraftwerk Bohunice geht nicht in Betrieb am 19. Januar 2009 abgerufen am 23. Januar 2009
  13. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Umweltschutz im Beitrittsvertrag
  14. World Nuclear Association - Nuclear Power in Slovakia (englisch)
  15. Aktuálne.sk: Fico riešil s Francúzmi spoluprácu na stavbe Bohuníc