Nordwind Festival

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Das Nordwind Festival ist ein Festival für Performance, Tanz, Theater, Musik und Kunst aus nordischen und baltischen Ländern. Es wurde 2006 in Berlin gegründet und findet seit 2007 biennal statt. Das Festival 2013 findet im Hebbel am Ufer (HAU) in Berlin, auf Kampnagel in Hamburg und im Festspielhaus Hellerau in Dresden statt.

Geschichte

Das Festival wurde 2006 in Berlin von Ricarda Ciontos gegründet [1], die seither die künstlerische Leitung innehat. Die Idee zum Festival entstand während einer deutsch-schwedischen Koproduktion basierend auf der „Herbstsonate“ von Ingmar Bergman, an der Ciontos als Schauspielerin beteiligt war.[2] Nach einigen Gastspielen in Deutschland sollte das Stück in Berlin erneut aufgeführt werden. Dazu wurden noch weitere Künstler mit ihren neuesten Produktionen aus Norwegen, Schweden, Finnland und Dänemark eingeladen und so entstand das erste Festival.

Nach der ersten, noch kleinen Festival-Ausgabe im Jahr 2006 mit einem Spielort und etwa 450 Zuschauern, fand die zweite Ausgabe 2007 an sieben Orten in Berlin statt und hatte 3000 Besucher. Im Jahr 2009 bespielte das Festival an acht Festivaltagen das Hebbel am Ufer (HAU) und zählte über 4000 Zuschauer. 2011 fand Nordwind erstmals in zwei Städten statt: In Berlin wurden 10 Tage lang das Dock 11, das Radialsystem V und die Freie Volksbühne Berlin bespielt. Im Anschluss präsentierte Nordwind die Produktionen eine Woche lang auf Kampnagel in Hamburg. Insgesamt stellten 120 Künstler aus Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark, Island und Estland ihre Produktionen in 70 Veranstaltungen, die von über 7500 Zuschauern besucht wurden. [3]

Nordwind Plattform

Auf der ganzjährigen Nordwind Plattform werden nordische, baltische und deutsche Künstler/-innen und Kulturschaffende in verschiedenen Modulen vernetzt und die Ergebnisse beim Festival präsentiert:[4]

  • Artist-in-Residence-Programm: Es wurde 2009 initiiert und hat derzeit zwei Kategorien. Das Residenzprogramm „Tanz“ mit finnischen und deutschen Choreograph/-innen findet in Berlin in Zusammenarbeit mit dem Zodiak Center for New Dance in Helsinki und dem Zentrum für neuen Tanz in Tampere statt. Anfang 2013 präsentierte die Finnin Outi Yli Viikari ihre Arbeit aus dem Residenzprogramm im Dock 11 in Berlin.[5] In der zweiten Residenz-Kategorie „Baltische Länder“ arbeiten Nachwuchsregisseure in Hamburg an ihren Performances. In der ersten Ausgabe 2013 nimmt der lettische Regisseur Valters Silis an der Residenz-Reihe „Baltische Länder“ teil.
  • Kulturelle Bildung: In Zusammenarbeit mit Kunsthochschulen, Universitäten, Schulen und Jugendorganisationen aus Deutschland und den nordischen Ländern werden Projekte mit Fokus auf die Arbeit mit jungen Menschen gelegt. 2013 realisiert der dänische Künstler Morten Nielsen das Projekt „Through Different Eyes“, bei dem Schüler/-innen für einen Tag lang die Identität wechseln und ihre Erfahrungen aufzeichnen. [6]
  • Kreativwirtschaft: Das im Jahr 2013 neu gestartete Modul soll den Austausch der Akteure und Ideen der Kreativwirtschaft aus skandinavischen und baltischen Länder und Deutschland fördern. Neben konkreten Projekten sollen auch Tagungen, Kongresse, Symposien etc. veranstaltet werden.[7]
  • Künstlerische Forschung: Nordwind vermittelt die Ergebnisse künstlerischer Forschung aus nordischen Ländern an die deutsche Szene. Auf dem Festival 2013 wird sich Julian Klein, Direktor des Instituts für künstlerische Forschung in Deutschland mit dem Thema „Identifikation und soziale Kognition“ auseinandersetzen.[8]
  • Koproduktionen: Geplant sind ganzjährige Gastspiele, Koproduktionen und Symposien in Zusammenarbeit mit Netzwerkpartnern, Festivals, Spielstätten und Kuratoren.[9]

Rezeption und Kritiken

Allgemein

Zum Festival 2011 schrieb „Die Welt“:

„Von einem kleinen 2006 in Berlin gegründeten Festival hat sich Nordwind in seiner vierten Ausgabe zur größten Plattform des Austauschs zwischen skandinavischen, baltischen und deutschen Künstlern entwickelt (...)“[10]

Anne Peter schreibt in der "zitty", dass das Festival

„sich nicht einfach als Repräsentations-Schaufenster für das Theater der nordischen Länder versteht. Vielmehr bringt die künstlerische Leiterin Ricarda Ciontos immer wieder instinktsicher Theatermacher nach Berlin, die ob ihrer Radikalität und Konsequenz sowie dem Mut zum Pathos selbst die vermeintlich abgebrühten Hauptstadtkulturgänger bei den Eingeweiden packen.“ [11]

„John Gabriel Borkman“ von Vegard Vinge, Ida Müller, Trond Reinholdtsen (2011)

Die Inszenierung des Henrik Ibsen-Stückes „John Gabriel Borkman“ von Vegard Vinge, Ida Müller und Trond Reinholdtsen, die das Nordwind Festival 2011 im Prater der Volksbühne eröffnete, sorgte nicht nur aufgrund seiner Länge (teilweise länger als 12 Stunden) für Aufsehen. „John Gabriel Borkman“ wurde zum Theatertreffen 2012 eingeladen.
Anne Peter beschreibt die Inszenierung als ein

„genialisches Berserkertum, lärmende Oper, Geisterbahn-Horror, Extremtheater bis in die frühen Morgenstunden hinein. Und das merkwürdigste, krasseste, durchleidenswerteste Theaterereignis, das Berlin seit langem erlebt hat. [...] Dieses hochkomplexe und technisch ausgeklügelte Gesamtkunstwerk wirft Schlaglichter auf die Verdrängungs-Hölle Ibsens und ist ein spektakulär trefflicher Auftakt für ein Festival.“[11]

Eva Behrendt beschreibt in „Theater heute“, was das Stück für die Volksbühne - in der Tradition von Christoph Schlingensief, Frank Castorf etc. - bedeutet:

„Heute kann sich das Theater glücklich schätzen, nach Jahren des Dümplens im Mittelmaß mit dieser außergewöhnlichen Koproduktion an das alte Modell des Künstlertheaters anzuknüpfen.“ [12]

Stephanie Drees fasst in der „Süddeutschen Zeitung“ zusammen:

„Das norwegisch-deutsche Regieduo Vegard Vinge und Ida Müller hat - als vierten Teil ihrer ‚Ibsen-Saga‘- Ibsens Familienhölle in ein Bühnen-Ungetüm zwischen Puppehaus und Geisterbahn gepflanzt und macht darin Extrem-Theater, das an (und über) Grenzen geht. [...] ‚Nordwind‘ zeigt das zeitgenössische nordische Theater in einem Zustand wilder Melancholie. Dafür nimmt man sogar den Exkremententerror in Kauf.“ [13]

Für die BILD-Zeitung ist es „Berlins perversestes Theaterstück - 11 Stunden Ekel-Sex, Blut und Massaker - und wir alle zahlen dafür!“.[14]

„12Karamasows“ von Kristian Smeds (2011)

Für seinen Festival-Beitrag „12Karamasows“ nahm der finnische Regisseur Kristian Smeds zusammen mit zwölf Nachwuchsschauspieler/innen aus Estland in mehreren Workshops den Dostojewski-Text „Die Brüder Karamasow“ auseinander und setzte ihn zu einem Rockkonzert mit selbst komponierten Liedern wieder zusammen.
Stephanie Drees in der „Süddeutschen Zeitung“:

„Unter der oft leichten, manchmal trashigen Ästhetik wird ein ernsthafter Existenzialismus verhandelt. Es ist ein Sich-Hineinwerfen in die großen Fragen der Menschheitsgeschichte. Eine Suchbewegung, die das Publikum einfangen soll. Humor ist wichtig, Zynismus wenig angesagt. [...] Nach viereinhalb Stunden kann man dem finalen, familiären Frieden beiwohnen und hat eine der stärksten Inszenierungen des Festivals gesehen.“[13]

„The Dorine Chaikin Institute“ von SIGNA (2007)

Die Raum-Installation „The Dorine Chaikin Institute“ des dänischen Künstlerduos SIGNA[15] beim Festival 2007 simuliert eine Krankenhausabteilung, die von Darstellern bespielt wird. Die Zuschauer werden zu Patienten, die sich (freiwillig) verschiedenen Therapien unterziehen, und werden somit zum Teil der Installation.
Simone Kaempf berichtet in der „taz“:

„Man wird schnell Komplize im ‚Dorine Chaikin Institute‘, man will am Ende auch länger bleiben als die vereinbarten zwei Stunden. [...] Wer einmal in Installationen des dänischen Künstlerduos Signa (Signa Sørensen und Arthur Köstler) steckt, der will nicht mehr raus, gerade weil Realität und Fiktion irritierend durcheinander geraten.“[16]

Im Rückblick des Berliner Theaterjahres 2007 urteilten die „zitty“-Kritiker:

„Interessanterweise ist die Aufführung, die den zitty-Kritikern dieses Jahr am besten gefallen hat, keine Berliner Inszenierung sondern ein Gastspiel aus Kopenhagen: ‚Das Dorine Chaikin Institut‘ der dänischen Gruppe Signa überzeugte beim Festival ‚Nordwind‘ mit einer ganz unmittelbaren, lange nachwirkenden Theaterarbeit.“[17]

Einzelnachweise

  1. Mandy Schielke: Die Volkssauna an der Volksbühne. In: Deutschlandradio. 28. November 2011, abgerufen am 26. Juli 2013.
  2. Irina Enache: Nordic Arts in Berlin – from concept to cultural management. In: ArtClue. 14. März 2012, abgerufen am 26. Juli 2013 (englisch).
  3. Festivalpräsenz 2011. Abgerufen am 26. Juli 2013.
  4. Artist in Residence-Programm auf nordwind-festival.de. Abgerufen am 29. Juli 2013.
  5. Tanz im Dialog. 27. Januar 2013, abgerufen am 29. Juli 2013.
  6. Kulturelle Bildung auf nordwind-festival.de. Abgerufen am 29. Juli 2013.
  7. Kreativwirtschaft auf nordwind-festival.de. Abgerufen am 29. Juli 2013.
  8. Künstlerische Forschung auf nordwind-festival.de. Abgerufen am 29. Juli 2013.
  9. Koproduktionen auf nordwind-festival.de. Abgerufen am 29. Juli 2013.
  10. Irmela Kästner: Dem Biest auf der Spur. In: Die Welt. 4. Dezember 2011, abgerufen am 29. Juli 2013.
  11. a b Anne Peter: Auf Leben und Tod. In: zitty. 14. November 2011, abgerufen am 30. Juli 2013.
  12. Eva Behrendt: Der Exzess kommt aus dem Norden. In: Theater heute. Nr. 1, 2012, S. 20.
  13. a b Stephanie Drees: Und ewig lockt der Wald. In: Süddeutsche Zeitung. Nr. 290, 16. November 2012.
  14. R. Brier, T. Biermann: Berlins perversestes Theaterstück. In: BILD. 29. Oktober 2012.
  15. Die Erscheinungen der Martha Rubin / Ruby Town
  16. Simone Kaempf: Wir sind ganz für Sie da. In: taz. 20. November 2007, abgerufen am 30. Juli 2013.
  17. -icke: Bühne - Rückblick: Die Guten und die Bösen 2007. In: zitty. 6. Juli 2011, abgerufen am 30. Juli 2013.

Weblinks