Novellae

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Die Novellae (der Schlussteil der justinianischen Gesetzessammlung) und Bestandteil des seit 1583 nach Dionysius Gothofredus so genannten Corpus iuris civilis; hier als Auszug aus dem Authenticum (Gothofredus, 1614.)

Die Novellae (kurz: NJ, hergeleitet aus Novellae Iustiniani; gelegentlich: Nov.)[1] sind eine teilweise in Latein, vornehmlich aber in Griechisch[2] gehaltene Sammlung von Nachtragsgesetzen (leges novellae) Kaiser Justinians aus der Zeit nach 535. Die Konstitutionen sind abschließender Bestandteil des später so genannten Corpus iuris civilis,[3] zu dem auch die Institutionen (Lehr- und Lernmaterial für Studienanfänger), die Digesten (Unterrichtsstoff für Fortgeschrittene) und der Codex Iustinianus, der ausgewählte kaiserliche Anordnungen von Hadrian bis Justin I. umfasst, gehören.[4]

Die Gesetzessammlung repräsentiert einen Querschnitt durch alle Lebensfragen, die sich in der römischen Gesellschaft der Zeit stellten. Knapp ein Drittel aller Regelungen trägt den stetig steigenden Bedürfnissen im Handel und privatwirtschaftlichen Verkehr Rechnung. Da Justinian den größten Handlungsbedarf aber in Absicherung des allgemeinen Ordnungsrechts sah, stattete er dieses detailliert hoheitlich aus. Der Beamtenapparat wurde in der spätantiken Kaiserzeit mit erheblichem administrativen Aufwand betrieben, sodass knapp die Hälfte aller Vorschriften auf die Organisation der Reichsverwaltung entfiel. Die Amtsbefugnisse richteten sich an der Interessenslage des Reichs und seiner Provinzen aus. Die Versorgung des Militärs und die hoheitliche Stärkung des Gerichts- und Steuerwesens standen als bedeutende Aufgaben im Fokus des Staatsinteresses. Weiterhin wurden Regelungen zur Organisation und Vermögensausstattung der Reichskirche getroffen. Gleich mitformuliert wurden ethische Anforderungsprofile an Sitte und Moral. Die Regelungen galten grundsätzlich für „alle Untertanen“ des Reichs. Die Regel bestätigten bisweilen aber auch Ausnahmen. Justinian ließ seine Gesetze zunehmend abstrakter formulieren, damit er sein gestalterisches Instrumentarium flexibel und steuerbar halten konnte. So vermochte er anstehende Veränderungen besser zu bewältigen, mit vorrangiger Bedeutung dann, wenn die Staatsinteressen unmittelbar betroffen waren. Andere Bestimmungen wirken eher statisch und unscheinbar formuliert; zumeist waren dann private Belange betroffen.[5]

Form, Inhalt und Bedeutung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Novellae ist kein Gesetzesbegriff, den der Kaiser selbst verwendet hätte. Die Bezeichnung rührt aus dem Rechtsunterricht. Julian, bedeutender Rechtslehrer (antecessor) der Rechtsschulen von Beirut und später Konstantinopel, nutzte die Bezeichnung beim Abhalten von Novellenkursen Mitte der 550er Jahre.[6] In überwiegenden Teilen ist die Gesetzessammlung in anderen handschriftlichen Sammlungen – wie dem Authenticum oder die auf Julian zurückgehenden Epitome Iuliani – enthalten, zudem ist sie inschriftlich bezeugt.[7]

Die Abfassung der Gesetze in Griechisch bedeutete eine Kehrtwende in der juristischen Fachsprache. Latein wurde als Gesetzessprache verdrängt, gleichwohl Wolfgang Kaiser mit seinen dahingehenden Untersuchungen davon ausgeht, dass reichsweit gültige Novellen grundsätzlich zweisprachig verfasst wurden.[8] Die erhalten gebliebenen Konstitutionen sind in Italien und Nordafrika nachweislich in Latein verfasst, diejenigen, die sich auf östliche Provinzen beschränken, in Griechisch. Erklärungen und Kommentare wurden in Griechisch eingefügt. Leo VI. unterzog das justinianische Gesamtwerk des CIC einer Revision mit dem Ergebnis, dass die Basiliken entstanden. In dieser Abfassung brachte er persönliche Anmerkungen und Hinweisen unter.[9]

Zwar hatte Justinian die Kompilation des CIC bereits publiziert, infolge zahlreicher Reformgesetzgebungen wurde allerdings eine zweite Fassung des Codex Iustinianus nötig. 534 präsentierte er daher den Codex repetitae praelectionis. Die Veranlassung umfangreicher Einzelgesetzgebungen im Bereich des Privatrechts – vornehmlich waren von einer Neuordnung das Familien- und Erbrecht betroffen – bedeutete, dass das Ordnungssystem durch Nachtragsgesetze (Novellae) zu ergänzen war.[1] Justinian erfasste die sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen normativ. Zwischen 535 bis 539 erließ er reihenweise Novellen. Die neuen Regelungen enthielten häufig gar keine abweichenden Grundsätze, die Maßnahmenkataloge wurden aber aufgefächert. Mit Inkrafttreten des Codex repetitae praelectionis wurden Ende 534 auch die ersten Novellae promulgiert. Wenngleich es in Aussicht genommen worden war, wurden die Gesetzesnachträge während Justinians Regentschaft[1] wohl nie offiziell kompiliert.[10]

Bis heute geht die Forschung davon aus, dass sich die Novellen zunächst in Privatsammlungen wiederfanden. Beforscht werden vor allem die Epitome Iuliani und das Authenticum.[7] Die Niederschrift der Epitome gilt für das Jahr 556 als nachgewiesen, für das Authenticum besteht lediglich eine Vermutung für dasselbe Verkündungsjahr. Einen ganzheitlichen Überblick über sämtliche Novellen in ihren urtextlichen Sprachen, verschaffte ursprünglich die Collectio CLXVIII Novellarum. Sie umfasste wohl 168 Novellen. Neben den justinianischen (zuzüglich der dreizehn Novellen, die anhangsweise zur Edicta Iustiniani verarbeitet worden waren) waren noch Konstitutionen der kaiserlichen Nachfolger Justin II. und Tiberios II. enthalten und drei Edikte von Prätorianerpräfekten (praetorii).[11][1][8]

Thematisch kennen die Novellen keine Einschränkungen. Die behandelten Lebenssachverhalte sind aus allen Bereichen des Alltags geschöpft. Es lassen sich verwaltungs- und steuerrechtliche sowie strafrechtliche Vorschriften nachweisen, ebenso zivil- wie zivilprozessrechtliche. Trotz der wachsenden Bedeutung des Kirchenrechts und Justinians Interesse an theologischen Materien und Korrespondenzen mit den Päpsten seiner Zeit – etwa Johannes II., Agapitus I. und Vigilius – wurde in die Novellen davon nichts aufgenommen.[7] Im Übrigen sind die Novellen so miteinander verbunden, dass sie etliche Bezüge untereinander herstellen. Der Diskurs erstreckt sich auf den Codex, die Institutionen und die Digesten. Gelegentlich wird auf vorjustinianisches Recht reflektiert. Marie Theres Fögen reiht die Topoi der Novellen so auf: „Menschliches Zusammenleben bedarf einer guten Ordnung“, „die Ehe ist höchst ehrwürdig“, „Traditionen werden nicht abgeschafft, allenfalls verbessert“, „Kaiser und Kirche stimmen nutzbringend überein“, „Gottes Hilfe macht das Reich mächtig“ und „andere Völker sind Barbaren“.[12]

Wie ihr Inhalt, sind auch Anlass und Zielsetzung der Novellen vielgestaltig. Erstmalig eröffnet ein Kaiser seinen Gesetzeskatalog – neben Namen und Titulatur (intitulatio)[13] – mit der Anrufung Christi, der sogenannten invocatio. Zwar praktizierte Justinian das wohl schon seit 533, so etwa 534 auch beim Promulgationsgesetz Constitutiones Cordi für den Codex repetitae lectionis (zweite Fassung des Codex Iustinianus), aber Verkündungen mit der Spruchformel in nomine Domini nostri Iesu Christi waren eine Neuerung von ihm.[14]

Gewöhnlicherweise ist eine Novelle einzelfallbezogen, ausgewiesen werden die Adressaten als Individuum, genannt beim Hauptnamen, allen seinen (auch stattgehabten) Amtsbezeichnungen und seinem Rang. In sehr seltenen Fällen sind mehrere Personen genannt. Der Kaiser wird zudem an drei Stellen persönlich: in der inscriptio (zum Adressaten), in der dispositio (zur Anordnung, Verfügung) sowie in der salutatio (zum Gruß am Schluss). Hochrangige (kirchliche) Würdenträger werden dabei mit pater oder parens angesprochen, niederrangigere, wie Provinzstatthalter, mit frater.[7]

Justinians Streben nach der Vereinheitlichung allen Rechts, wurde von der Kirche aufgegriffen. Insoweit eröffnete er dem Recht den Weg zu einer christianisierten Weltanschauung, weshalb summarisch attestiert werden kann, dass das weltliche und das kirchliche Recht unter seiner Ägide zusammenzuwachsen begannen.

Nicht zu verwechseln sind die Novellae mit den Leges novellae, die sich auf die Gesetzgebung der Kaiser Theodosius II., Valentinian III. und Majorian beziehen.

Wirkungsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Um den Juristen, die mit der Novellensammlung arbeiteten, eine systematische Orientierung zu geben und um Breitenwirkung zu erzielen, wurden früh Bücher zur Erleichterung der Rechtspraxis geschaffen. Zeugnis davon gibt vornehmlich das Novellensyntagma des Athanasios von Emesa. Dessen Entstehung liegt im letzten Viertel des 6. Jahrhunderts. Als Arbeitsgrundlage verwendete Athanasios – entkleidet um alle Proömien, Epiloge und Sprachornate des Grundstoffs – die Collectio CLXVIII Novellarum.[15]

Der Athanasiostext lässt zahlreiche Weiterverarbeitung erkennen, was an zahlreichen Glossen und Transkriptionen erkennbar wird. Die Bearbeitungen legen zudem nahe, dass sie mehreren Benutzerschichten unterworfen sind, anders gesagt, aus mehreren Zeitabschnitten stammen und von verschiedenen Autoren herrühren. Die Wirkungsgeschichte des Syntagma war aber nicht allein wegen ihrer Verwendung zum Zwecke der Identifikation der Novellen (aktuelle Benutzung) bedeutsam, sondern auch weil der Text als Grundlage für die folgenden Weiterverwertungen diente. Damit war er prägend für die byzantinische Literaturgeschichte an sich. Sehr beliebt anfänglich, ließ die Beschäftigung mit dem Athanasiostext schnell nach, wurde während der Renaissance des justinianischen Rechts von den Makedonen aber wieder aufgegriffen. Allerdings fanden die Bearbeitungen keinen nennenswerten Niederschlag in den Hauptwerken der Zeit, etwa der Eisagoge oder dem Prochiron beziehungsweise den bereits genannten Basiliken. Erst die Epitome Legum und der Prochiron auctum zeigen wieder nachweislich auf, dass der Athanasiostext erneut abgeschrieben wurde und damit die Diskussion über die Novellen anregte.[15]

Quellen und Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Edition[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Wolfgang Kaiser: Authentizität und Geltung spätantiker Kaisergesetze (= Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte. Heft 96). Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-55121-5, S. 251 ff.
  • Wolfgang Kaiser: Die Zweisprachigkeit reichsweiter Novellen unter Justinian. Studien zu den Novellen Justinians. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung. Band 129, Heft 1, 2012, S. 392–474, doi:10.7767/zrgra.2012.129.1.392.
  • Wolfgang Kaiser: Wandlungen im Verständnis der Epitome Iuliani von der Spätantike bis zur Gegenwart, in: Martin Avenarius (Hrsg.), Hermeneutik der Quellentexte des Römischen Rechts, Baden-Baden 2008, S. 300–353.
  • Wolfgang Kunkel, Martin Schermaier: Römische Rechtsgeschichte, 14. Auflage. UTB, Köln/Wien 2005, § 11, S. 208–223 (Die Rechtsentwicklung der Spätzeit bis auf Justinian).
  • Leopold Wenger: Die Quellen des römischen Rechts. (Schriftenreihe: Denkschriften der Gesamtakademie / Österreichische Akademie der Wissenschaften). Holzhausen, Wien 1953.
  • Franz Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. Unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung (= Jurisprudenz in Einzeldarstellungen. Band 7, ZDB-ID 501118-8). 2., neubearbeitete Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1967.
  • Bastian Zahn: Einführung in die Quellen des römischen Rechts. In: JURA – Juristische Ausbildung, 2015, S. 453 f.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wikisource: Novellae constitutiones – Quellen und Volltexte (Latein)

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d Wolfgang Kunkel, Martin Schermaier: Römische Rechtsgeschichte, 14. Auflage. UTB, Köln/Wien 2005, § 11, S. 221–223 (Die Rechtsentwicklung der Spätzeit bis auf Justinian).
  2. Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht. Böhlau, Wien 1981 (9. Aufl. 2001), ISBN 3-205-07171-9, S. 55 f.
  3. Corpus Iuris Civilis ist kein zeitgenössischer Begriff, er entstammt der humanistischen Epoche des ausklingenden 16. Jahrhunderts und wurde durch Dionysius Gothofredus im Jahr 1583 geprägt.
  4. Heinrich Honsell: Römisches Recht. 5. Auflage, Springer, Zürich 2001, ISBN 3-540-42455-5, S. 17 f.
  5. Marie Theres Fögen: Gesetz und Gesetzgebung in Byzanz. Versuch einer Funktionsanalyse. In: Ius Commune, hrsg. von Dieter Simon, Band 14. Vittorio Klostermann Frankfurt a. M. 1987. S. 137–158 (140 ff.).
  6. Detlef Liebs: Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260–640 n. Chr.) (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen, Neue Folge, Band 8). Duncker & Humblot, Berlin 1987, ISBN 3-428-06157-8. S. 220–223.
  7. a b c d Wolfgang Kaiser: Zur äußeren Gestalt der Novellen Justinians (2011)
  8. a b Wolfgang Kaiser: Die Zweisprachigkeit reichsweiter Novellen unter Justinian. Studien zu den Novellen Justinians I. (online); siehe auch Literaturhinweis
  9. Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4 (Grundrisse des Rechts), § 2 Rnr. 3, S. 21.
  10. Tony Honoré: Justinian’s Codification in: The Oxford Classical Dictionary 803 (Hrsg: Simon Hornblower und Antony Spawforth), 2003; Timothy G. Kearley: The Creation and Transmission of Justinian’s Novels.
  11. Festgehalten bereits bei, Friedrich August Biener: Geschichte der Novellen Justinians. Berlin 1824 (Nachdruck 1970) S. 17 f.
  12. Marie Theres Fögen: Gesetz und Gesetzgebung in Byzanz. Versuch einer Funktionsanalyse. In: Ius Commune, hrsg. von Dieter Simon, Band 14. Vittorio Klostermann Frankfurt a. M. 1987. S. 137–158 (147).
  13. Imperator Caesar Flavius Iustinianus, Alamannicus Gothicus Francicus, Germanicus Anticus Alanicus Vandalicus, Africanus pius felix inclitus victor ac triumphator semper augustus
  14. Gerhard Rösch: Onoma basileias. Studien zum offiziellen Gebrauch der Kaisertitel in spätantiker und frühbyzantinischer Zeit (= Byzantina Vindobonensia. Band 10). Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1978, ISBN 3-7001-0260-7. S. 101 (FN 15).
  15. a b Dieter Simon, Spyros Troianos: Das Novellensyntagma des Athanasios von Emesa (Forschungen zur byzantinischen Rechtsgeschichte). Löwenklau-Gesellschaft, Frankfurt am Main 1989. ISBN 978-3-92361511-7. Einleitung VIII, X–XII. (online)