Olympiaausscheidungsrennen im Straßenradsport 1964

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Die Olympiaausscheidungsrennen im Straßenradsport 1964 waren zwei Eintagesrennen, bei denen die Teilnehmer im Straßenradsport für die gesamtdeutsche Mannschaft bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio 1964 ermittelt wurden. Sie fanden in Gießen in der Bundesrepublik und in Erfurt in der DDR im Juli 1964 statt.

Vorgeschichte und historischer Kontext[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Deutsche Radsport-Verband der DDR beziehungsweise sein Vorgänger (die Sektion Radsport im Deutschen Sportausschuß der DDR) wurde 1956 offiziell in den Weltdachverband des Radsports Union Cycliste Internationale (UCI) aufgenommen (zuvor starteten DDR-Fahrer ab 1954 mit einer Sondergenehmigung bei den Radweltmeisterschaften). Bei den Olympischen Sommerspielen waren die Sportler der DDR ab 1956 im Rahmen einer gesamtdeutschen Mannschaft mit den Sportlern der Bundesrepublik Deutschland startberechtigt. Über die Zusammensetzung der Olympiakader entschieden in der Regel innerdeutsche Ausscheidungswettkämpfe oder Vereinbarungen der beiden deutschen Nationalen Olympischen Komitees (NOK). Bei strittigen Fragen sollte das Internationale Olympische Komitee (IOC) jeweils eine Einzelentscheidung treffen. Für die Spiele 1964 in Tokio vereinbarten der Deutsche Radsport-Verband der DDR (DRSV) und der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) für den Bahnradsport und den Straßenradsport Ausscheidungskämpfe. Davon sollten jeweils einer in der DDR und einer in der Bundesrepublik stattfinden. Für den Straßenradsport wurden zwei Rennen in Gießen und Erfurt vereinbart, bei denen jeweils 15 Radrennfahrer jedes Verbandes antraten.

Der Nominierungsmodus lautete: 30 Punkte für den 1. Platz absteigend bis zu 1 Punkt für den 30. Platz. Die punktbesten fünf Fahrer sollten in die Olympiamannschaft aufgenommen werden, wobei letztlich die Verbände über die namentliche Besetzung der ihnen zustehenden Plätze entscheiden konnten. Die Rennzeiten wurden für die Nominierung nicht berücksichtigt und sollten nur bei Punktgleichheit berücksichtigt werden. Aus diesen qualifizierten fünf Fahrern wurde auch die Mannschaft für das Mannschaftszeitfahren in Tokio gebildet sowie vier Fahrer für das Einzelrennen nominiert.

1. Rennen in Gießen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 5. Juli fand das erste Rennen über 182 Kilometer auf einem Rundkurs (sieben Runden) bei Gießen statt. Der damalige Bundestrainer Otto Ziege hatte dafür eine Taktik vorgegeben, die vorsah, dass jeder BDR-Fahrer bei einem DRSV-Fahrer bleiben sollte, egal, wie die Rennsituation aussehen sollte. Dieses Konzept war erfolgreich. In der 6. Runde des Rennens konnten sich Immo Rittmeyer und Winfried Gottschalk von der Hauptgruppe lösen und das Ziel als Duo erreichen. Rittmeyer gewann den Zielsprint deutlich. 19 Fahrer folgten in der nächsten Gruppe. Auf der Zielgeraden zeigten sich die westdeutschen Fahrer taktisch überlegen. 200 Meter vor dem Ziel fuhren sechs BDR-Fahrer fächerartig auf der gesamten Straßenbreite und belegten damit die Plätze 3 bis 8 im Ziel. Von den Favoriten stürzte Gustav-Adolf Schur bereits in der Anfangsphase des Rennens, Klaus Ampler hatte Materialschaden. Beide fielen weit zurück und kamen für die Gesamtwertung nicht mehr in Frage. Nach dem Rennen waren die DDR-Fahrer und ihre Trainer einer massiven öffentlichen Kritik ausgesetzt. Insbesondere wurde kritisiert, dass die DDR-Fahrer in der fünften Runde eine 8-gegen-5-Übermacht in der Spitzengruppe nicht zu einer entscheidenden Tempoverschärfung nutzten. Rüschhoff hatte einen Defekt und Jürgen Goletz war zu seiner Unterstützung zurück geblieben.[1]

Kurz vor dem Rennen in Gießen verließ Dieter Wiedemann, der im Mai Dritter der Friedensfahrt geworden war, die DDR-Mannschaft und floh in die Bundesrepublik.[2][3][4]

Ergebnis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Platz Fahrer Verband Punkte
01. Immo Rittmeyer DRSV 30
02. Winfried Gottschalk BDR 29
03. Klaus Schützeberg BDR 28
04. Wilhelm Bollenberg BDR 27
05. Heinz Rüschhoff BDR 26
06. Heinz-Dieter Schulz BDR 25
07. Bernd Riemann BDR 24
08. Burkhard Ebert BDR 23
09. Eberhard Butzke DRSV 22
010. Günter Hoffmann DRSV 21
0

2. Rennen in Erfurt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auf einem Rundkurs (sechs Runden) bei Erfurt fand das 2. Rennen über 175 Kilometer statt. Bereits kurz nach dem Start versuchten die Fahrer des DRSV durch ständige Ausreißversuche und ein sehr hohes Renntempo eine Vorentscheidung zu treffen und die im 1. Rennen verlorenen Punkte aufzuholen. Opfer dieser Taktik wurden Gustav-Adolf Schur (der bereits nach 300 Metern stürzte), Dieter Mickein, Herbert Wilde, Horst Ruster und Paul Horn, die alle nach Materialschäden oder Stürzen nicht mehr zur Hauptgruppe aufschließen konnten. In der Endphase des Rennens in der 5. Runde setzten sich vier Fahrer (Weißleder, Eckstein, Hoffmann, alle DRSV) sowie Glemser (BDR) ab. Den Sprint gewann Manfred Weißleder. Nach dieser Spitzengruppe belegten vier BDR-Fahrer im Sprint einer neunköpfigen Gruppe die nächsten Plätze.[5][6]

Ergebnis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Platz Fahrer Verband Punkte
01. Manfred Weißleder DRSV 30
02. Günter Hoffmann DRSV 29
03. Bernhard Eckstein DRSV 28
04. Peter Glemser BDR 27
05. Burkhard Ebert BDR 26
06. Klaus Schützeberg BDR 25
07. Heinz-Dieter Schulz BDR 24
08. Bernd Riemann BDR 23
09. Lothar Appler DRSV 22
010. Wilhelm Bollenberg BDR 21
0

Gesamtergebnis beider Rennen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Platz Fahrer Verband Punkte
01. Klaus Schützeberg BDR 53
02. Günter Hoffmann DRSV 50
03. Immo Rittmeyer DRSV 49
04. Burkhard Ebert BDR 49
05. Heinz-Dieter Schulz BDR 49
06. Wilhelm Bollenberg BDR 48
07. Manfred Weißleder DRSV 47
08 Bernd Riemann BDR 47
09. Bernhard Eckstein DRSV 46
010. Peter Glemser BDR 43
0

Rittmeyer wurde auf den dritten Rang der Gesamtwertung gesetzt, da er gegenüber den punktgleichen Ebert und Schulz die bessere Zeit in den Rennen erzielt hatte. Damit erhielten der BDR drei und der DRSV zwei Startplätze für Tokio. Der BDR nominierte Burkhard Ebert, Peter Glemser und Wilfried Peffgen, der DRSV Günter Hoffmann und Immo Rittmeyer.[5][6]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Neues Deutschland. Berlin 6. Juli 1964, S. 8.
  2. Deutscher Radsport-Verband der DDR (Hrsg.): Der Radsportler. Nr. 21/1964. Berlin 1964, S. 2.
  3. Bund Deutscher Radfahrer (Hrsg.): Radsport. Nr. 27/1964. Deutscher Sportverlag Kurt Stoof, Köln 1964, S. 1–4.
  4. Flucht in Gießen - olympischer Radsport und deutsche Teilung. Abgerufen am 29. März 2024.
  5. a b Bund Deutscher Radfahrer (Hrsg.): Radsport. Nr. 28/1964. Deutscher Sportverlag Kurt Stoof, Köln 1964, S. 1–5.
  6. a b Deutscher Radsport-Verband der DDR (Hrsg.): Der Radsportler. Nr. 22/1964. Berlin 1964, S. 2.