Paroidea

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Paroidea

Haubenmeise (Lophophanes cristatus): ein typischer Vertreter der Paroidea

Systematik
Klasse: Vögel (Aves)
Unterklasse: Neukiefervögel (Neognathae)
Ordnung: Sperlingsvögel (Passeriformes)
Unterordnung: Singvögel (Passeri)
ohne Rang: Sylviida
Überfamilie: Paroidea
Wissenschaftlicher Name
Paroidea
Vigors, 1825

Die Paroidea sind eine kleine Überfamilie von Singvögeln innerhalb der Sylviida wie sie von Per Alström et al. im Rahmen einer molekulargenetischen Studie vorgeschlagen wurde.[1] Sie enthält nur die beiden Familien der Meisen (Paridae) und der Beutelmeisen (Remizidae) mit insgesamt ungefähr 75 Arten in 17 Gattungen.

Verbreitung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Verbreitungsgebiet der Paroidea

Die Arten sind fast weltweit zu finden, mit Ausnahme von Südamerika, Australasien und Antarktika. Einige Meisenarten zeichnen sich dabei durch besonders weiträumige Verbreitung auf, wie die Tannenmeise, die den britischen Inseln bis Japan verbreitet ist, oder die Lapplandmeise, die eine zirkumpolare Verbreitung von Skandinavien bis Nordamerika besitzt. Auch die Kohlmeise kommt von Westeuropa und Nordwest-Afrika bis in den fernen Osten Russlands und Chinas vor. Die heute als eigene Art behandelte Graukohlmeise besiedelt als einzige Meisenart sogar Teile Indonesien vor. Die Arten Subsaharaafrikas wie die Kaprußmeise und die anderen Rußmeisen der Gattung Melaniparus, oder viele nordamerikanische Arten wie die Grauhäubchenmeise haben dagegen lokale Verbreitungen auf mehr oder weniger großen Teilen ihres Kontinents. Neben einem großen Verbreitungsgebiet zeichnen sich dabei einige Arten, wie die Kohl- und die Blaumeise auch durch die hohe Individuenzahl aus. Für die Kohlmeise gibt Birdlife International eine grobe Schätzung von 400–700 Mio. für die die weltweite Gesamtpopulation an.[2]

Die drei Gattungen der Beutelmeisen entsprechen jeweils auch den kontinentalen Verbreitungsgebieten: die vier Arten der Typusgattung Remiz besiedeln das Eurasien der gemäßigten Zonen, die sechs Arten der Gattung Anthoscopus Subsaharaafrika vom Sahel bis zum Kap und die monotypische Gattung Auriparus besiedelt mit der Goldkopf-Beutelmeise den Südwesten der USA und den Norden Mexikos.

Im Zugverhalten unterscheiden sich die beiden Familien. Während die eurasischen Arten der Beutelmeisen, also die Arten der Gattung Remiz, im Winter vor allem den nördlicheren Teil des Brutgebietes verlassen und im Fall der Chinabeutelmeise sogar Langstreckenzieher sind, sind die meisten Meisenarten hingegen Standvögel. Selbst in den kühlgemäßigten und subpolaren Verbreitungsgebieten bleibe viele der Individuen, z. B. der Lapplandmeise, im Winter in den Brutgebieten. Der je nach Witterung gelegentliche Kurzstrecken-, Teil- und Ausweichzug einiger Arten erfolgt dabei teilweise in äußerst langsamem Tempo von oft nur 20–30 km pro Tag.[3] [4]

Beschreibung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Vertreter der Familie sind typischerweise kleine bis sehr kleine Singvögel. Größe und Gewicht variieren gewöhnlich zwischen 8 cm und 6,5 g bei der Kapbeutelmeise und bis zu 15 cm und 15 g bei der Kohlmeise. Eine Ausnahme stellt die fast singdrosselgroße Sultansmeise mit einer Körpergröße von 20–21 cm und einem Gewicht von 35–49 g dar.

Das Gefieder vieler Arten ist kontrastreich mit bräunlicher und oft auch leuchtend gelbem Grundton. Typisch sind für viele Arten die stark kontrastierenden schwarzen Augen- und Brustbänder und Kappen. Blaue Färbungen, wie bei der Blaumeise und den anderen Vertretern der Gattung Cyanistes, sind die Ausnahme. Einige Arten besitzen zudem eine auffällige Federhaube.

Körperbau und generelles Erscheinungsbild sind bei allen Arten mit Ausnahme der Sultansmeise und insbesondere der Tibetmeise (Pseudopodoces humilis) erstaunlich ähnlich. Die Autoren im Handbook of the Birds of the World beschreiben die Gruppe der Meisen daher auch als „eine der konservativsten Vogelfamilien in Bezug auf die allgemeine Gestalt“.[5] Die Familie der Beutelmeisen tut dieser Einschätzung keinen Abbruch. Die Vögel der gesamten Überfamilie besitzen eine kompakten Körperbau und sind i. Allg. sehr agil. Der Schnabel ist meist recht kurz und konisch spitz in etwas unterschiedlicher ausgeprägter Dicke, die mit Ernährungsweise und Lebensraum zusammenhängt. Nadelwaldbewohner und die insgesamt sich insektenreich ernährenden Beutelmeisen-Arten haben einen durchschnittlich kleineren und feineren Schnabel. Die runden und kurzen Flügel besitzen zehn Handschwingen, wobei die zehnte Handschwinge bei einigen Beutelmeisen reduziert ist. Der Flug ist dadurch wendig. Der filigrane Bau des Tarsus ermöglicht eine außergewöhnlich Klettergewandtheit der Meisen und hilft den Beutelmeisen beim Bau ihrer kunstvollen Nester sowie bei der Nahrungssuche, wobei sie die Füße zum Manipulieren von Pflanzenmaterial nutzbar zu machen. Typisch ist auch das vom „Meisenknödel“ bekannte Überkopfhängen vieler Arten.[6][7]

Wie vielen Menschen von den europäischen Meisen bekannt, sind viel Meisenarten wie Kohl- und Blaumeise äußerst gesangfreudig. Der Gesang von Meisen und auch Beutelmeisen ist dabei in den allermeisten Fällen aber eher laut als facettenreich und oft wiederholend sogar teilweise monoton. Als Beispiel können hier das monotone „zieh-bä, zeihbä, ziehbä,...“ der Kohlmeise[8] oder der Gesang der Kapbeutelmeise[9] herhalten. Dennoch sind viele Arten stimmlich durchaus variabel in ihren Kontaktrufen und Stimmfühlungslauten.

Viele Arten der Überfamilie ernähren sich teilweise oder sogar überwiegend insektivor. Gerade außerhalb der Brutzeit und abhängig vom spezifischen Verbreitungsgebiet kommen Sämereien, Beeren und Knospen hinzu (insbesondere bei den in nördlichen Breiten überwinternden Arten).[6]

Die Nester werden im Allgemeinen in Höhlen gebaut, wobei die Beutelmeisen sich gewissermaßen ihre eigenen Höhlen in Form aufwändig hergestellter Beutelnester aus Pflanzenmaterial bauen. Die Gelege der unterschiedlichen Arten sind generell eher groß, wobei Beutelmeisen oft 6–8, aber einige Meisenarten auch bis zu 15 Eier legen. Die Brutzeit liegt typischerweise bei 14 Tagen.

Systematik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kladogramm der inneren und äußeren Systematik
 ←Sylviida  


 Hyliotas (Hyliotidae)


   

 Elfenschnäpper (Stenostiridae)



   
 Paroidea  

 Beutelmeisen (Remizidae)


   

 Meisen (Paridae)



   


   

Restliche Sylviida





Vorlage:Klade/Wartung/Style
nach Oliveros et al.[10] und Cai et al.[11]

Bereits seit den 2000er-Jahren zeigten molekulargenetischen Untersuchungen, dass die Meisen und Beutelmeisen eng verwandt sind und eine gemeinsame Klade bilden.[12][13] Zu den Paroidea werden manchmal auch die Elfenschnäpper (Stenostiridae) und die Hyliotas (Hyliotidae) gerechnet,[14] deren Nähe zu den Meisen und Beutelmeisen viele Studien nahelegten, ohne aber eine Beziehung als Schwestergruppe aufzeigen zu können.[13] Neuere Forschungen bestätigen dagegen, dass die Paroidea im strengen Sinne, also mit nur zwei Familien, die Schwestergruppe einer großen Klade der anderen Sylviida bilden, während die Klade der beiden Familien Stenostiridae und Hyliotidae eine basale Klade innerhalb der Sylviida bilden, die nicht die Schwestergruppe der Paroidea ist (s. nebenstehendes Kladogramm).[10]

Kladogramm der inneren Systematik auf Gattungsebene
 Paroidea  
 Remizidae 

Auriparus


   

Remiz


   

Anthoscopus




 Paridae  

Cephalopyrus


   

Sylviparus


   

Melanochlora


   
   
   

Pardaliparus


   

Periparus



   
   

Baeolophus


   

Lophophanes


   

Sittiparus


   

Poecile






   

Cyanistes


   
   
   

Pseudopodoces


   

Parus



   

Machlolophus



   

Melaniparus









Vorlage:Klade/Wartung/Style
Johansson et al. (2013)[15] und Barani-Beiranvand et al.[16]

Die innere Struktur der Überfamilie stellt sich demnach folgendermaßen dar:

Entwicklungsgeschichtlich ergibt sich nach der Hypothese in der Forschungsarbeit von Oliveros et al.[10] folgendes Bild (wobei die Zeiten als mittlere Schätzung zu sehen sind): Als erstes hat sich die kleine Klade aus Stenostiridae und Hyliotidae im mittleren Oligozän vor etwa 28 Millionen Jahren (Ma) auf dem afrikanischen Kontinent vom Rest der Sylviida getrennt. Nur wenig später trennen sich dann die Paroidea von ihrer Schwesterklade der restlichen Sylviida. Die Gruppe verbleibt zunächst auf dem afrikanischen Kontinent, wo sich dann die Beutelmeisen und Meisen im frühen Miozän vor etwa 22 Ma voneinander trennen. Die Radiation der Familien nach Eurasien und Nordamerika erfolgt im weiteren Verlauf und ergibt schließlich die oben beschriebene heutige Verbreitung.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Urs N. Glutz von Blotzheim & Kurt M. Bauer: Handbuch der Vögel Mitteleuropas. Passeriformes (3. und 4. Teil): Sylviidae / Sittidae – Laniidae. Hrsg.: Urs N. Glutz von Blotzheim. Band 12. Aula-Verlag, 2001, ISBN 3-923527-00-4.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Per Alström, D. M. Hooper, Y. Liu, U. Olsson, D. Mohan, M. Gelang, L. M. Hung, J. Zhao, F. Lei, T. D. Price: Discovery of a Relict Lineage and Monotypic Family of Passerine Birds. In: Biology Letters. Band 10, Nr. 3, 2014, doi:10.1098/rsbl.2013.1067.
  2. BirdLife International: Species factsheet: Parus major. 2023, abgerufen am 26. Februar 2023.
  3. Jarosław K. Nowakowski: Speed and synchronisation of autumn migration of the Great Tit (Parus major) along the eastern and the southern Baltic coast. In: Ring. Band 23, Nr. 1, 2001, S. 55–71 (wbwp-fund.eu [PDF]).
  4. Jarosław K. Nowakowski: Speed of autumn migration of the Blue Tit ( Parus caeruleus ) along the eastern and southern Baltic coast. In: Ring. Band 26, Nr. 1, 2004, S. 3–12, doi:10.2478/v10050-008-0059-1.
  5. Andrew Gosler & Peter Clement: Handbook of the Birds of the World. Volume 12: Picathartes to Tits and Chickadees. Family Paridae (Tits and Chickadees). Hrsg.: J. Hoyo et al. Lynx Edicions, Barcelona 2007, ISBN 978-84-96553-42-2, S. 662–709.
  6. a b Glutz von Blotzheim, Band 13/I, Paridae, S. 359 ff.
  7. Glutz von Blotzheim, Band 13/II, Remizidae, S. 997 ff.
  8. XC782225 · Kohlmeise · Parus major, Beispiel auf xeno-canto.org
  9. XC761162 · Kapbeutelmeise · Anthoscopus minutus, Beispiel auf xeno-canto.org
  10. a b c C. H. Oliveros et al.: Earth history and the passerine superradiation. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States. Band 116, Nr. 16, 2019, S. 7916–7925, doi:10.1073/pnas.1813206116, PMID 30936315, PMC 6475423 (freier Volltext).
  11. Tianlong Cai, Alice Cibois, Per Alström, Robert G. Moyle, Jonathan D. Kennedy, Shimiao Shao, Ruiying Zhang, Martin Irestedt, Per G. P. Ericson, Magnus Gelang, Yanhua Qu, Fumin Lei, Jon Fjeldså: Near-complete phylogeny and taxonomic revision of the world’s babblers (Aves: Passeriformes). In: Molecular Phylogenetics and Evolution. Band 130, Januar 2019, S. 346–356, doi:10.1016/j.ympev.2018.10.010 (PDF).
  12. F. Keith Barker, Alice Cibois, Peter A. Schikler, Julie Feinstein & Joel Cracraft: Phylogeny and diversification of the largest avian radiation. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 101, Nr. 30, 2004, S. 11040–11045, doi:10.1073/pnas.0401892101, PMID 15263073 (pnas.org).
  13. a b Silke Fregin, Martin Haase, Urban Olsson, Per Alström: New insights into family relationships within the avian superfamily Sylvioidea (Passeriformes) based on seven molecular markers. In: BMC Evolutionary Biology. Band 12, Nr. 157, 2012, S. 1–12 (biomedcentral.com).
  14. John Boyd: PAROIDEA & SYLVIOIDEA I. Stenostiridae through Cisticolidae. In: jboyd.net. John H. Boyd III., 24. Oktober 2018, S. 64, abgerufen am 25. Februar 2023.
  15. Ulf S. Johansson, Jan Ekman, Rauri C.K. Bowie, Peter Halvarsson, Jan I. Ohlson, Trevor D. Price & Per G.P. Ericson: A complete multilocus species phylogeny of the tits and chickadees (Aves: Paridae). In: Molecular Phylogenetics and Evolution. Band 69, Nr. 3, 2013, S. 852–860, doi:10.1016/j.ympev.2013.06.019, PMID 23831453.
  16. Hossein Barani-Beiranvand, Mansour Aliabadian, Martin Irestedt, Yanhua Qu, Jamshid Darvish, Tamás Székely, René E. Van Dijk & Per G. P. Ericson: Phylogeny of penduline tits inferred from mitochondrial and microsatellite genotyping. In: Ibis. Band 153, Nr. 2, 2011, S. 932–3940, doi:10.1111/jav.01163.