Paul Oskar Kristeller

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Paul Oskar Kristeller (* 22. Mai 1905 in Berlin; † 7. Juni 1999 in New York) war ein deutsch-US-amerikanischer Humanismusforscher, Philosophiehistoriker und Kodikologe.

Leben

Kristeller wuchs in einer assimilierten jüdischen Familie in Berlin auf. Die mitunter zu findende Behauptung, dass er ein Enkel des Gynäkologen Samuel Kristeller gewesen sei, ist falsch. Kristeller besuchte von 1911 bis 1923 das Mommsen-Gymnasium in Berlin. Er hatte dort neun Jahre Latein und sechs Jahre Griechisch, einer seiner Lehrer war der Philosophiehistoriker Ernst Hoffmann, bei dem Kristeller Platon studierte und bei dem er 1923 sein erstes Heidelberger Philosophieseminar (über Aristoteles' Nikomachische Ethik) belegte. Kristeller studierte Philosophie außerdem bei Karl Jaspers (ebenfalls in Heidelberg), Richard Kroner (1924 in Freiburg) und Martin Heidegger (1926 in Marburg). Andere Fächer waren Mittelalterliche Geschichte (bei Karl Ludwig Hampe und Friedrich Baethgen), aber auch Mathematik. Kristeller hörte auch Vorlesungen in Germanistik, Sprachwissenschaft, Musikwissenschaft, Physik und Kunstgeschichte.

Kristeller beendete mit seiner Dissertation über Plotin, bei Ernst Hoffmann, sein Studium an der Universität Heidelberg, es folgte, ab 1929, ein Studium der Altphilologie in Berlin bei Werner Jaeger und Eduard Norden. Kristeller erwarb im Winter 1930/31 sein Staatsexamen für das höhere Lehramt mit einer auf Latein verfassten Abhandlung über die Erste Rede des Perikles bei Thukydides, die Jaegersche Konzepte aufnahm.

Kristeller ging von 1931 bis 1933 nach Freiburg zu Heidegger, der ihm von einer Schullaufbahn abriet und Kristellers Vorschlag einer Habilitationsschrift über Marsilio Ficino annahm. Kristeller begann seine Arbeit in Berlin und führte sie wegen des Nazi-Boykotts gegen Juden in Italien fort, wo er von 1934 an lebte. Er unterrichtete zeitweilig (bis 1935) am Landschulheim Florenz und konnte mit Giovanni Gentiles Unterstützung an der Scuola Normale Superiore und an der Universität Pisa Deutsch unterrichten. Gentile unterstützte die Veröffentlichung von Kristellers Supplementum Ficinianum und seines Buches über Ficino. Er half ihm persönlich, als die antisemitische Gesetzgebung 1938 für Kristellers Entlassung sorgte, und auch dabei, 1939 in die Vereinigten Staaten von Amerika zu emigrieren.

Dort lehrte Kristeller kurze Zeit an der Yale University; er wechselte aber bald an die Columbia University in New York, wo er 1973 emeritiert wurde, aber noch bis 1976 lehrte. 1955 wurde er in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. 1957/58 war er Präsident der New Yorker Renaissance Society of America. 1974 verlieh ihm die Columbia University den Ehrendoktor; 1988 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften gewählt.[1]

1984 war er MacArthur Fellow.

Rezeption

Sein Schwerpunkt der Forschung lag auf dem Gebiete der Philosophie der Renaissance und des Humanismus. Wichtige Arbeiten betreffen beispielsweise Marsilio Ficino, Giovanni Pico della Mirandola und Pietro Pomponazzi.

Besondere Verdienste erwarb er sich durch das Iter Italicum (der Titel erinnert an das Iter Alemannicum und weitere Werke von Martin Gerbert), ein Mammutwerk, in dem er zahllose bisher unverzeichnete Handschriften beschrieb.

Schriften

  • Der Begriff der Seele in der Ethik des Plotin. Mohr, Tübingen 1929 DNB 580465020 (= Heidelberger Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte, Band 19, zugleich Dissertation, Universität Heidelberg, Philosophische Fakultät, 1928).
  • The Philosophy of Marsilio Ficino. New York 1943.
  • The Renaissance Philosophy of Man. University of Chicago Press, Chicago 1948.
  • Die italienischen Universitäten der Renaissance. Scherpe, Krefeld 1953.
  • The Classics and Renaissance Thought. Harvard University Press, Cambridge 1955.
  • Der italienische Humanismus und seine Bedeutung. Helbing und Lichtenhahn, Basel 1969
  • Die Philosophie des Marsilio Ficino. Klostermann, Frankfurt am Main 1972.
  • Humanismus und Renaissance. Fink, München 1980.
  • Die antiken und mittelalterlichen Quellen. ISBN 3-7705-1815-2.
  • Philosophie, Bildung und Kunst. ISBN 3-7705-1816-0.
  • Studien zur Geschichte der Rhetorik und zum Begriff des Menschen in der Renaissance. Gratia, Göttingen 1981.
  • Die Ideen als Gedanken der menschlichen und göttlichen Vernunft. Winter, Heidelberg 1989, ISBN 3-598-25030-4.
  • Latin Manuscript Books Before 1600. Monumenta Germaniae Historica. Cosmopolitan Science and Art Service, New York 1948. 4. Auflage: München 1993.
  • A Life of Learning. The 1990 Charles Homer Haskins Lecture. 1990
  • Iter italicum. A finding list of uncatalogued or incompletely catalogued humanistic manuscripts of the Renaissance in Italian and other libraries. Brill, Leiden 1995, ISBN 90-04-10122-5 (1 CD-ROM, identisch mit der Ausg. London 1963–1997).
  • (Hrsg.) The Renaissance Philosophy of Man. Petrarca, Valla, Ficino, Pico, Pomponazzi, Vives. University of Chicago Press, Chicago, Ill. 1996.
  • Studies in Renaissance Thought and Letters. 4 Bände. Edizioni di Storia e Letteratura, Rom 1956–1996.

Literatur

  • John Monfasani: Paul Oskar Kristeller. In: Gnomon. 73 (2001) S. 378ff.
  • Clemens Zintzen: Paul Oskar Kristeller. In: Mittellateinisches Jahrbuch. 35 (2000) S. 199 ff.
  • Thomas Gilbhard: Bibliographia Kristelleriana. A bibliography of the publications of Paul Oskar Kristeller. Edizioni di Storia e Letteratura, Rom 2006, ISBN 88-8498-310-X. (Sussidi eruditi; 72)
  • John Monfasani (Hrsg.): Kristeller Reconsidered. Essays on His Life and Scholarship. Italica Press, New York 2006, ISBN 0-934977-57-7.
  • Hans Peter Obermayer: Kristellers Fluchten: Sein ITER zwischen Deutschland, Italien und USA. In: Derselbe: Deutsche Altertumswissenschaftler im amerikanischen Exil. Eine Rekonstruktion. De Gruyter, Berlin 2014, S. 405–520.

Einzelnachweise

  1. Mitglieder der HAdW seit ihrer Gründung im Jahr 1909. Paul Oskar Kristeller. Heidelberger Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 29. Juni 2016.

Weblinks