Römische Streitkräfte in Raetia

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Das raetische Heer (lat. exercitus Raeticus) war ein in der Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. zunächst aus Auxiliartruppen zusammengestelltes Heer in der römischen Provinz Raetien. Ab dem Jahre 178 kam es zu einer wesentlichen Vergrößerung des raetischen Heeres durch die Stationierung der Legio III Italica in Castra Regina (heutiges Regensburg). In der Spätantike führte - bis zur Auflösung der römischen Militär- und Zivilverwaltung im Jahre 475 - der Dux Raetiae das Provinzheer.

Geschichte

Sesterz des Hadrian mit der Prägung Exercitus Raeticus

Einen sicheren Nachweis über Benennung und Existenz dieser Heeresgruppe gibt es auf einem während der Regierungszeit des Kaisers Hadrian zwischen 134 und 138 n. Chr. geprägten Sesterz.[1] Die Provinz Raetien wurde im ersten Jahrhundert n. Chr. eingerichtet. Einen weiteren Nachweis für die Existenz dieses Truppenverbandes ergab die Auswertung von insgesamt etwa fünfundzwanzig Militärdiplomen die für Veteranen dieser Provinz deren Bürgerrecht dokumentierten. Das älteste bekannte Militärdiplom für die Provinz Raetien ist vom 13. Mai 86 n. Chr., ausgestellt unter dem Statthalter Titus Flavius Norbanus. Nach der Unterwerfung der Vindeliker und Raeter verzichteten die Römer auf ihre sonstige Gepflogenheit, den größten Teil der jüngeren Bevölkerung gefangen zu nehmen und auf den Sklavenmärkten südlich der Alpen zu verkaufen. Dies geschah noch am Anfang des Eroberungszuges im Aostatal, als zwanzigtausend Salasser deportiert und versklavt wurden. Rom änderte nun seine Taktik, die männliche Bevölkerung wurde, sofern körperlich tauglich, zu den Hilfstruppen gezwungen. Die Grenzen der Provinz hatten anfänglich eher die Funktion einer Zollgrenze, deren Übergänge als Marktplätze für den Handel mit den in der Germania Magna lebenden Barbaren dienten.

Im Jahre 132 wurden drei raetische Kohorten, die Cohors I Breucorum, Cohors III Thracum civium Romanorum und die Cohors III Bracaraugustanorum, in die römische Provinz Judäa abkommandiert. Dort nahmen sie an der Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstandes teil. Teile des Verbandes kehrten erst im Jahre 139 wieder nach Raetien zurück.

Ab der Zeit der Markomannenkriege kam die Legio III Italica zum bis dahin eher unbedeutenden raetischen Provinzheer, das somit wesentlich verstärkt wurde. Die Legio III Italica mit den Ehrennamen Concors VII Pia VII Fidelis bezog ab 178 n. Chr. bis zum Ende der Provinz Raetien Stellung in Castra Regina. Das dortige Feldlager wurde von ihr begründet. Die Legion hatte eine Sollstärke von 6000 Soldaten, womit sich der Bestand des raetischen Heeres verdoppelte. Sie hatte auch noch den Zusatz Concors (lateinisch „die Einträchtige“) in ihrem Namen und durfte als weitere Auszeichnung das pia fidelis (lateinisch fromm und treu) in ihrem Legionsnamen führen. Die Aushebung der Truppen nahm Kaiser Mark Aurel direkt im Mutterland Italien vor. Damit brach er mit einem einhundert Jahre lang geltenden Vorrecht. Anscheinend war die Bedrohung durch die markomannischen Barbaren so stark.

Auf dem Augsburger Siegesaltar, dessen Aufstellung auf den 11. September 260 n. Chr. datiert wird, werden keine regulären Einheiten des raetischen Heeres mehr genannt.

In der Spätantike wurde das raetische Heer von einem Dux Raetiae (Dux provinciae Raetiae primae et secundae) befehligt. Dieses militärische Amt wurde im Zuge der von Kaiser Diokletian (284–305) begonnenen Staatsreformen um 310 eingeführt.[2][3] Die Notitia Dignitatum zeigt die Verteilung der bis dahin in Raetien zurückgebliebenen Truppenverbände.[4] Auffallend ist das Verschwinden der meisten Hilfstruppenkontingente und ihr Ersatz durch völlig neue Einheiten am Ende des 3. Jahrhunderts. Dazu gehörten zwei Eliteeinheiten Kavallerie, drei Alen und sieben Kohorten. Bis ins 5. Jahrhundert blieben nur jene Truppenteile bestehen, die auch schon im 3. Jahrhundert am Südufer der Donau und nicht direkt am raetischen Limes stationiert waren.

Die Zusammensetzung des Heeres um 107 n. Chr.

Die Gesamtstreitmacht des raetischen Heeres bestand im Jahre 107 aus vier Alae und 11 Kohorten.[5]

  • Ala I Hispanorum Auriana
  • Ala I Augusta Thracum
  • Ala I singularium civium Romanorum pia fidelis
  • Ala II Flavia pia fidelis milliaria

Dieser Bestand stammt von dem Militärdiplom ausgestellt auf den 30. Juni 107. Es wurde im Kastell Weißenburg gefunden. Zu dieser Zeit befanden sich keine römischen Legionen in Raetien. Der militärische Großverband hatte somit einen durchschnittlichen Bestand über die Zeit seiner Existenz von fünf- bis zehntausend Soldaten der Auxiliartruppen. Auffallend bei dieser Aufstellung ist, dass nur die Kohorten Coh. I und II Raetorum, wie der Name schon sagt, direkt aus Raetien waren.

Feldzüge

  • Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstands von 132 bis 135 n. Chr in Judäa

Bekannte Kommandeure

Antoninian des Gallienus, geprägt um 260. Am Revers die Abbildung eines Storches, das Wappentier der leg(io) III Ital(ica) P(ia) F(idelis)
  • Titus Flavius Norbanus (86 n. Chr.)
  • Iulius Aquilinus (107 n. Chr.)
  • Iulius Rufus (147 n. Chr.)
  • Ulpius Victor (153 n. Chr.)
  • Varius Clemens (157 n. Chr.)
  • Desticius Severus (166 n. Chr.)
  • Flavius Felix (211 n. Chr.)
  • Lucius Noreius Fortunatus
  • Crepereius Verecundianus

Literatur

  • Hans-Jörg Kellner: exercitus Raeticus. Truppenteile und Standorte im 1.–3. Jahrhundert n. Chr. In: Bayerische Vorgeschichtsblätter. 36, 1971, ISSN 0341-3918, S. 207–215.
  • Hans-Jörg Kellner: Die Römer in Bayern. 2. ergänzte Auflage. Süddeutscher Verlag, München 1972, ISBN 3-7991-5676-3.
  • Karlheinz Dietz in: Wolfgang Czysz, Karlheinz Dietz, Thomas Fischer, Hans-Jörg Kellner: Die Römer in Bayern. Theiss, Stuttgart 1995, ISBN 3-8062-1058-6, S. 43–47, 126–137.
  • Hartmut Wolff: Das Heer Raetiens und seine „Militärdiplome“ im 2. Jahrhundert n. Chr. In: Bayerische Vorgeschichtsblätter. 65, 2000, S. 155–172.
  • Werner Eck - Andreas Pangerl, Titus Flavius Norbanus, praefectus praetorio Domitians, als Statthalter Rätiens in einem neuen Militärdiplom, ZPE 163, 2007, 239-251
  • Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte. (sehr detailliert, umfangreiche Quellenangaben)

Einzelnachweise

  1. Hans-Jörg Kellner: Die Römer in Bayern. 2. ergänzte Auflage. Süddeutscher Verlag, München 1972, Bildtafel 24.
  2. Karlheinz Dietz: Regensburg zur Römerzeit. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 1979, ISBN 3-7917-0599-7, S. 130.
  3. Michael Mackensen: Die Provinz Raetien in der Spätantike. In: Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer. Zabern, Mainz 2000, S. 214.
  4. Occ. XXXV.
  5. Hans-Jörg Kellner: Die Römer in Bayern. 2. ergänzte Auflage. Süddeutscher Verlag, München 1972, S. 67.