Sam Harris

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 5. Oktober 2016 um 10:14 Uhr durch Grafite (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Sam Harris

Samuel Benjamin „Sam“ Harris (* 9. April 1967 in Los Angeles) ist ein US-amerikanischer Philosoph, Neurowissenschaftler, Schriftsteller und gefragter Debattenredner. Er ist besonders bekannt für seine These, dass Fragen der Ethik mit naturwissenschaftlichen Methoden untersucht werden können und sollten. Neben Richard Dawkins, Daniel Dennett und dem 2011 verstorbenen Christopher Hitchens gehört Harris zu den bekanntesten Vertretern des Neuen Atheismus.

Er erlangte einen Abschluss in Philosophie von der Stanford University und promovierte in Neurowissenschaft, wobei er unter anderem die neuronalen Grundlagen von Überzeugungen mithilfe funktioneller Magnetresonanztomographie untersuchte.[1][2]

Er schrieb 2004 das von den Terroranschlägen am 11. September 2001 inspirierte Buch The End of Faith (auf Deutsch Das Ende des Glaubens) und gewann damit 2005 den PEN-Award.[3] Im Jahre 2006 veröffentlichte er Letter to a Christian Nation, mit dem er den Kritikern seines ersten Buches entgegentrat. Daneben schreibt er Artikel für die Newsweek, The Los Angeles Times, The Times in London und The Boston Globe.[4]

Er ist der Sohn der Drehbuchautorin und Fernsehproduzentin Susan Harris.

Philosophie

Harris sieht in den Religionen im Allgemeinen und im Islam im Speziellen eine große Gefahr für die derzeitige Gesellschaft und setzt sich für einen rationalen und vernünftigen Zugang zu Ethik und Spiritualität ein, ohne deren Notwendigkeit in Abrede zu stellen. Er kritisiert dabei besonders, in Anlehnung an die berühmte Schrift Why I am not a Christian von Bertrand Russell, die monotheistischen Religionen und jede andere Form von unfundiertem, blinden Glauben – welchen er mit seinem Buchtitel The End of Faith (zu Deutsch: Das Ende des Glaubens) direkt angreift. Er argumentiert, dass die Political Correctness in den Tagen des fundamentalistisch motivierten islamischen Terrorismus ausgedient habe und man über gewisse Dinge offen sprechen müsse:

“To speak plainly and truthfully about the state of our world – to say, for instance, that the Bible and the Koran both contain mountains of life-destroying gibberish – is antithetical to tolerance as moderates currently conceive it. But we can no longer afford the luxury of such political correctness. We must finally recognize the price we are paying to maintain the iconography of our ignorance.[5]

“Einfach und ehrlich über den Zustand unserer Welt zu sprechen - beispielsweise zu sagen, dass sowohl Bibel als auch Koran bergeweise tödlichen Unsinn enthalten - steht der Auffassung von Toleranz entgegen, die momentan von den Gemäßigten vertreten wird. Aber wir können uns den Luxus dieser politischen Korrektheit nicht länger erlauben. Wir müssen endlich erkennen, welchen Preis wir dafür bezahlen, die Bildsprache unseres Unwissens aufrecht zu erhalten.”

Harris gibt zu, dass er selbst eine Form der Intoleranz vertritt, er begründet dies aber mit der philosophischen Position, dass persönliche Überzeugungen nicht höher gewertet werden dürfen als objektive Fakten und Beweise. Er verlange von den Religionen nicht mehr als die intellektuelle Ehrlichkeit, welche auch die rationale Denkweise und die Wissenschaft vorweise. Er argumentiert, dass es unsinnig wäre, von jemandem „Respekt“ für seine Ansichten auf dem Gebiet der Physik oder Geschichte zu verlangen. Stattdessen werden sich widersprechende Hypothesen anhand von Beweisen und Fakten überprüft und dann wird diejenige für gültig erklärt, welche am besten mit den Fakten übereinstimmt. Genauso solle mit der „Hypothese Gott“ verfahren und im Bereich des Religiösen nicht mit anderen Ellen gemessen werden. Den Einwand, Religion und Wissenschaft seien zwei grundsätzlich verschiedene Sphären lässt Harris nicht gelten, denn auch religiöse Aussagen beziehen sich auf die physikalische Welt und können somit wissenschaftlich untersucht werden. [6]

Kritik an Christentum und Islam

Harris fokussiert seine Kritik unter anderem auf den Zustand in den Vereinigten Staaten, wo u.a. der damalige Präsident George W. Bush meinte, dass die Lehre des Intelligent Design in der Schule zusätzlich zur Evolutionstheorie gelehrt werden solle. Weiterhin kritisiert er, dass es ebendiese Leute seien, welche ins Parlament und sogar ins Präsidentenamt gewählt würden und mit ihren apokalyptischen Endzeitvorstellungen die Geschicke des Landes lenkten.[7] Er schlägt vor, zur Veranschaulichung und Verdeutlichung seiner These, in einer Rede Bushs das Wort „Gott“ durch „Zeus“ oder „Apollo“ zu ersetzen.[7]

Harris sieht in dem Tabu, Religion nicht kritisieren zu dürfen, eine Gefahr für die Gesellschaft. Ohne einzugestehen, dass die Religionen keine Botschaften des Friedens, sondern solche des Hasses und der Intoleranz verbreiteten, müsse auch jeder Kampf gegen den fundamentalistisch motivierten Terrorismus scheitern. Dass die Doktrin des Dschihad und des Martyriums nicht einfach Auswüchse des extremen Islamismus seien, demonstriere die Kontroverse um die Karikaturen, welche 2006 in der Jyllands-Posten erschienen. Harris ruft Muslime in aller Welt dazu auf, ihren Glauben kritisch zu hinterfragen und Extremisten in ihren Reihen auszumachen und zu bekämpfen.[8]

Gemäßigte Religion

Auch wenn es ein erster positiver Schritt wäre, den religiösen Extremismus durch eine moderatere Form der Religionsausübung zu ersetzen, spart Harris nicht mit Kritik an den gemäßigten Gläubigen. Indem der gemäßigte Glaube jeden Angriff auf die Religion unter dem Banner von Respekt und Toleranz verurteile, gewähre er Fundamentalisten Schutz und Unterschlupf und verhindere gerade eine effektive Kritik ihres Glaubens. Somit schaffe der moderate Glaube ein ideales Umfeld, in dem religiöser Fundamentalismus nicht kritisiert werden könne.

Außerdem argumentiert er, dass es absurd sei, gegenüber allen Formen des Glaubens – seien sie noch so lächerlich und unhaltbar – „Respekt“ und Toleranz zu verlangen; besonders im Angesicht der Tatsache, dass diese oft einen Absolutheitsanspruch tätigen und immer zu einem bestimmten Grade selbst intolerant sind. Angesichts dieser Tatsachen stehe der gemäßigte Glaube intellektuell auf einem wackligen Fundament. Schlussendlich argumentiert Harris, dass die Fundamentalisten und nicht die moderaten Theologen „im Recht“ seien mit ihrer Auslegung der jeweiligen Texte - denn diese seien tatsächlich wörtlich gemeint und es sei inkohärent, je nach Belieben gewisse Passagen wörtlich und andere im übertragenen Sinne zu interpretieren. Eine gemäßigte Auslegung der Texte stelle tatsächlich eine Verfälschung der Botschaft dar, argumentiert Harris auf der Linie der Fundamentalisten, zieht aber im Gegensatz zu ihnen den Schluss, Religion vollständig zu verwerfen.

Moral und Ethik

Harris ist der Auffassung, dass ein rationaler säkularer Humanismus sich viel stärker als bislang zu Moral und Ethik positionieren sollte und vieles zu diesen Themen beitragen kann. Er bezeichnet die Begründung der Moral durch die Religion als Mythos, welcher nicht durch Belege gestützt werde – so seien die höchst säkularen skandinavischen Länder die großzügigsten bei der Entwicklungshilfe. Harris postuliert, dass religiöse Konzepte sogar moralisch schlecht und zersetzend wirken, indem sie menschliches Leiden unnötig vergrößerten und zitiert als Beispiele das Verbot von Kondomen durch die katholische Kirche, welches zumindest teilweise die globale AIDS-Epidemie verursacht habe, und die Versuche amerikanischer Christen, die Stammzellforschung einzuschränken und somit Linderung von menschlichem Leid zu verhindern.

Einen ausführlichen Beitrag zum Thema Moral liefert Harris im Werk The Moral Landscape. Darin legt er ausführlich dar, dass moralisches Verhalten sich alleine durch wissenschaftliches Herangehen erklären lasse.

Spiritualität

Ebenso wie Moral und Ethik soll auch das Gebiet der Spiritualität nicht länger den Religionen überlassen werden, sondern ebenfalls durch den menschlichen Verstand erschlossen werden. Er plädiert, die „Praktiken“ (aber nicht die metaphysischen Glaubenssysteme) der „östlichen Religionen“ zu erkunden und die erlebten Phänomene ohne den übersinnlichen Unterbau wissenschaftlich zu untersuchen und für die persönliche Selbstverwirklichung zu nutzen. So hart seine Kritik den abrahamitischen Religionen gegenüber ausfällt, so positiv bewertet er vor allem den Buddhismus und seine Erforschung des Bewusstseins. Die introspektiven Praktiken der Meditation stehen, so Harris, nicht im Widerspruch zur Wissenschaft, sie können sogar Gegenstand eines rationalen wissenschaftlichen Diskurses werden.[9]

Kritik

Grundsätzlich kritisieren Christen und Angehörige anderer Glaubensrichtungen an Harris, dass er Extremisten und moderate Gläubige in dieselbe Schublade stecke. Matthew Simpson kritisierte, dass Harris ohne die Grundlage einer göttlichen Herkunft seine Moralvorstellungen nicht gegen jene von Fundamentalisten verteidigen könne.[10] In seinem 2006 veröffentlichten Buch Letter to a Christian Nation geht Harris auf seine Kritiker ein und verteidigt seine Thesen aus The End of Faith.

Weitere Kritik kam von Atheisten und Humanisten selbst, welche besonders die Ansichten von Harris in Bezug auf östliche Spiritualität kritisierten und ihm vorwarfen, in diesem Bereich selbst pseudowissenschaftlich vorzugehen und seine eigenen hinduistisch-buddhistischen Erfahrungen zu zelebrieren.[11] John Gorenfeld kritisierte auf AlterNet ebenfalls die Sichtweise von Harris bezüglich des Paranormalen (besonders seine Einstellung bezüglich der Reinkarnation) und seine Haltung gegenüber der Folter.[12][13] Diese Kritik wurde von Robert Todd Carroll in einem Beitrag des Skeptic’s Dictionary aufgegriffen.[14] Beide bezogen sich unter anderem auf eine Passage in The End of Faith, in der Harris erklärt:

"If we are willing to drop bombs [...] we should be willing to torture a certain clan of criminal suspects and military prisoners."[15]

“Wenn wir bereit sind, Bomben abzuwerfen [...] sollten wir bereit sein, einen bestimmten Clan von Tatverdächtigen und militärischen Gefangenen zu foltern .”

Harris veröffentlichte daraufhin auf seiner Website eine Gegendarstellung, in der er erklärte, seine Kritiker hätten grundlegende Positionen seines Denkens missverstanden oder aus dem Kontext gerissen.[16]

Weiteres

Sam Harris wurde für die Dokumentarfilme The God Who Wasn’t There (2005) und The Unbelievers (2013) interviewt.

Bücher

  • 2004: The End of Faith: Religion, Terror, and the Future of Reason. W.W. Norton, New York 2004, ISBN 0-393-03515-8 .
Das Ende des Glaubens: Religion, Terror und das Licht der Vernunft. Edition Spuren, Winterthur 2007, ISBN 978-3-905752-06-9.
Brief an ein christliches Land: Eine Abrechnung mit dem religiösen Fundamentalismus. Bertelsmann, München 2008, ISBN 978-3-570-00997-0.
  • 2010: The Moral Landscape: How science can determine human values. Free Press, New York 2010, ISBN 978-1-4516-1278-3.
  • 2012: Lying: Gibt es gute Lügen?, Kindle Edition, Amazon 2012.
  • 2012: Free Will. Free Press, New York 2012, ISBN 978-1-451-68340-0.
  • 2014: Waking Up: A Guide to Spirituality Without Religion. Simon & Schuster, New York 2014, ISBN 978-1451636017.
  • 2015: Islam and the Future of Tolerance: A Dialogue. (zusammen mit Maajid Nawaz) Harvard University Press, 2015, ISBN 978-0-674-08870-2

Sekundärliteratur

  • Florian Ossadnik: Spinoza und der "wissenschaftliche Atheismus" des 21. Jahrhunderts. Ethische und politische Konsequenzen frühaufklärerischer und gegenwärtiger Religionskritik. Studies In European Culture, Bd. 8, hrsg. v. Ludwig Tavernier. Weimar 2011. ISBN 978-3-89739-705-7 (Der Band geht ausdrücklich auf Sam Harris und seine Argumentation in "The End of Faith" ein.[17])

Weblinks

Commons: Sam Harris – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Segal, David. Atheist Evangelist. In: The Washington Post, October 26, 2006. (eng.)
  2. Biographie der IMDb über Sam Harris, IMDb.
  3. PEN American Center, 2005. The PEN/Martha Albrand Award for First Nonfiction.
  4. About Sam Harris - Kurze Autobiographie des Autors.
  5. Golson, Blair. Sam Harris: the Truthdig Interview. In: Truthdig. 3. April 2006. (eng.)
  6. Brian Flemming & Sam Harris, 2005. The God Who Wasn't There, Interviews in Englisch.
  7. a b Sam Harris, 2005. The Politics of Ignorance. In: The Huffington Post.
  8. Sam Harris, 2005. Bombing Our Illusions. In: The Huffington Post.
  9. Sam Harris Believes in God. Newsweek, 18. Oktober 2010
  10. Matthew Simpson, 2005. Unbelievable: Religion is really, really bad for you. In: Christianity Today.
  11. Meera Nanda, 2006. Spirited away. In: New Humanist, volume 121 number 3.
  12. John Gorenfeld, 2007. Sam Harris's Faith in Eastern Spirituality and Muslim Torture. In: AlterNet.
  13. Sam Harris, 2005. In Defense of Torture. In: The Huffington Post.
  14. Robert Todd Carroll, 2007. Sam Harris: A Man of Faith?. In: Skeptic's Dictionary, Newsletter 74.
  15. Vgl. Sam Harris: The End of Faith. Religion, Terror, and the Future of Reason. London 2006, S. 197.
  16. Sam Harris, 2007. Reaktion von Sam Harris auf die Kritik.
  17. Katalog. Spinoza und der „wissenschaftliche Atheismus“ des 21. Jahrhunderts. In: „VDG Kromsdorf/Weimar online“. VDG Weimar, , abgerufen am 17. April 2011: „Diese Arbeit unternimmt einen kritischen Vergleich der frühaufklärerischen Religionskritik Baruch de Spinozas (1632-77) mit dem gegenwärtigen „neuen Atheismus“, der von den sogenannten „Brights“ (R. Dawkins u. a.) gegen die Offenbarungsreligionen ins Feld geführt wird. [...] Es kann deutlich gemacht werden, dass Spinoza in einem umfassenden und keineswegs bloß entfernten Sinne als Vordenker der bright'schen Religionskritik gelten darf. Zudem drängt sich die Wahrnehmung auf, dass die „neuen Atheisten“ – trotz ihres Ausgangs bei gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Theorien – keine in einem eigentlichen Sinne neue Religionskritik formulieren, sondern lediglich jene Topoi der aufklärerischen Orthodoxie-Kritik des 17. und 18. Jahrhunderts sowie deren ethische und politisch-philosophische Implikationen variieren – ohne diese jedoch inhaltlich zu erweitern.“