Schiffergesellschaft (Lübeck)

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Gebäude der Schiffergesellschaft in Lübeck
Situation vor dem Umbau 1880. Austausch aller Fenster, die aus jüngerer Zeit stammenden Sprossenfenster der Speicherluken wurden wieder durch Holzklappen ersetzt
Eingang mit Beischlagwangen aus gotländischem Kalkstein

Die Schiffergesellschaft in Lübeck („Schiffergesellschaft zu Lübeck“) bezeichnet einen seit der Frühen Neuzeit existierenden Seefahrerverband und gleichzeitig ein historisches Gebäude, das heute eine Gaststätte beherbergt.

Die Gesellschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Schiffergesellschaft Lübeck wurde am 26. Dezember 1401 als St.-Nikolaus-Bruderschaft gegründet. Sinn und Zweck dieser Vereinigung ist folgenden Worten aus der Gründungsurkunde zu entnehmen: „Zu Hilfe und Trost der Lebenden und Toten und aller, die ihren ehrlichen Unterhalt in der Schifffahrt suchen.“ Da sich im Zuge der Reformation fast alle religiösen Bruderschaften auflösten, vereinigte sich die St-Nikolaus-Bruderschaft mit der St.-Annen-Bruderschaft. Man nannte sich die Schippern Selschup und erwarb 1535 für 940 Lübische Mark ein im 13. Jahrhundert erbautes Haus an der Ecke Breite Straße/Engelsgrube gegenüber von der Lübecker Jakobikirche.

Trotz der Reformation ging die religiöse Bindung der Bruderschaft nicht verloren. Man verwahrte im neu erworbenen Haus Kolossalstatuen des Heiligen Nikolaus und der Anna selbdritt. Für Alte und Bedürftige stellt man Speisen und Wohnraum zur Verfügung.

Im Laufe der Jahre kamen der Schiffergesellschaft durch die seemännischen Kenntnisse ihrer Brüder Aufgaben wie das Ausstellen von Schiffspässen, Bewachung des Hafens und Beratung des Senats hinzu. So schrieb das hansische Seerecht von 1614 fest, dass Streitigkeiten zwischen Seeleuten der Schiffergesellschaft vorzutragen seien.

Zwar unterlag die Schiffergesellschaft nicht der Zunftverfassung, allerdings mussten aber Lübecker Schiffer Mitglieder der Gesellschaft sein und Statuten bedurften der Genehmigung des Stadtrates.

Als der Zunftzwang 1866 durch ein Gewerbegesetz außer Kraft trat, entschieden sich die Mitglieder der Schiffergesellschaft mehrheitlich dafür, die Organisation als freie Genossenschaft weiterzuführen und die gewerblichen Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten und unterstützen. Jedoch brachte der neue Rechtsstatus schnell hohe Schulden ein, so dass man sich genötigt sah, das historische Gebäude zu verkaufen. Ein entsprechender Beschluss der Mitglieder wurde jedoch vor der Ausführung rückgängig gemacht. Stattdessen wurde 1868 beschlossen, das Stammhaus zu verpachten, damit es Einnahmen erwirtschaftet und gleichzeitig weiterhin als „Haus für alte, insbesondere lübschen Seefahrt“ dient. Fortan wurde es als Gaststätte betrieben und ist als solche bis heute erhalten. Mit „Schiffergesellschaft“ wird im Lübecker Sprachgebrauch heute das Gebäude der Bruderschaft bzw. das darin befindliche Restaurant bezeichnet. Die Schiffergesellschaft als gemeinnützige Gemeinschaft von Kapitänen, die in internationalen Gewässern zur See gefahren sein müssen, existiert jedoch weiterhin. Sie geht ihren sich verschriebenen Aufgaben nach, indem sie u. a. vergünstigten Wohnraum bevorzugt an Hinterbliebene von Lübecker Seeleuten vermietet und für den Erhalt ihrer historischen Gebäude sorgt. 2019 nahm sie mit der damals 33-jährigen Kapitänin Silke Muschitz, die auf Großcontainerschiffen der Reederei Hapag-Lloyd als Kapitän zur See gefahren ist, die erste Frau auf. Sie wird meist als „Schifferschwester“ bezeichnet. Als „Schifferschwestern“ galten bis dahin nur die Partner der Mitglieder.[1]

Das Gildehaus der Schiffergesellschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bevor man das Haus durch die Rokokotür betritt, kann man auf den beiden bemalten Außenstelen lesen: „Allen zu gefallen, ist unmöglich!“

Das Haus der Schiffergesellschaft gegenüber der Jakobikirche in Lübeck wurde 1535 als Gildehaus gekauft und bis 1538 umgebaut und ist bis heute so erhalten. Es gelang durch die Integration von Nachbargebäuden, 18 Wohnungen für die Gildebrüder zu schaffen.

Das Gebäude der ehemaligen Lübecker Schiffahrtskompanien in der Breiten Straße 2 wurde im Frührenaissancestil gebaut. Diese Phase der Backsteinrenaissance ist von der Backsteingotik für den Laien noch äußerst schwer zu unterscheiden. Vor dem Eingang hat man einen Blick auf den vorgebauten sogenannten Gotteskeller, eine goldene Wetterfahne mit einem Segelschiff als Motiv auf dem Giebel und ein Gemälde mit dem Adler von Lübeck. Den Zweiten Weltkrieg überstand das Gebäude, das wie große Teile der Lübecker Altstadt unter Denkmalschutz steht, unversehrt. Die Innenausstattung wurde zwischen 1972 und 1976 restauriert.

Heute wird das ehemalige Gildehaus als Restaurant und Kneipe betrieben. Hans Leip prägte den Ausspruch „Die klassischste Kneipe der Welt“.

Unter der Leitung der damaligen Geschäftsführer Wolfgang Steffen und Gerhard Birnstingl wurde im Jahr 2005 im Hinterhof der Schiffergarten eröffnet, in dem die Gäste unter freiem Himmel sitzen. Zum 1. März 2015 haben Frank Höhne und Michael Engel das Restaurant übernommen.

Ausstattung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als Bankreihen dienen Gelage, welche mit Backwangen versehen sind, die durch Wappendarstellungen früher die Tische der verschiedenen Schiffahrtskompanien (Bergenfahrer, Schonenfahrer u. a.) kennzeichneten. Von der Decke hängen zahlreiche Modelle alter Segelschiffe herab. An den Wänden hängen neun Gemälde von 1624, die Szenen aus der Bibel zeigen. In Wandvitrinen werden vielerlei maritime Gegenstände zur Schau gestellt. In der Schiffergesellschaft befindet sich das vermutlich älteste datierte vollständig erhaltene Kajak, das wahrscheinlich von einer dänischen Grönlandexpedition von 1605/06 stammt.[2]

Einige Heiligenstatuen, die wohl aus der Jakobikirche stammen und über Jahrhunderte in der Schiffergesellschaft standen, sind heute im St.-Annen-Museum zu finden. Dazu gehören ein thronender Bischof (St. Nikolaus?) von ca. 1401 und eine Anna selbdritt von um 1480/90. Auch heute noch in der Schiffergesellschaft befinden sich eine monumentale Statue des Hl. Jakobus vom Ende des 15. Jahrhunderts, eine Heimsuchung Mariens von um 1450/60, eine Gewölbe-Schlussscheibe (um 1500) mit einer Darstellung der Mondsichelmadonna und ein Gemälde mit einer Darstellung des Barmherzigen Samariters (wohl 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts).

Voreigentümer[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu den überlieferten Voreigentümern des Grundstücks Breite Straße 2 gehörte im 13. Jahrhundert der Lübecker Außenpolitiker Johann van Doway.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Uwe Albrecht, Ulrike Nürnberger, Jan Friedrich Richter, Jörg Rosenfeld, Christiane Saumweber: Corpus der Mittelalterlichen Holzskulptur und Tafelmalerei in Schleswig-Holstein. Band II: Hansestadt Lübeck, Die Werke im Stadtgebiet. Ludwig, Kiel 2012, ISBN 978-3-933598-76-9.
  • Konrad Dittrich: Die Schiffergesellschaft. (Lübecker Führer, Heft 7). 5. Auflage. Schmidt-Römhild, Lübeck 1990, ISBN 3-7950-1066-7.
  • Rolf Hammel-Kiesow (Hrsg.): Seefahrt, Schiff und Schifferbrüder: 600 Jahre Schiffergesellschaft zu Lübeck; 1401–2001. Begleitpublikation zur Ausstellung „Schiffergesellschaft zu Lübeck – 600 Jahre Bruderschaft zwischen Tradition und Moderne, 1401–2001“ vom 8. Juli bis zum 9. September 2001 im St.-Annen-Museum zu Lübeck. Lübeck 2001, ISBN 3-00-008035-X.
  • Zeitung der Bürgerinitiative Rettet Lübeck. Nummer 102, 32. Jahrgang, Nov./Dez. 2008.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Schiffergesellschaft – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Rüdiger Jacob: Das ist die erste Schifferschwester. Lübecker Nachrichten, 3. November 2019, S. 14 (Diese Kapitänin ist die erste Frau in der Schiffergesellschaft zu Lübeck Onlinefassung, Bezahlschranke).
  2. Siehe Werner Neugebauer: „Der Grönländer“ – ein Eskimo-Kajak im Hause der Schiffergesellschaft zu Lübeck. In: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft zu Lübeck. 55 (1982), S. 199–230. Es wurde 2002 vermessen, so dass es heute eine Anzahl Replicas davon gibt.

Koordinaten: 53° 52′ 15,9″ N, 10° 41′ 17,3″ O