Selbstverstümmelung

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Ein US-Soldat schoss sich während des Massakers von My Lai absichtlich in den Fuß, um nicht daran teilzunehmen[1]

Selbstverstümmelung (in der Fachsprache Automutilation[2]) bezeichnet die mutwillige Beschädigung des eigenen Körpers beim Menschen.[3] Bei Tieren wird der Fachausdruck „Autotomie“ verwendet.

Sie ist zu unterscheiden von selbstverletzendem Verhalten (SVV), das dem Aggressions- und Spannungsabbau oder der Selbstbestrafung dient. Bei der Selbstverstümmelung besteht (meist) keine suizidale Absicht.

Rechtliche Beweggründe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein Grund für die Selbstverstümmelung kann zum Beispiel die Vermeidung der Einziehung zum Kriegsdienst sein. In Ägypten gab es aus diesem Grunde zeitweise eine militärische Abteilung für Einäugige, da zu viele Ägypter versucht hatten, der Teilnahme an einem Krieg durch das Entfernen eines Auges zu entgehen.

Im Jahr 2008 wurden 92 südkoreanische Fußballer angeklagt, die durch exzessive Hantelübungen ihre Schultern so sehr verletzt hatten, dass schließlich ein chirurgischer Eingriff erforderlich war und sie dadurch zum Zeitpunkt ihrer Musterung zum Wehrdienst untauglich waren.

Selbstverstümmelungen fanden und finden sich auch bei Frontsoldaten, die eine Verlegung in ein Lazarett oder in die Heimat anstreben (siehe auch Heimatschuss).

Ein anderes Motiv kann im Vorsatz zum Betrug zu Lasten einer Versicherung liegen, indem durch die Selbstverstümmelung zum Beispiel eine Arbeitsunfähigkeit erreicht wird oder eine Leistung aus einer Unfallversicherung beansprucht wird.[4][5]

Selbstverstümmelung in der Religion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Selbstverstümmelung wurde auch von manchen Anhängern religiöser Gruppen verübt. In der Antike waren die Priester der Göttin Kybele Eunuchen. Jedes Jahr zur Zeit des Frühlingsfestes fanden rauschhafte Festzüge der Priester und Anhänger Kybeles statt, bei denen sich Jünglinge in Frauenkleidern mit einem Zeremonienschwert oder scharfkantigen Gegenständen die Genitalien abschnitten, die sie dann in die Menge der Zuschauer warfen. Diese mussten den Eunuchen-Neuling dann mit Frauenkleidern ausstatten.

Die Angehörigen der Skopzen entfernten sich – durch Interpretation von Bibelstellen motiviert – Hoden und Penis beziehungsweise die Brüste und die Klitoris.

In Indien entmannen sich bis auf den heutigen Tag die Hijra, eine Minderheit aus Transgender- und intersexuellen Menschen.

Automutilation bei Erkrankungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Psychiatrie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Selbstverstümmelung kann bei Menschen vorkommen, die an einer psychischen Krankheit leiden, beispielsweise Persönlichkeitsstörungen, Rentenneurose, Schizophrenie, wahnhaften Störungen.

Eine besondere Form stellt die Selbstverstümmelung bei Personen mit Body Integrity Identity Disorder (BIID) dar. Hierbei handelt es sich um Menschen mit einer gestörten Körperwahrnehmung, die den Wunsch verspüren, eine oder mehrere ihrer Gliedmaßen zu entfernen. Dabei kann der als störend empfundene Körperteil einen so großen Leidensdruck erzeugen, dass sich einige Betroffene (wenn sie keinen Arzt finden, der ihren Amputationswunsch erfüllt) zur Selbstverstümmelung entschließen.

Auch anthropophagische Tendenzen (Kannibalismus) können zur Selbstverstümmelung führen, wenn sie sich nicht gegen andere richten.

Der Drang zu genitaler Selbstverstümmelung wird Skoptisches Syndrom genannt.

Apotemnophilie ist ein 1977 vom amerikanischen Psychologen John Money geprägter Begriff für den sexuellen Lustgewinn durch Amputation gesunder Gliedmaßen des eigenen Körpers. Die Existenz einer solchen psychiatrischen Störung ist jedoch unter Fachleuten umstritten.

Pädiatrie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Beim Lesch-Nyhan-Syndrom kann es im Rahmen schwerer Verlaufsformen zur Automutilation mit Finger- und Lippenbeteiligung kommen.

Rechtliche Beurteilung (im Zusammenhang mit Wehrpflicht)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schweiz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach Art. 95 des schweizerischen Militärstrafgesetzes wird die (Selbst-)Verstümmelung mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe bestraft; in Kriegszeiten kann auf Freiheitsstrafe erkannt werden.

Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach deutschem Recht ist die Selbstverstümmelung (neben der Verstümmelung eines anderen und der Untauglichmachung auf andere Weise) unter bestimmten Voraussetzungen als ein Unterfall der Wehrpflichtentziehung strafbar.

So macht sich jemand wegen „Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung“ nach § 109 StGB durch Verstümmelung des eigenen Körpers strafbar, wenn der Verstümmelte hierdurch zur Erfüllung der Wehrpflicht ganz (§ 109 Absatz 1 StGB) oder zeitweise bzw. für eine bestimmte Verwendung für die Erfüllung der Wehrpflicht (jeweils § 109 Abs. 2 StGB) untauglich wird.

„Verstümmelung“ bedeutet die Entfernung oder Unbrauchbarmachung eines Teils des Körpers (Gliedmaßen, Organe), und zwar ohne Rücksicht auf die Art der Ausführung.[6]

Der Begriff der Wehrpflicht umfasst jede Tätigkeit, die das Wehrpflichtgesetz verlangt, und bestimmt sich nach den §§ 1 bis 3 Wehrpflichtgesetz (WPflG).[7] Daher fällt nach § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 25 WPflG auch der Zivildienst des (sogenannten) Kriegsdienstverweigerers hierunter.[7]

Der Strafrahmen für die dauernde und verwendungsunabhängige Verstümmelung beträgt mindestens drei Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe (§ 109 Abs. 1 StGB), für die zeitweilige oder verwendungsabhängige Verstümmelung sind bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe angedroht (§ 109 Abs. 2 StGB).

Für Soldaten der Bundeswehr ist die Selbst- und Fremdverstümmelung nach § 17 WStG (Wehrstrafgesetz) strafbar. Wie das Verhältnis der Anwendungsbereiche von § 109 StGB und § 17 WStG zueinander zu bestimmen ist, ist äußerst umstritten.[8]

Im Zweiten Weltkrieg war die Selbstverstümmelung das Regelbeispiel und ein konkret fassbarer Inhalt der im übrigen ziemlich schwammig ausgestalteten Straftat Wehrkraftzersetzung und wurde regelmäßig mit dem Tod bestraft.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • H.-P. Haack: Die Selbstverstümmelung in phylogenetischer und psychiatrischer Sicht. In: Zeitschrift Psychiatrie, Neurologie, medizinische Psychologie. Jahrgang 22, 1970, ISSN 0555-5469, S. 247–249.
  • Eberhard Hildebrand, Klaus Hitzer, Klaus Püschel: Simulation und Selbstbeschädigung. Unter besonderer Berücksichtigung des Versicherungsbetrugs. Verlag Versicherungswirtschaft, Karlsruhe 2001, ISBN 3-88487-906-5.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. The Only American Injured in My Lai. In: vietnamhorror.wordpress.com. Abgerufen am 17. Dezember 2021 (englisch).
  2. Automutilation. In: Duden – Das Wörterbuch medizinischer Fachausdrücke. Bibliographisches Institut.
  3. Selbstverstümmelung. In: Meyers Lexikon in 10 Bänden. Bibliographisches Institut.
  4. Klaus Dern: Selbstverstümmelungen in der privaten Unfallversicherung. Hamburg, Med. F., Diss. v. 19. März 1962
  5. Rolf Combach: Versicherungsbetrug: Ein Massendelikt. In: Deutsches Ärzteblatt. Band 100, Nr. 34–35. Deutscher Ärzte-Verlag, 2003, S. 58 (aerzteblatt.de).
  6. Eser in: Schönke/Schröder: Strafgesetzbuch, Kommentar. 27. Auflage, München 2006, § 109 Rn. 11
  7. a b Tröndle, Fischer: Strafgesetzbuch und Nebengesetze. 54. Auflage. München 2007, § 109 Rn. 2; Eser in: Schönke, Schröder: Strafgesetzbuch, Kommentar. 27. Auflage, München 2006, § 109 Rn. 5
  8. Eser in: Schönke, Schröder: Strafgesetzbuch, Kommentar. 27. Auflage, München 2006, § 109 Rn. 17

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wiktionary: Selbstverstümmelung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen