Simpson-Paradoxon
Das Simpson-Paradoxon (auch simpsonsches Paradoxon oder Simpson’sches Paradoxon, benannt nach Edward Hugh Simpson) ist ein Paradoxon aus der Statistik. Dabei scheint es, dass die Bewertung verschiedener Gruppen unterschiedlich ausfällt, je nachdem ob man die Ergebnisse der Gruppen kombiniert oder nicht. Dieses Phänomen tritt oft bei statistischen Auswertungen in den Sozialwissenschaften und in der Medizin auf. Das Simpson-Paradoxon ist möglich, wenn mehrere Vierfeldertafeln mit einem Chancenquotienten kleiner (größer) als 1 zu einer Gesamttafel zusammengefasst werden, die einen Chancenquotienten größer (kleiner) als 1 aufweist.
Geschichte
Edward Hugh Simpson beschrieb das Phänomen 1951.[1] Er war aber nicht der Erste, der sich damit beschäftigte. So beschrieben bereits 1899 Karl Pearson et al.[2] und 1903 George Udny Yule[3] einen ähnlichen Sachverhalt. Die Bezeichnung Simpson-Paradoxon (englisch Simpson′s Paradox) wurde vermutlich 1972 von Colin R. Blyth eingeführt.[4]
Beispiele
Eine Prüfung
Eine Fahrschule hat zwei Prüfungstage mit folgenden Ergebnissen:
männlich | weiblich | |||||
---|---|---|---|---|---|---|
bestanden | gesamt | Durchfallquote | bestanden | gesamt | Durchfallquote | |
1. Tag | 1 | 1 | 0 % | 7 | 8 | 12,5 % |
2. Tag | 2 | 3 | 33,3 % | 1 | 2 | 50 % |
Summe | 3 | 4 | 25 % | 8 | 10 | 20 % |
Obwohl die Männer an beiden Tagen eine geringere Durchfallquote als die Frauen haben, haben sie im Gesamtergebnis eine höhere.
Ursache ist der Umstand, dass die Einzelergebnisse mit unterschiedlichem Gewicht in das Gesamtergebnis eingehen. Das erkennt man leicht in der zahlenmäßig zugespitzten Variante der obigen Tabelle, die nachfolgend wiedergegeben wird:
männlich | weiblich | |||||
---|---|---|---|---|---|---|
bestanden | gesamt | Durchfallquote | bestanden | gesamt | Durchfallquote | |
1. Tag | 1 | 1 | 0 % | 999 | 1000 | 0,1 % |
2. Tag | 2 | 3 | 33,3 % | 1 | 2 | 50 % |
Summe | 3 | 4 | 25 % | 1000 | 1002 | 0,2 % |
Diskriminierungsklage gegen die Universität Berkeley
Einer der bekanntesten Fälle des Simpson-Paradoxons tauchte auf, als die University of California, Berkeley verklagt wurde, weil Frauen offenbar geringere Chancen auf einen Graduierten-Studienplatz hätten als männliche Bewerber. Die Zahlen für Herbst 1973 zeigten, dass mehr Männer als Frauen zugelassen wurden – die Differenz war so groß, dass sie nicht mehr durch Zufall zu erklären war:
Bewerber | zugelassen | |
---|---|---|
Männer | 8442 | 44 % |
Frauen | 4321 | 35 % |
Ein Mann hat also eine 44-prozentige Chance, zum Studium zugelassen zu werden, eine Frau aber nur eine 35-prozentige.
Die Aufschlüsselung nach Fakultäten zeigte allerdings, dass Frauen kaum in bedeutender Weise diskriminiert wurden. Von 101 Departements der Universität hatten 16 nur erfolgreiche Bewerber, oder nur Bewerber des einen Geschlechts. Bei den übrigen 85 Departements ergab sich dieses Bild:
- Bei vier Departements gab es bei Männern Erfolgsquoten, die in signifikanter Weise besser waren als jene der Frauen.
- Bei sechs Departements genossen Frauen eine signifikant bessere Erfolgsquote.
Ein Chi-Quadrat-Test zeigt eindrücklich, dass sich die Bewerbungen von Frauen und Männern von vorneherein nicht zufällig auf die 101 Departements verteilten (χ = 3091; p < 0,0001).
Dies führte zur Erklärung, dass keine Diskriminierung stattfand, sondern dass Frauen sich tendenziell dort bewarben, wo es für beide Geschlechter niedrigere Zulassungsraten gab, während Männer ihre Bewerbungen tendenziell dorthin sandten, wo es generell höhere Zulassungsraten gab. Die vorher angenommenen 44 gegenüber 35 Prozent bei den Erfolgsquoten lässt völlig außer acht, dass unterschiedliche Geschlechter auch unterschiedliche Vorlieben darin haben, bei welchem Departement sie sich um ein Studium bewerben – und dann geschlechtsunabhängig unterschiedliche Erfolgsquoten zu spüren bekommen.[5]
Unentdeckte Einflussfaktoren
Liegen je nach Beurteilungsweise deutlich unterschiedliche Ergebnisse vor, kann dies auf nicht erfasste Einflussfaktoren zurückgeführt werden. Will der Auswertende mögliche Fehlschlüsse vermeiden, muss er diese Einflussfaktoren finden, soweit sie vorhanden sind. Das Vorliegen eines Simpson-Paradoxons kann hier als Indikator dienen.
Eine Methode für die Suche nach weiteren Einflussfaktoren ist die getrennte Auswertung von Teilgruppen, bei denen man spezifisches Verhalten erwartet, zum Beispiel das Krankheitsstadium der Patienten. Im obigen Beispiel aus Berkeley wären dies die Teilgruppen Departements mit niedrigen Zulassungsraten und Departements mit hohen Zulassungsraten.
Literatur
- Hans-Peter Beck-Bornholdt: Mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit. Logisches Denken und Zufall. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2005, ISBN 3-499-61902-4.
- Thomas R. Knapp: Instances of Simpson's paradox. In: College Mathematics Journal. Band 16 (1985), S. 209–211.
- Walter Krämer: Denkste! Trugschlüsse aus der Welt der Zahlen und des Zufalls. Piper Verlag, München 2011, ISBN 978-3-492-26460-0. Kapitel 7, S. 161–186 (Die Basis-Falle und andere Trugschlüsse aus bedingten Wahrscheinlichkeiten).
- Edward H. Simpson: The Interpretation of Interaction in Contingency Tables. In: Journal of the Royal Statistical Society. Series B. Vol. 13, No. 2, 1951, S. 238–241.
- Clifford H. Wagner: Simpson’s Paradox in Real Life. In: The American Statistician. Vol. 36, No. 1, 1982, S. 46–48.
- Howard Wainer: Minority contributions to the SAT score turnaround: an example of Simpson's paradox. In: Journal of Educational Statistics. Band 11 (1986), S. 239–244.
Weblinks
- Eintrag in Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.
- Judea Pearl: Simpsons′s Paradox: An Anatomy. University of California, 1999, S. 1–11 (ucla.edu [PDF; abgerufen am 16. Oktober 2007]).
- Ulrich Kühne: Von Zahlen geblendet – Simpson-Paradox: Scheinbar klare Verhältnisse werden in ihr Gegenteil verkehrt. Eine Warnung vor dem naiven Vertrauen in Statistiken. Der Freitag Nr. 42, 2009, S. 18 (freitag.de [abgerufen am 17. April 2010]).
- Simpsons Paradoxon: Diese Statistik kann nicht stimmen. Oder doch? Artikel auf Spiegel-Online
Fußnoten und Einzelnachweise
- ↑ Edward Hugh Simpson: The Interpretation of Interaction in Contingency Tables. In: Journal of the Royal Statistical Society, Ser. B. Band 13, 1951, S. 238–241.
- ↑ Karl Pearson; Alice Lee; Leslie Bramley-Moore: Mathematical Contributions to the Theory of Evolution – VI. Genetic (Reproductive) Selection: Inheritance of Fertility in Man, and of Fecundity in Thoroughbred Race-Horses. In: Philosophical Transactions of the Royal Society, Series A. Band 192, 1899, S. 257–330.
- ↑ George Udny Yule: Notes on the Theory of Association of Attributes in Statistics. In: Biometrika. Band 2, 1903, S. 121–134.
- ↑ Colin R. Blyth: On Simpson's Paradox and the Sure-Thing Principle. In: Journal of the American Statistical Association. Band 67, Nr. 338, 1972, S. 364–366.
- ↑ P. J. Bickel; E. A. Hammel; J. W. O'Connell: Sex Bias in Graduate Admissions: Data from Berkeley. In: Science 187 (1975), Nr. 4175, S. 398