Bardo Thödröl

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Tibetisches Buch der Toten)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Tibetische Bezeichnung
Tibetische Schrift:
བར་དོ་ཐོས་གྲོལ
Wylie-Transliteration:
bar do thos grol
Aussprache in IPA:
[pʰàrtò tʰǿʈʂʰø̀]
Offizielle Transkription der VRCh:
Pardo Toizhoi
THDL-Transkription:
Bardo Thödröl
Andere Schreibweisen:
Bardo Thodol,
Bardo Thödol,
Bardo Thodrol,
Bardo Todol
Chinesische Bezeichnung
Traditionell:
《中有聞解》
Vereinfacht:
《中有闻解》
Pinyin:
Zhōng yǒu wén jiě

Bardo Thödröl, auch Bardo Thödol (tib.: bar do thos grol; deutsch: „Befreiung durch Hören im Zwischenzustand“; auch: Tibetisches Totenbuch) ist eine buddhistische Schrift aus dem 8. Jahrhundert, die im 14. Jahrhundert in einer Höhle entdeckt wurde und auf den Begründer des tibetischen Buddhismus, Padmasambhava, zurückgeht. Das Bardo Thödröl ist eine der wenigen Schriften, die auf die Erlebnisse im Sterben, im Nach-Tod-Zustand und bei der Wiedergeburt eingeht, und soll Verstorbenen als Führer durch die Zeit der Bardo-Existenz zwischen Tod und Wiedergeburt dienen. Darüber hinaus ist das Bardo Thödröl eine Anweisung, wie der Verstorbene mit Hilfe vorgelesener Texte das Licht der Befreiung erkennen und den Kreislauf der Wiedergeburten verlassen kann. Diese „Kunst des Sterbens“ stehe jedem offen und müsse bereits im Leben, durch Zerreißen der Schleier der Maya, eingeübt werden.

Die Unterweisungen beinhalten Beschreibungen und Praktiken für den Bardo des Sterbens (Tschikhai-Bardo) den Bardo der Dharmata (Tschönyi-Bardo) und den darauf folgenden Bardo des Werdens (Sidpa-Bardo). Der Tschönyi-Bardo und der Sidpa-Bardo sind die beiden Bardos nach dem Tod, vor der nächsten Wiedergeburt in einem der Sechs Daseinsbereiche. Falls die Erscheinungen der Bardos nach dem Tod nicht als Projektionen des eigenen Geistes erkannt werden, wird der Verstorbene im Bardo des Werdens entweder seine zukünftigen Eltern sehen und in einem Körper ihrer Spezies wiedergeboren werden oder spontan in einem Götter- oder Höllenbereich geboren.

Der Name Tibetisches Totenbuch ist eine westliche Anlehnung an das Ägyptische Totenbuch, wird aber in den Originaltexten nicht verwendet.

Der Text des Bardo Thödröl besteht aus drei Teilen die die Zwischenzustände, genannt Bardos (tibetisch བར་དོ་, Wylie-Transliteration bar do, Sanskrit अन्तर्भाव, IAST-Transliteration antarbhāva) schildern:

  1. Der erste, Tschikhai-Bardo genannte Teil schildert detailliert die physischen und psychischen Ereignisse im Sterbeprozess und im Moment des Todes. Der Tschikhai-Bardo endet mit der Wahrnehmung des Klaren Lichts, das nach buddhistischer Lehre die letztendliche Natur des Geistes und damit des Universums ist. In den Neurowissenschaften wird ein Void-State oder White Light-State genannt, der Ähnlichkeiten zu einem „Klaren Licht“ aufweist.
  2. Der zweite, Tschönyi-Bardo genannte Teil beschäftigt sich mit den sogenannten karmischen Illusionen, die in diesem ersten Bardo nach dem Tod auftreten. Die Essenz der höchsten Wirklichkeit, repräsentiert durch Die friedvollen und rasenden Gottheiten erscheinen als sich entfaltendes Mandala. Der Tschönyi-Bardo endet mit einer überwältigenden Erscheinung der bisherigen Entwicklung des gesamten Universums und den potentiellen zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten. In Nahtoderfahrungen kommt dieser Zustand als Allwissenheitsempfinden vor.
  3. Der dritte, Sipa-Bardo genannte Teil beschreibt wie das persönliche Karma (Ursache und Wirkung) und die Taten des Lebens rekapituliert werden, und die Abläufe beim Eintritt in einen der Sechs Daseinsbereiche der Wiedergeburt.

Im Bardo Thödröl wird das zugrundeliegende Muster der in den Bardos nach dem Tod auftretenden Phänomene beschrieben, die tatsächlichen Wahrnehmungen würden sich aber von Individuum zu Individuum unterscheiden. Beispielsweise würden sich die im Tschönyi-Bardo erscheinenden tantrischen Gottheiten in der Wahrnehmung von verschiedenen Individuen bis zu einem bestimmten Grad unterschiedlich manifestieren, es sei aber die gleiche Gottheit. Die ebenfalls im Tschönyi-Bardo erscheinende Landschaft aus Licht werde von einem Individuum als unendliche, strahlende, ätherische Landschaft aus Licht mit an Blumen erinnernden Strukturen wahrgenommen, anderen erscheint sie als Blumenwiese.

Nach buddhistischer Lehre ist das Ziel der Praxis das Durchschauen der in den Bardos erscheinenden Phänomene als Projektionen des eigenen Geistes und das Erkennen ihrer illusionshaften Natur. Die Wahrnehmung der Phänomene als Projektionen des eigenen Geistes legt die innerste Natur des Geistes frei, die im Tibetischen Buddhismus Rigpa oder Klares Licht genannt wird. Am Ende des Tschikhai-Bardo erscheine das Klare Licht jedem Lebewesen auf natürliche Weise. Dieser Zeitpunkt der Wahrnehmung des Klaren Lichts am Ende des Tschikhai-Bardo sei nach tibetischer Lehre die beste Möglichkeit den Kreislauf der Wiedergeburten zu verlassen und in Nirvāṇa einzutreten.[1]

Praktizierende des Tibetischen Buddhismus erlernen die Yoga- und Meditationstechniken für den Bardo des Sterbens (Tschikhai-Bardo) und die Bardos nach dem Tod (Tschönyi-Bardo und Sidpa-Bardo), um sie nach dem Tod wieder abrufen zu können.

Praktische Anwendung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dem Verstorbenen wird das Buch von einem Lama vorgelesen. Der Lama erinnert ihn daran, dass die Visionen Projektionen seines eigenen Geistes sind. Erkennt der Verstorbene dies im Zwischenzustand, kann er eine gute Wiedergeburt oder sogar völlige Befreiung erlangen. Voraussetzung ist, dass er sich bereits zu Lebzeiten in die beschriebenen Erscheinungen versenkt haben muss, um bereits im Leben durch das Erlebnis des Todes gegangen zu sein.

In Tibet gibt es mehrere Varianten des Totenbuches, von denen in Europa die Nyingma-Version die bekannteste wurde. Diese hat Evans-Wentz 1927 erstmals auf Englisch herausgegeben. Der Übersetzer war Dawa Samdup (Zla wa bsam 'grub; 1868–1922), der in der englischen Ausgabe als Lama Kazi Dawa-Samdup bezeichnet wird. In der von Louise Göpfert-March 1935 aus dem Englischen ins Deutsche übersetzten und in der Schweiz herausgegebenen Ausgabe ist ein psychologischer Kommentar von C. G. Jung enthalten.

Übersetzungen des Primärtexts ins Deutsche

  • Walter Y. Evans-Wentz/Lama Kazi Dawa-Samdup: Das tibetanische Totenbuch oder Die Nach-Tod-Erfahrung auf der Bardo-Stufe, mit einem Geleitwort und einem psychologischen Kommentar von C.G. Jung, deutsch von Louise Göpfert-March (erstmals 1935). Walter-Verlag, Olten und Freiburg im Breisgau, 1971. ISBN 3-530-99000-0; Artemis & Winkler, Düsseldorf, 2003. ISBN 3-538-07173-X
  • Chögyam Trungpa, Francesca Fremantle (Hrsg.): Das Totenbuch der Tibeter. Hugendubel, München 2002, ISBN 3-7205-2311-X
  • Eva K. Dargyay, Gesche Lobsang Dargyay: Das tibetische Buch der Toten, Otto Wilhelm Barth Verlag (im Scherz Verlag), Bern und München, 1977
  • Robert Thurman: Das Tibetische Totenbuch (deutsch: Thomas Geist). Fischer Spirit, Frankfurt 2002, ISBN 3-596-15150-3
  • Sogyal Rinpoche: Das Tibetische Buch vom Leben und vom Sterben – Ein Schlüssel zum tieferen Verständnis von Leben und Tod. (deutsch: Thomas Geist und Karin Behrendt). O.W.Barth Verlag, Bern/München/Wien 1997, ISBN 3-502-62580-8
  • Albrecht Frasch: Die Befreiung durch Hören im Zwischenzustand – Das sogenannte Tibetische Totenbuch. Tashi Verlag, Berlin 1999, ISBN 3-9806802-1-5
  • Monika Hauf: Das Tibetanische Totenbuch: Neu übersetzt und kommentiert, Piper-Verlag, 2003. ISBN 978-3-492-23694-2
  • Graham Coleman und Thupten Jinpa (Hrsg.): Das tibetische Totenbch. Die Große Befreiung durch Hören in den Zwischenzuständen, Einführender Kommentar von Seiner Heiligkeit dem XIV. Dalai Lama, englische Übersetzung: Gyurme Dorje, aus dem englischen ins Deutsche: Stephan Schuhmacher, arkana-Verlag, München. 2008. ISBN 978-3-442-33774-3

Übersetzungen des Primärtexts ins Englische

deutsche Sekundärliteratur

  • Dieter Back: Eine buddhistische Jenseitsreise. Das sogenannte Totenbuch der Tibeter aus philologischer Sicht (= Freiburger Beiträge zur Indologie, Bd. 13). Harrassowitz, Wiesbaden 1979, ISBN 3-447-02062-8.
  • Geshe Rabten: Über den Tod hinaus. Edition Rabten, Le Mont-Pèlerin 2005, ISBN 3-905497-41-7
  • Chökyi Nyima Rinpoche: Das Bardo-Buch. Ein Führer durch Leben, Tod und Wiedergeburt. Schirner Taschenbuch, 2008, ISBN 3-89767-618-4
  • Bokar Rinpoche: Der Tod und die Kunst des Sterbens im Tibetischen Buddhismus. Kagyü-Dharma-Verlag, 1992, ISBN 978-3-89233-013-4
  • Chögyam Bernd Westphal: Über den Tod und Danach – Die tibetische Lehre des Nachtodzustandes. Hörbuch, Benjamin von Ammon Verlag, ISBN 3-9810095-6-8

englische Sekundärliteratur

  • Gyatrul Rinpoche, Allan Wallace: Natural Liberation – Padmasambhava's Teachings on the Six Bardos. Wisdom Publications, Boston 1998, ISBN 0-86171-131-9

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Walter Evans-Wentz: Das tibetanische Totenbuch oder Die Nach-Tod-Erfahrung auf der Bardo-Stufe. Walter Verlag, Olten und Freiburg i. Br., 1987. S. 41