Tross des Pánfilo de Narváez

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Der geschlagene Pánfilo de Narváez wird von Cortés gefangen genommen.

Der Tross der Truppe des Pánfilo de Narváez mit etwa 550 Personen wurde im Mai 1520 im Rahmen der Eroberung Mexikos durch Hernán Cortés von Indianern bei Zultepec gefangengenommen; fast alle der gefangenen Männer, Frauen und Kinder wurden in den folgenden Monaten den Göttern geopfert. Das von spanischen Chronisten beschriebene Ereignis wurde ab 1990 durch archäologische Funde unterlegt, die Einzelheiten zum Schicksal des Trosses lieferten.

Der archäologische Fund

Archäologen fanden im Jahre 1990 einen verschütteten Schacht. Darin lagen nicht nur die menschlichen Knochen, sondern auch Waffen, Kleidung, Haushaltsgeräte, aber auch die Knochen von Haustieren aus Spanien wie Hunden, Hühnern, Kühen, Schildkröten, Pferden, Ziegen und Schweinen. Insgesamt wurden an dieser Stelle bisher über 10.000 archäologische Artefakte gefunden. Man fand Fragmente von Eisenwaren, Degen, das Zaumzeug von Pferden, Knöpfe, aber auch Objekte der indigenen Völker wie Halsbänder, Masken, Figürchen und Gefäße. Sogar Gegenstände aus dem persönlichen Besitz von Hernán Cortés hat man gefunden. Weil die Azteken versucht hatten, alle Beweise zu verbergen, ermöglichten sie den Forschern den Fund. Anhand der Funde konnte das Schicksal der Teilnehmer des Trosses rekonstruiert werden; durch Kratzspuren von Zähnen auf den menschlichen Knochen konnte u.a. Kannibalismus eindeutig nachgewiesen werden.

Laut den Archäologen Enrique Martínez und Carlos Serrano, die die Ausgrabungen leiteten, kommt dem Ort besondere Bedeutung zu, da hier offenkundig wird, dass sich die Ureinwohner nicht einfach den Spaniern unterwarfen, sondern sich ihnen aktiv widersetzten. Die Fundstelle wurde als Unesco-Weltkulturerbe vorgeschlagen.[1]

Geschichtlicher Hintergrund

Im Jahre 1520 sandte Diego Velázquez de Cuéllar, der Gouverneur der Insel Kuba, den Konquistador Pánfilo de Narváez mit 19 Schiffen nach Neuspanien. Dort sollte er mit der Unterstützung von 1.200 Männern und 60 Pferden Hernán Cortés verhaften und selbst das Kommando übernehmen. Im April desselben Jahres landete Narváez in Neuspanien. An der Küste wurde zur Eroberung ein Tross aller Hilfskräfte zusammengestellt. Dieser weitgehend ungeschützte Tross bestand aus mindestens 20 Spaniern, vielen Einheimischen, afrikanischen Sklaven sowie Mulatten und Mestizen von den karibischen Inseln. Sie alle fielen im Juni 1520 in die Hände der Krieger des Reiches von Texcoco.

Nur wenige Tage vor diesem Ereignis zog Hernán Cortés der zahlenmäßig weit überlegenen Armee von Narváez mit einer kleinen Truppe entgegen, um seine eigene Festnahme zu vereiteln, und griff Narváez in der Nähe von Cempoala an. Als die beiden spanischen Kriegsparteien aufeinandertrafen und sich gegenseitig bekriegten, nutzten die Krieger aus Texcoco die Gunst der Stunde und bemächtigten sich des ungeschützten Trosses.

Der Tod für die Götter

Die Gefangennahme dieser zahlenmäßig sehr starken Gruppe war ein großes Ereignis für die Azteken. Die Bevölkerung musste die Produktion von Pulque für die Feierlichkeiten verdreifachen. Darüber hinaus gestaltete man sogar das Tempelgelände in Zultepec architektonisch um: es wurde an drei Seiten eine Mauer um einen Platz, den Treffpunkt zwischen den Männern und den Göttern, errichtet. Der abgetrennte Bereich schützte und isolierte die Teilnehmer der Zeremonie in der heiligen Zone vor störenden Zuschauern und den schlechten Einflüssen der Geister. Die Häuptlinge aus Texcoco baten in den Haupttempeln von Tenochtitlán um hochgestellte Priester, die ihnen auch umgehend geschickt wurden.

Azteken beim rituellen Kannibalismus

Der größte Teil der Opfer bestand aus Mulatten, Mestizen aus der Karibik sowie Männern aus dem Volk der Maya und deren Frauen, die den Spaniern als Träger und Köche dienten. Darunter waren auch schwangere Frauen und einige Kinder. Für mehr als sieben Monate wurden die Gefangenen in Käfigen[2] gehalten. Bei Tagesanbruch wurden jeweils nur wenige Opfer von den aztekischen Priestern ausgewählt, um für die Götter zu sterben. Es ist davon auszugehen, dass die im Käfig zurückgebliebenen Gefangenen genau wussten, was mit ihren Kameraden geschah, wenn diese fortgeführt wurden.

Die heiligen Opferrituale der Mexica wurden nach ihrem Festkalender abgehalten. Die Gefangenen wurden nach Alter, Geschlecht, und sogar ihren Qualitäten als Krieger eingeteilt. Jeder wurde einem anderen Gott bestimmt. So wurden von Ende Juni 1520 bis Ende Februar oder Anfang März 1521 die 550 Menschenopfer vollzogen. Die Körper der Geopferten wurden manchmal zerstückelt und zum Teil gegessen. An diesem rituellen Kannibalismus beteiligten sich nur ausgewählte Gruppen wie Priester, hervorragende Krieger und die Mitglieder der herrschenden Klasse. Ziel war, die Kraft und die Energie der Besiegten in sich aufzunehmen.

Die meisten männlichen Opfer wurden Huitzilopochtli, dem Gott des Krieges, dargebracht. Die Kinder wurden dagegen Tlaloc, dem Regengott dargebracht. Eine über sechzigjährige Frau wurde zu Ehren von Toci (Tozi), der Mutter der Götter, gehäutet. Die Praxis der Knochenreinigung war den Völkern Mesoamerikas heilig. Damit die Geister der Toten bei ihrer jährlichen Rückkehr einen Ort fanden, in dem sie für eine Nacht wohnen konnten, reihten sie die Schädel der Geopferten in einem Tzompantli auf.

Unmittelbare Nachwirkung

Die Reste der abgenagten Knochen und die Totenköpfe der Spanier wurden nicht nur den Mexica in Tenochtitlán und den Bewohnern Texcocos gezeigt. Mit diesen Knochen wollte man alle Völker warnen, die sich mit den spanischen Konquistadoren verbündet hatten.[3]

Auch Hernán Cortés hat definitiv von der Gefangennahme und dem Schicksal der großen Gruppe gewusst. Denn es ist kaum anzunehmen, dass er die Männer, die mit Narváez aus Kuba kamen, zum gemeinsamen Kampf gegen die Azteken überredete und länger als ein Jahr mit ihnen kämpfte, ohne dass der Tross zur Sprache gekommen wäre. Doch konnte er nicht wissen, wie viele Menschen noch am Leben waren, als er von ihrer Gefangennahme erfuhr. Er unternahm nichts, um die Mitglieder des Trosses zu befreien.

Gonzalo de Sandoval hatte 1521 den Auftrag, die Einzelteile der Brigantinen für die Belagerung Tenochtitláns von Tlaxcala an den Texcocosee zu transportieren. Auf dem Weg eroberte er mit seinen Männern Zultepec (Calpullalpan). Als Sandoval auf die Stadt vorrückte, floh die Bevölkerung. Hastig versuchte man, alle Spuren der getöteten Gefangenen zu verwischen. Kurz bevor die Konquistadoren die heilige Stätte eroberten, warfen die Azteken aus Angst vor der Rache der Spanier den gesamten Besitz ihrer getöteten Opfer mit allen Knochen in trockene Brunnenschächte. Trotzdem fand Sandoval in einem Tempel zwei zu Leder verarbeitete Skalpe von Spaniern mit ihren Bärten und die aufgespannten Häute von vier Pferden. An der Wand in einem weiteren Tempel fand er die Inschrift eines Gefangenen: „Hier lag der unglückliche Juan Yuste mit vielen Kameraden in qualvoller Gefangenschaft.“ Juan Yuste war einer der Adligen, die mit Pánfilo de Narváez nach Neuspanien gekommen waren und von den Kriegern aus Texcoco gefangen wurde.[4] Sandoval berichtete Cortés von seinem Fund; er wurde fortan Tecuaque genannt (Nahuatl für „den Ort, wo sie sie aufgegessen haben“, spanisch lugar donde se los comieron); Cortés liess den Ort zerstören. Danach geriet der Ort für fast 470 Jahre in Vergessenheit.

Einzelnachweise

  1. Rubén Mendoza und Shari Harder: Mythologies of Conquest- Demystifying Amerindian Warfare and European Triumphalism. In: The Ethics of Anthropology and Amerindian Research: Reporting on Environmental Degradation and Warfare. Springer, 2011, S. 191ff, abgerufen am 1. März 2015 (englisch).
  2. Bernal Díaz del Castillo: Die Wahrhafte Geschichte der Eroberung von Mexiko, 1988, S. 203
  3. Bernal Díaz del Castillo: Die Wahrhafte Geschichte der Eroberung von Mexiko, 1988, S.449 und 497.
  4. Bernal Díaz del Castillo Die Wahrhafte Geschichte der Eroberung von Mexiko S. 407.

Literatur

Weblinks

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