Trotula

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Darstellung der Trotula, Mittelalterliches Manuskript um 1200

Trotula ist der Name einer medizinischen Sammelschrift aus dem 12. Jahrhundert, die bis ins 15. Jahrhundert (in Deutschland und England bis ins 16. Jahrhundert) im Bereich der Frauenheilkunde zu den Standardwerken der Medizin zählte. Mindestens eine der drei enthaltenen Schriften geht auf Trota oder Trocta zurück, die im frühen 12. Jahrhundert in der Schule von Salerno praktizierte und lehrte.

Trota von Salerno

Über Trota ist sehr wenig bekannt. Nach Salvatore Renzi (1800–1872) war sie die Frau von Johannes Platearius, der ebenfalls Arzt war. Demnach wären ihre beiden Söhne, Matthias Platearius und Johannes Platearius der Jüngere (um 1130), ebenfalls als medizinische Autoren bekannt. Nach Gilmore & Greenfield (siehe Lit.) ist ihre Zugehörigkeit zur Familie Ruggiero ebenso wenig belegt wie ihre Ehe mit Platearius. Auch Monica H. Green bezweifelt diese Konstellation.[1]

Trota war als praktische Ärztin Mitglied der Fakultät von Salerno. Sie schrieb mehrere Abhandlungen über die medizinische Praxis und soll, gemäß der Theorie von Renzi, gemeinsam mit ihrem Mann und ihren Söhnen an der medizinischen Enzyklopädie Practica brevis gearbeitet haben. Im Haupttext der Schule von Salerno, De aegritudinum curatione aus dem 12. Jahrhundert, sind Texte der sieben Großmeister der Schule enthalten, darunter auch das Trotula-Ensemble.

1985 wurde von John F. Benton in Madrid in einer Sammelhandschrift aus dem 13. Jahrhundert das Werk Practica secundum Trotam entdeckt. Dadurch war die historische Person der Trota erstmals sicher belegt.[2]

Das Trotula-Ensemble

Illustration aus Passionibus mulierum

Das Trotula-Ensemble umfasst drei Werke, deren Autoren im ersten und dritten Fall anonym sind. Green hält auch männliche Autoren für möglich.[1] Vermutlich stammen die Werke von drei unterschiedlichen Autoren. Erhalten sind über 120 Handschriften des lateinischen Textes sowie etwa 60 mittelalterliche Übersetzungen in Landessprachen.

Liber de sinthomatibus mulierum

Diese Schrift weist bereits Einflüsse der arabischen Medizin auf und basiert stark auf dem Zād al-musāfir von Ibn al-Dschazzar, welches Konstantin der Afrikaner im späten 11. Jahrhundert übersetzt hatte.[3] Hauptquelle für Ibn al-Jazzar wiederum war Galenos von Pergamon, daneben werden Hippokrates von Kos, Oribasius, Pedanios Dioskorides, Paulus und Justinus zitiert.

De curis mulierum

Dieses ziemlich eindeutig Trota zuzuschreibende Werk ist auch als Passionibus mulierum curandorum oder Trotula major bekannt. Trota betont, wie wichtig Sauberkeit, ausgewogene Ernährung und körperliche Betätigung für Frauen sind und warnt gleichzeitig vor Stress und Unruhe. Wie Hildegard von Bingen arbeitet sie mit einfachen, auch für Mitglieder des einfachen Volkes erschwinglichen Mitteln und Rezepten.

In der Einleitung schreibt Trota über die Hemmungen der Frauen, mit einem männlichen Arzt über Beschwerden ihrer Fortpflanzungs- und Sexualorgane zu sprechen. Ihre Schriften zeugen von erstaunlich fortschrittlichen gynäkologischen Kenntnissen. So wusste sie beispielsweise über den Zusammenhang von Amenorrhoe und weiblicher Unfruchtbarkeit bescheid. Bei unregelmäßiger Menstruation vermutet sie Mangelernährung, eine Krankheit oder psychischen Stress (Kummer, Ärger, Aufregung oder Angst) als Ursache. Ihre Erklärung für starke Blutungen hingegen richten sich nach den Theorien von Galenus und Hippokrates über die Galle.

Trota schrieb zudem über Geburtenkontrolle und Unfruchtbarkeit. Sie kannte die fruchtbaren und unfruchtbaren Tage während des weiblichen Zyklus und empfahl ihren Patientinnen Enthaltsamkeit bzw. sexuelle Aktivitäten an bestimmten Tagen, je nachdem ob sie einen Kinderwunsch hatten oder nicht. Im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen Ärzten sah sie Unfruchtbarkeit nicht als rein weibliches Problem, sondern betonte, dass oft der Ehemann diesbezüglich Schwierigkeiten hätte.

Im Kapitel über die Geburtshilfe gibt sie – aus heutiger Sicht – ebenfalls sehr fortschrittliche Anweisungen. So empfiehlt sie zur Vermeidung eines Dammrisses das Abstützen des Damms während der Wehen. Erfolgt trotzdem ein Dammriss, soll dieser „mit einem Seidenfaden in drei bis vier Stichen“ zusammengenäht werden. Zudem gibt sie den Hebammen detaillierte Hinweise zur Prävention schwieriger Geburten und Schäden während der Geburt.[4]

Auch über die Säuglingspflege äußert sich Trota. Sie empfiehlt, bei Neugeborenen Gesicht und Ohren mit Massagen zu stimulieren. Sie zählt Kriterien auf, die bei der Wahl der richtigen Amme zu beachten seien. Schmerzstillende Lotionen und andere Tipps und Tricks beim Zahnen werden ebenso beschrieben wie allgemeinmedizinische Hinweise bei Läusen, Würmern, Zahnschmerzen, Beschwerden der Augen, Krebs, Gehörlosigkeit und Übergewicht.

De ornatu mulierum

Dies ist eine Schrift über Hautkrankheiten und Kosmetika, die auch als Trotula minor bekannt ist. Sie wurde nachträglich in den Trotula major eingefügt.

Nachwirkung

Bis ins 16. Jahrhundert galt insb. Trotula major an den medizinischen Fakultäten Europas als Standardwerk. Daneben ging das Ensemble in die Volksheilkunde über und es begannen Legenden über die Person der Trota zu kursieren.

Der Trotula major wurde oft kopiert und viele Kopisten nahmen sich jeweils die Freiheit, eigene Änderungen und Ideen in die Texte einzufügen. Andere gaben Trotas Werk unter einem anderen Titel und dem eigenen Namen heraus. Einzelne Kapitel wurden in andere Werke übertragen. Im 13. Jahrhundert kürzte eine andere Ärztin aus Salerno das Manuskript und nahm wesentliche Änderungen am Inhalt vor. Bei einigen Kopien wurde ihr Name zu „Trottola“, „Tortola“ oder gar zum männlichen „Trottus“ verstümmelt. Bereits im 12. Jahrhundert erschienen Kopien des Passionibus mulierum unter dem Namen ihres angenommenen Mannes, Johannes Platearius.

1544 erschien in Straßburg die erste gedruckte Ausgabe des Passionibus mulierum als Teil des Sammelbandes Experimentarius medicinae[5], welcher neben anderen naturwissenschaftlichen Abhandlungen auch die Physica Hildegards von Bingen enthielt. 1554 veröffentlichte Victorius Faventius eine weitere Ausgabe, der er einige eigene Erfindungen beigefügt hatte. 1566 veröffentlichte Kaspar Wolff in Basel eine weitere Ausgabe des Trotula major, das er jedoch dem römischen Hausarzt Julias, der Tochter von Kaiser Augustus, Eros Juliae zuschrieb. Eros Juliae hatte ebenfalls einen Text über Frauenheilkunde und Hautpflege geschrieben, was Wolff vermutlich mit den vorliegenden Schriften Trotas verwechselte. Einige andere Verleger übernahmen diese Version des Passionibus mulierum, andere wiederum schrieben ihn dem römischen Arzt Erotian zu, der selbst Kommentare zur hippokratischen Gynäkologie veröffentlicht hatte. Obwohl die Zuordnung des Passionibus mulierum zu diesen beiden Autoren unmöglich stimmen konnte (viele der von Trota zitierten Autoren lebten lange nach Erotian oder Eros Juliae), wurde dieser Fehler von Medizinhistorikern des 19. Jahrhunderts als „Beleg“ ihrer These benutzt, dass Trota unmöglich gelebt haben könne und ihre Schriften in Wirklichkeit von einem Mann stammten.

Die Frage nach der Existenz Trotas und der Authentizität ihrer Texte

Obwohl es über die Person Trotas zwischen dem 11. und dem 19. Jahrhundert sehr divergierende Vorstellungen gab, wurde ihre Rolle als Verfasserin der Passionibus mulierum kaum angezweifelt.

Erst Karl Sudhoff, ein Medizinhistoriker des frühen 20. Jahrhunderts, stellte die Theorie auf, dass die Frauen, die an der Schule von Salerno studiert und unterrichtet hatten, in Wirklichkeit keine Ärztinnen gewesen seien, sondern Hebammen und Krankenschwestern. Dieser Logik zufolge konnten sie auch keine gynäkologischen Abhandlungen verfasst haben. Da Passionibus mulierum Anweisungen zu chirurgischen Eingriffen enthalte und zudem das Hauptgebiet der Hebammen, die normale Geburtshilfe, nur am Rande streife, könne der Text laut Sudhoff unmöglich von einer Frau stammen.

Ein weiterer Historiker, Charles Singer, vertrat die These, Passionibus mulierum sei in Wahrheit keine gynäkologische Schrift, sondern Pornographie. Der Autor, ein Arzt namens Trottus, hätte sich einen Frauennamen gegeben, um den erotischen Charakter der Schrift zu betonen.

Hauptargument Sudhoffs und Singers für die Vermutung, dass die Passionibus mulierum nicht von einer Frau stammen könnten, soll die sehr direkte Form gewesen sein, in der in dem Text über Sexualität und Geschlechtskrankheiten gesprochen wird. Insbesondere Kapitel 15, „Methode, die Vulva zu verengen, so dass eine verführte Frau für eine Jungfrau gehalten werden kann“ gilt hierfür als Beispiel.

Obwohl die Existenz und Autorenschaft der Trota von Salerno nicht zweifellos bewiesen werden kann, gibt es hierfür starke Indizien. So waren im Italien des Mittelalters weibliche Gelehrte wenngleich relativ selten, so doch voll akzeptierte Mitglieder der akademischen Gemeinschaft. Wenn Trota gelebt hat, dann wäre sie in Salerno als Kapazität auf dem Gebiet der Frauenheilkunde und als Dozentin anerkannt worden. Italienische Medizinhistoriker haben die Authentizität Trotas bzw. die Existenz von weiblichen Studenten und Dozenten an der medizinischen Fakultät von Salerno im 11. und 12. Jahrhundert nie bezweifelt.

In einem wissenschafts-soziologischen Sinn wird der Streit um die Existenz Trotas als frühes Beispiel für den Matilda-Effekt angeführt, der zur systematischen Verdrängung des Beitrags von Wissenschaftlerinnen zur Forschung führen kann.

Im späten 20. Jahrhundert erforschte John F. Benton, Professor am California Institute of Technology, sowohl die historische Person der Trota als auch das Trotula-Ensemble. Diese Arbeit wurde nach seinem Tod 1988 von Monica H. Green an der University of Pennsylvania fortgesetzt.

Literatur

  • Ina-Marie Cassens: Die Heilerin von Salerno. Droemer/Knaur, 2007, ISBN 978-3-426-63338-0. (Historischer Roman, basierend auf Trota von Salerno.)
  • Monica H. Green mit David D. Gilmore und Monica Greenfield: The Trotula: A Medieval Compendium of Women's Medicine. Pennsylvania University Press, 2001. ISBN 0-8122-3589-4.
  • Monica H. Green: The Trotula: An English Translation of the Medieval Compendium of Women's Medicine. University of Philadelphia Press, 2001. ISBN 0-8122-1808-6.
  • Margaret Alic: Hypatias Töchter. Unionsverlag, 2000. ISBN 3-293-00116-5.
  • Anna Blanca Césarine Maria Delva: Vrouwengeneeskunde in Vlaanderen tijdens de late middeleeuwen, met uitgave van het Brugse 'Liber Trotula'. Brügge 1983 (= Vlaamse historische studies, 2).
  • Karin Maringgele: Trotula. In: VIRUS - Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 3. LIT-Verlag Wien, 2004. ISSN 1605-7066.
  • Konrad Goehl: Frauengeheimnisse im Mittelalter. Die Frauen von Salern. Deutscher Wissenschafts-Verlag, Baden-Baden/Kappelrodeck 2010.

Weblinks

Commons: Trotula of Salerno – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Monica H. Green: Who/what is "Trotula"? 2008.
  2. John F. Benton: Trotula, Women's Problems, and the Professionalization of Medicine in the Middle Ages. In: Bulletin of the History of Medicine. 59, no. 1 (Frühjahr 1985), S. 330–53.
  3. Monica H. Green: The Development of the "Trotula". In: Revue d’Histoire des Textes. 26 (1996), S. 119–203.
  4. Walther Schönfeld, Direktor der Universitäts-Hautklinik Heidelberg: Frauen in der Abendländischen Heilkunde. Vom klassischen Altertum bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts, Ferdinand Enke Verlag Stuttgart 1947, zu Trotta (Trota, Trotula) S. 64-67.
  5. Digitalisat des "Experimentarius medicinae" der Bayerischen Staatsbibliothek München. Abgerufen am 6. Mai 2015.