Januarereignisse in Litauen 1991

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Panzer der Sowjetarmee in den Straßen von Vilnius am 13. Januar 1991
Das Mahnmal für die Opfer des Vilniusser Blutsonntags auf dem Friedhof Antakalnis in Vilnius
Pieta für Verteidiger des Fernsehturms Vilnius

Der Vilniusser Blutsonntag bezeichnet die Ereignisse des 13. Januar 1991 in Vilnius, als bei den Demonstrationen für die Freiheit und Unabhängigkeit Litauens von der Sowjetunion vierzehn Menschen ums Leben kamen und mehr als 1000 Menschen verletzt wurden. Sie wurden nach offiziellen litauischen Angaben teilweise von Panzern der Sowjetarmee überrollt, teilweise erschossen.

Hintergrund

Litauen kam 1795 infolge der Dritten Teilung Polens unter die Herrschaft des russischen Zarenreichs. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde es unabhängig. Am Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Litauen 1939 aufgrund des Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrages dem Einflussbereich der Sowjetunion zugeschlagen und im Juni 1940 von der Roten Armee besetzt. Anschließend wurde dort auf Befehl Stalins nach sowjetischem Vorbild die Litauische Sozialistische Sowjetrepublik errichtet und es kam zu Massenverhaftungen sogenannter Klassenfeinde. Nach der deutschen Besatzung ab Juni 1941 kam das Land seit Sommer 1944 wieder unter sowjetische Herrschaft. Im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion wurde Litauen am 11. März 1990 mit der Unabhängigkeitserklärung des erstmals frei gewählten Obersten Sowjets wieder ein selbständiger Staat (vgl.: Singende Revolution).

Putsch und Niederschlagung

Litas-Gedenkmünze zum 5. Jahrestag des Vilniusser Blutsonntages

Moskau war nicht bereit, die Unabhängigkeit der baltischen Staaten hinzunehmen und reagierte in der Zeit vom April bis Mai 1990 mit einer Rohstoffblockade, die die Wirtschaft Litauens lähmte. Am 10. Januar 1991 forderte Generalsekretär Michail Gorbatschow das kommissarische Staatsoberhaupt Litauens Vytautas Landsbergis auf, die sowjetische Verfassung anzuerkennen und damit auf die Unabhängigkeit zu verzichten. Am 13. Januar 1991, dem Vilniusser Blutsonntag, versuchten Moskau-treue Kräfte sich mit Unterstützung sowjetischer Militärs, an die Macht zu putschen. Dabei starben insgesamt 14 unbewaffnete Zivilisten, die Parlament und Fernsehturm in Vilnius verteidigten, über 1000 wurden verletzt. Der Putsch misslang. Als Antwort auf die blutigen Ereignisse fand am 9. Februar 1991 ein Referendum statt. Bei einer Wahlbeteiligung von 85 % stimmten 90,5 % der Wähler für ein unabhängiges Litauen. Das isländische Parlament beschloss als erstes in der Welt, Litauen als unabhängigen Staat anzuerkennen.

Gorbatschow erklärte das Referendum für ungültig, das Fernsehgebäude blieb bis auf Weiteres besetzt. Bei einem Überfall der OMON-Truppen auf einen litauischen Grenzposten wurden sieben Grenzer getötet.

Nachdem im August 1991 auch in Moskau der Putschversuch kommunistischer Hardliner fehlgeschlagen war, wurde Litauens Unabhängigkeit innerhalb kürzester Zeit von über 90 Staaten anerkannt.

Die Gewalt des Vilniusser Blutsonntages stand im deutlichen Gegensatz zu der Gewaltlosigkeit des vorangegangenen Unabhängigkeitsprozesses und machte deutlich, dass die Unterdrückungsmechanismen der Sowjetunion auch in der Zeit von Perestroika und Glasnost noch wirksam waren. Letztlich führten die Demonstrationen in Litauen wie im gesamten Baltikum zur Unabhängigkeit der dortigen Staaten. Heute gehören alle drei baltischen Staaten der Europäischen Union und der NATO an.

Zahlreiche Denkmäler und Gedenkstätten wurden für die Opfer des Blutsonntags errichtet, Straßen und Plätze nach ihnen benannt.

Todesopfer

Die Opfer waren:

  • Loreta Asanavičiūtė (* 1967)
  • Virginijus Druskis (* 1969)
  • Darius Gerbutavičius (* 1973)
  • Rolandas Jankauskas (* 1969)
  • Rimantas Juknevičius (* 1966)
  • Alvydas Kanapinskas (* 1952)
  • Algimantas Petras Kavoliukas (* 1939)
  • Vytautas Koncevičius (* 1941)
  • Vidas Maciulevičius (* 1966)
  • Titas Masiulis (* 1962)
  • Alvydas Matulka (* 1955)
  • Apolinaras Juozas Povilaitis (* 1937)
  • Ignas Šimulionis (* 1973)
  • Vytautas Vaitkus (* 1943)

Aufarbeitung

Wegen Verbrechen, die angeblich durch das sowjetische Militär begangen wurden, sprach ein Gericht in Vilnius August 1999 sechs Menschen schuldig.[1]

Im Zusammenhang mit dem Blutsonntag wird von Litauen der ehemalige KGB-Offizier Michail Golowatow mit europäischem Haftbefehl als Kriegsverbrecher gesucht. Golowatow wurde am 14. Juli 2011 am Flughafen Wien-Schwechat festgenommen. Weil die von Litauen gelieferten Informationen laut dem Wiener Außenministerium aber „zu vage“ waren, wurde er jedoch nach nur 24 Stunden wieder freigelassen. Dies führte zu diplomatischen Verstimmungen zwischen Litauen und Österreich.[2]

Ein weiterer Prozess gegen noch lebende Verantwortliche für den Blutsonntag wurde im Januar 2016 in Vilnius eröffnet.[3]

Leugnung der sowjetischen Aggression

2012 wurde der Sozialist Algirdas Paleckis wegen der Aussage Litauer hätten ihre eigenen Leute erschossen vom Litauischen Obersten Gericht bestraft.[4][5]

Weblinks

Wochenschau

Einzelnachweise

  1. Vilniusser Blutsonntag: Litauer fordert, Gorbatschow Friedensnobelpreis abzuerkennen, RIA Novosti vom 13. Januar 2012, gesichtet 7. Dezember 2012
  2. Freilassung von Ex-KGB-Offizier: Auch Lettland protestiert, Wiener Zeitung vom 19. Juli 2011, gesichtet 19. Juli 2011.
  3. Rudolf Hermann: Litauen ringt mit seiner Vergangenheit. Historischer Prozess zur Moskauer Militärintervention von 1991. In: Neue Zürcher Zeitung, 4. Februar 2016, S. 5.
  4. Lithuanian former journalist says country tried to deny speech, send him to prison, The National Press Club, 7. Juni 2012
  5. Aukščiausiasis Teismas paskelbė, kad Algirdas Paleckis pagrįstai nuteistas baudžiamojoje byloje dėl Sausio 13-osios nusikaltimų neigimo