Hindutva

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 9. Dezember 2020 um 23:12 Uhr durch Aka (Diskussion | Beiträge) (Tippfehler entfernt, Kleinkram). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Hindutva (Hindi हिन्दुत्व hindutva) bezeichnet ein politisches Konzept, das die Ausrichtung Indiens nach hinduistischen Regeln zum Ziel hat. Im Deutschen wird oft die Bezeichnung hinduistischer Nationalismus oder kurz Hindu-Nationalismus verwendet. Die ideologischen Wurzeln dieses „politisierten Hinduismus“ liegen in der neo-hinduistischen Bewegung des indischen Unabhängigkeitskampfes.

Geschichte und Ziele

Zu ihren führenden Ideologen zählt Vinayak Damodar Savarkar, der in der 1923 in Nagpur veröffentlichten Schrift Hindutva: Who is a Hindu? erstmals die Idee einer Hindu-Nation, der „Hindu Rashtra“, formuliert. Seine Ausführungen beruhen auf drei ideologischen Prinzipien – rashtra, jati und sanskriti (gemeinsamer heiliger Boden, gemeinsame Abstammung und Kultur) – auf die sich alle Hindus berufen können und die die Grundlage einer gemeinsamen Nation bilden sollen. So schrieb er in diesem Werk:

„Schließlich gibt es in der Welt, was den Menschen betrifft, nur eine Rasse, die menschliche Rasse. [...] Nicht einmal die Ureinwohner der Andamanen sind ohne sogenanntes arisches Blut in ihren Adern und umgekehrt. Alles, was man sagen kann, ist, dass der Einzelne das Blut der gesamten Menschheit in seinen Adern hat. Die fundamentale Einheit des Menschen vom Nord- zum Südpol ist wahr, alles andere ist nur relativ.“

Ziel der Hindutva-Bewegung ist die (Wieder-)Erschaffung einer einzigen Hindu-Nation. Savarkar bediente sich dabei des Rückgriffs auf eine „konstruierte“ gemeinsame Vergangenheit aller Hindus, wobei es diskutabel ist, ob eine solche in dieser Form jemals existierte. Zugleich regte Savarkar die Abkehr von als Fehlentwicklungen bewerteten Elementen des zeitgenössischen Hinduismus an, insbesondere vom Kastensystem.

Hindutva ist damit eine Gegenbewegung zum säkularen Staatsmodell, das von Mahatma Gandhi als Lösung für die religiösen Konflikte, hauptsächlich zwischen Muslimen und Hindus, gesehen wurde und das heute in der Verfassung verankert ist. Viele Hindus stehen daher ebenso wie Nicht-Hindus (z. B. Muslime, Christen, Ureinwohner) der Hindutva-Bewegung kritisch gegenüber.

Auf dieser Grundlage entstanden verschiedene Organisationen, die den Hindutva auf verschiedenen Ebenen und mit unterschiedlichen Mitteln durchzusetzen versuchten. Die im Jahr 1925 gegründete Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) verstand sich zunächst als kulturelle Organisation, erfüllt aber heute die Funktion der Ausbildung von Führungskräften, die in den übrigen Zweigen des Hindutva ihre Arbeit tun. Nachdem die RSS anfänglich ein parteipolitisches Engagement in der Demokratie ablehnte, gehört die Schulung von Politikern inzwischen zu ihren Hauptaufgaben.

Im Jahr 1964 gab die RSS den Anstoß zur Gründung des Vishva Hindu Parishad (VHP, „Weltrat der Hindus“). Dabei handelt es sich um eine kultur- und religionspolitische Organisation, die als gemeinsame Plattform für religiöse Vertreter verschiedener hinduistischer Strömungen dient. Sie soll den Mangel einer in sich geschlossenen „Kirche“ oder vergleichbaren Organisation im Hinduismus kompensieren und so die Interessenvertretung gegenüber dem Staat oder anderen Religionsgemeinschaften erleichtern.

Die heutigen sogenannten Hindutva-Parteien, die im Jahr 1980 gegründete Bharatiya Janata Party (BJP, früher Bharatiya Jana Sangh) und Shiv Sena, spielten bis Ende der 1980er Jahre bestenfalls eine Randrolle in der indischen Politik. Von 1998 bis 2004 stellte die BJP jedoch die Regierung mit dem Premierminister Atal Behari Vajpayee. Während dieser Zeit kam es zu Auseinandersetzungen innerhalb der Bewegung, wobei die VHP radikal hindu-nationalistische Forderungen durchzusetzen versuchte, während die in Regierungsverantwortung befindliche BJP gemäßigte Positionen einnahm.

Der bekannteste Konflikt, in welchem Positionen des Hindutva offenbar wurden, war die Tempel-Moschee-Kontroverse von Ayodhya, die im Jahr 1992 in der Zerstörung der Babri-Moschee gipfelte.

Audios

Literatur

  • Vinayak Damodar Savarkar: Hindutva. Bharati Sahitya Sadan, Delhi 1989 (1923).
  • Tobias Delfs: Hindu-Nationalismus und europäischer Faschismus: Vergleich, Transfer- und Beziehungsgeschichte. EB, Hamburg-Schenefeld 2008, ISBN 978-3-936912-63-0 (= Bonner Asienstudien, Band 6).
  • Koenraad Elst: Who is a Hindu? New Delhi, 2002.
  • Koenraad Elst: Decolonizing the Hindu Mind. Ideological Development of Hindu Revivalism. Rupa, Delhi 2001.
  • Koenraad Elst: The Saffron Swastika. The Notion of "Hindu Fascism". New Delhi: Voice of India, 2001, 2 Vols., ISBN 81-85990-69-7
  • Sita Ram Goel: Perversion of India’s Political Parlance. Voice of India, Delhi 1984.
  • Sita Ram Goel (Hrsg.): Time for Stock Taking. Whither Sangh Parivar? 1996.
  • Arun Shourie: A Secular Agenda. HarperCollins, New Delhi 1998, ISBN 81-7223-258-6.
  • Christophe Jaffrelot: The Hindu Nationalist Movement in India, Columbia University Press 1998
  • Antony Copley (Hrsg.): Hinduism in Public and Privat. Oxford, New York, 2003.
  • Ram Gopal: Islam, Hindutva and Congress Quest. New Delhi, 1998.
  • Clemens Six: Hindu-Nationalismuns und Globalisierung. Wien, 2001.
  • Clemens Six: Hindi-Hindu-Hindustan. Politik und Religion im modernen Indien. Wien, 2006.
  • Klaus Voll, Uwe Skoda (Hrsg.): Der Hindu-Nationalismus in Indien. Aufstieg – Konsolidierung – Niedergang? Weißensee 2005, ISBN 3-89998-067-0.
  • Siegfried O. Wolf, René Schultens: Hindu-Nationalismus in Indien – (k)ein Ende in Sicht? In: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hrsg.): Der Bürger im Staat – Indien. Stuttgart, 3/4 2009 (online: PDF; 115 Seiten, 3,6 MB)
  • Tobias Wolf: Extremismus im Namen der Religion. Wie der Hindu-Nationalismus die Demokratie in Indien gefährdet, Shaker, Aachen 2012, ISBN 978-3-8440-1397-9 (= Berichte aus der Politik)[1]

Weblinks

Quellen

  1. Tom Mannewitz: Rezension zu: Tobias Wolf: Extremismus im Namen der Religion. Aachen: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, veröffentlicht am 21. Februar 2013.