Askold Fjodorowitsch Murow

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 19. Juli 2023 um 11:09 Uhr durch Khatschaturjan (Diskussion | Beiträge).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Askold Fjodorowitsch Murow (russisch Аскольд Фёдорович Муров, wiss. Transliteration Askol'd Fëdorovič Murov; * 5. Februar 1928 in Pokrowsk, heute Engels, Oblast Saratow, Wolgadeutsche Republik, Sowjetunion; † 7. Juni 1996 in Nowosibirsk, Russland)[1] war ein russisch-sowjetischer Komponist.

Seine Mutter war Russin, sein Vater Schauspieler deutscher Herkunft am Drama-Theater Saratow.[2] Murows Familie wurde im Zuge des Dekrets über die Umsiedlung der Wolgadeutschen 1941 nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion in die sibirische Region Kemerowo deportiert.[2] Askold Murow ließ sich zunächst zweigleisig ausbilden: Er studierte von 1946 bis zum Ingenieursdiplom 1951 an der Staatlichen Universität für Architektur und Bauwesen Nowosibirsk, parallel dazu absolvierte er von 1948 bis 1951 eine Ausbildung am Musikkolleg der Stadt.[1] Im damaligen Stalinsk arbeitete er bis 1958 als Bauingenieur.[2] Gleichzeitig schrieb er Musik fürs Theater und begann, am 1956 eröffneten Konservatorium in Nowosibirsk Chorleitung und ab 1958 Komposition bei Matwei Gosenpud zu studieren.[1] Schon während des Studiums wurden Werke von ihm aufgeführt – u. a. die Ballettsuite Moidodyr (Мойдодыр) in Moskau. Mit der 1. Sinfonie (1961) schloss er sein Studium 1962 ab.[2] In dieser Zeit lernte er Dmitri Schostakowitsch kennen, der ihn künstlerisch förderte und dem er später seine Sinfonie Tobolsk (Тобольская) widmete.[2]

Ab 1962 unterrichtete Murow am Konservatorium in Nowosibirsk, ab 1968 als Dozent, ab 1983 als Professor und von 1984 bis 1987 als Leiter der Kompositionsabteilung.[1] 1965 bis 1970 war er zudem Vorsitzender des sibirischen Komponistenverbands und nahm an Delegationsreisen in die Schweiz, die damalige DDR, nach Rumänien und Polen teil.[1]

Trotz einer Reihe systemkonformer Werke wurde auch Murow als Formalist getadelt, zunächst wegen seiner 3. Sinfonie (1968).[2] Die Konflikte verschärften sich, und er legte den Vorsitz des Komponistenverbands 1970 nieder.[2] Auch seine 1971 entstandene Sinfonie über die Geschichte von Tobolsk, einer der ältesten russischen Städte Sibiriens, geriet in die Kritik. Murow wurde mit seiner Frau 1971/72 ins damalige Nordvietnam geschickt, um in Hanoi musikalische Aufbauarbeit zu leisten. Er beschäftigte sich mit der Musik des Landes, verarbeitete diese Eindrücke kompositorisch und erhielt vor Ort etliche Auszeichnungen.[2] Nach seiner Rückkehr setzte er sich mit dem orthodoxen Christentum auseinander, verarbeitete biblische Themen,[2] schrieb literarische Bücher und komponierte weiterhin für alle Gattungen, auch satirische Werke wie die Oper Weliki Kombinator (Великий Комбинатор, 1983–1986) nach Ilf und Petrow.[1] 1984 wurde Murow erneut Vorsitzender des sibirischen Komponistenverbands und blieb dies bis zu seinem Tod 1996.[1] Das Musikkolleg Nowosibirsk, das er in jungen Jahren absolviert hatte, wurde 2006 nach ihm benannt.[3]

Murows Werk zeichnet sich durch die Vielfalt der Genres aus.[1] Er hinterließ als Hauptwerk elf Sinfonien, davon sechs nummerierte. Er gilt somit als erster sibirischer Sinfoniker[4] und als Begründer der sibirischen Komponistenschule.[5] Neben weiteren Orchesterwerken schrieb er auch eine Oper, ein Oratorium, Ballette, Chorwerke, Liederzyklen sowie Theater- und Filmmusik.[6] In frühen Kompositionen zeigten sich noch Einflüsse von Schostakowitsch, im weiteren Verlauf der Tauwetter-Periode näherte er sich dann der damaligen sowjetischen Avantgarde. Er experimentierte polystilistisch mit westlich-modernen Musiksprachen wie Atonalität, Neoklassizismus, Neofolklorismus und Jazz, setzte auch vereinzelt Elektronik vom Tonband ein.[4] Ab den 1980er Jahren begann er, altrussische Gesänge zu verarbeiten, und schrieb auch „Geistliche Konzerte“ sowie liturgische Werke; im sinfonischen Stil wandte er sich zunehmend einer sakral grundierten Neoromantik zu.[4]

  • 1983: Verdienter Künstler der RSFSR[7]
  • 1990: Glinka-Staatspreis der RSFSR
  • Moidodyr (Мойдодыр), Ballett, 1960
  • 1. Sinfonie, 1961
  • 2. Sinfonie, Sinfonie-Ballet, 1962
  • Zyklus poetischer Bilder für Gesang und Klavier nach Worten von Johannes R. Becher, 1962
  • Aus der sibirischen Volkspoesie, Chorzyklus, 1963
  • Die klugen Dinge (Умные вещи), musikalische Komödie nach Samuil Marschak, 1965
  • Die Schlaflosigkeit des Jahrhunderts (Бессонница века), Oratorium, 1966
  • 3. Sinfonie, 1968
  • Lenin in Schuschenskoje, Poem für Orchester, 1969
  • Stimmen der Revolution (Голоса Революции) für Solisten, Chor und Orchester, Radiorezitation, 1970
  • Sinfonie Tobolsk (Тобольская) für Solisten, Chor und Orchester nach historischen Quellen, Psalmen und Texten u. a. von Welimir Chlebnikow, 1971
  • 4. Sinfonie, Stereophonia, 1974
  • Zwei Eindrücke über Vietnam für Streichensemble, 1974
  • Dessjatyje gody (Десятые годы), Zyklus für Gesang und Klavier nach Worten von Alexander Blok, 1975
  • Sinfonie Herbst (Осенняя) für Volksinstrumente-Orchester, 1978
  • 5. Sinfonie, 1981
  • Weliki Kombinator (Великий Комбинатор), Oper nach Ilf und Petrow (1983–1986)
  • Sinfonie für Streicher, 1986
  • Sinfonie für Bläser und Schlagwerk, 1988
  • 6. Sinfonie, 1991

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b c d e f g h Lada Leonidowna Pylnewa: Murow, Askold Fjodorowitsch. In: Istoritscheskaja enziklopedija Sibiri. 2013; (russisch).
  2. a b c d e f g h i Lada Leonidowna Pylnewa: Askold Murow. (russisch).
  3. Zum 80. Geburtstag (Memento vom 15. Januar 2012 im Internet Archive) auf: nmkmurov (russisch); andere Quellen, etwa nsglinka.ru, nennen das Jahr 2002
  4. a b c Boris Yoffe: Im Fluss des Symphonischen. Wolke, Hofheim 2014, ISBN 978-3-95593-059-2, S. 401–404.
  5. Askold Murov auf phil-nsk 2016 (englisch)
  6. Lebenslauf und Werkübersicht auf musiqueclassique (französisch)
  7. Biographie und Literatur in: Biblioteka sibirskogo krajewedenija (russisch); andere Quellen, etwa nsglinka.ru, nennen das Jahr 1973