Oratorio de Noël

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 26. September 2023 um 21:40 Uhr durch SMeyer (Diskussion | Beiträge) (Weblinks: Link zu Text und Übersetzung korrigiert). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Camille Saint-Saëns, 1858

Das Oratorio de Noël (deutsch: „Weihnachtsoratorium“) ist ein im Jahr 1858 entstandenes Werk des damals 23-jährigen französischen Komponisten Camille Saint-Saëns (1835–1921). Es trägt die Opuszahl 12 und wird seit einigen Jahren auch im deutschen Sprachraum des Öfteren aufgeführt.

Entstehung

Camille Saint-Saëns wirkte ab 1858 an der Kirche La Madeleine in Paris als Organist, eine Stellung, die er fast 20 Jahre innehaben sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt war er bereits u. a. als Komponist dreier Sinfonien (davon nur eine nummeriert: A-Dur, ca. 1850 / Nr. 1 op. 2 Es-Dur, 1853 / Urbs Roma, 1856) und einer Messe (1857) hervorgetreten. Im Advent 1858 komponierte er innerhalb von 12 Tagen sein Oratorio de Noël op. 12. Die Komposition war am 15. Dezember 1858 abgeschlossen und erlebte am 25. Dezember 1858 in der Madeleine ihre Uraufführung.[1] Gewidmet ist sie seiner Schülerin Madame de Vicomtesse de Grandval.

Besetzung und Aufführungsdauer

Das Werk sieht eine Besetzung mit 5 Vokalsolisten (Sopran, Mezzosopran, Alt, Tenor und Bariton), vierstimmigem gemischten Chor, Streichorchester, Harfe und Orgel vor. Blasinstrumente fehlen.

Die Aufführungsdauer des für ein Oratorium vergleichsweise kurzen Werkes beträgt etwa 35 bis 40 Minuten.

Inhalt und Satzfolge

Petits Chanteurs de Passy – Tollite Hostias

Der Katholik Saint-Saëns stellte für sein 10-teiliges Oratorio de Noël Texte aus der Vulgata und der lateinischen Weihnachtsliturgie zusammen. Auf die dem Lukasevangelium entnommene Verkündigung der Geburt Christi folgen Psalmtexte sowie den Evangelien nach Matthäus und Johannes entnommene Verse. Mit wenigen Ausnahmen herrscht in der Komposition eine lyrisch-kontemplative Grundstimmung vor.

  • Nr. 1 Prélude (dans le style de Seb. Bach). Instrumentales Vorspiel, das in seiner Anlage als wiegendes, siciliano-artiges Pastorale (im 12/8-Takt) auf barocke Vorbilder verweist, ohne jedoch eine tatsächliche Stilkopie Johann Sebastian Bachs darzustellen.
  • Nr. 2 Récit et Chœur „Et pastores erant/Gloria in altissimis Deo“. Die Engelsbotschaft ist einem Solistenquartett (Sopran, Alt, Tenor und Bariton) anvertraut, das nachfolgende Gloria dem Chor, wobei der zunächst einfache Satz durch Fugierungen an Komplexität gewinnt.
  • Nr. 3 Air „Expectans, expectavi Dominum“. Arie des Mezzosoprans.
  • Nr. 4 Air et Chœur „Domine, ego credidi/Qui in hunc mundum venisti“. Arie des Tenors im Wechsel mit dem geteilten Frauenchor.
  • Nr. 5 Duo „Benedictus, qui venit in nomine Domini“. Duett für Sopran und Bariton, in der Einleitung tritt erstmals die Harfe hervor.
  • Nr. 6 Chœur „Quare fremuerunt gentes“. Eine kurze dramatische Episode des Chores („Warum toben die Heiden“) wandelt sich rasch in eine feierlich-ruhige Anrufung der Dreifaltigkeit.
  • Nr. 7 Trio „Tecum principium“. Terzett (Sopran-, Tenor- und Baritonsolo), begleitet durch Figurationen der Harfe.
  • Nr. 8 Quatuor „Alleluia“. Solistenquartett (Sopran, Mezzosopran, Alt, Bariton).
  • Nr. 9 Quintette et Chœur „Consurge, Filia Sion“. Das Orchester greift die Pastoralmelodie des 1. Teils wieder auf, in die zunächst das Solistenquintett, dann auch der Chor einstimmen.
  • Nr. 10 Chœur „Tollite hostias“. Ein kurzer homophoner Schlusschor beschließt das Werk festlich.

Das in Frankreich häufig aufgeführte Werk hat auch im deutschen Sprachraum seit einigen Jahren zunehmend Eingang in das weihnachtliche Chorrepertoire gefunden und ist in mehreren CD-Einspielungen verfügbar (eine CD-Rezension von 2010 listet sieben Aufnahmen[2]).

Charakter des Werkes

Der Charakter des Oratorio de Noël ist überwiegend lyrisch-kontemplativ, was unter anderem in der historischen Einordnung und in der Analyse musikalischer Aspekte begründet liegt: Das Werk stammt aus einer Zeit, in der in der französischen Kirchenmusik allgemein der Fokus auf den Text und dessen Betrachtung, also auf Kontemplation, gelegt wurde.[3] Zusätzlich legte der katholische Saint-Saëns selbst mehr Wert auf religiöse Aspekte und deren Betrachtung als auf das "menschliche Drama" in den Bibeltexten.[4]

Die Rahmengegebenheiten des Werkes wie die kleine Besetzung, die häufig ruhigen Tempi und die insgesamt eher zurückhaltende Dynamik erzeugen ebenfalls eine besinnliche Grundstimmung.[5] Auch die einzelnen Sätze enthalten viele lyrische Aspekte: Beispiele dafür sind die klangteppichartigen Harfen-Arpeggien im siebten Satz oder das liebliche, von Dur-Klängen und gebundenen Viertel-Bewegungen geprägte zweite Thema des sechsten Satzes (ab Takt 48).[5]

Die Sätze 1 und 9 des Werkes sind in manchen Notenausgaben mit dem Zusatz pastorale überschrieben. Das Hirten-Thema, das sich durch die Verwendung in beiden pastorale-Sätzen wie ein Bogen um das ganze Werk spannt, wirkt durch die Verwendung von Quinten und Quarten sowie Zungenregistern in der Orgel schlicht und gefühlvoll.[5] Die Tatsache, dass Saint-Saëns seinem Werk wiederholt eine so schlichte Motivik verleiht und Dynamik und Besetzung eher zart hält, deutet schon darauf hin, dass das Oratorio de Noël tatsächlich auf stimmungsvolle Kontemplation, also religiöse Betrachtung, statt auf pompösen Lobpreis ausgerichtet ist. Doch nicht alle Sätze wirken durch ihre Motivik direkt beim ersten Hören so, weshalb dieser Charakter dem Werk nicht ohne genauere Analyse der einzelnen Sätze zugesprochen werden kann. Der sechste Satz beginnt zum Beispiel mit einem Abschnitt (Takt 1 bis 33), der durch das Fortissimo, das wilde Streicher-Ostinato und die vollgriffigen Orgel-Akkorde zwar lyrisch im Sinne von stimmungsvoll, aber nicht kontemplativ (in anderen Worten "besinnlich") wirkt.[5] Das Werk kann also nicht pauschal lyrisch-kontemplativ genannt werden, doch trotz der weniger besinnlichen Stellen kann man eine lyrisch-kontemplative Grundstimmung feststellen.

Literatur

  • Howard E. Smither: A History of the Oratorio. Vol. 4: The Oratorio in the Nineteenth and Twentieth Centuries. Univ. Of North Carolina Pr., Chapel Hill 2000, ISBN 0-8078-2511-5, S. 566 ff.
  • George P. Upton: The Standard Oratorios. A.C. McClurg and Company, Chicago 1896, S. 269 ff.; Textarchiv – Internet Archive.
  • Alfred Beaujean: CD-Beilage zu Capriccio LC 8748 (Saint-Saëns: Oratorio de Noël, Mendelssohn: Vom Himmel hoch; Dresdner Philharmonie, Dresdner Kreuzchor, Martin Flämig. 1987)

Einzelnachweise

  1. Brian Rees: Camille Saint-Saëns. A Life. Chatto & Windus, London 1999, ISBN 1-85619-773-5, S. 94 f.
  2. Michael Blümke, RONDO Ausgabe 6/2010
  3. Martin Loeser: Das Oratorium in Frankreich zwischen 1850 und 1914 (= Musikwissenschaftliche Publikationen. Band 34). Olms, Hildesheim 2011, ISBN 978-3-487-14216-6, S. 347.
  4. Stephen Studd: Saint-Saëns. A Critical Biography. Cygnus Arts, London 1999, ISBN 1-900541-65-3, S. 42 f.
  5. a b c d Camille Saint-Saëns: Oratorio de Noël. Hrsg.: Christina M. Stahl (= Bärenreiter Urtext. BA11304). Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle GmbH & Co. KG, Kassel 2021.