Alfred Naujocks

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Alfred Naujocks unmittelbar nach dem Überlaufen 1944

Alfred Helmut Naujocks (* 20. September 1911 in Kiel; † 4. April 1966 in Hamburg; alias Hans Müller, alias Alfred Bonsen, Rudolf Möbert) war ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der SS (SD).

Leben und Wirken

Leben bis 1939

Naujocks wurde 1911 als Sohn des Kaufmanns Richard Naujocks und seine Ehefrau Therese, geborene Pahlke, geboren. Ab 1917 besuchte er acht Jahre lang die Realschule, die er 1925 mit der Tertia in Kiel verließ. Anschließend begann er eine Feinmechaniker-Ausbildung.

Am 1. August 1931 trat Naujocks in die NSDAP und die Schutzstaffel (SS) ein. Aufgrund seiner Beteiligung an zahlreichen politischen Auseinandersetzungen, zumal Straßenkämpfe und Saalschlachten, wurde Naujocks bald als Schläger und Raufbold bekannt. Eine Kieler Zeitung bezeichnete ihn als „rauhen Kämpfer“.[1]

1934 wurde Naujocks dem von Reinhard Heydrichs geführten Sicherheitsdienst (SD) zugeteilt. Nachdem er anfangs als Fahrer und einfacher Mitarbeiter gearbeitet hatte, wurde er schon bald mit Spezialaufträgen betraut: 1935 reiste er mit Werner Göttsch in die Tschechoslowakei, wo die beiden gemeinsam den Ingenieur Rudolf Formis ermordeten, einem Mitarbeiter der Schwarzen Front, der von der Tschechoslowakei aus einen Radiosender betrieb, der antinazistische Propaganda ins Deutsche Reich aussendete. 1937 wechselte Naujocks in den SD-Auslandsnachrichtendienst. Von 1939 bis Anfang 1941 war er Leiter einer Amtsgruppe des SD-Auslandsnachrichtendienstes: Nachrichtenübermittlung und nachrichtentechnischer Einsatz im Ausland (1939: Amt VI J, Anfang 1940 umbenannt in Amt VI B). Dort war er unter anderem mit der Beschaffung falscher Pässe, Ausweise und Banknoten für im Dienst des SD stehende Agenten im Ausland beauftragt. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges kam er auf die Idee, die britische Wirtschaft mit gefälschten Banknoten zu überschwemmen und war bis zu seiner Ablösung für die Herstellung der Blüten verantwortlich (Aktion Bernhard).

Der Angriff auf den Sender Gleiwitz

Eigenen Angaben bei den Nachkriegsverhören zufolge erhielt Naujocks am Abend des 31. August 1939 von Heydrich den Befehl, einen fingierten „polnischen” Überfall auf den Sender Gleiwitz durchzuführen. In einer Erklärung vom 20. November 1945, die von einem Naujocks verhörenden US-Offizier maschinell unterzeichnet wurde, ist folgender Sachverhalt festgehalten:

„Ungefähr am 10. August 1939 befahl mir Heydrich, der Chef der Sipo und des SD, persönlich, einen Anschlag auf die Radiostation bei Gleiwitz in der Nähe der polnischen Grenze vorzutäuschen und es so erscheinen zu lassen, als wären Polen die Angreifer gewesen… Wir nahmen die Radiostation wie befohlen, hielten eine drei oder vier Minuten lange Rede über einen Notsender, schossen einige Pistolenschüsse ab und verließen den Platz.“

Dies soll den Vorwand für den zweiten Weltkrieg gebildet haben, den Adolf Hitler am 1. September mit den Worten „Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen!” de facto verkündete[2], jedoch ohne auf diesen Zwischenfall einzugehen.

Zweiter Weltkrieg

Am 9. November 1939 war Naujocks am Venlo-Zwischenfall beteiligt. Dabei ging es um die Entführung von zwei britischen MI6-Agenten in der niederländischen Stadt Venlo. Der Venlo-Zwischenfall machte weite Teile des britischen Spionagenetzes in West- und Mitteleuropa nahezu wertlos. Er führte zum Rücktritt des niederländischen Geheimdienstchefs und lieferte Hitler im Mai 1940 einen Vorwand für den Einmarsch in die Niederlande.

Ihm wird im Dezember 1939 die Initiative des Unternehmen Bernhard zugeschrieben, bei dem im KZ-Sachsenhausen hergestellte falsche Pfundnoten zur Destabilisierung des Englischen Wirtschaftsraumes dienen sollten. Zu diesem Zeitpunkt war Naujocks Chef der Gruppe Technik (IV F) des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA). Er soll dabei dieses Fälschungsprojekt Reinhard Heydrich, dem zweithöchsten Mann in der SS-Hierarchie persönlich vorgeschlagen haben.

1941 wurde er aus dem SD entlassen und wegen Korruptionsvorwürfen zu einem einfachen Soldaten der Waffen-SS degradiert. Mit der Waffen-SS kam er an die Ostfront in ein Artillerieregiment der Leibstandarte SS Adolf Hitler. 1942 wurde er wegen Magengeschwüren aus der Waffen-SS entlassen. Er war daraufhin in der Wirtschaftsverwaltung der deutschen Besatzer in Belgien tätig. Dort war er mit der Kontrolle des Schwarzmarktes beauftragt.

Anfang 1944 war er mehrmals in Dänemark. Hier war er einer der beiden Führer der so genannten Petergruppe. Ein weiterer Führer war Otto Schwerdt. Im Rahmen des so genannten „Gegenterrors“ wurden über 100 Dänen ermordet.

Am 19. Oktober 1944 lief Alfred Naujocks in der Eifel über und wurde von amerikanischen Soldaten gefangen genommen. Schon bald nach seiner Gefangennahme wurde er nach Großbritannien gebracht. Dort wurde er in dem bei London gelegenen Vernehmungslager Camp 20 von M.I.5 mehrere Monate intensiv verhört.

Nachkriegszeit

Ende August 1945 wurde er von Großbritannien nach Deutschland gebracht und der Anklagevertretung des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg übergeben. Mehrere seiner Aussagen gingen in die Nürnberger Prozesse ein. 1946 konnte er für kurze Zeit aus einem Internierungslager in Nürnberg fliehen. Er wurde verhaftet und 1947 an Dänemark ausgeliefert. Dort wurde er in einem der großen Kriegsverbrecherprozesse wegen der Ermordung dänischer Widerstandskämpfer angeklagt und in zweiter Instanz zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Aufgrund des überaus milden Vorgehens der dänischen Justiz gegen deutsche Kriegsverbrecher wurde er bereits 1950 freigelassen. Auch die anderen in Dänemark Verurteilten, darunter auch der frühere Reichsbevollmächtigte Werner Best, mussten ihre Strafe nicht voll absitzen. Naujocks Haftentlassung war damit kein ihm allein gewährtes Privileg, sondern eine unmittelbare Folge der dänischen Rechtspraxis.

Naujocks ließ sich 1952 in Hamburg nieder, wo er als Geschäftsmann lebte. Seit Ende der 1950er Jahre ermittelten mehrere bundesdeutsche Staatsanwaltschaften wegen einer ganzen Reihe von Verbrechen gegen ihn. Keines der Ermittlungsverfahren führte zu einer Anklage. Naujocks starb am 4. April 1966 in Hamburg. Das in der älteren Literatur genannte Todesjahr 1960 ist falsch.

Literatur

  • Florian Altenhöner: Der Mann, der den 2. Weltkrieg begann. Alfred Naujocks: Fälscher, Mörder, Terrorist, Prospero Verlag, Münster / Berlin 2010. ISBN 978-3-941688-10-0
  • Günter Peis: The Man Who Started The War, London 1960.
  • Jürgen Runzheimer: „Die Grenzzwischenfälle am Abend vor dem deutschen Angriff auf Polen“, in: Wolfgang Benz/ Hermann Graml, (Hrsg.): Sommer 1939. Die Großmächte und der europäische Krieg, Stuttgart 1979, S. 107-47.
  • Alfred Spieß/ Heiner Lichtenstein: Unternehmen Tannenberg. Der Anlaß zum Zweiten Weltkrieg, Frankfurt/ Main 1989.
  • Shraga Elam: Hitlers Fälscher. Wie jüdische, amerikanische und Schweizer Agenten der SS beim Falschgeldwaschen halfen. Wien 2000

Einzelnachweise

  1. Schleswig-Holsteinische Volkszeitung vom 16. Dezember 1932.
  2. Adolf Hitler: Reichstagsrede mit Kriegserklärung an Polen vom 01.09.1939. Nationalsozialismus.de, abgerufen am 19. September 2010.