Antikörper-Oligonukleotid-Konjugat

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Schematische Struktur eines Antikörper-Oligonukleotid Konjugats

Antikörper-Oligonukleotid-Konjugate oder AOCs gehören zu einer Klasse chimärer Moleküle, die in ihrer Struktur zwei wichtige Familien von Biomolekülen kombinieren: monoklonale Antikörper (mAb) und Oligonukleotide (ON). Die Kombination der Targeting-Fähigkeiten monoklonaler Antikörper mit den zahlreichen funktionellen Modalitäten von Oligonukleotiden hat sich für eine Vielzahl von Anwendungen mit AOC als nützlich erwiesen, darunter Bildgebung, Detektion und zielgerichtete Therapeutika.[1][2][3]

Die größte Hürde auf dem Weg zu erfolgreichen ON-Therapeutika ist die Zellaufnahme bzw. -internalisierung. Im Gegensatz zu den meisten niedermolekularen Arzneimitteln wird eine unkomplizierte Aufnahme durch das polyanionische Grundgerüst und die Molekülgröße der ONs behindert. In Anlehnung an die breite und erfolgreiche Klasse der Antikörper-Wirkstoff-Konjugate werden Antikörper und Antikörperanaloga in der Forschung immer häufiger eingesetzt, um die Hürden bei der Verabreichung und Internalisierung von ON-Therapeutika zu überwinden. Durch die Nutzung der Biokonjugationsmethodik wurden mehrere Konjugate hergestellt.

Entwicklung Antikörper-Oligonukleotid-Konjugate[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Über das erste AOC wurde 1995 berichtet, als die Lysine eines Transferrin-Antikörpers mit Hilfe eines bifunktionellen SMCC-Linkers (NHS-Ester und Maleimid-Funktionalität) mit radiomarkierten und Cys-tragenden ASOs verbunden wurden, die auf HIV-mRNA abzielen.[4] Ein weiteres heterogenes Konstrukt, das auf derselben Chemie basierte, aber eine siRNA anstelle eines ASOs enthält, wurde 2011 entwickelt.[5] Im Jahr 2013 markierten MYERS and coworkers einen Anti-CD19-Antikörper unspezifisch mit N-Succinimidyl-3-(2-pyridyl-dithio)-propionat, um Disulfidbindungen mit einem cys-modifizierten ASO zu bilden, die auf die mRNA des Onkoproteins E2A-PBX1 zielen.[6] Letztlich konnten sie in-vivo Antitumoreffekte nachweisen, die mit den einzelnen Entitäten nicht erzielt wurden.[7] Im gleichen Zeitraum wurden mehrere Antikörper in Kombination mit Nanopartikeln und in nicht-kovalenten Strategien für die Verabreichung von ON entwickelt.[8][9][10]

Erste Beispiele für eine (orts)selektive Konjugation zwischen einem ON-Therapeutikum und einem mAb sind in der Literatur veröffentlicht: 2015 nutzte Genentech den SMCC-Linker zur Konjugation von siRNA mit mehreren modifizierten mAb auf der Grundlage der firmeneigenen Thiomab-Technologie, die die ortsspezifische Einführung eines Cysteins in die Antikörpersequenz ermöglicht.[11] Sie konnten die Funktionalität beider Entitäten in dem Konstrukt nachweisen und durch das Screening verschiedener Antikörper deren Bedeutung für eine wirksame Antisense-Wirkung validieren. Das Hauptproblem, auf das sie stießen, war ein begrenztes endosomales Entweichen, aber schließlich wurde über ein funktionelles Konstrukt berichtet, das in vivo eine Antisense-Wirkung zeigt. Nach der Entwicklung der SMCC-basierten Konjugate wurden in der Literatur zwei Konstrukte auf der Grundlage von ringspannungs-katalysierten Alkin-Azid-Cycloadditionen beschrieben: ein MXD3 mRNA-Targeting-Gapmer (cEt- und PS-modifiziert) in Verbindung mit einem Anti-CD22-Antikörper, der auf preB-Zellen abzielt, führt in vitro zur Apoptose der Zielzellen und in vivo zu einer längeren Überlebensdauer von Mäusen in Xenotransplantationsmodellen. Eine für die gleiche therapeutische Wirkung erforderliche Dosis bei dem entwickelten Konjugat war 20-mal niedriger (im Vergleich zu einem nackten mAb).[12] Ein anderes berichtetes Konjugat, das dieselbe unselektive Konjugationschemie nutzt, verwendet einen CD44- bzw. EphA2-Antikörper, der kovalent ein therapeutisch irrelevantes "Sense-Carrier"-Oligonukleotid trägt.[13] Dieses Oligonukleotid bildet Basenpaare mit dem eigentlichen Antisense-Oligonukleotid (Gapmer mit Phosphorothioat-Bindungen und 2'-Desoxy-2'-fluor-beta-D-arabinonukleinsäure-Modifikationen und einem endständigen Fluorophor).[13][14][1]

Antikörper Analoga-Oligonukleotid-Konjugate[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Trotz ihres Potenzials haben ADCs und AOCs einen Nachteil in Form der physikalischen Größe des Antikörpers (mAb) (150 kDa), welche das Eindringen in solide Tumore (zumindest bei niedrigen Konzentrationen) begrenzt. Darüber hinaus ist eine ortsspezifische Biokonjugation des Antikörpers kaum möglich: Aufgrund der schwierigen Herstellung von mAbs ist die selektive Einführung einer unnatürlichen Aminosäure in das Protein nicht ohne weiteres möglich, was letztendlich eine orthogonale Konjugation nicht ermöglicht.[15]

Deshalb wird intensiv an der Nutzung von Antikörperanaloga und -fragmenten geforscht, die die hohe Zielspezifität beibehalten, aber eine geringere Größe haben und eine größere Möglichkeit der Modifizierung bieten. Nanobodies zum Beispiel sind natürliche Single-Domain-Antikörper, die in Kameliden vorkommen und eine durchschnittliche Masse von 15 kDa haben. Im Vergleich zu mAbs weisen sie eine höhere Stabilität, Löslichkeit und Gewebepenetration auf.[15][16][17]

Ein Konjugat, das aus einem EGFR-Nanokörper und einer siRNA besteht, die durch Maleimid-Biokonjugation kombiniert werden, beweist die Möglichkeit einer erfolgreichen Lieferung von ONs durch Nanobodies.[18]

Ein weiteres Beispiel ist ein Anti-CD71-Fab-Fragment, das mit einer Maleimid-haltigen siRNA konjugiert wurde (die ihrerseits 2'OMe/2'F-Modifikationen und Phosphorothioat-Verknüpfungen aufweist). Es wurden verschiedene (spaltbare und nicht spaltbare) Linker zwischen dem Maleimid-Rest und der siRNA untersucht, wobei sich herausstellte, dass dies nur einen geringen Einfluss auf die Wirksamkeit hat (nicht spaltbare Bindungen führen zu den besten Ergebnissen). Um die geringe Größe des Fab-Fragments auszunutzen, wurde die subkutane Verabreichung in Mausmodellen untersucht, was zu gleichwertigen Silencing-Ergebnissen im Vergleich zur intravenösen Verabreichung führte. Im Vergleich zu anderen mAb-siRNA-Konjugaten vermuten die Autoren, dass das endosomale Entweichen durch die geringere Größe des Fab-Fragments (im Vergleich zum mAb-Fragment) weitgehend erleichtert wird.[19]

Darüber hinaus werden Nanokörper-ON-Konjugate in der Forschung intensiv für Bildgebungszwecke entwickelt, wobei die geringe Größe der Nanokörper zur Verringerung der Bildgebungsverschiebung ausgenutzt wird.[20][21]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Igor Dovgan, Oleksandr Koniev, Sergii Kolodych, Alain Wagner: Antibody–Oligonucleotide Conjugates as Therapeutic, Imaging, and Detection Agents. In: Bioconjugate Chemistry. Band 30, Nr. 10, 16. Oktober 2019, ISSN 1043-1802, S. 2483–2501, doi:10.1021/acs.bioconjchem.9b00306.
  2. Arthur A. Levin: Targeting Therapeutic Oligonucleotides. In: New England Journal of Medicine. Band 376, Nr. 1, 5. Januar 2017, ISSN 0028-4793, S. 86–88, doi:10.1056/NEJMcibr1613559.
  3. Johannes Winkler: Oligonucleotide conjugates for therapeutic applications. In: Therapeutic Delivery. Band 4, Nr. 7, 1. Juli 2013, ISSN 2041-5990, S. 791–809, doi:10.4155/tde.13.47, PMID 23883124, PMC 3787477 (freier Volltext).
  4. Ian Walker, William J. Irwin, Saghir Akhtar: Improved Cellular Delivery of Antisense Oligonucleotides Using Transferrin Receptor Antibody-Oligonucleotide Conjugates. In: Pharmaceutical Research. Band 12, Nr. 10, 1. Oktober 1995, ISSN 1573-904X, S. 1548–1553, doi:10.1023/A:1016260110049.
  5. Yuelong Ma, Claudia M. Kowolik, Piotr M. Swiderski, Marcin Kortylewski, Hua Yu, David A. Horne, Richard Jove, Otavia L. Caballero, Andrew J. G. Simpson, Fook-Thean Lee, Vinochani Pillay, Andrew M. Scott: Humanized Lewis-Y Specific Antibody Based Delivery of STAT3 siRNA. In: ACS Chemical Biology. Band 6, Nr. 9, 16. September 2011, ISSN 1554-8929, S. 962–970, doi:10.1021/cb200176v, PMID 21766840, PMC 3831028 (freier Volltext).
  6. Ke Zhang, Liangliang Hao, Sarah J. Hurst, Chad A. Mirkin: Antibody-Linked Spherical Nucleic Acids for Cellular Targeting. In: Journal of the American Chemical Society. Band 134, Nr. 40, 10. Oktober 2012, ISSN 0002-7863, S. 16488–16491, doi:10.1021/ja306854d, PMID 23020598, PMC 3501255 (freier Volltext).
  7. Fatih M. Uckun, Sanjive Qazi, Ilker Dibirdik, Dorothea E. Myers: Rational design of an immunoconjugate for selective knock-down of leukemia-specific E2A–PBX1 fusion gene expression in human Pre-B leukemia. In: Integrative Biology. Band 5, Nr. 1, 18. September 2012, ISSN 1757-9708, S. 122–132, doi:10.1039/c2ib20114c.
  8. Nicole Bäumer, Neele Appel, Lisa Terheyden, Frank Buchholz, Claudia Rossig, Carsten Müller-Tidow, Wolfgang E. Berdel, Sebastian Bäumer: Antibody-coupled siRNA as an efficient method for in vivo mRNA knockdown. In: Nature Protocols. Band 11, Nr. 1, Januar 2016, ISSN 1750-2799, S. 22–36, doi:10.1038/nprot.2015.137.
  9. Sebastian Bäumer, Nicole Bäumer, Neele Appel, Lisa Terheyden, Julia Fremerey, Sonja Schelhaas, Eva Wardelmann, Frank Buchholz, Wolfgang E. Berdel, Carsten Müller-Tidow: Antibody-Mediated Delivery of Anti–KRAS-siRNA In Vivo Overcomes Therapy Resistance in Colon Cancer. In: Clinical Cancer Research. Band 21, Nr. 6, 12. März 2015, ISSN 1078-0432, S. 1383–1394, doi:10.1158/1078-0432.ccr-13-2017.
  10. Erwei Song, Pengcheng Zhu, Sang-Kyung Lee, Dipanjan Chowdhury, Steven Kussman, Derek M. Dykxhoorn, Yi Feng, Deborah Palliser, David B. Weiner, Premlata Shankar, Wayne A. Marasco, Judy Lieberman: Antibody mediated in vivo delivery of small interfering RNAs via cell-surface receptors. In: Nature Biotechnology. Band 23, Nr. 6, Juni 2005, ISSN 1546-1696, S. 709–717, doi:10.1038/nbt1101.
  11. Trinna L. Cuellar, Dwight Barnes, Christopher Nelson, Joshua Tanguay, Shang-Fan Yu, Xiaohui Wen, Suzie J. Scales, Julie Gesch, David Davis, Anja van Brabant Smith, Devin Leake, Richard Vandlen, Christian W. Siebel: Systematic evaluation of antibody-mediated siRNA delivery using an industrial platform of THIOMAB–siRNA conjugates. In: Nucleic Acids Research. Band 43, Nr. 2, 30. Dezember 2014, ISSN 1362-4962, S. 1189–1203, doi:10.1093/nar/gku1362.
  12. Noriko Satake, Connie Duong, Sakiko Yoshida, Michael Oestergaard, Cathy Chen, Rachael Peralta, Shuling Guo, Punit P. Seth, Yueju Li, Laurel Beckett, Jong Chung, Jan Nolta, Nitin Nitin, Joseph M. Tuscano: Novel Targeted Therapy for Precursor B-Cell Acute Lymphoblastic Leukemia: Anti-CD22 Antibody-MXD3 Antisense Oligonucleotide Conjugate. In: Molecular Medicine. Band 22, Nr. 1, Januar 2016, ISSN 1528-3658, S. 632–642, doi:10.2119/molmed.2015.00210, PMID 27455414, PMC 5082301 (freier Volltext).
  13. a b Amy E. Arnold, Elise Malek-Adamian, Phuong U. Le, Anika Meng, Saúl Martínez-Montero, Kevin Petrecca, Masad J. Damha, Molly S. Shoichet: Antibody-Antisense Oligonucleotide Conjugate Downregulates a Key Gene in Glioblastoma Stem Cells. In: Molecular Therapy - Nucleic Acids. Band 11, 1. Juni 2018, ISSN 2162-2531, S. 518–527, doi:10.1016/j.omtn.2018.04.004, PMID 29858087, PMC 5992475 (freier Volltext).
  14. Kevin Craig, Marc Abrams, Mansoor Amiji: Recent preclinical and clinical advances in oligonucleotide conjugates. In: Expert Opinion on Drug Delivery. Band 15, Nr. 6, 3. Juni 2018, ISSN 1742-5247, S. 629–640, doi:10.1080/17425247.2018.1473375, PMID 29727206.
  15. a b Katja Škrlec, Borut Štrukelj, Aleš Berlec: Non-immunoglobulin scaffolds: a focus on their targets. In: Trends in Biotechnology. Band 33, Nr. 7, 1. Juli 2015, ISSN 0167-7799, S. 408–418, doi:10.1016/j.tibtech.2015.03.012, PMID 25931178.
  16. BO VAHLQUIST, ARVID WALLGREN: Nils Rosén von Rosenstein and His Textbook of Pædiatrics. In: Acta Paediatrica. Band 53, Nr. 5, September 1964, ISSN 0803-5253, S. 482–482, doi:10.1111/j.1651-2227.1964.tb07256.x.
  17. Rodrigo Vazquez-Lombardi, Tri Giang Phan, Carsten Zimmermann, David Lowe, Lutz Jermutus, Daniel Christ: Challenges and opportunities for non-antibody scaffold drugs. In: Drug Discovery Today. Band 20, Nr. 10, Oktober 2015, ISSN 1359-6446, S. 1271–1283, doi:10.1016/j.drudis.2015.09.004.
  18. Oleksandr Zavoiura, Bodo Brunner, Peter Casteels, Luciana Zimmermann, Matthias Ozog, Carlo Boutton, Mike W. Helms, Timothy Wagenaar, Volker Adam, Josefine Peterka, Christiane Metz-Weidmann, Pieter Deschaght, Sabine Scheidler, Kerstin Jahn-Hofmann: Nanobody–siRNA Conjugates for Targeted Delivery of siRNA to Cancer Cells. In: Molecular Pharmaceutics. Band 18, Nr. 3, 14. Januar 2021, ISSN 1543-8384, S. 1048–1060, doi:10.1021/acs.molpharmaceut.0c01001.
  19. Tsukasa Sugo, Michiko Terada, Tatsuo Oikawa, Kenichi Miyata, Satoshi Nishimura, Eriya Kenjo, Mari Ogasawara-Shimizu, Yukimasa Makita, Sachiko Imaichi, Shumpei Murata, Kentaro Otake, Kuniko Kikuchi, Mika Teratani, Yasushi Masuda, Takayuki Kamei, Shuichi Takagahara, Shota Ikeda, Tetsuya Ohtaki, Hirokazu Matsumoto: Development of antibody-siRNA conjugate targeted to cardiac and skeletal muscles. In: Journal of Controlled Release. Band 237, 10. September 2016, ISSN 0168-3659, S. 1–13, doi:10.1016/j.jconrel.2016.06.036.
  20. Tim Hebbrecht, Jing Liu, Olivier Zwaenepoel, Gaëlle Boddin, Chloé Van Leene, Klaas Decoene, Annemieke Madder, Kevin Braeckmans, Jan Gettemans: Nanobody click chemistry for convenient site-specific fluorescent labelling, single step immunocytochemistry and delivery into living cells by photoporation and live cell imaging. In: New Biotechnology. Band 59, 25. November 2020, ISSN 1871-6784, S. 33–43, doi:10.1016/j.nbt.2020.05.004.
  21. Shama Sograte-Idrissi, Nazar Oleksiievets, Sebastian Isbaner, Mariana Eggert-Martinez, Jörg Enderlein, Roman Tsukanov, Felipe Opazo: Nanobody Detection of Standard Fluorescent Proteins Enables Multi-Target DNA-PAINT with High Resolution and Minimal Displacement Errors. 19. Dezember 2018, doi:10.1101/500298.