Benutzer:Elmar Nolte/Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium Osnabrück

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Elmar Nolte/Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium Osnabrück
Schulform Gymnasium
Gründung 1867
Adresse Knollstr. 143, 49088 Osnabrück
Land Niedersachsen
Staat Deutschland
Schüler etwa 800
Lehrkräfte etwa 80
Leitung Uta Wielage
Website ema-os.de
Fassade ehem. Realgymnasium, Lotter Straße 6, Osnabrück
Realgymnasium Osnabrück um 1910
Otto Fischer (1826-1913), 1. Direktor des Realgymnasiums Osnabrück 1867-1899
Realgymnasium OS, Lehrerkollegium 1925

Das Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium Osnabrück, kurz „EMA“, ist ein Gymnasium in Osnabrück. Es wurde 1867 als Städtische Realschule 2. Ordnung gegründet, ist seit 1882 ein Gymnasium und wurde 1957 nach Ernst Moritz Arndt genannt. Seit 1980 gehört es zum heutigen „Schulzentrum Sonnenhügel“.

  • 1867-1869 Städtische Realschule 2. Ordnung
  • 1869-1882 Städtische Realschule 1. Ordnung
  • 1882-1886 Städtisches Realgymnasium
  • 1886-1894 Staatliches Königliches Realgymnasium
  • 1894-1918 Königliches Reformrealgymnasium mit Realschule
  • 1918-1932 Staatliches Reformrealgymnasium mit Realschule
  • 1932-1937 Staatliches Reformrealgymnasium mit Oberrealschule
  • 1937-1941 Deutsche Oberschule
  • 1941-1954 Staatliche Oberschule für Jungen
  • 1954-1957 Städtische Oberschule für Jungen
  • seit 1957 Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium,
  • seit 1972 für Jungen und Mädchen,
  • seit 1980 im „Schulzentrum Sebastopol“ an der Knollstraße;
  • dieses wurde 2007 umbenannt in „Schulzentrum Sonnenhügel“

Der Geburtstag der Schule: 28. Oktober 1867

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„Am 28. October, Morgens 9 Uhr, ward … die Realschule durch einen feierlichen Act eröffnet.“ 1867 wurde die Schule auf Veranlassung des damaligen Oberbürgermeisters (und späteren preußischen Finanzministers) Johannes von Miquel gegründet. Von ihm ist der Satz überliefert: „Kein Kapital trägt bessere Zinsen als der Aufwand für gute Schulen“[1] – eine bemerkenswert klare Aussage, von bestechender Aktualität auch noch 150 Jahre später.

Zwar gab es in der Stadt bereits das Gymnasium Carolinum und das Ratsgymnasium. „Die Stadt Osnabrück hat sich … in gewerblicher und commercieller (sic) Hinsicht günstig entwickelt; diesem Erblühen der Stadt entsprang der lebhafte Wunsch eines großen Theiles der Bürgerschaft, wie benachbarte altpreußische Städte, eine selbständige Realschule zu besitzen. (…) Am 16. Februar 1867 beschlossen beide städtische Collegien dem Vorschlage der Commission entsprechend eine communale Realschule für Protestanten und Katholiken … ins Leben zu rufen,“ mit der Besonderheit, dass „nur der Unterricht in der Religion und der Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit nach Confessionen ertheilt werden sollte,“ schreibt Gründungsdirektor Dr. Otto Fischer in seinem Jahresbericht 1868 [2].

Die neu gegründete Schule stellt sich ausdrücklich über die Konfessionen, soweit ihr das möglich ist, und überlässt diese Streitigkeiten den Kirchen. Sicherlich liegt in dieser, wie man damals sagte, „freigeistigen“ Haltung der Grund, weshalb verhältnismäßig viele jüdische Schüler aufgenommen werden konnten. Die folgende Tabelle verdeutlicht dies:

  • Schuljahr 1873/74 74/75 75/76 76/77 77/78 78/79
  • zusammen 418 417 392 385 378 374
  • Kath. 41 42 46 44 40 37
  • Ev. 393 361 338 328 339 316
  • Jüd. 11 14 8 12 15 21
  • Auswärtige 115 121 131 131 146 144

1878/79 bewegt sich der Anteil jüdischer Schüler mit rund 8% eher auf dem Niveau dessen der Katholiken mit 13%. Auf den hohen Anteil auswärtiger Schüler, die meist in Privatpensjonen untergebracht waren, wenn sie nicht als „Fahrschüler“ nach Unterrichtsende nach Hause fahren konnten, soll hier hingewiesen werden. (Nebenbei: Auch 2017 unterrichtet das EMA eine Vielzahl von Schülern aus dem Landkreis – viele kommen als ehemalige Realschulabsolventen ganz aus Bad Rothenfelde und Melle.)

So gesehen ist diese Gründung durchaus als Ergänzung, wenn nicht als Gegengewicht zu den überwiegend katholisch bzw. protestantisch geprägten Schulen Gymnasium Carolinum und Ratsgymnasium zu sehen. Deren humanistischem Bildungsideal mit dem Schwerpunkt auf Alten Sprachen und Geisteswissenschaften stellte Miquel eine Schule mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt zur Seite und gab so Jungen aus Handwerker-, Kleinhändler- und Industriearbeiterfamilien – heute spräche man von „bildungsfernen Schichten“ – die Möglichkeit zu höherer Bildung. (Dies wirkt bis weit ins 20. Jahrhundert hinein und sogar bis heute, aber davon später mehr. Ein Absolvent des Abiturjahrgangs 1947, viele Jahrzehnte lang als Anwalt niedergelassen, erzählte mir, dass ihm, dem Sohn eines Handwerkers, an dieser Schule die Unsicherheit und Scheu im Umgang mit Akademikern genommen worden sei. Schüler des Carolinum beispielsweise hätten keine Schwierigkeiten gehabt, der Frau eines Professors oder Arztes in der gebotenen Form zu begegnen, er von Hause aus sehr wohl. Diesen sozialen Nachteil gegenüber bildungsbürgerlichen Schichten habe er dank seinen Lehrern an der Lotter Straße ausgleichen können.)

Und so wurde die neue Schule denn auch als „Städtische Realschule 2. Ordnung“ eingerichtet, „da andernfalls diejenigen Schüler sämmtlich (sic) vom Besuche der Anstalt ausgeschlossen sein würden, welche bislang in der lateinischen Sprache gar nicht, oder nicht genügend unterrichtet waren“[3] (Fischer), die Umwandlung in eine Realschule erster Ordnung mit Lateinunterricht ab Kl. 6 bleibe aber im Blick, und sie wurde 1869 vollzogen.

Das Kalkül ging auf, und die Anmeldezahlen übertrafen die Erwartungen des Schulleiters: „Die Klassen waren von vornherein zum Theil sehr stark besetzt, namentlich waren die Anmeldungen für die Sexta (die Eingangsklasse; h.b-w) so zahlreich, daß der Unterzeichnete beim Magistrate um so mehr eine Theilung der Klasse … zu beantragen für Pflicht hielt …“ [4]. Nun waren wesentlich mehr Stunden zu erteilen als vorhergesehen. Das wurde von den Lehrern aufgefangen, und für den Unterricht wurden Privaträume angemietet. „Außer dem Gesangsunterrichte mußte auch der katholische Religionsunterricht für die oberen Klassen ausfallen, da der Herr Bischof von Osnabrück dem Gesuche des Magistrats, einen Geistlichen zu dessen Ertheilung zu desgnieren, nicht entsprach. „Am 28. October, Morgens 9 Uhr, ward, wie schon erwähnt, die Realschule durch einen feierlichen Act eröffnet.“[5]

[1] Kaufmann, a.a.O., S-17

[2] Otto Fischer, Erstes Programm der Realschule der Stadt Osnabrück. Osnabrück 1868, S. 1

[3] ebd.

[4] ebd.

[5] ebd.

H. Brammer-Willenbrock


Die Anfänge der Schule

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Angesichts der heftigen Kontroversen, die der Gründung dieser Schule im Jahre 1867 vorausgehen beziehungsweise sie begleiten, fällt es nicht leicht, den historischen Rahmen abzustecken, in dem dies alles sich vollzieht, denn die Errichtung dieser „Realschule 2. Ordnung“, wie es zunächst heißt, fällt ja in eine Epoche, die für die Zeitgenossen mit Blick auf den deutschen Einigungsprozeß in hohem Maße brisant ist, und er vollzieht sich zudem in einem Gemeinwesen, dessen konfessionelle Struktur seit der Reformationszeit Anlaß zu tiefen Spannungen innerhalb der Bevölkerung gibt, Vergegenwärtigen wir uns: 1867 ist das Jahr, in dem der Norddeutsche Bund gebildet wird. Es ist das Jahr, in dem die Annexion des Königsreichs Hannover und damit auch der Stadt Osnabrück durch Preußen erst wenige Monate zurückliegt. Es ist das Jahr, in dem manchem Bürger wohl erst die Tragweite des ein Jahr zuvor Geschehenen aufgeht, wenn überhaupt: Sieg Preußens über Österreich, Ende des hundertjährigen Dualismus zwischen beiden Großmächten, vor allem aber Ende des jahrhundertelangen Einflusses des katholischen Hauses Habsburg auf die Reichsgeschichte. Stattdessen Bildung eines Bundes, der nördlich der Mainlinie Zweidrittel des späteren Zweiten Deutschen Kaiserreiches unter Führung des protestantischen Herrscherhauses der Hohenzollern mit der Hauptstadt Berlin umfaßt.

Allerdings erfaßt mancher Zeitgenosse die Bedeutung des bei Königgrätz am 3. Juli 1866 errungenen Sieges der preußischen Armeen unmittelbar, unter ihnen der damalige Kardinalstaatssekretär des Vatikans, gewissermaßen dessen Außenminister, Giacomo Antonelli. Dieser reagiert äußerst betroffen auf die Schreckensnachricht von der Niederlage Österreichs, indem er ausruft: „Casa il mondo!“ – Die Welt stürzt ein![1]Antonelli meint ganz offensichtlich, daß der Triumph des protestantisch geprägten Preußens über die Schutzmacht der katholischen Kirche, über die apostolische Majestät, einer Katastrophe gleichkommt, womit er aus seiner Sicht gewiß recht hat.

Wie anders hingegen die Reaktion vieler Osnabrücker, die in den Monaten nach dieser denkwürdigen Schlacht regelrecht um Aufnahme in den preußischen Staatsverband bitten – ähnlich wie Ostfriesland -, noch ehe die Annexion Hannovers durch Preußen endgültig beschlossen ist! Ein bemerkenswerter Vorgang, bedenkt man einerseits die Animosität des Welfenhauses gegenüber Preußen und andererseits die Tatsache, daß das Fürstbistum Osnabrück seit dem Westfälischen Frieden 1648 eine Reihe evangelischer Bischöfe aus dem Welfenhaus kennengelernt hatte.

Wie also ist dieser Vorgang zu erklären? Lembcke nennt in seiner Arbeit als Ursachen für die Reserve gegenüber Hannover folgende Aspekte: zweimaliger Verfassungsbruch der Krone, Einrichtung einer königlichen Polizeidirektion in der Stadt und Nichtbestätigung gewählter Magistratsmitglieder. Der Autor spricht überhaupt von einem „Antihannoverismus“ der Osnabrücker, nachdem 1813 das Fürstbistum seine Eigenstaatlichkeit verliert und die städtischen Hoheitsrechte beschnitten werden. Hinzu kommt wohl auch das Befremden des evangelischen Bevölkerungsteils darüber, daß das Welfenhaus 1857 die Wiederherstellung des Bistums Osnabrück, das 1803 im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses säkularisiert worden ist, mit ermöglicht.

Was letzteres für das gespannte konfessionelle Klima in der Stadt bedeutet, zeigt gerade auch der Kampf um die Neugründung einer simultanen, das heißt beiden Konfessionen offenstehenden Bildungsanstalt, um die es hier vornehmlich zu gehen hat, Die führenden Schichten des Bürgertums sind liberal gesonnen, schließlich auch national. Kein Wunder also, daß als Nachfolger des konservativen, eher ruhigen Stüve der selbstbewußte, der liberalen Bewegung verbundene Johannes Miquel, damals erst 37 Jahre alt, zum neuen Bürgermeister gewählt wird, und zwar am 12. Januar 1865. Es fällt nicht allzu schwer, sich vorzustellen, welche Reaktion diese Wahl in den bischöflichen Kanzleistuben ausgelöst haben wird. Denn erst wenige Wochen zuvor war zusammen mit der Enzyklika „Quanta cura“ ein Katalog von 80 Zeitirrtümern hinsichtlich der Säkularisierung des geistigen und politischen Lebens erschienen. Dieser Syllabus errorum richtet sich unter anderem auch gegen den Liberalismus, wie überhaupt Papst Pius IX. (1846-1878) liberalen und demokratischen Ideen höchst ablehnend gegenüberstand. Nicht von ungefähr fällt in die Amtszeit dieses Papstes auch das umstrittene Unfehlbarkeitsdogma.

Festzuhalten ist jedenfalls, daß viele Osnabrücker, darunter durchaus auch moderner eingestellte Katholiken, den ortsfremden Miquel begeistert empfangen. Zahlreiche Häuser zeigen sich bei dessen Ankunft sogar in schwarz-rot-goldenem Flaggenschmuck. Wie würde dieser neue Mann eine Stadt leiten, deren mittelalterlicher Kern kaum verändert ist, deren Wälle und Gräben noch bestehen, die im Grunde eine kleine Landstadt ist, noch kaum berührt von der industriellen Entwicklung?

JOHANNES MIQUEL, aus hugenottischer Familie stammend, in der Grafschaft Bentheim am 19. Februar 1828 geboren, studiert in Göttingen Jura; als radikaler Republikaner steht er 1848 eine Zeitlang sogar Marx nahe, wendet sich jedoch in den Folgejahren immer mehr der liberalen Bewegung zu und tritt neben seiner Tätigkeit als erfolgreicher Anwalt in Göttingen als Gegner der hannoverschen Regierung hervor. Seine Schuljahre verbringt er am Gymnasium Georgianum in Lingen, einer gemischt konfessionellen Schule. Da er einer Mischehe entstammt – Vater katholisch, Mutter streng reformiert – und in einer konfessionell gemischten Landschaft aufwächst, sind ihm die damit verbundenen Probleme vertraut. Gerade in Osnabrück liegt ihm daran, den Blick zu öffnen für die Probleme der Zeit und Abstand zu gewinnen von einer – wie er sie empfindet – noch immer viel zu starken Einflußnahme der Kirchen auf die Gemüter. So tritt er als echter Liberaler deutlich für eine Trennung von Kirche und Staat ein und sieht in einer Simultanschule die einzig wünschenswerte Schulform überhaupt. Hinzu kommt seine Überzeugung, daß auch viele soziale Probleme der Zeit einer Losung näherrücken, wenn die Bildungsmöglichkeiten für die Bevölkerung erweitert würden.

„Ich habe von Jugend auf gekämpft für die Besserung der Schulen“, so Miquel im September 1873 in einer Wahlrede in Osnabrück, eine Aussage, die aus seinem Munde gewiß keine Redewendung ist, sondern mit Blick auf die von ihm angestoßene Reform des Schulwesens in dieser Stadt voll berechtigt erscheint. Dies gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, daß der politische Wandel in der nunmehr preußischen Stadt sein Vorhaben begünstigt.

Für Miquel ist es bald selbstverständlich, für eine dritte weiterführende Schule in der Stadt zu kämpfen, und zwar für eine Einrichtung, die anders als das Carolinum und das Ratsgymnasium das Schwergewicht auf die Naturwissenschaften und die neueren Sprachen legen soll, um so den Erfordernissen von Industrie, Handwerk und Wirtschaft eher gerecht zu werden. Dabei lehnt der neue Bürgermeister eine Erweiterung der seit 1847 bestehenden Realklassen an den beiden katholisch beziehungsweise lutherisch geprägten Gymnasien ab. Leiter des Ratsgymnasiums ist damals, nach Abeken, Carl Georg August Stüve, der Bruder des früheren Bürgermeisters. Wie wenig beide Stüves von der neugegründeten Schule halten, zeigt folgende Äußerung des Alt-Bürgermeisters im Sommer 1870, nachdem Miquel die erste Phase seiner Osnabrücker Tätigkeit als Bürgermeister (1865-1869) bereits beendet hat: „Übrigens hat Herr Miquel uns bereits mit einer Realschule beschenkt, mit einem Gebäude von 40.000 Talern, die zu nichts genutzt hat als die faulen und dummen Jungen vom Gymnasium wegzuschaffen“ [2]Diese Aussage zeigt wohl besonders kraß das Ausmaß an Skepsis, ja Überheblichkeit, mit der nicht nur klassische Philologen den jungen „Realschulen“ überall im Lande begegnen. Ahnliches widerfährt auch den technischen Hochschulen, die lange um das Promotionsrecht kämpfen müssen und erst um die Jahrhundertwende darin Erfolg haben, ebenso wie die Realgymnasien, denen etwa gleichzeitig die Anerkennung des dort erworbenen Abiturs für alle Fakultäten gelingt. Christian Graf von Krockow schreibt dazu in seiner jüngst erschienen Darstellung „Die Deutschen in ihrem Jahrhundert“ unter Bezugnahme auf die preußische Kultusverwaltung und deren langjährigen maßgeblichen leitenden Beamten Friedrich Althoff: „Gegen das Wehgeschrei aus den alten Institutionen […] setzte er nachdrücklich eine neue Entwicklung durch.“ Ähnlich läßt sich über Miquel urteilen, bezogen auf dessen erfolgreiche Schulpolitik in Osnabrück.

Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die Stufen der Auseinandersetzung um die Genehmigung der Osnabrücker „Realschule“ im einzelnen zu schildern. Hingewiesen sei jedoch auf eine Reihe von Vorgängen, die belegen, wie intensiv hinter den Kulissen gegen den Beschluß der städtischen Kollegien vom 16. Februar 1867 – bei nur einer Gegenstimme – intrigiert wird. Kein Zweifel: Der Kulturkampf wirft bereits seine Schatten voraus. Zunächst bleibt die Entscheidung der zuständigen Behörden in Berlin und Hannover lange offen. Miquel muß beim Minister in Berlin persönlich feststellen, daß das Oberschulkollegium in Hannover die Angelegenheit nicht weitergeleitet hat. Unschwer, sich vorzustellen, daß eine wohl noch welfisch und somit großdeutsch eingestellte Behörde wenig geneigt ist, dem Nationalliberalen Miquel und inzwischen entschiedenen Bismarckanhänger gefällig zu sein. Schließlich finden in jenen Wochen auch die Wahlen zum verfassunggebenden norddeutschen Reichstag statt, für den Miquel kandidiert. Sein Gegenkandidat aus dem Welfenhaus wird ob seiner prohabsburgischen Einstellung ganz offen den Katholiken in Stadt und Land Osnabrück seitens der Geistlichkeit empfohlen.

Bedenkt man, welch hohen Stellenwert die katholische Kirche bis heute Bildung und Erziehung beimißt, nimmt man die erst wenige Jahre zurückliegende Wiedererrichtung des Osnabrücker Bistums hinzu sowie die generelle Frontstellung des damaligen Papstes gegen alle liberalen Vorstellungen, dann wird dieser Widerstand, mit dessen Intensität auch Miquel selbst nicht gerechnet hatte, verständlich. Zudem darf nicht übersehen werden, daß der katholische Bevölkerungsanteil der Stadt – etwa ein Drittel der damals 18.000 Einwohner – sich seit langem von deren Leitung ausgeschlossen sieht, denn de facto sitzt kaum ein Katholik, wiewohl sich die entsprechende Rechtslage seit 1833 geändert hat im Rat.

Lembcke spricht mit Recht davon, daß die „Gründungsgeschichte der umstrittenen Osnabrücker Schule bis auf den heutigen Tag nichts von ihrer Aktualität eingebüßt“ habe.[3] Und kurz zuvor heißt es: „Für die Zeitgenossen wurde erst am Beispiel der Osnabrücker Realschule übersehbar, daß der Schulanspruch zu den unabdingbaren Forderungen der durch die jüngste politische Entwicklung nur noch aktivierten katholischen Geistlichkeit gehörte. Die Osnabrücker Realschule wurde von der katholischen Kirche offensichtlich als Modellobjekt gesehen, dem Verhalten diesem Modellobjekt gegenüber repräsentative Bedeutung beigelegt.“[4]

Miquel aber wird nicht müde zu betonen, daß die Einrichtung der kommunalen Realschulen derart sein müsse, daß sie den Katholiken Vertrauen einflöße. Er tut dies ganz in der Überzeugung, daß eine konfessionslose Kommunalschule die schneidenden konfessionellen Gegensätze gerade in Osnabrück mildern könne, zumal „die gebildeteren Katholiken das Zustandekommen der Realschule entschieden unterstützten.“[5] In welchem Umfang das wirklich so war, läßt sich schwer beurteilen. Denn liest man eine etwa elf Seiten umfassende „Gehorsamste Vorstellung katholischer Bürger der Stadt Osnabrück, die Errichtung einer Realschule daselbst betreffend“, so entsteht keineswegs der Eindruck, daß dieses Schreiben an Seine Excellenz den Königlich Preußischen Geheimen Staatsminister und Minister der Geistlichen, Unterrichts- undMedicinal-Angelegenheiten, Herrn Dr, von Mühler, von weniger gebildeten Katholiken verfaßt ist. Wer auch immer dessen Abfassung besorgt hat – ein Verfasser ist namentlich nicht genannt -, es dominiert die Sorge, „daß die fragliche Anstalt in Wirklichkeit sich als eine confessionelle, und zwar als eine evangelische entwickeln werde.“[6] Daneben ist unübersehbar die verständliche Erbitterung darüber, daß der katholische Bevölkerungsteil im Magistrat und in den Bürgervorsteherkollegien so gut wie gar nicht vertreten ist. So wundert es nicht, daß der Osnabrücker Bischof Beckmann noch kurz vor Eröffnung der Schule – am 6. und 13. Oktober 1867 – von der Kanzel des Doms herab öffentlich gegen die Anstalt spricht und an die Eltern „die ernste Mahnung und dringende Bitte“ richtet, „unter keinen Umständen ihre Pflegebefohlenen in jene Anstalt zu geben.“[7]

Als der erste Direktor der Schule, Dr. Otto Fischer, in Hildesheim geboren und dort vor seiner Berufung nach Osnabrück Konrektor am Gymnasium Andreanum, sich 25 Jahre später „Zur Geschichte des Königlichen Realgymnasiums“ äußert, ist die damalige „lebhafte Agitation gegen den Plan“ wiederum Gegenstand der Betrachtung, zumal Fischer wohl selbst als Person angegriffen wird. Er erwähnt in dieser Jubiläumsschrift von 1892, daß er vom 10. bis 12. Mai 1867 in Osnabrück geweilt habe, um mit Vertretern der Stadt die Einrichtung der Schule, insbesondere einen Lehrplan zu besprechen. Es ist denkbar, daß dieser Besuch aus Hildesheim in besonderer Weise Anlaß gewesen ist für das bereits erwähnte Schreiben von 76 katholischen Bürgern, welches das Datum des 20. Mai 1867 trägt. Fischer verweist jedenfalls ausdrücklich darauf, bemüht sich aber im folgenden um so viel Sachlichkeit wie möglich. So schreibt er mit Blick auf die Auseinandersetzungen in der Lokalpresse: „Daß in diesem Zeitungsstreite die größere Mäßigung und Sachlichkeit auf Seiten der Schulgegner war, darf nicht verschwiegen werden.“[8]

Daß angesichts all dieser Kontroversen der Bischof der feierlichen Eröffnung der Schule am 28. Oktober 1867 durch Bürgermeister Miquel fernbleibt, liegt auf der Hand. Er wird sich auch über Jahre hin weigern, einen Geistlichen mit der Erteilung katholischen Religionsunterrichts zu betrauen. Dies ändert sich erst ab Ostern 1873, als mitten im Kulturkampf Domvikar Berlage dieser Auftrag erteilt wird. Es sind die Jahre, die Miquel in Berlin als Verwaltungsratsvorsitzenden der Disconto Gesellschaft und einflußreiches Mitglied der Nationalliberalen Partei sehen. Vermutlich sind es kluge taktische Erwägungen des Bischofs, in dieser Auseinandersetzung mit dem preußischen Staat den Bogen nicht zu überspannen. Denn immerhin verhindert Miquel in dieser Zeit sowohl die zwangsweise Absetzung des Bischofs[9] als auch die Ausweisung der Ursulinen per Dekret.[10]

[1] Fesser, Gerd „Die Welt stürzt ein!“ in, DIE ZEIT, 5. Juli 1991, Seite 37

[2] Lembcke, Rudolf, Johannes Miquel und die Stadt Osnabrück unter besonderer Berücksichtigung der Jahre 1865-1869, Osnabrück 1962 Seite 253

[3] Lembcke, a. a. O., S. 110 und 113

[4] Lembcke, ebd.

[5] ebd.

[6] Niedersächsisches Staatsarchiv Osnabrück, Rep. 726, Nr. 1

[7] Lembcke, a. a. O., S. 115

[8] Niedersächsisches Staatsarchiv Osnabrück, Rep. 726, Nr. 1

[9] Lembcke, a. a. O., S. 115

[10] Festschrift 125 Jahre Ursulaschule, Seite 112


Das alte Schulgebäude Lotter Straße (1870 bis 1980)

125 Jahre Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium. Versuch einer Standortbestimmung aus historischer Sicht (ein Artikel aus der Festschrift zum 125-Jahr-Jubiläum 1992)

Der vollständige Aufsatz liegt hier als PDF-Dokument vor.


Der Unterricht beginnt

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Wie sieht nun nach all den „Gründungswehen“ der Einstieg in das schulische Alltagsleben aus? Bemerkenswert ist zunächst, daß anstatt der erwarteten 80 bis 100 Schüler 210 angemeldet werden, darunter 15 Katholiken. Die meisten dieser Schüler hatten bis dahin die Realklassen des Ratsgymnasiums besucht. Nur 13 Schüler der gesamten Schülerschaft beteiligen sich nicht von Anfang an am Lateinunterricht. Dies ist bedeutsam mit Blick auf die sofort angestrebte Umwandlung der „Realschule 2. Ordnung“ in eine solche 1. Ordnung, die bereits eineinhalb Jahre später im Mai 1869 erfolgt. Erst recht ist die Orientierung am Lateinischen neben den neueren Sprachen wesentlich für die 1882 erfolgende Umbenennung in „Realgymnasium“[1] Nicht von ungefähr findet sich bereits im Jahresbericht von 1871 eine Abhandlung des Oberlehrers Dr. Ebers zum Thema „Über die Verwertung des Lateinischen bei dem Unterricht in den neueren Sprachen“. Und bereits im ersten Programm der Realschule, das 1868 erschienen ist, widmet Direktor Fischer in seiner Abhandlung „Über die Aufgabe und Methode des Unterrichts der Realschule“ dem Lateinischen noch vor dem Deutschen die meisten Zeilen.

Daneben sind in dieser Schrift aufschlußreich die Ausführungen zum Fach Religion. Sie zeigen das intensive Bemühen der Schule, nach den Auseinandersetzungen der Gründungsphase die Wogen zu glätten:

„Man darf aus dem Umstände, daß die Realschule eine paritätische ist, nicht folgern, daß in dem den Confessionen gesondert erteilten Religionsunterrichte die confessionellen Unterscheidungslehren zurückgedrängt, der Charakter der einzelnen Confession wohl gar vertuscht werden solle. Im Gegentheile soll jeder Confession ihr volles Recht werden; der protestantische und der katholische Religionsunterricht ist ebenso eingehend, ebenso ausführlich zu behandeln, wie auf einer Schule mit entsprechendem […] confessionellen Charakter. Es wird dadurch der Friede unserer Schule gewiß nicht gefährdet werden, zumal wenn der Gesammtunterricht von dem christlichen Principe der Liebe durchdrungen ist; hoch über dem, was die Confessionen trennt, wird dann siegend stehen, was sie vereinigt.“[2]

Wie wichtig der Schule der simultane Charakter ist, zeigt sich auch in dem bereits erwähnten Rückblick Fischers auf die ersten 25 Jahre: „Es ist uns eine Freude versichern zu dürfen, daß während des 25jährigen Bestehens der Simultanschule nie die geringste Differenz, sei es im Lehrerkollegium, sei es unter den Schülern, oder zwischen Lehrern und Schülern, vorgekommen ist, welche ihren Grund in konfessionellen Anschauungen gehabt hätte.“[3] Gehen wir noch einmal kurz zurück zum ersten Programm der Schule. In dem Abschnitt „Die Aufgabe der Realschule“ wird das Anliegen deutlich, keinen Gegensatz zwischen „Realisten und Humanisten“ aufzubauen, sondern zu betonen, daß bei beiden „die harmonische Ausbildung der geistigen Kräfte“ im Vordergrund stehe“ und daß die Schule „den Geist der Wahrheit, Rechtschaffenheit und Frömmigkeit dem jugendlichen Gemüte fest einpflanzen müsse […] Als Idealisten möchten wir unsere Schüler von der Anstalt entlassen […] Könnte die Schule es dann noch erreichen, daß sie ihren Zöglingen einen offenen, empfänglichen Blick für Natur und Kunst […] für den Lebensweg mitgibt, […] so würde sie ihre Aufgabe als gelöst erachten.“[4] In der Tat eine bemerkenswerte Zielsetzung, die im Rahmen der folgenden Fächer angestrebt werden soll:


RELIGION Lateinisch DEUTSCH Französisch ENGLISCH Mathematik Turnen Naturkunde Geschichte Erdkunde Zeichnen Schreiben Gesang Und natürlich auch mit Hilfe der Kirche. Die „Gesetze für die Schüler der Realschule“ veröffentlicht der Magistrat der Stadt Osnabrück bereits am 20. Oktober 1867. §6 lautet:

„Es wird von den Schülern erwartet, daß sie auch ohne ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung den öffentlichen Gottesdienst fleißig besuchen. Die Lehrer, namentlich der Director und die Religionslehrer werden es sich angelegen sein lassen, in dieser Beziehung auf ihre Schüler einzuwirken.“

Man stelle sich eine derartige Anweisung heute seitens Rat und Verwaltung der Stadt vor. Aber im wilhelminischen Deutschland ist dies angesichts der engen Bindung von Thron und Altar wohl weit eher hingenommen worden, als uns heute überhaupt vorstellbar erscheint. Diesen Geist belegen ja auch unzählige Reden, in denen „Gott und Vaterland“ allenthalben im Munde geführt werden. Im zweiten Programm aus dem Jahre 1869 findet sich eine „FESTREDE gehalten am Geburtstag Sr. Maj. unsers Allergnädigsten Königs“. Redner ist der Conrector der Schule Dr.Lansing, der zuvor Lehrer am Carolinum war. Er beschließt seine Rede nach einem Hinweis auf die erfreuliche Akzeptanz des Lateinischen an der Schule mit folgenden Worten: „[…] und wir so uns der frohen Hoffnung hingeben dürfen, unsere jugendlich aufblühende Anstalt werde auch in dieser Beziehung mit ihren älteren Schwestern bald vollständig gleichen Schritt halten und überhaupt immer fröhlich gedeihen – zum Heil des Vaterlandes, zum Segen für Stadt und Land. Das walte Gott!“[5]

Wie sehr Johannes Miquel diese Schule am Herzen liegt, beweist nicht zuletzt der bald in Angriff genommene Schulbau. Verantwortlich für die Erstellung des Gebäudes an der Lotter Straße ist Stadtbaumeister Richard, der kurz zuvor das neue städtische Krankenhaus – die heutige Volkshochschule – ebenfalls im Rundbogenstil erbaut hat. Das für damalige Verhältnisse moderne Schulgebäude wird vom Schulleiter in der Chronik des Jahres 1870 voller Stolz vorgestellt:

„Die Klassenzimmer sind hell und geräumig […] Die Heizung geschieht durch warme, mit Wasserdämpfen halb gesättigte Luft […] Die Aula, die chemischen und physischen Laboratorien, das Geschäftszimmer, das Conferenzzimmer, die Aufgänge, so wie die Dienstwohnungen des Directors können mit Gas erleuchtet werden, welches auch in den Laboratorien zum Arbeiten benutzt wird. In einem Nebengebäude, in unmittelbarer Nähe des Hauptbaues befindet sich eine Waschküche, daneben die Aborte, bei denen das Kübelsystem angewandt ist.“[6]

Das FESTPROGRAMM zur Einweihung des neuen Realschulgebäudes offenbart deutlich die Dankbarkeit, mit der Kollegium, Schulgemeinde und Öffentlichkeit dieses Ereignisses gedenken. Die Feier findet am 20. Mai 1870 in der Aula statt. Außer der Eröffnungsrede des Bürgermeisters und der Rede des Direktors finden sich nicht weniger als sechs Dankchorale, darunter der wohl bekannteste „Nun danket alle Gott“


Wie anders sieht knapp ein Jahr später die Feier nach Beendigung des Deutsch-Französischen Krieges und der inzwischen erfolgten Kaiserproklamation in Versailles aus. Immerhin wird zu einer FRIEDENSFEIER eingeladen und nicht zu einer Siegesfeier und begonnen mit dem allerdings einzigen Choral in dieser Feier: „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“. Am Ende jedoch steht ein einstimmiger Chorgesang, dessen vier Strophen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriglassen: Der Geist des Zweiten Deutschen Kaiserreiches hält Einzug. So seien an dieser Stelle zwei Verse daraus wiedergegeben:

Deutschlands Söhne! Laut ertöne Unser Vaterlandsgesangl Den Beglücker deutscher Staaten, Den Vollender großer Thaten Preise unser Hochgesang.

Hab und Leben Dir zu geben, Vaterland, sind wir bereit; Sterben gern zu jeder Stunde, Achten nicht der Todeswunde, Wenn zu sterben du gebeutst.[7]

Stolz auf die neue Ära und das damit verbundene Hochgefühl kommen schließlich auch in der Ausschmückung der Aula zum Ausdruck. Kein Geringerer als der Oberpräsident der Provinz Hannover unterstützt das Vorhaben durch die Schenkung einer Summe von 200 Talern, wozu es im Jahresbericht 1872 heißt; „Mittelst jener Summe konnte der Aula in lebensgroßen Brustbildern der hervorragendsten Helden und Staatsmänner aus dem Jahre 1870 ein Schmuck gegeben werden, welcher auf lange Jahre hinaus der Jugend eine patriotischen Sinn erweckende Erinnerung an die große Zeit des Deutsch-Französischen Krieges sein wird.“[8] So werden die Wände der Aula geziert durch die Porträts Wilhelms l., des Königs von Bayern, des Kronprinzen Friedrich, des Fürsten Bismarck, des Grafen Moltke, des Kriegsministers Roon, der Generäle von Werder und von Göben. Bedenkt man, daß wenig später in dem neuen Wohnviertel des vorderen Wester­bergs Straßen und Plätze nach eben diesen Persönlichkeiten benannt werden, so wird der hohe Grad der Identifikation weiter Kreise der Bürgerschaft mit diesem entscheidenden historischen Ereignis der deutschen und preußischen Geschichte überdeutlich.

Nur so ist wohl auch zu erklären, daß über die folgenden Jahrzehnte bis zum Ersten Weltkrieg Jahr für Jahr die Schulchronik die patriotischen Feiern auflistet, die Lehrer, Eltern und Schüler gemeinsam feiern, allen voran den Sedanstag am 2. September oder Kaisers Geburtstag am 22. März beziehungsweise am 27. Januar. Bisweilen heißt es nur schlicht „Den Gedenktag der Schlacht bei Sedan feierte die Schule in üblicher Weise“, das heißt durch Gesang, Musikvorträge, Deklamationen. Bei selteneren Gedenktagen klingt mehr Emotion an, so 1877 beim Hinweis auf den einhundertjährigen Geburtstag der „hochseligen“ Königin Louise.

Nach der Jahrhundertwende, in der Zeit der Flottenpolitik und des wilhelminischen „Mit Volldampf voraus“, legen vor allem die Schulreden aus besonderem Anlaß Zeugnis ab von der Atmosphäre jener Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. Als Beispiel dafür mögen die Schlußsätze der Rede dienen, die der neue Direktor Dr. Uhlemann, der dritte Leiter der Schule, bei seiner Einführung am 11. April 1907 hält:

„[…] Die große Zeit, die ein Patriot wie Jacob Grimm prophetischen Geistes vorhersagte, sie ist eingetreten; unser Volk ist eins und mächtig, und die deutsche Sprache kann mit vollen Segeln in alle unsere Bildungsanstalten bleibend einziehen. Daß dem so ist, das verdanken wir an erster Stelle dem siegreichen Kaiser Wilhelm und seinen Paladinen, nicht zuletzt aber auch seinem erlauchten Enkel und König Wilhelm II. Mit klarem Blick für die Bedürfnisse der Zeit hat er die letzten Hindernisse aus den Wege geräumt, die eine deutsch-nationale Ausgestaltung unserer höheren Schulen hemmten; ihr hat er in warmen und nachdrücklichen Worten die Maße und Ziele gewiesen. Danken können wir ihm hierfür am besten, wenn wir, Lehrer wie Schüler, nie müde werden, zu lehren und zu lernen im Sinne unseres erhabenen Landesherren. Daß dies unser fester Vorsatz ist, das wollen wir ihm aber auch in dieser festlichen Stunde geloben, indem wir uns von unseren Sitzen erheben und miteinander einstimmen in den Ruf: ‚Seine Majestät, unser allergnädigster Kaiser, König und Herr, er lebe Hoch! Hoch! Hoch!’“[9]

Können wir heute eine solche Sprache, die sichtlich an gottesdienstliche Formen anknüpft, überhaupt noch nachvollziehen? Haben wirklich alle Zuhörer solchem Pathos folgen können? Und wer blieb überhaupt außen vor, blieb ausgeschlossen bei solchen das Gemüt erhebenden Feierstunden? Denn ganz gewiß zählen zur Schülerschaft noch keine Söhne der „vaterlandslosen Gesellen“. Naturgemäß finden sich in den Archivunterlagen zur Schulgeschichte keine Angaben zum Verhältnis der Schüler und Lehrer zu den Angehörigen der unteren Schichten aus den nach und nach entstehenden Arbeitervierteln. Aber es ist anzunehmen, daß letztere das Gefühl des Nicht-dazu-Gehörens tief empfunden haben. Von Krockow schreibt. „Von ‚vaterlandslosen Gesellen‘ zu reden, wirkte im Zeitalter des siegesdeutschen Hurrapatriotismus nur allzu verführerisch; denn dies bedeutete die Feinderklärung schlechthin, die Ausgrenzung aus der nationalen Gemeinschaft.“[10]

In einer solchen Gesellschaft verwundert es auch nicht, daß die Schülerlisten sehr genau den Stand des Vaters benennen. Dies wird sich erst in der Weimarer Republik vorübergehend ändern. Es ist an dieser Stelle wohl angebracht, einen Blick zu werfen auf die soziologische Zusammensetzung der Schülerschaft in diesen ersten Jahrzehnten nach der Schulgründung, soweit die Berufsangabe der Väter Rückschlüsse erlaubt. Bis 1914 steigt die Schülerzahl – bei zwischenzeitlichem Absinken – von 216 auf 567, wobei der Anteil der katholischen Schüler selten mehr als etwa 8% bis 9% beträgt. Was nun den familiären Hintergrund angeht, so fallen unter den Berufsbezeichnungen viele Vertreter des Handwerks auf. Die Palette reicht vom Zimmer- zum Maurermeister, vom Schlachter- zum Bäckermeister, vom Maschinen- zum Schlossermeister, um nur einige zu nennen. Daneben finden sich viele kleine und mittlere Beamte, so Gerichtsvogt, Zugführer, Oberpostsekretär, Berginspektor, Oberbuchhalter, Weichensteller, aber auch freie Berufe wie Apotheker, Architekt, selten Arzt, schließlich eine ganze Reihe Kaufleute und vereinzelt auch Fabrikant, Brauereibesitzer, Generaldirektor, Gymnasialdirektor, Major, Juwelier.

Es handelt sich wohl überwiegend um Eltern, denen eine akademische Laufbahn verschlossen war und die am gesellschaftlichen Aufstieg ihrer Kinder interessiert waren. Dies erforderte ein hohes Maß an Einsatzbereitschaft, denn leicht gemacht wurde der Weg zum Abitur gerade diesen Kinder ganz gewiß nicht.

Es ist bemerkenswert, daß die Unterrichtsinhalte etwa in den geisteswissenschaftlichen Fächern in hohem Maße der Klassik verpflichtet bleiben und auch die Aufsatzthemen in der Prima beziehungsweise im Abitur einen Themenkreis ansprechen, der nicht so hurrapatriotisch ist wie zunächst erwartet. Natürlich muten manche Themenstellungen merkwürdig an, so zum Beispiel die Gegenüberstellung „Klopstock ein Jüngling – Lessing ein Mann“ oder „Des Mannes beste Freude ist die Tat“ oder „Ein unnütz Leben ist ein früher Tod“, und natürlich klingen auch Bereiche an, die eher in diese Epoche zu passen scheinen, so zum Beispiel; „Haben wir Ursache, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zurückzusehnen?“ oder „Was bewegt Hagen zur Ermordung Siegfrieds?“ und „Rüdiger im Kampfe der Pflichten“. Gleichzeitig jedoch ist die Rede von einem „philosophischen Kränzchen“, in dem ein Kollege mit Schülern der Ober- und Unterprima Goethes „Faust“ liest. Oder es werden, wie vielen späteren Schülergenerationen auch vertraut, klassische Zitate zugrundegelegt. Dazu ebenfalls einige Beispiele:

„Das Leben ist der Güter höchstes nicht, der Uebel größtes aber ist die Schuld“ – „Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen und das Erhabne in den Staub zu ziehn“ – „Drum soll der Sänger mit dem König gehen, sie wohnen beide auf der Menschheit Höhen.“

Was die Aufgabenstellung in den neueren Sprachen betrifft, so fällt vor allem die Fülle historischer Themenstellungen auf, und zwar die Antike bis zur jüngsten Vergangenheit umfassend. Da über die Inhalte des Geschichtsunterrichts weniger detaillierte Aufsatzthemen vorliegen, läßt sich gerade aus diesen fremdsprachlichen Aufsatzthemen eine Menge über die Behandlung der verschiedenen historischen Epochen im Unterricht ablesen. Für das Fach Französisch finden sich unter anderem folgende Aufgaben:

„Quelques traits de la vie de César“ – „Chute de l’Empire français sous Napoleon III“ – „Catastrophe de Waterloo“ – „Influence de la découverte du chemin des Indes sur le commerce“ – „Expulsion des rois à Rome“ – „La bataille dans la forêt de Teutobourg“ -„Annibal en Italie“

Und für das Fach Englisch:

„Destruction of Herculaneum and Pompeji“ -„Condemnation and execution of Egmont and Hoorne“ – „Origin of the Greek colonies and their relations to the mother-country“ – „War between Charles the Bold and the Swiss“ – „The Vendeans at the French revolution“

„Wann ist der Krieg gerechtfertigt?“ Auch dies ein Aufsatzthema jener Jahre, bei dem sich die Frage aufdrängt, ob denn einer der vielen Schüler, die 1914 sich begeistert als Freiwillige melden, darüber nachdenkt, was er zu dieser Frage einmal geschrieben hat.

Anmerkungen:

[11] Eine Aufstellung der verschiedenen Bezeichnungen der Schule, sei es in städtischer oder staatlicher Trägerschaft befindet sich im Anhang.

[12] Jahresberichte der Schule 1867-1872. Erstes Programm, Seite 5/Niedersächsisches Staatsarchiv Osnabrück

[13] siehe Anm. 6

[14] siehe Anmerkung 12), Erstes Programm, Seite 4

[15] siehe Anmerkung 12), Zweites Programm, Seite 8

[16] siehe Anmerkung 12), Drittes Programm, Seite 26

[17] siehe Anmerkung 12), im Anhang hinter dem fünften Programm

[18] siehe Anmerkung 12), Fünftes Programm, Seite 16

[19] siehe Anmerkung 6)

[20] Krockow, Christian Graf von. Die Deutschen in ihrem Jahrhundert, Hamburg 1990, Seite 46


125 Jahre Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium. Versuch einer Standortbestimmung aus historischer Sicht (ein Artikel aus der Festschrift zum 125-Jahr-Jubiläum 1992)


Erster Weltkrieg

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Das wenige Archivmaterial zu dieser Zeit erlaubt dennoch ein Einfühlen in die Atmosphäre. In das Jahr 1917 fällt das 50jährige Bestehen der Schule. Es ist das Jahr, in dem die Vereinigten Staaten in den Krieg eintreten, in dem der Reichstag auf einen Verständigungsfrieden pocht, in dem in Rußland die Revolution losbricht. Leider geht aus dem Bericht der Osnabrücker Zeitung aus Anlaß der „50jährigen Jubelfeier der Anstalt“ nicht hervor, ob und inwieweit Direktor Uhlemann bei seinen Ausführungen darauf eingeht. Es heißt lediglich an einer Stelle: „Anknüpfend an die ernsten Ereignisse der Gegenwart teilte der Redner zunächst mit, in wie großem Umfange die Anstalt an dem gewaltigen Verteidigungskriege um Deutschlands Macht und Ehre beteiligt ist […] Auch die kommende Zeit brauche Männer von großer Charakterstärke und fester edler Willenskraft“ Unverkennbar ist neben der Betroffenheit ein gewisser Stolz auf die große Zahl an Lehrern und Schülern dieses Gymnasiums, die „auf dem Feld der Ehre blieben“. Wir kennen dieses Pathos bereits aus der Einführungsrede Uhlemanns. Unwillkürlich wird man an eine Szene in Erich Maria Remarques Roman „Der Weg zurück“ erinnert. Der Autor schildert eine Begrüßungsfeier in der Schule für aus dem Krieg heimgekehrte Schüler der Anstalt. Es kommt zum Tumult, als der Direktor in eben diesem pathetischen Ton zu reden anhebt. Ein Schüler tritt vor und erklärt zuletzt folgendes (wir wissen jedoch nicht, ob sich dies so an einer Osnabrücker Schule abgespielt hat):

„Wir verlangen keine Rechenschaft von Ihnen – das wäre töricht, denn niemand hat gewußt, was kam. Aber wir verlangen von Ihnen, daß Sie uns nicht wieder vorschreiben wollen, wie wir über diese Dinge denken sollen, Wir sind begeistert ausgezogen, das Wort Vaterland auf den Lippen – und wir sind still heimgekehrt, aber den Begriff Vaterland im Herzen. Darum bitten wir sie jetzt zu schweigen. Lassen Sie die großen Worte. Sie passen nicht mehr für uns. Sie passen auch nicht für unsere toten Kameraden. Wir haben sie sterben sehen. Die Erinnerung daran ist noch so nahe, daß wir es nicht ertragen können, wenn über sie so gesprochen wird, wie Sie es tun. Sie sind für mehr gestorben als dafür.“[21]

Liest man allerdings den Bericht eines Schülers aus dem Sommer 1919 über die Teilnahme an einer „Pilgerfahrt“ zum Mausoleum Bismarcks, dann erhebt sich doch berechtigter Zweifel daran, ob eine solche Szene wie die von Remarque geschilderte in dieser Schule denkbar ist. Angesichts des handschriftlichen Berichts eines Oberprimaners wird nur allzu deutlich, in welchem Umfang die Empörung über den Versailler Vertrag die Gemüter bewegt und wie intensiv die Sehnsucht nach einem zweiten Bismarck ist. Und natürlich findet sich kein Wort auch nur andeutungsweise auf die gerade entstehende Weimarer Verfassung. Dr. Uhlemann ist zu diesem Zeitpunkt immer noch Leiter der Schule (bis September 1919). An der Gedenkfeier im Sachsenwald bei Hamburg nehmen rund tausend Vertreter von 63 Schulen aus dem ganzen Reich teil. Die Sprache des Schülerberichts mutet geradezu gespenstisch an, so sehr erinnert das Vokabular bereits an das Ende der jungen Republik und an die Zeit, in der „ein Volk, ein Reich, ein Führer“ die Devise wird. Bezugnehmend auf die Rede des Direktors des Johanneums Lübeck schreibt der jugendliche Autor:

„Welch ergreifendes Gefühl für jeden, unter dem Rauschen der Eichen des Sachsenwaldes wieder einmal eine echt vaterländisch deutsche Rede, die über jedem Parteihader steht, zu hören. Aus jedem seiner Worte ging hervor, wie sehr dem deutschen Volke der rechte Führer fehle, und deshalb sei es Pflicht der deutschen Jugend, sich politisch zu bilden, um vielleicht später, wenn der eine oder andere dazu berufen ist, zum Heile des deutschen Vaterlandes mitzuhelfen und mitzuarbeiten. Seine Rede schloß mit einem ‚Hoch!‘ auf ‚unser armes geknechtetes Vaterland‘ und mit dem gemeinsamen Gesang ‚Deutschland, Deutschland über alles!‘ […] Bald darauf verließen wir mit vielen anderen Friedrichsruh, beseelt von dem festen Entschluß, auch unsererseits am Aufbau des deutschen Vaterlandes mit allen unseren Kräften zu helfen. Hoffentlich ist dann […] dem deutschen Volke ein zweiter Bismarck erstanden, der es zu neuer Blüte und Entwicklung führt.“[22]

Als wenige Wochen später, am 11. Oktober 1919, der Direktorwechsel stattfindet – in Gegenwart des Superintendenten Weidner und auch des Bischofs Dr. Berning – und Dr. Lucke den langjährigen Leiter Uhlemann ablöst, ist in dessen Einführungsworten erneut die Rede von „Führern für unser Volk“, die die höhere Schule heranbilden müsse. Aber auch rechtfertigende Töne sind nicht zu überhören, wohl an die Adresse der Linken gerichtet. Die Osnabrücker Zeitung gibt Lückes Gedanken wie folgt wieder: „Die Revolution habe die Vorwürfe gegen die Schulen zusammengefaßt in der Übertreibung, daß das bisherige Schulwesen ein veraltetes, totes System der Unfreiheit gewesen, unter dem die Seelen der Schüler hungern, kranken und verkrüppeln müßten, daß die Luft der Schule erfüllt gewesen sei von dem Ungeist toter Unterordung, von Mißtrauen und Lüge. Er gebe zu, daß vieles besserungswürdig sei, aber wie unberechtigt jener Vorwurf gewesen, habe die deutsche gebildete Jugend auf dem Schlachtfeld von Ypern bewiesen […] Der höheren Schule eigentliche Aufgabe sei hier, die Jugend hinzuleiten zum Verständnis für den Wert der Gemeinschaft, des Staates, des Volkstums, und zwar des deutschen. Die Volksgemeinschaft erfordere schließlich alle Tugenden, die auch den guten Menschen machten. Wir müßten nicht nur auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet, sondern vor allem auf sittlichem wieder emporkommen.“[23] Lücke denkt bei dem zuletzt wiedergegebenen Gedanken daran, daß alle zu materiell geworden seien, zu sehr bedacht nur auf äußeren Glanz und Schein: „Das hat uns in den Abgrund gestürzt.“ Eine erstaunliche Aussage, denkt man an all die Kriegsjahre, in denen wieder und wieder Kriegsanleihen gezeichnet wurden, in denen ein Ludendorff bedenkenlos Propaganda betrieb und auf Siegfrieden setzte! Oder richtet sich jener Vorwurf nicht eher gegen jene, die den historischen Materialismus im Sinne Marx’ auf ihre Fahnen geschrieben haben? Schwer zu sagen! Es bleibt der Eindruck einer tiefen Verunsicherung, was aber im Jahr des Versailler Vertrages nicht allzu verwunderlich ist.

Vier Jahre später, als ein erneuter Schulleiterwechsel ansteht, ändert sich der Stil der Reden nach und nach. Leider liegt die Einführungsrede Dr. Wilhelm Wendlands nicht vor, was um des fehlenden Vergleichs willen schmerzlich ist – gerade bei diesem Direktor, der die Schule sechzehn Jahre lang in schwierigster Zeit zu leiten hatte. Denn in der Auseinandersetzung mit der oberen Schulbehörde zur NS-Zeit lassen sich doch Rückschlüsse ziehen auf die Geisteshaltung dieses Mannes. Zunächst aber bewährt er sich in den Jahren der Weimarer Republik, besonders in der Endphase.

Anmerkungen:

[21] Herwig Johannes, Damals verboten heute vergessen, Berlin 1981 (Hirschgraben),

[22] siehe Anmerkung 6)

[23] siehe Anmerkung 6)

125 Jahre Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium. Versuch einer Standortbestimmung aus historischer Sicht (ein Artikel aus der Festschrift zum 125-Jahr-Jubiläum 1992)

Der vollständige Aufsatz liegt hier als PDF-Dokument vor.

Die ab 1924/25 wieder vorliegenden Jahresberichte geben wiederum ein anschauliches Bild vom Schulleben. Verfolgt man darin die angegebene Lektüre für das Fach Deutsch, die Themen vieler Arbeitsgemeinschaften, die Anlässe für Schulfeiern, dann wird deutlich, in welcher Weise der neue Schulleiter ganz offensichtlich dafür Sorge trägt, daß der Geist der Weimarer Reichsverfassung gepflegt und nicht konterkariert wird, daß die Schüler in die Lage versetzt werden, sich eigene Urteile zu bilden. So fährt Anfang September 1929 eine Unterprima in eine Jugendherberge am Dörenberg, wozu es im Jahresbericht heißt:

„Abends wurden gemeinsam ernstere Fragen besprochen, die der Jugend besonders am Herzen liegen; außerdem wurden Erzählungen von Tolstoi gelesen, Volkslieder – auch französische und englische – wurden gesungen und führende Zeitungen aller Richtungen miteinander verglichen.“ [24]

Besonders aufschlußreich sind die von Prof. Dr. Wendland persönlich geleiteten deutschkundlichen Arbeitsgemeinschaften, in denen unter anderem das zeitgenössische deutsche Drama behandelt wird und Texte von Hauptmann, Hofmannsthal, Werfel, Toller, Brecht, Wedekind gelesen werden, aber auch von Ibsen und Shaw, um nur die bekanntesten Namen zu nennen. Die deutsch-nationalen Töne der ersten Jahre der Weimarer Republik, sie sind auch in Aufsatzthemen kaum noch zu finden. Wohl findet sich eine „Feier der 1000jährigen Zugehörigkeit der Rheinlande zu Deutschland“ oder eine Einladung zum jährlichen Sommerfest des „Vereins für das Deutschtum im Ausland“ (VDA), aber daneben stehen die alljährlichen Verfassungsfeiern, Gedenkfeiern – so zum 400jährigen Jubiläum des evangelischen Gesangbuches, wie überhaupt auf die Reformationsfeiern sowohl zum 31. Oktober wie zum 2. Februar, dem Tage der Einführung der Reformation in Osnabrück im Jahre 1543, wiederholt hingewiesen und die rege Beteiligung auf freiwilliger Basis hervorgehoben wird. Und nicht zuletzt belegen psychologische und philosophische Arbeitsgemeinschaften, wie offen in dieser Zeit diskutiert wird.

Andererseits ist nicht zu übersehen, daß gegen Ende der Weimarer Zeit die politischen Spannungen die Atmosphäre der Schule mehr und mehr belasten. Dies geht zum einen aus folgender Mitteilung an die Eltern hervor.

„Nur in ständiger engster Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus können wir unsere gemeinsame Aufgabe erfüllen: unsere Jungens vor Irrwegen rechtzeitig behüten […] Um dieses wichtigen Zieles willen werden die Eltern eindringlich gebeten, die Lebensführung ihrer Kinder außerhalb der Schulzeit mit den unterrichtlichen und erzieherischen Aufgaben der Schule in Einklang zu halten […] Es entspricht nicht dem Sinne unserer Erziehungsarbeit, wenn die Jugend zu früh in das parteipolitische Treiben hineingezogen und schon in einer bestimmten Richtung festgelegt wird.“ [25]

Zum anderen zeigen Vorgänge bei einer weihnachtlichen Andacht am 15. Dezember 1930, wie schwierig es nach dem Wahlerfolg der NSDAP im September desselben Jahres bereits wird, den Gedanken des Friedens kompromißlos zu vertreten. Es ist hier der Name eines Kollegen, PAUL SCHULZ, zu nennen, an dessen Schicksal exemplarisch die Katastrophe verdeutlicht werden kann, die Ende Januar 1933 für Menschen wie ihn hereinbricht. Bereits im Dezember 1929, erst wenige Monate an der Schule unterrichtend, gelingt Schulz mit Unterprimanern die Aufführung eines Stücke über Franz von Assisi, in welchem der Heilige versucht, den türkischen Sultan für den Frieden und den Gedanken der Bruderliebe zu gewinnen. Ein Jahr später nun bezieht sich der junge Studienrat in einer morgendlichen Adventsandacht auf den Film „Westfront“ und führt unter anderem aus: „Nicht länger sind diejenigen Ideologen oder weltfremde Schwärmer zu nennen, die im Kriege ein Schreckbild sehen, sondern diejenigen, die von seinen Stahlbädern eine Gesundung von Volk und Rasse erwarten. Welche Hoffnung auf Frieden ist jedoch trotz allem Rüstungsfieber heute vorhanden? Von einem Hoffnungsstrahl will ich heute reden, davon, daß mehr und mehr in den Kirchen erkannt wird, daß nur dort wahrer Glaube herrscht, wo die göttlichen Lehren auch tatsächlich auf die Wirklichkeit angewandt werden, wo Gott mehr gehorcht wird als den menschlichen Gewalthabern […] Jesus war ein Revolutionär des Geistes, der […] von jedem einzelnen durch mutiges Bekenntnis zur Nachfolge den Fortschritt der Menschheit erwartete […] Was Völkerhaß und Zerstörung leisten kann, hat der Weltkrieg mit seinem Schrecken und zahllosen bösen Folgen gezeigt, der trotz aller einzelnen Heldentaten in seinen Methoden eine Scham für die Menschheit ist […]“[26] Es sei angemerkt, daß Schulz nicht das Fach Religion an der Schule vertritt, sondern Lehrer für Deutsch, Englisch und Geschichte ist. Er hatte in dieser Adventszeit erstmalig angeregt, die üblichen Andachten im Wechsel von verschiedenen interessierten Kollegen gestalten zu lassen, was auch geschieht. Bei den oben zitierten Ausführungen bleiben die Schüler mitnichten so aufmerksam und diszipliniert wie sonst wohl üblich. Der stellvertretende Schulleiter, Dr. Thoelke, kommentiert die Vorgänge in einem fast vierseitigen Bericht für die Schulakten. Er stellt sich voll und ganz hinter Schulz und nimmt eine Woche später die Gelegenheit wahr, vor den Schülern zu den Worten von Schulz Stellung zu nehmen. Danach hätten diese die Aula „still und anscheinend ernst“ verlassen. Aber im Kollegium wird gestritten um diese Andacht, und so wird Schulz sogar vorgeworfen, er sei gegen den Geist des Christentums. Was könnte die Krisenstimmung am Ende der Weimarer Republik deutlicher vor Augen führen! Gab es etwa schon „Deutsche Christen“? Noch nicht! Es galt jedoch weiter zu kämpfen, sich nicht entmutigen zu lassen. So hält Schulz am 11. August 1931 die Verfassungsrede. Aus diesem Anlaß fand ja jährlich eine Feier statt. Wir wissen nicht, wie es dazu kam. Aber es darf wohl vermutet werden, daß Direktor Wendland angesichts der Zuspitzung des innenpolitischen Klimas im Reich ihm diese Rede anvertraute. Und was für eine Rede! Sie ist stellenweise so mutig, so offen, so eindringlich, daß man beim Lesen wiederholt innehält, nachdenkt und sich fragt, wie dieser Kollege die Spannungen jener Zeit überhaupt ausgehalten hat, ganz zu schweigen von denen, die noch folgen werden. Und die Bewunderung wird auch nicht geschmälert dadurch, daß Hindenburg zu sehr glorifiziert wird und die Sprache stellenweise zu pathetisch erscheint. Dies alles liegt über sechzig Jahre zurück, und Sprachgepflogenheiten ändern sich. Und doch lohnt es, auch nach so vielen Jahrzehnten, solche Gedanken aufzunehmen – gegen Ende dieses Jahrhunderts im wiedervereinigten Deutschland:

„[…] Niemand kann es leugnen, daß mit der Annahme der Weimarer Verfassung eine schicksalsreiche, denkwürdige Epoche der deutschen Geschichte ihren Abschluß gefunden und eine neue Zeit leidenschaftlichen Bemühens um die politische und kulturelle Neugestaltung ihren Ausgang genommen hat […] Manche ehrliche Patrioten […] lieben die Verfassung nicht, weil sie durch sie an die vorausgegangene Revolution und den Zusammenbruch des deutschen Volkes erinnert werden. Sie fühlen Schmerz über vergangene Ruhmeszeiten und vermögen voller Erbitterung die Notwendigkeit eines Neuaufbaues in neuem Geiste nicht anzuerkennen.“

Nach einem kurzen Rückblick auf die Ereignisse im Zusammenhang mit der Novemberrevolution fährt der Redner fort: „[…] Der Sinn des vierjährigen Ringens und alles Gemeinschaftsgefühl war verlorengegangen. Große Schichten des Volkes glaubten nicht mehr an die gerechte Sache der Nation, sondern fürchteten, für selbstsüchtige Macht- und Geldinteressen herrschender Gruppen alle die ungeheuren Blutopfer des Krieges gebracht zu haben. Eine Hälfte der Nation schob die Schuld am Ausbruch des Krieges oder am Zusammenbruch des nationalen Widerstandes auf die andere. Die unteren Schichten des Volkes fürchteten, daß die erwarteten drückenden Lasten des verlorenen Krieges hauptsächlich auf ihre Schultern abgewälzt würden. Man verlangte nach neuen, den gebrachten Opfern des Lebens entsprechenden Rechten, nach einer Umwälzung von unten nach oben […] Das Streben nach der Diktatur bolschewistischer Minderheiten wurde überwunden durch den gesamten Sieg des demokratischen Gedankens […] Durch die Beteiligung des gesamten Volkes in der Abgabe von über 30 Millionen Stimmen für die Weimarer Nationalversammlung gehört die Revolution als historische Tatsache der Vergangenheit an, die man aus den Zeitumständen zu verstehen und über die man als Deutscher über Deutsche ein gerechtes und massvolles (sic) Urteil zu fällen hat. Die Weimarer Verfassung ist unser aller Verfassung, denn ohne ihr Zustandekommen wäre es vielleicht zu einem unüberbrückbaren Bruch mit der deutschen Vergangenheit und zu ähnlich chaotischen Zuständen wie in Rußland gekommen.“

Es folgt sodann ein Blick auf den damaligen Reichspräsidenten Hindenburg, dem für seine selbstlose Plichterfüllung gedankt wird. Und weiter heißt es.

„[…] Wer möchte auch ernstlich zu behaupten wagen, daß in der Vergangenheit schon alle nationalen und menschlichen Ziele erreicht waren oder daß das alte Reich den letzten Höhepunkt politischer Weisheit und freiheitlich-sittlicher Kultur darstellte […] Zu seiner Verwirklichung [des wahren Reiches der Deutschen] sollten sich beide Hälften des deutschen Volkes zusammenfinden. Alle, die in stolzer Treue an den alten Kaiserreichsfarben schwarz-weiß-rot hängen, als dem Symbol ruhmvoller Vergangenheit, und alle die, welche die Farben schwarz-rot-gold entfaltet haben zur Erneuerung des alten, völkisch-demokratischen Einheitstraumes nach den Befreiungskriegen und der 48er Revolution, haben ihr gutes Recht und ihre edlen Gründe dazu. Aber sie müssen sich, trotz ihrer verschiedenen Einstellungen, zum mindesten gegenseitig zu verstehen und als ehrliche Gegner zu achten suchen. Am wünschenswertesten aber wäre es, wenn sie alles Streiten über die Vergangenheit abtäten und sich die Hände reichten zu ehrlicher Mitarbeit am Aufbau eines äußerlich grösseren (sic) und innerlich freieren neuen deutschen Reiches […] Die Verfassung aber hat dem deutschen Volke nicht nur den äußeren Rahmen gegeben, in dem sich sein Leben abspielen kann. Es ist in ihrer Idee zugleich auch das allernotwendigste Ideal der kommenden Generation selbst enthalten, nämlich die Aufgabe des Gewaltgedankens, der Wille zum geistigen Wettkampfe und der Glaube an den endlichen Sieg der Wahrheit […] Nur von unten nach oben und nicht umgekehrt kann sich eine Nation entwickeln […] Solch ein Volk mannigfaltiger Charaktere aber kann nur gedeihen unter einer freiheitlichen Verfassung, die eines jeden Menschenrechte schützt und einem jedem die Freiheit des Zusammenschlusses, die Freiheit des Denkens und der Meinungsäußerung sichert […] Die Verfassung setzt an die Stelle des obrigkeitlichen Zwanges den freien Wettkampf der Geister. Durch ihre Gesetze ist dem politischen Kampfe das fair play gesichert. In der Diktatur und der Demokratie stehen sich der Machtgedanke und der Erziehungsgedanke, Zwang und Freiwilligkeit schroff gegenüber. Wer mit der Diktatur liebäugelt, muß sich klar sein, daß er sich seiner geistigen Freiheit begibt und einen obrigkeitlichen Polizeistaat herbeiwünscht […] Der Diktator sieht letzten Endes im Untertanen nur die widerspenstige Kanaille. Ihm ist der Zwang, alle einzelnen erst überzeugen zu müssen, ein lästiger Umweg zu einem Ergebnis, das ein Kommando viel schneller erzwingen kann […]

Wenn wir auf die gegenwärtigen politischen Kämpfe in Deutschland schauen, treibt uns die Art und Weise dieser Kämpfe die Schamröte ins Gesicht, so daß man sein Deutschtum verleugnen und alle Teilnahme am öffentlichen Parteileben aufgeben möchte. Doch wer könnte sein Vaterland in der Not im Stich lassen […] Die Verfassung bildet ein kühnes Wagnis, das das gesamte Volk plötzlich in den Sattel setzen will, voller Vertrauen darauf, daß es schon reiten lernen werde, da es ja reiten lernen müsse, um nicht hinunterzufallen […] Die Verfassungsgeber wußten, daß alle Einheit des Staates letztlich nicht auf der Einheit der Leitung sondern auf der Einheit der Geleiteten beruht. Um sich der Mitarbeit aller zu versichern, gab man dem einzelnen das Recht zur freien Entwicklung seiner Persönlichkeit, worin nach Goethe das höchste Glück und die höchste Pflicht aller Menschenkinder beruht […] – Die Weimarer Verfassung ist nicht zufällig nur im dortigen Goethe-Schiller-Theater beschlossen worden, sondern sie atmet auch in vielen ihrer Artikel den Geist deutschen humanistischen Idealismus […]

Es ist wieder einmal Notzeit geworden für das deutsche Volk. Alle, die sich zu Führern berufen fühlen, sollten daher ihre Parteizugehörigkeit überwinden und zum gemeinsamen Kampfe gegen die Uneinigkeit sich in die Reihen stellen. Machen wir uns den Verfassungseid, den der Reichspräsident vor dem Reichstage bei seinem Amtsantritt geleistet hat, zu eigen und sprechen wir: ‚Ich schwöre, daß ich […] die Verfassung und die Gesetze des Reiches wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.’“ [27]

Mit einem Hoch auf Reichspräsident Generalfeldmarschall von Hindenburg endet diese Rede, die ein bemerkenswertes Zeitdokument darstellt und andererseits Aussagen enthält, die bis heute ihre Gültigkeit bewahrt haben. Die Ausführlichkeit der Wiedergabe mag von daher gerechtfertigt sein. Leider wissen wir nicht, wie die damalige Zuhörerschaft die Ausführungen Schulzes aufgenommen hat. Anderthalb Jahre später ist die öffentliche Äußerung solcher Gedanken unmöglich geworden. Beunruhigt fragt sich der Leser, was wohl nach dem 7. April 1933, nach dem ‚Gesetz zur Wiederherstellung des Beamtentums“, aus diesem mutigen, geradlinigen Paul Schulz geworden ist. Im Jahresbericht des Schuljahres 1933/34 findet sich ein Abschnitt über dieses erste Jahr am „Beginn einer ganz neuen Zeit“. Danach besucht Ende November 1933 der neue Dezernent die Schule und betont dabei, „daß künftig nur solche Lehrer und Erzieher in der Schule des Dritten Reiches Verwendung finden können, die freudig aus stärkstem inneren Erlebnis diesen Staat bejahten“.

Welch ein Wandel! Im Jahresbericht heißt es ganz nüchtern weiter: „Oberstudienrat Dr. Thoelke wurde zu Beginn des Schuljahres beurlaubt, sodann nach Norden versetzt […] Studienrat Schulz wurde in dauernden Ruhestand versetzt.“ Ob man sich auch des Artikels 4 des erwähnten Gesetzes bedient, worin es heißt: „Im Interesse des Dienstes entlassen“, ist nicht bekannt. Vielen ist es damals so ergangen, unter ihnen die damals 32jährige Dozentin an der pädagogischen Akademie Stettin, Dr. Elisabeth Siegel, der viele Jahrzehnte später (1984) die Mösermedallie der Stadt Osnabrück verliehen werden wird!

[24] Jahresbericht 1929/30, Seite 34

[25] Jahresbericht 1929/30, Seite 41

[26] Niedersächsisches Staatsarchiv Osnabrück, Rep. 726, Nr. 37

[27] Niedersächsisches Staatsarchiv Osnabrück, Rep. 726, Nr. 82

Die Schule im Dritten Reich

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Wie anders gestalten sich jetzt die Schulfeiern! Da ist auf einmal die Rede von „Sonnwendfeiern“ oder von Turnfesten, auf denen „Ein junges Volk steht auf“ gesungen wird, da ist von der Schulkapelle die Rede, die sich nun „Bannkapelle 78“ nennt und die Pfingsten 1933 die Ehre hat, an einer Tagung der VDA in München teilzunehmen und dort „vor dem Führer und Reichskanzler Adolf Hitler im Braunen Haus zu spielen“. Dennoch bestehen viele der früheren Arbeitsgemeinschaften weiter, was wohl nicht zuletzt Direktor Dr. Wendland zu verdanken ist. Es darf angenommen werden, daß bestimmte Kreise innerhalb der Oberen Schulbehörde diesen Leiter gerne seines Amtes enthoben hätten, das er als Oberstudiendirektor bereits seit 1916 innehatte, ehe er 1923 an das Staatliche Reformrealgymnasium kam. Es ist jedoch denkbar, daß der familiäre Hintergrund Wendlands, in dem sich höchste Beamte in früher königlich-preußischen Diensten finden, dies verhindern konnte. Aus den Unterlagen geht jedenfalls hervor, daß der Oberpräsident der Provinz Hannover mit Blick auf diesen Schulleiter wohl äußerst wachsam war. So teilt Wendland am 9. August 1933 dem Oberpräsidenten mit: „In Ergänzung des von mir bereits vorgelegten Fragebogens erkläre ich zu Ziffer 5B: Ich habe auch keinem örtlichen Verein oder Bunde republikanischer Beamten oder irgendeiner ähnlichen Vereinigung jemals angehört.“[1] Über Jahre hin wird es im Schriftverkehr zwischen Schule und Behörde um Auskünfte über das Kollegium gehen. Da wird im rüden Ton angefragt, warum diese oder jene Liste bezüglich des Ariernachweises oder der Mitgliedschaft in Freimaurerlogen oder anderen Vereinigungen bis hin zum Philologenverband noch nicht vollständig vorliege. Wiederholt setzt Wendland sich zur Wehr, rechtfertigt sich, belegt, daß die in Frage stehenden Schriftstücke rechtzeitig abgesandt wurden. Dabei geht es immer wieder um einzelne Schicksale, allen voran das des „jüdischen Mischlings 1. Grades Paul Wiesenthal“, seit dem 1. Oktober 1928 Kollege an der Schule. Diese eben angführte typische NS-Formulierung findet sich allerdings erst im Januar 1945 in einem Schreiben Dr. Heinzes, des Nachfolgers von Wendland.

Die Nachforschungen der Behörde gerade nach dem Kollegen Wiesenthal häufen sich seit Oktober 1935, im Anschluß an die Nürnberger Gesetze also. Am 17. Oktober 1935 teilt der Schulleiter dem Herrn Oberpräsidenten mit: „Im Nachgange zu meinem vorläufigen Bericht vom 12. Oktober 1935 berichte ich: Studienrat Wiesenthal ist nicht rein arischer Abstammung; er hat zwei volljüdische Großelternteile.“ In einem späteren Schreiben an die Behörde vom 10. Februar 1936 heißt es: „Über die nichtarische Abstammung des Studienrates Wiesenthal hatte ich bereits am 1. September 1933 berichtet“, eine Erklärung, die vermuten läßt, daß Wendland ob seines Zögerns seitens der Behörde gerügt worden ist.

Es ist hier wohl der Platz, einige Angaben über die Zahl jüdischer Schüler an der Schule einzufügen. Es sind prozentual gesehen immer nur ganz wenige, unter ihnen eine Zeitlang auch Felix Nußbaum. Im Jahre 1926 finden sich unter der Gesamtschülerschaft von 597 Schülern 19 jüdischen Bekenntnisses. Dr. Wendland sorgt dafür, daß für sie mit dem Rabbiner Dr. Hugo Krakauer ein eigener Religionslehrer gefunden wird. Verfolgt man die statistischen Angaben in den Jahresberichten weiter, so wird in wenigen dürren Zahlen deutlich, was damals in Deutschland der jüdischen Bevölkerung widerfuhr. Im Jahre 1933 sind es noch 11 Juden – so die Angabe der Statistik -, 1934 noch 8,1935 noch 5,1936 noch 2,1937 keiner mehr. Da erübrigt sich jeder weitere Kommentar. Wie mag der Schulleiter diese Entwicklung empfunden haben? Hat er sich persönlich eingesetzt für diese Schüler? Wir wissen es nicht, können nur vermuten angesichts seines Umgangs mit der Behörde. Ständig muß er neue Fragebögen an sein Kollegium weiterreichen, unter anderem auch bezüglich der Mitgliedschaft in der „Freien Anthroposophischen Gesellschaft“ oder zum „Friedensbund Deutscher Katholiken“ Dabei muß er immer wieder von jedem einzelnen Kollegen per Unterschrift und Diensteid bestätigen lassen, daß die Angaben korrekt sind. Erhellend dabei ist, daß alle diese Erklärungen weitergereicht werden mit der stereotypen Formulierung. „Verfügungsgemäß […]“, wobei sich im Gegensatz zu Schreiben anderer Kollegen bei Wendland nie ein „Heil Hitler!“ zum Abschluß findet. Statt dessen findet sich auf einem leeren Musterexemplar des Fragebogens aus dem Jahre 1935, der sowohl die Parteizugehörigkeit zu KPD oder SPD als auch die Abstammung hinterfragt, ganz am Ende eine handschriftlich angefügte Zusatzfrage: „Haben Sie im Weltkriege an der Front für das deutsche Reich oder seine Verbündeten gekämpft?“ Man spürt förmlich die Betroffenheit nach dem Studium dieses Fragebogens, erahnt die Empörung, die dann die Hand zur Feder greifen läßt, um eben diesen Zusatz niederzuschreiben. Wieviel Unausgesprochenes liegt in dieser Geste. Die Frage bleibt, ob mehr möglich gewesen wäre in einem Kollegium, in dem laut vorhandener Liste von 36 Kollegen 12 Mitglieder der NSDAP sind, sämtlich zwischen Februar und Mai 1933 der Partei beigetreten. Wendland gehört nicht dazu.

In der Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Schule 1967, deren historischen Abriß Dr. Walter Kaufmann verfaßt hat – er gehörte 1933 schon zum Lehrerkollegium -, findet sich recht wenig zur Zeit des Nationalsozialismus. Da ist die Rede von einer „Zeit der Unrast, was immer der Autor unter diesem eher euphemistischen Begriff verstanden haben mag. Wenig später findet sich bei Kaufmann folgende Bemerkung, nachdem zuvor die Unmöglichkeit von Auslandsaufenthalten Mitte der dreißiger Jahre gerade für die Neusprachler beklagt worden ist: „Schlimmer noch war derjenige dran, der jahrelang unter fast unerträglichem seelischen Druck stand. – Leider wiederholte sich dasselbe nach dem Kriege – nur mit umgekehrten Vorzeichen.-“ [2] Mit Blick auf den Herbst 1945 erwähnt der Autor immerhin Studienrat Wiesenthal und dessen Gestapohaft kurz vor Kriegsende, allerdings ohne den Hintergrund dazu mit einem Wort zu erwähnen. Wie greifbar wird hier ablesbar, welche Schwierigkeiten die Generation unserer Eltern mit der Vergangenheitsbewältigung hatte. Es ist wohl bedeutsam, darüber nachzudenken, da diese Frage in der Bundesrepublik Deutschland von 1992 erneut von großer Aktualität ist. Es ist für jeden nicht leicht, zu Einsicht und selbstkritischer Reflexion zu finden.

Im März 1939 erfolgt die Verabschiedung Dr. Wendlands und einen Monat später die Einführung des neuen Schulleiters Dr. Heinze. Die Programme für beide Schulferien aus diesem besonderen Anlaß sind erhalten. Doch welch ein Unterschied! Im März zweimal Händel, genauer der Marsch aus „Judas Maccabäus“, dann Ansprachen, Gedichte – „Nicht klagen und zagen“ – zuletzt Deutschlandlied und Horst-Wessel-Lied, was sich wohl nicht vermeiden ließ. Im April ebenfalls zuerst „Feierlicher Marsch“ von Händel; dann zwei Gedichte mit dem Titel „Von uns ist jeder innerlich Soldat“ und „Das neue Sturmlied“. Sodann „Deutsches Weihelied“ und nach den Ansprachen wiederum die Nationalhymnen. Ein anderer Geist scheint einzuziehen. Aber es kann hier nicht der Ort sein, über einen Schulleiter zu urteilen, der mit den Kriegsjahren „die dunkelsten Jahre in der Geschichte der Schule“ zu bewältigen hat. Das Schulgebäude erleidet im August 1942 schweren Bombenschaden. Daß dabei auch die kostbare Lehrerbücherei in Flammen aufgeht, legt die Frage nahe, warum derartige Schätze nicht rechtzeitig ausgelagert wurden. Offenbar rechnete niemand zu einem so frühen Zeitpunkt mit derartig schweren Bombardements. Auch das Gemälde in der Aula, das die Verkündigung des Westfälischen Friedens darstellt, wird zerstört. Ludwig Bäte veröffentlicht kurz danach im Osnabrücker Tageblatt die Betrachtung „Abschied von einem Bilde“. In einem Dankschreiben an Bäte äußert Dr. Heinze am 19. November 1942: „[…] Gegenüber Stimmen, die die Tatsache, daß der ‚alte Kasten in der Lotterstraße‘ vernichtet ist, mit Genugtuung begrüßen und gegenüber der heute in weiten Kreisen in den verschiedenartigsten Formen zum Ausdruck kommenden Nichtachtung der Schulen und ihrer Arbeit, die sich in unserem Falle auch deutlich darin zeigt, daß man das Gebäude einfach in sich zusammenstürzen läßt, tut es einmal gut, wenn man öffentliche Hinweise maßgebender Persönlichkeiten darauf zu lesen bekommt, daß doch vielleicht nicht alles Bruch gewesen ist was solche ‚Kästen‘ in sich bergen […]“ [3] Nein, es war sicherlich nicht alles Bruch. Es fällt jedoch schwer, sich aus den wenigen vorliegenden Unterlagen ein Bild dieses Schulleiters zu machen. Aus dem Jahre 1944 liegt ein Briefwechsel vor mit einem Bremer Kollegen, wobei es um Modalitäten der Kinderlandverschickung geht. Nach Klärung der anstehenden Fragen findet sich eine Bemerkung, die eher persönlicher Art ist, denn der Brief vom 17. Oktober 1944 schließt mit den Worten; „Über die Verwüstungen in unseren beiden Städten wollen wir lieber schweigen. Es ist zu grauenhaft. Wollen Sie nicht Ihre Verwaltung aus Bremen herauslegen? Ich glaube, sie ruhen nicht eher, bis in unseren Städten kein Stein mehr auf dem anderen steht Mit ergebenstem Gruß und Heil Hitler! Heinze“ [4] Es erübrigt sich wohl zu fragen, ob dem Schreiber die Städte Coventry oder London und die dortigen Angriffe deutscher Bombergeschwader bereits im Jahre 1940 überhaupt in den Sinn kommen! Darüber zu schreiben verbot sich wohl in jener Zeit, in der jeder jeden bespitzelte. Es war auch die Zeit, in der der Kollege Wiesenthal von der Gestapo verhaftet und nach zwei Wochen Haft den Teutowerken Osnabrück zum Kriegseinsatz zugewiesen wird, ein Vorgang, der sich genau eine Woche vor dem eben zitierten Schreiben ereignet, nämlich am 1O. Oktober 1944. Inwieweit Schulleiter Heinze zumindest den Abtransport dieses Kollegen verhindert hat, geht aus den Unterlagen leider nicht hervor. Nach mündlichen Berichten hat Heinze seinen Kollegen Wiesenthal gerettet. Dieser leitete Ende 1945 vertretungsweise die Schule. Vielleicht hilft der Blick auf ein persönliches Schreiben der Witwe Wendlands an Dr. Heinze, das umstrittene Bild dieses Mannes etwas zu ergänzen. Es ist wenige Wochen nach Kriegsende verfaßt und nimmt Dank sagend Bezug auf die Teilnahme des Schulleiters an der Beerdigung ihres Mannes, der am 8. Mai 1945 gestorben war. Frau Wendland erwähnt darin, daß noch täglich von alten Schülern, die vom Tode Wendlands noch nichts wissen, liebe Grüße kommen und daraus zu ersehen sei, „wie lieb sie ihn alle gehabt haben, wie segensreich sein Wirken gewesen ist.“ Und weiter heißt es: „Sehr würde ich mich freuen, lieber Herr Direktor, wenn ich Sie bald mal sprechen könnte. Mein Mann hat so oft von Ihnen gesprochen in solch gr. Wertschätzung. Wie gern würde mein Mann mit Ihnen zusammengearbeitet haben oder wenigstens in Ihrer Nähe gelebt haben, um öfter eine Aussprache mit Ihnen zu erlangen. Nun ist alles mit einem Male aus und ich muß in tiefer Dankbarkeit mein Leid still tragen […] Heute bange ich um die Zukunft meiner Kinder und Großkinder, alles liegt so dunkel vor uns. Der eine Schwiegersohn scheint noch im Osten zu sein, der andre ist in Bremen. Und Fr. Wilhelm liegt einsam im Westen, dieser Junge, der uns nur Freude gemacht hat, dieselben guten Charaktereigenschaften wie sein Vater hatte, der mußte sein Leben für dieses Deutschland lassen! – Seien Sie nicht böse, daß ich so viel schrieb. […]“ [5]

Der Leser mag aus diesem bewegenden Schreiben die Rückschlüsse ziehen, die er für richtig hält, Es mag jedenfalls ein halbes Jahrhundert später als Zeugnis einer Epoche stehen, die nicht zuletzt von den Frauen Unsägliches gefordert hat.

[1] Niedersächsisches Staatsarchiv Osnabrück, Rep. 726, Nr. 10

[2] Kaufmann, Walter, 100 Jahre Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium, Osnabrück 1967, Seite 48f.

[3] siehe Anmerkung 6)

[4] Niedersächsisches Staatsarchiv Osnabrück Rep. 726, Nr. 10

[5] ebd.


Tödliche Zeiten 1933-1945: „Die große Verantwortung der Kriegsschule“ (aus der Festschrift zur 150-Jahr-Feier 2017)

Die Schulchronik 1939-1945 (Auszüge)

Kinderlandverschickung (KLV) 1941-1945

„Flakhelfer„

Tödliche Zeiten 1933-1945

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„Die große Verantwortung der Kriegsschule“ (aus der Festschrift zur 150-Jahr-Feier 2017)

21. März 1933: Feier des Tages von Potsdam (Rundfunkübertragung für die Oberstufe in der Aula, für die Kleineren in der Turnhalle) Die einleitende Festansprache hielt in der Aula der Oberstudiendirektor, in der Turnhalle der Oberstudienrat.

20. April 1934: Schulfeiern in der Aula aus Anlass des 45. Geburtstages unseres Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler.

24. April 1934: 2 Schulfeiern: Erinnerung an den Erwerb der deutschen Kolonien vor 50 Jahren. In beiden Feiern hielt der Oberstudiendirektor die Festrede.

8. August 1934: Der Tod des Herrn Reichspräsidenten Generalfeldmarschall v. Hindenburg wurde den Schülern sogleich vom Oberstudiendirektor in einer ernsten Feier in der Aula mitgeteilt.

27. August 1934: Die Lehrer und Beamten der Anstalt wurden auf den Führer und Reichskanzler feierlich vereidigt.

9. November 1934: Sämtliche Schüler beteiligen sich an der grossen (sic) Hitlerjugend-Kundgebung auf dem Ledenhofe. …

18. Januar 1935: Reichsgründungsfeier

30. Januar 1935: Feier zur Erinnerung an die Übernahme der Macht durch unseren Führer und Reichskanzler 1933. Die Festrede hielt Studienassessor Dr. Paschen.

3. – 6. März 1935: Gemeinsamer Besuch der Ausstellung „Erbgut und Rasse“ .im Osnabrücker Festsaale

Inwieweit die Schule der Propaganda des nationalsozialistischen Regimes ausgesetzt war bzw. sich ihr willig hingab, mögen die Jahresberichte dokumentieren. In den Jahresberichten werden ausführlich die außerunterrichtlichen Aktivitäten politischen Charakters aufgeführt (vgl. Kasten hierneben). Die Anzahl solcher Veranstaltungen wird größer, und Lehrer und Schüler besuchen Ausstellungen und Filmvorführungen und „treten an“ zu Gedenkfeiern und gemeinsamem Hören von Rundfunkübertragungen. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass an diesem Gymnasium das erste unter den Gymnasien und Oberschulen war, an dem am 30. Januar 1933, dem „Tag der Machtergreifung“ der NSDAP, die Hakenkreuzfahne gehisst wurde.

Nach Aussagen ehemaliger Schüler[1] gab es etwa 8-10 überzeugte Nationalsozialisten im Kollegium, aber auch Lehrer, die mitunter sehr subtil vorgingen oder sogar ihren Abscheu vor der nationalsozialistischen Barbarei hinausschrien.

Die Position des Schulleiters Prof Dr. Wendland ist als widersprüchlich einzuschätzen. Zwar hielt er die vorgeschriebenen Festansprachen zum Tode Hindenburgs, zu Hitlers Geburtstag usw., aber wir wissen auch, dass er durch den Sicherheitsdienst (SD) überwacht wurde: Offenbar war Wendland den Nationalsozialisten nicht genehm; er wurde denunziert und öffentlich durch den NSDAP-Kreisleiter Münzer diffamiert, wie nachstehende Quelle belegen mag:

“Wegen desselben ‘Vergehens’ (=Einkauf bei jüdischen Kaufleuten durch die Ehefrau) katalogisierte (=Aufnahme in die Kartei) der SD auch den Direktor des Realgymnasiums Wilhelm Wendland, dessen Gattin ebenfalls in einem jüdischen Geschäft gekauft hatte. … Die genannten, regional bekannten Personen wurden bei einer antijüdischen Kundgebung der NSDAP am 20. August 1935 am Ledenhof durch Kreisleiter Wilhelm Münzer auch öffentlich diffamiert.“”[2] Man kann nur vermuten, dass in höheren Kreisen jemand die Hand über Wendland hielt, denn er trat erst am 31. März 1939 aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand – inzwischen hatte Hitlerdeutschland 1938 bereits Österreich annektiert und im März 1939 das heutige Tschechien besetzt und dort das „Reichsprotekorat Böhmen und Mähren“ errichtet.

Was wissen wir über Schüler und Lehrer, die sich dem nationalsozialistischen Regime aus Überzeugung andienten, die nicht bloß Mitläufer waren?

Paul Moorahrend legte 1929 die Abiturprüfung ab. Er wurde Arzt und wirkte als SS-Oberscharführer an der Ermordung Behinderter im Rahmen der sog. „Aktion T4“ (beschönigend als „Euthanasie“, also „schöner Tod“ bezeichnet) in der „Heil- und Pflegeanstalt“ Wehnen bei Oldenburg mit. Die vielen Nachrufe auf Gefallene in dem „Mitteilungsblatt der Staatlichen Oberschule für Jungen“ weisen so manchen Ehemaligen – wen sollte das wundern? – als „begeisterten SA-Mann“, als Angehörigen der SS oder der Waffen-SS aus. (Die „Mitteilungen“ sind über diesen Internetauftritt des EMA als PDF-Dokumente einzusehen.) Dr. Herbert Schnepel kam mit Unterstützung des Direktors Heinze von einer NAPOLA (Nationalpolitische LehrAnstalt), einer Eliteschule der NSDAP, unterrichtete etwa eineinhalb Jahre, ehe er im Herbst 1941 „endlich“ in die Wehrmacht einrücken konnte. Er fiel im Januar 1943 im Kaukasus.

Wendlands Nachfolger im Amt des Schulleiters, Dr. Otto Heinze aus Göttingen war Nationalsozialist. Bald holte er den NAPOLA-Absolventen Dr. Herbert Schnepel aus Bremen an die Schule. (Dieser unterrichtete etwa eineinhalb Jahre, ehe er im Herbst 1941 „endlich“ in die Wehrmacht einrücken konnte. Er fiel im Januar 1943 im Kaukasus.) Zusammen mit Prof. Schomburg, der den Schülern die absurde „Rassenbiologie“ beizubringen versuchte – Heinz Aulfes sagt: „Diesen Rassenquatsch hatten wir schnell durchschaut“[3] – bildeten sie ein NS-Dreigestirn, an dem schwer vorbeizukommen war.

Dann wieder erzählen Ehemalige, die als junge Schüler Schulleiter Heinze erlebt haben, dass dieser den Chemielehrer Wiesenthal, der nach den Nürnberger „Rassegesetzen“ als Jude galt und zur Zwangsarbeit abkommandiert war, zurück an die Schule holte, da man nach der Zerstörung der Schule im August 1942 seine Expertise für den Wiederaufbau benötige.

Manche Lehrer zeigten bemerkenswerten Mut: Heinz Aulfes schreibt, dass Studienassessor „Opa“ Roettgen seine Anti-Nazieinstellung nicht versteckte: Bei einem Bombenangriff in der Nähe der Schule in der Lotter Straße rief er in Richtung einiger Schüler: „Ihr HJ Schweine seid ja alle Feiglinge.“

Gershon (Siegfried) Stein, der 1934 nach Palästina auswanderte und der seine alte Schule 1996 besuchte, um mit Schülern zu diskutieren, „erzählte von rüpelhaften Hitlerjungen, aber auch von Lehrern, die sich vor ihn gestellt haben, manchmal bloß mit dem listigen Hinweis auf die Schulordnung“[4]. Und Hermann Gehring aus Bad Rothenfelde berichtet in einem Leserbrief: „Trotzdem brauchten wir unseren Lehrern nicht nach den Mund zu reden, und das galt auch umgekehrt. Weit entfernt von Willkür und Einflussnahme der Nationalsozialisten, zwei Begebenheiten: Unser Geschichtslehrer verglich die militärische Lage Deutschlands im Jahr 1943 mit der des Ersten Weltkriegs; die Schlussfolgerungen für den Ausgang sollten wir selbst ziehen. Es erhob sich kein Widerspruch, und denunziert wurde er auch nicht. Unser Lateinlehrer vermochte die Klasse nur schwer zu disziplinieren, einmal in Rage bezeichnete er uns als „HJ-Führerschweine“. Glauben Sie nicht, dass er angezeigt worden wäre. Es mag schwer vorstellbar sein, aber Toleranz und Humanitas sind an unserer Schule während der NS-Zeit nicht verloren gegangen.“[5]

Diese offen oppositionelle Haltung wird wohl die Ausnahme gewesen sein, umso mehr prägten sie sich den Jungen ein.

Je länger der Krieg dauerte, umso mehr Schüler wurden sofort zur Wehrmacht eingezogen, immer mehr mit dem „Notvermerk“, einer Art leichterem vorgezogenem Abitur. Dieter Rieke hatte 1943 kaum das Zeugnis in der Hand, als er auch schon einrücken musste und 1944 nach Monte Cassino verlegt wurde. Und immer mehr kamen zu Tode. Das „Mitteilungsblatt“ vom Dezember 1939/Januar 1940 macht auf mit einem Eisernen Kreuz und den Sätzen: „Wir widmen dieses Blatt unseren gefallenen Helden. Dulce et decorum est pro patria mori“; dann: „Die zweite Kriegsnummer!“[6] Darin heißt es: „Das Interesse unserer Jungen galt naturgemäß dem gewaltigen Geschehen an den Fronten, und auch unser Unterricht war auf die wehrgeistige Erziehung ausgerichtet. Im Gemeinschaftsempfang hörten wir die Rundfunkansprachen der engsten Mitarbeiter unseres Führers Göring, Heß, Dr. Ley … In Feierstunden freuten wir uns der wunderbaren Erfolge unserer Wehrmacht und gedachten dankbar unserer Helden. Ein reger Schriftwechsel bestand zwischen den Lehrern unserer Schule und ehemaligen, unter den Waffen stehenden Schülern.“[7] 19 der 35 Seiten bestehen aus Nachrufen auf gefallene Ehemalige, und der Schulleiter führte ein „Heldenbuch“, in das die Todesanzeigen der Familien eingeklebt waren, auch interne Vermerke der Schule, oft mit dem mit Bleistift geschriebenen Zusatz „Kondoliert…“. Und bei gefallenen Lehrern kam es ihm auf die Würdigung der Erziehungsleistung „im nationalsozialistischen Sinne“ an, bei Schülern auf Tapferkeit und Opfermut für „Führer, Volk und Vaterland“.

Die „dritte Kriegsnummer“ (wieder mit Ausrufezeichen) gibt dem Direktor Heinze Raum, das Leitbild der Schule zu formulieren: „Unser Volk steht im harten Ringen gegen das Bündnis zwischen Bolschewismus und Plutokratie. Die Seiten unserer Mitteilungen füllen sich mit den Namen unserer gefallenen jungen Kameraden, deren unvergleichlicher Opfergeist unsere Haltung ausrichten soll auf selbstlose Mithilfe und bereitwilligen Einsatz in der Kriegsfront der Heimat … Da steht sie plötzlich vor uns, die große Verantwortung der Kriegsschule! Ihr Fronteinsatz hat darin zu bestehen, dass sie den draußen und drinnen Kämpfenden hochqualifizierten Ersatz zuführt.“[8]

Aus dem Abiturjahrgang 1940/41, der aus 41 Schülern bestand, erhielten 26 den „Reifevermerk“, weil sie noch während des Schuljahres zur Wehrmacht oder zur Waffen-SS eingezogen wurden. berichtet der Schulleiter.[9]

Soldaten und Offiziere kamen in den Unterricht oder traten vor der versammelten Schülerschaft in der Aula auf, warben natürlich für die Wehrmacht, erzählten von ihren Einsätzen. Und in dem „Mitteilungsblatt“ der Jahre ab 1940 wird der Leser ausschließlich als „Kamerad“ angesprochen (eine Anredeform, die sich übrigens bis in die späten 50er Jahre halten wird). Diese Hefte enthalten immer mehr Kurzbiografien zu Tode gekommener Schüler und Ehemaliger sowie Nachrufe – die Doppelnummer 11/12 aus dem März 1944 von S. 9 bis 89 von insgesamt 95 Seiten.

In einem solchen Nachruf – auch Nachrufe dienten dem Zweck, für den Krieg zu begeistern – heißt es im Stil billiger Landserromane: „Der Kommandeur und viele andere Offiziere waren schon gefallen, als immer noch mehr Bolschewisten aus dem dichten Nebel quollen …“ – das ist kaum zu ertragen und liest sich wie eine Vorwegnahme von John Carpenters Film „The Fog“ („Nebel des Grauens“). Aber weiter: „Auf dem Bauch liegend, unablässig feuernd, beförderte er noch etwa 80 Bolschewisten ins Jenseits.“ [10] … . Und in einem „Frontbericht“ heißt es: „Gestützt auf meinen Funker … erreichte ich unter dem Gezwitscher russischer Scharfschützenkugeln den vordersten Graben unserer Grenadiere …“[11] Wir wollen hier an Direktor Uhlemanns Warnungen vor den „Groschenheften“ aus dem Jahre 1914 erinnern: Diese seien angetan, „die jugendliche Phantasie- und Abenteuerlust in falsche Bahnen zu lenken.“[12]

Auch die 75-Jahr-Feier 1942 wurde zur Verherrlichung von Krieg und Gewalt missbraucht. Ein besonderes Ereignis war die Anwesenheit von Siegried Gerke bei der 75-Jahr-Feier:

„Die 75jährige Jubiläumsfeier unserer Schule stand im Zeichen der Ehrung der beiden ehemaligen Schüler und Ritterkreuzträger Major der Luftwaffe Schellmann und Oberleutnant der Luftwaffe Leesmann, von denen der erstere von einem Feindflug im Osten nicht zurückgekehrt ist. Gegen Schluß der Schulfeier erhielt Leutnant Siegfried Gerke, der als ehemaliger Schüler der Anstalt der Feier beiwohnte, die fernmündliche Nachricht, daß ihm das Ritterkreuz verliehen sei. Die Schule brachte als erste dem jungen Ritterkreuzträger die herzlichsten Glückwünsche für seine hohe Tapferkeitsauszeichnung dar.“[13] Ob dieser Anruf aus Berlin zufällig während der Feier kam, ist zweifelhaft, eher handelt es sich um eine besonders perfide Inszenierung.

________________________________ [1] Ich stütze mich hier auf Aussagen von Dieter Rieke (1925-2009), Heinz Aulfes (*1927) und Dr. Heinrich Boge (*1929) – mehr dazu steht hier auf diesem Internetauftritt [2] Sebastian Weitkamp, Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS in Osnabrück. In: Osnabrücker Mitteilungen 2007, Band 112, S. 221 [3] ema-report 2015, S.17 [4] http://ema-os.de/inhalte/alte-ema-hp/sind/seiten/ehem/ehem-presse/html/grshn-stein-1996.html [5] NOZ – Freitag, 16. Januar 2004, Leserbriefe [6] Mitteilungsblatt der Staatlichen Oberschule für Jungen (früher Realgymnasium zu Osnabrück) und der Vereinigung ehem. Schüler, Doppelnummer 5/6, Dezember 1939/Januar 1940. Osnabrück 1940, S. 3 – dulce et decorum est pro patria mori: „Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben.“ [7] a. a. O., S. 5 [8] Mitteilungsblatt der Staatlichen Oberschule für Jungen (früher Realgymnasium zu Osnabrück) und der Vereinigung ehem. Schüler, Doppelnummer 7/8, Dezember 1941/Januar 1942. Osnabrück 1942, S. 2 [9] a.a.O., S. 8 [10] Mitteilungsblatt der Staatlichen Oberschule für Jungen (früher Realgymnasium zu Osnabrück) und der Vereinigung ehem. Schüler, Doppelnummer 11/12, Mai 1944. Osnabrück 1944, S. 41f. [11] a.a.O., S. 90 [12] http://ema-os.de/29-schule/schule-gestern/1325-die-ferienordnung-vor-mehr-als-100-jahren [13] Mitteilungsblatt … , Doppelnummer 9/10, April 1943. Osnabrück 1943, S. 4


Die Schulchronik 1939-1945 (Auszüge)

Kinderlandverschickung (KLV) 1941-1945

„Flakhelfer„ Schulchronik 1939-1945 (Auszüge) Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Chronik der Schule von Dr. Karl Büsing betreut. Er hat sie handschriftlich verfasst. Da er nach Aussagen ehemaliger Schüler “ein strammer Nazi” war, erklärt sich so manche von Ideologie und Kriegsbegeisterung durchtränkte Formulierung. Die unten stehenden Auszüge aus der Chronik waren als Quellensammlung zur Schulgeschichte zur 120-Jahr-Feier unseres Gymnasiums erarbeitet worden. Der Text ist von Dr. Wilfried Pabst eingerichtet worden.

Die „Staatliche Oberschule für Jungen“ im 2. Weltkrieg

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Auszüge aus der Chronik der Staatlichen Oberschule für Jungen in Osnabrück (1939-45). 2 Bände (Chronist Büsing) Die frühere „Staatliche Oberschule für Jungen“ wurde 1957 in das Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium umbenannt. Die Chronik wurde im Oktober 1976 in einer Mülltonne wieder aufgefunden (von M. Läer).

VORBEMERKUNG

Die vorliegende Quellensammlung enthält Auszüge aus der Chronik der „Staatliche(n) Oberschule für Jungen“ (heute: „Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium“) für die Zeit des 2. Weltkriegs. Sie ordnet die ausgewählten Aufzeichnungen des Chronisten folgenden thematischen Schwerpunkten zu:

1 Luftschutzkeller

2 Brandwache und Selbstschutz der Schule

3 Fliegeralarm

4 Der Brand der Schule

5 Kinderlandverschickung

6 Unterricht für die Schüler bei der Flak

Die einzelnen, nur an ganz wenigen Stellen geringfügig gekürzten Quellenauszüge erscheinen in diachronischer Reihenfolge. Vollständigkeit bei der Zuweisung zu den oben aufgeführten Schwerpunkten ist naturgemäß weder beabsichtigt noch erreicht. Gleichwohl vermitteln die faktischen Angaben und zugegeben spärlichen Stellungnahmen (Erklärungen) des Chronisten einen erschreckenden Einblick in die Nöte der Schule (der Schüler vor allem und aller an ihr Beteiligten)während des ganzen 2. Weltkrieges (auch schon bald nach seinem Ausbruch).

1 LUFTSCHUTZKELLER

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18. 9. 39 Nachdem das Hochbauamt den Plan, einen Luftschutzraum in Gestalt eines großen Bunkers auf dem Schulhof zu errichten, aufgegeben hatte, wurde beschlossen, zunächst unter dem Klassenraum der 1b (Süd-West-Flügel) einen bombensicheren Luftschutzkeller anzulegen. Mit dem Bau dieses Kellers wurde am 18. Sept. begonnen. Die obdachlos gewordene Klasse 1b siedelte in die Aula über.

19. 10. 39 Nachdem der bombensichere Luftschutzkeller unter der 1b im großen und ganzen fertiggestellt worden war, wurde am 19. Oktober mit dem Bau eines zweiten Kellers unter dem Klassenraum der 1a begonnen (Nordwest-Flügel). Da die Steine für diesen Bau von der Lotterstraße her herangeschafft werden mußten, wurde leider ein Teil des im Frühjahr neu angelegten Vorgartens vernichtet. Weiterhin wurde von den an dem Bau beschäftigten Männern weiteres Baumaterial auf dem Schulhof aufgestapelt. Das Rattern einer Mörtelmischmaschine und einer Kreissäge auf dem Schulhof störte oft den Unterricht in den nach dem Schulhof liegenden Klassen. Die Klasse 1a siedelte über in einen vom Sicherheitsdienst wieder freigegebenen Klassenraum – in die frühere 2b.

23. 11. 39 Die Klasse 1b, die während der Luftschutzkellerarbeiten in der Aula untergebracht war, bezog wieder ihren alten, jetzt ausgebesserten Raum im Erdgeschoß. Da weiter unter dem Raum der Klasse 8a mit dem Bau eines Luftschutzkellers begonnen wurde, siedelten die paar Schüler dieser Klasse – solange sie nicht mit 8b im Raum dieser Klasse kombiniert waren – in die Aula über.

4. 3. 40 Nach Fertigstellung des großen Luftschutzkellers erhielten die einzelnen Klassen neue Verhaltensmaßregeln für den Fall eines Fliegeralarms.

11. 3. 40 Am Montag, dem 11. März, wurde im Rahmen einer Luftschutzübung in der zweiten Vormittagsstunde Probealarm geläutet. Die Schüler sämtlicher Klassen begaben sich darauf mit ihren Lehrern in die ihnen zugewiesenen Abschnitte des Luftschutzkellers.

25. 4. 40 Am Donnerstag, dem 25. April, wurde zu Beginn der fünften Unterrichtsstunde Probealarm geläutet. Die Schüler begaben sich daraufhin auf dem schnellsten Wege in die den einzelnen Klassen zugeteilten, jetzt mit Bänken und Tischen ausgerüsteten Räume des Luftschutzkellers.

24. 6. 40 Am Montag, dem 24. Juni, läutete die Schulglocke in der 4. Unterrichtsstunde Probealarm. Lehrer und Schüler begaben sich unverzüglich in die Luftschutzkeller. In der 5. Unterrichtsstunde ertönten in der Stadt die Sirenen und gaben Fliegeralarm. Wiederum begaben sich Lehrer und Schüler in die Luftschutzkeller. Nach einer halben Stunde erfolgte die „Entwarnung“, und der Unterricht nahm seinen Fortgang.

1. 10. 40 Der Luftschutzkeller der Schule wurde zum „öffentlichen Luftschutzkeller“ erklärt und stand somit – abgesehen von der Schulzeit – dem Osnabrücker Publikum mit zur Verfügung.

2 BRANDWACHE UND SELBSTSCHUTZ DER SCHULE

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16. 2. 41 Die aufgehobene Brandwache wurde wieder eingeführt und vom Kollegium übernommen. Wachlokal wurde das Geschäftszimmer. Die Wachzeit lief von 8 Uhr abends bis 7 Uhr morgens. Der die Wache ausübende Kollege war am folgenden Morgen von den ersten drei Dienststunden befreit, später von der ersten und zweiten Stunde. Die Vertretungen übernahm das Kollegium.

15. 6. 42 Studienrat Dr. Denecke, Luftschutzleiter der Schule, sprach am Montag, dem 15. Juni, in der 6. Stunde vor dem Kollegium über zwei Referate, die vor einigen Tagen auf einer Versammlung der Osnabrücker Betriebsluftschutzleiter gehalten worden waren. Dr. Denecke sprach zunächst über die gewaltigen Verheerungen, die der Angriff der englischen Bomber auf die Stadt Köln … angerichtet hatte. … Dr. Denecke berichtete anschließend über die Selbstschutzeinrichtungen der Schule (Sandkästen, Sandtüten, Wasserfässer, Kübelspritzen), in den einzelnen Klassen sollen noch Tüten mit Sand aufgestellt werden. Außerdem werden im Falle eines Alarms zwei Schüler der Oberstufe sich beim Brandwachhabenden melden und die Wache mit übernehmen. Im Ernstfall werden auch Dr. Denecke und Hausmeister Bühling zur Stelle sein. Im Anschluß an die Ausführungen des Dr. Denecke erfolgte ein Rundgang durch das Schulgebäude, bei welcher Gelegenheit besonders die Selbstschutzeinrichtungen auf dem Dachboden und der Luftschutzkeller besichtigt wurden.

18. 10. 43 Die verstärkten Terrorangriffe angl.-amerikanischer Fliegerverbände auf deutsche Städte in den letzten Wochen und Monaten und die mit ihnen verbundenen hohen Blutopfer haben die Forderung eines luftschutzmäßigen Verhaltens der Schüler von neuem in den Vordergrund gestellt. Nach den den Schulleitern der Stadt auf einer Rathaussitzung unterbreiteten neuen Anordnungen wird, sobald Luftgefahr eingetreten ist, dieses sofort durch das Stadtschulamt fernmündlich sämtlichen Schulen der Stadt mitgeteilt. Oberstudiendirektor Dr. Heinze wird die Meldung sogleich durch 2 Schüler an sämtliche Klassen der Anstalt weitergeben. Die einzelnen Klassen bereiten sich alsdann auf die zu erwartende Luftwarnung bzw. den Alarm vor. Schon bei der Luftwarnung (Voralarm) verlassen die Schüler, die in 7-10 Minuten den Luftschutzkeller zu Haus, bei Verwandten oder Bekannten erreichen können, das Schulgebäude und begeben sich mit ihren Büchern auf dem schnellsten Wege in die für sie in Frage kommenden Luftschutzkeller. Nach der Entwarnung laufen sie so schnell wie möglich zur Schule zurück. Die Schüler der Klassen 5-8 rücken – nach Möglichkeit geschlossen – im Laufschritt ab zu dem großen Bunker in der Lohstraße. Nach Schluß der Luftwarnung bzw. des Alarms begeben sie sich schnellstens wieder zur Schule. Die Schüler sind darauf hinzuweisen, daß sie auf ihrem Weg in den Luftschutzkeller bzw. in den Bunker an der Lohstraße stets Ausschau halten nach Unterkunftsmöglichkeiten, damit sie für den Fall, daß sie unterwegs vom Angriff überrascht werden, möglichst schnell in Deckung gehen können. Alle übrigen Schüler endlich begeben sich klassenweise geschlossen, unter Führung ihrer Lehrer, in die ihnen zugewiesenen Räume im Luftschutzkeller der Schule. Kommen die Fahrschüler auf ihrer Fahrt nach Osnabrück in den Voralarm oder Alarm, dann begeben sie sich sofort nach ihrer Ankunft auf dem Bahnhof in den dort befindlichen Bunker, wo sie die Entwarnung abzuwarten haben. Sollte gegen Schluß des Nachmittagsunterrichts Alarm gegeben werden, dann sind die Fahrschüler nicht zur Bahn zu entlassen. Sie haben bis zur Entwarnung im Luftschutzkeller zu bleiben selbst auf die Gefahr hin, daß sie bei sehr langem Alarm den Abendzug nach Haus nicht mehr erreichen. In diesem Fall ist dafür Sorge zu tragen, daß die Fahrschüler für die Nacht in der Stadt Quartier beziehen können, bei Voralarm gegen Schluß des Unterrichts aber werden die Fahrschüler zur Bahn entlassen.Während des Alarms tritt der Fahrschüler nicht die Reise nach Osnabrück an, er bleibt bis zur Entwarnung in seinem Elternhaus, bei Voralarm aber fährt er los.


24. 6. 40 Am Montag, dem 24. Juni, läutete die Schulglocke in der 4. Unterrichtsstunde Probealarm. Lehrer und Schüler begaben sich unverzüglich in die Luftschutzkeller. In der 5. Unterrichtsstunde ertönten in der Stadt die Sirenen und gaben Fliegeralarm. Wiederum begaben sich Lehrer und Schüler in die Luftschutzkeller. Nach einer halben Stunde erfolgte die „Entwarnung“, und der Unterricht nahm seinen Fortgang.

29. 6. 40 Nach einer Verfügung des Oberpräsidenten (Abteilung für das höhere Schulwesen) sind die Schüler der Klassen 1—5, wenn nach Mitternacht Fliegeralarm erfolgte, am folgenden Morgen in den beiden ersten Stunden unterrichtsfrei. Die Schüler der übrigen Klassen sind nur von dem Unterricht in der ersten Stunde befreit – eine Verfügung, die sehr zu begrüßen ist, denn die Tatsache , daß unsere Schüler in der letzten Zeit gezwungen waren, in jeder Nacht mindestens 2 Stunden im Luftschutzkeller zuzubringen, hat sich auf ihre Frische und Aufnahmefähigkeit sehr nachteilig ausgewirkt.

12. 5. 41 Am 12. Mai ertönten gegen 10.30 Uhr die Sirenen. Lehrer und Schüler saßen bis 11.45 Uhr im Luftschutzkeller.

6. 11. 42 Am Freitag, dem 6. November, gaben gegen 12.45 die Sirenen der Stadt das neu eingeführte Warnungssignal. … Unsere Schüler, die in der 6. Stunde noch Unterricht hatten, begaben sich sofort unter Führung ihrer Lehrer in den Luftschutzkeller der Schule. Da erst nach 2 Stunden das Signal „Entwarnung“ gegeben wurde, konnten die Fahrschüler erst am späten Nachmittag nach Hause fahren.

9. 11. 42 Am Montag, dem 9. November, rief das Warnungssignal die Schüler um 17.05 wiederum in die Luftschutzkeller. Die Entwarnung erfolgte erst gegen 17.30, d.h.kurz vor Schluß des Unterrichts. Die Schüler gingen nach der Entwarnung sofort vom Luftschutzkeller aus, wohin sie ihre Bücher mitgenommen hatten, nach Haus bzw. zum Bahnhof.

11., 16., 20. 12. 43 Am 16. Dezember war Alarm von 13.30-14.10. … Fliegeralarm während der Unterrichtszeit war ebenfalls am 11. und am 20. Dezember. … Durch den im Geschäftszimmer eingerichteten Drahtfunk konnten die in den Luftschutzkellern der Schule sitzenden Schüler von Zeit zu Zeit über den Standort und die Unternehmungen der starken eingeflogenen feindlichen Fliegerverbände auf dem laufenden gehalten werden.

14. 1. 44 In der Volksbildungsstätte sprach Oberstudiendirektor Dr. Heinze am Freitag, dem 14. Januar, um 17 Uhr in der Aula der Ratsoberrschule über das Thema: „Das Reich und der Imperialismus der Weltmächte“. Leider mußte der Vortrag gegen 18.30 wegen Fliegeralarm abgebrochen werden.

24. 5. 44 Mittwoch, den 24. Mai, von 9.45-14.30 Fliegeralarm bzw. öffentliche Luftwarnung. Der Unterricht hatte um 8.45 begonnen, von 9.45 an fiel er aus. Ein regulärer Unterricht läßt sich nicht mehr durchführen.

4 DER BRAND DER SCHULE

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10. 8. 42 Am 10. August 42 wurde gegen 1.30 Uhr Luftalarm gegeben. Der eigentliche Angriff setzte erst gegen 3 Uhr ein. Kurz nach 3 Uhr wurde unsere Schule – wie viele andere große und hohe Gebäude der Stadt – von englischen Fliegern angeflogen. Der Schulhof und die Straße wurden mit Brandbomben bestreut. Gegen 3.30 Uhr erfolgte der zweite Anflug, der tiefer als der erste geflogen wurde. StRat Dr. Denecke, der in jener Nacht die Brandwache hatte, stellte im Aulastockwerk und in der Werkstatt 9 Brandbomben fest. Er machte sie sämtlich unschädlich, wobei ihm der Luftschutzblockwart Fehr (Dielingerstraße) half. Hausmeister Bühling löschte Brandbomben, die in die Turnhalle gefallen waren. Bald darauf wurde Feuer in der Verschalung des behelfsmäßigen Klassenraums in der SW-Ecke des Dachgeschosses (früher kathol. Religionszimmer) festgestellt und mit Wasser bekämpft. Die Schüler Niemann (Kl. 6), Luhren(6), Haunhorst(6), Völler (7), Möller (5), Hagemeister (5), der ehemalige Schüler Wischmeyer und Fräulein Heinze und Fräulein Welp halfen tatkräftig mit bei den Löscharbeiten. Das Feuer aber konnte leider nicht mehr auf seinen Herd beschränkt werden, denn es rührte höchstwahrscheinlich von einer Phosphorbombe her (ein Blindgänger einer solchen Bombe wurde nach Tagesanbruch im Garten der Direktorwohnung gefunden); und die Kübelspritzen und Fässer waren schnell geleert, und infolge des geringen Drucks der Wasserleitung konnten die Eimer nicht schnell genug wieder gefüllt werden. Ein weiterer Brandherd wurde dann neben der Orgelkammer und bald darauf in der Mitte des Hauptgebäudes, an der Holztreppe zur Plattform beobachtet. Vermutlich war eine zweite Phosphorbrandbombe neben die Orgelkammer gefallen. Damit war das Schicksal des Schulgebäudes besiegelt. Das trockene Bodengebälk bot dem Feuer reichliche Nahrung. Der Fernsprecher, mit dem man hätte Hilfe herbeirufen können, versagte, die Einsatzgruppe der Ortsgruppe war bei dem Brand der Landesfrauenklinik am Lieneschweg eingesetzt worden, und die eingesetzten Feuerwehren von Glane und Glandorf waren nicht auf eine derartige Aufgabe eingestellt. Die Leitungen gaben, wie schon gesagt, nicht genügend Wasserdruck. Außerdem wurden durch den Einsturz der Decke über der Haupttreppe zwei lange Schlauchleitungen der Feuerwehr eingeklemmt. Die weitere Bekämpfung des Feuers konnte so nur über die Nebentreppe erfolgen. Aber das Feuer im Dachgeschoß konnte nicht mehr gelöscht werden. Die an und für sich nur schwache Auladecke fing Feuer und fiel brennend in den Zwischensaal, der vollkommen ausbrannte. Durch Wasserschäden stürzten später noch andere Deckenteile herunter, so besonders im SW-Flügel des Gebäudes. Man mußte sich darauf beschränken, Sammlungen und Bücher aus dem Aulaschrank und der Zeichen-Modellkammer zu retten. Die Amtswohnung des Direktors blieb wie durch ein Wunder vollkommen unbeschädigt. Hausmeister Bühling aber mußte seine Wohnung räumen, da infolge der Wasserschäden Einsturzgefahr bestand; er bezog eine Notwohnung im Hause von Frau Welp (Lotterstraße). Es war ein grauenhafter Anblick, als am frühen Morgen des 10. August die ersten Sonnenstrahlen sich einen Weg bahnten durch den Qualm und den Dunst, die über den Dächern der Stadt lagen und sich auf Steingeröll, verkohlte Balken, Schutt und Asche unseres einst so stolzen Schulgebäudes legten. Nichtsdestoweniger nahmen die schon während des Brandes begonnenen Aufräumungsarbeiten am frühen Morgen ihren Fortgang. Bücher der Hilfsbücherei, physikalische Apparate wurden zu den überdachten Fahrradständern, wertvolle Wandbilder, die Musikinstrumente der Schülerkapelle und die Möbel des Direktorzimmers auf den mit Brandbomben geradezu übersäten Schulhof transportiert. Die Schulsekretärin, Fräulein Gottschalk, sorgte für die Bergung der wichtigsten Akten aus dein Direktor- und Geschäftszimmer und ließ sie in die Wohnung des Direktors schaffen. Am Abend räumte die Feuerwehr das Feld, dünne Rauchschwaden stiegen hier und da aus den Trümmern zu einem blauen Sommerhimmel empor. Sobald Oberstudiendirektor Dr. Heinze die Nachricht von der Brandkatastrophe erhalten hatte (der Fernsprecher kann in Osnabrück zur Stunde (1. Sept.) noch nicht wieder benutzt werden, da in jener für die Stadt so verhängnisvollen Nacht das Fernsprechamt durch Volltreffer zerstört worden war) kehrte er von seinem Ferienaufenthalt im Harz nach Osnabrück zurück und leitete persönlich die weiteren Bergungs- und Aufräumungsarbeiten. Ein paar Berufskameraden und ein Gruppe treuer, stets hilfsbereiter Schüler half ihm dabei in den folgenden Tagen und Wochen. Die bereits geborgenen Bücher wurden auf Karren zum Gymnasium Carolinum und die geretteten physikalischen Apparate in den Duschraum der Turnhalle geschafft. Weiter wurden noch viele Bände aus der Hilfsbücherei und den Aktenschränken geborgen und zusammen mit einigen Anschauungsbildern (aus dem sonst ausgebrannten Kartenzimmer) in dem großen Umkleideraum der Turnhalle untergebracht. Endlich wurden noch sehr viele gut erhaltene Tische, Bänke und Stühle aus den nicht gänzlich zerstörten Klassenräumen zu den überdachten Fahrradständern transportiert.

Januar 43 Und unser ehedem so stolzes Schulgebäude an der Lotterstraße? Trotz aller Vorstellungen seitens der Schulleitung bei der Regierung, dem Hochbauamt und der Stadt, durch eine neue Überdachung doch wenigstens den an der Arndtstraße gelegenen Anbau mit der Hausmeisterwohnung vor dem endgültigen Verfall zu retten, wird nichts unternommen. Was die englischen Brandbomben am 10. August vorigen Jahres, was die Regengüsse im Herbst nicht zu zerstören vermochten, das vollbringen nun langsam, aber sicher die Winterstürme, der Schnee und das Eis. Eine Zimmerdecke nach der anderen stürzt ein und hinab in die Tiefe. Nur unter Lebensgefahr kann man das der völligen Zerstörung anheimfallende Gebäude betreten. Jeden, der hier einst jahrelang ein- und ausging, sei es als Lehrer, sei es als Schüler, beschleicht ein Gefühl der Wehmut, wenn er vor den Trümmern seiner alten Schule steht. Und läßt gar der Vollmond sein fahles Licht die nackten, hochragenden Schornsteine hinab über kahle Steinwände, verkohlte Balken und zerschlagene Scheiben gleiten, dann überkommt einen ein stilles Grauen.-

Mai 43 Das Schulgebäude an der Lotterstraße, in dessen Erdgeschoß der S.H.D. ein Materialienlager eingerichtet hat, wird seit Mitte Mai einer gründlichen Säuberung durch ein Zuchthäuslerkommando unterzogen.

Januar 44 Die Aufräumungs- und Wiederinstandsetzungsarbeiten in unserem alten Schulgebäude an der Lotterstraße, die im Frühjahr vorigen Jahres in Angriff genommen wurden, sind inzwischen so weit gediehen, daß das Gebäude wieder unter Dach und Fach gesetzt werden konnte. Seinem weiteren Verfall nach dem verhängnisvollen 10. August ist so Einhalt geboten worden. Der Sicherheitsdienst hat sein Materiallager wieder aus dem Erdgeschoß entfernt, und hier und da wird nun Hand angelegt an der Inneneinrichtung. Das augenblickliche auffallend milde Winterwetter begünstigt sehr die Instandsetzungsarbeiten. Es dürfte aber doch noch eine gute Weile dauern, bis das Gebäude wieder bezogen werden kann, denn infolge des großen Mangels an Arbeitskräften und Material nehmen die Arbeiten sehr viel Zeit in Anspruch.

5 KINDERLANDVERSCHICKUNG

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25. 3. 41 St.Assessor Dr. Schnepel konnte, trotzdem er Gefreiter und Offiziersaspirant war und die Wehrmacht daher berechtigten Anspruch auf ihn am 1. März erhoben hatte, weiterhin reklamiert werden. Im Rahmen der Kinderlandverschickung, der er sich zur Verfügung gestellt hatte, wurde Dr. Schnepel beauftragt, Kinder, Schüler unserer 3a und 3b in Keukirchen bei Zell am See, einem nicht luftgefährdeten Gebiet, zu betreuen. – Die Schüler der Klassen 3a (7) und 3b (27), die sich für die oben erwähnte Kinderlandverschickung gemeldet hatten, wurden am Donnerstag, dem 27. März, nach der zweiten Unterrichtsstunde von Oberstudiendirektor Dr. Heinze in der Aula verabschiedet. An demselben Tage fuhr Dr. Schnepel nach Neukirchen. Der Transport selbst sollte erst am Montag, dem 31. März, unter Leitung von H.J. Führern Osnabrück verlassen. Gepäck der Jungen und Kisten mit Büchern gingen bereits vor dem 31 nach Neukirchen ab.

31. 3. 41 „Der Mensch denkt, Gott lenkt!“ – Es kam ganz anders mit dem Transport der Kinderlandverschickung, als man gedacht hatte. Als nämlich die bewußten 37 Jungen, mit Kisten und Kasten und Lebensrnitteln für zwei Tage bepackt, in Begleitung ihrer Eltern, Verwandten, Freunde und Bekannten am 31. März um 14 Uhr, wie befohlen, auf dem Hauptbahnhof erschienen – auch die Kapelle war erschienen – , wurde den Versammelten die Mitteilung gemacht, daß durch höheren Befehl um 13 Uhr die Verschiebung des Transportes wegen der politischen Spannungen zwischen Deutschland und Jugoslawien bis auf weiteres angeordnet worden sei. Die für die Kinderlandverschickung freigegebenen Gebiete der Ostmark waren inzwischen zur Aufnahme der aus Jugoslawien vertriebenen Volksdeutschen bereitgestellt. Enttäuscht zogen unsere Jungen mit ihren Eltern und ihrem Gepäck wieder ab nach Haus, und am folgenden Tage wurde ihnen in der Schule mitgeteilt, daß für sie der Unterricht bis auf weiteres ausfiele – eine Verfügung, die sie zwar lebhaft begrüßten, die sie aber doch nicht über die tags zuvor erlebte Enttäuschung hinwegzusetzen vermochte.

18. 10. 42 Der Führer wünscht, daß nach Möglichkeit die Kinder aus den luftgefährdeten Gebieten in die Gaue übersiedeln, die nicht durch Angriffe englischer Flieger bedroht werden. Diesem Wunsche Rechnung tragend, erließ der Oberbürgermeister in den Tageszeitungen einen Aufruf, in dem er die Eltern der Schüler aus den Grundschulen und den Klassen 1-4 der Mittel- und höheren Schulen dazu aufforderte, ihre Kinder für die für die nächste Zeit geplante Kinderlandverschickung anzumelden. Die Meldungen aber liefen nicht sehr zahlreich ein, und die Direktoren und Rektoren der Osnabrücker Schulen hielten daraufhin Elternversammiungen ab, in denen sie den Eltern ihrer Schüler die Vorteile einer Kinderlandverschickung in der heutigen Zeit klarmachten und ihnen die Anmeldung ihrer Kinder für diese Verschickung dringend empfahlen. Oberstudiendirektor Dr. Heinze lud die Eltern unserer Schüler der Klassen 1-4 zu einer Versammlung im Carolinum ein (Sonntag, den 18. Oktober, 11 Uhr). Außer vielen Eltern erschienen auch die Klassenleiter der oben genannten Klassen. Zu Beginn der Versammlung, die in der Turnhalle des Carolinum stattfand, setzte der Direktor den Erschienenen die Gründe auseinander, die ihn veranlaßt hatten, sie zu dieser Zusammenkunft und Aussprache einzuladen. Er fordert dann die Eltern dringend auf, ihre Kinder für die Kinderlandverschickung anzumelden, da mit weiteren Angriffen der britischen Flieger auf Osnabrück zu rechnen ist. Je zahlreicher die Meldungen einlaufen, umso mehr besteht die Aussicht auf die Verschickung geschlossener Klassen, umso mehr kann die schulische Betreuung der Jungen garantiert werden. AIs Aufnahmerorte sind namhaft gemacht worden: Hessen-Nassau, Salzburg, Schwaben, Oberdonau. Studienrat Dr. Kaufmann und St.Assessor Schumann werden sich voraussichtlich dem Transport anschließen. Über den Bestimmungsort und die Form und die Art der Unterkunft und des Unterrichts kann z.Z. noch nichts Bestimmtes gesagt werden. Zum Schluß der Versammlung beantwortete der Direktor noch einige aus dem Kreise der Eltern an ihn betr. Kinderlandverschickung gestellte Fragen.

12. 11. 42 Auf einer Gesamtkonferenz am Donnerstag, dem 12.November (17.30), im Anschluß an den Unterricht, gab Oberstudiendirektor Dr. Heinze dem Kollegium u.a. die Maßnahmen bekannt, die angesichts des bevorstehenden K.L.V.-Transportes im Interesse der Schule getroffen werden mußten. Im Rahmen der erweiterten K.L.V. werden 116 Schüler unserer Anstalt uns verlassen und nach Bresnitz bei Prag fahren. 60 Schüler der Ratsoberschule schließen sich dem Transport an, der voraussichtlich am 20.d.M. unter der Leitung von H.J. Führern von Osnabrück abfahren wird. Die Jungen werden in einer großen, ehemaligen tschechischen Schule, verbunden mit Internat, untergebracht. Die schulische Betreuung der Jungen übernehmen 2 Lehrer der Ratsoberschule (St. Rat Jasch ist Lagerleiter) und 4 Lehrer unserer Anstalt: St.Rat Dr. Kaufmann, St.Rat Behnel, St.Rat Dr. Laig und St.Assessor Schumann, denen somit eine schwere und verantwortungsvolle Kriegsaufgabe zugefallen ist. Im Laufe der oben erwähnten Konferenz verabschiedete Oberstudiendirektor Dr. Heinze die in den Dienst der K.L.V. tretenden Berufskameraden und erteilte ihnen besondere Richtlinien für ihr neues Amt. – Am Freitag, dem 13. November, schieden Lehrer und Schüler der K.L.V. bis auf weiteres aus dem Schulverband aus. Mithin verlor das Kollegium seine 4 jüngsten Mitglieder, von denen die K.V. geschriebenen Studienräte Dr. Kaufmann und Behnel weiterhin „unabkömmlich“ gestellt worden waren – ein gewiß nicht beneidenswertes Lob für einen Jugenderzieher in einer Zeit, da unsere wehrtüchtigen Männer an den Fronten in schwersten Kämpfen um Sein oder Nichtsein unseres Vaterlandes ringen.

18. 11. 42 Der für das K.L.V.-Lager Bresnitz bei Prag bestimmte Transport trat am Mittwoch, dem 18. Nov., 10 Uhr, auf dem Flur vor der Aula des Carolinum zum Appell an (Anzug: HJ-Uniform, Koffer in der Hand).

Am Freitag, dem 20. November, 16 Uhr, versammelte sich der Transport des K.L.V.-Lagers „Bresnitz“ auf dem großen Bahnhofsvorplatz. Es traten gleichzeitig die Transporte der Lager „Laude Waldeck“, „Sedlitz“ und „Bad Lettin“ an. Gegen 17.30 setzte sich der Zug in Bewegung – Richtung Prag. Hier und da, sowohl bei den jungen Reisenden als auch bei den zurückbleibenden Müttern, ließen sich ein paar Tränen nicht ganz unterdrücken, was durchaus zu verstehen war, hieß es doch Abschied nehmen für voraussichtlich ein Jahr – – – Neben diesem ersten offiziellen K.L.V.-Transport sind einzelne Schüler schon vorher in „luftsichere“ Gebiete gefahren, wo sie in der Regel bei Verwandten oder Bekannten Unterkunft fanden und Gelegenheit haben, eine höhere Schule zu besuchen. Die z.Z. aus dem stark bedrohten Emden zu uns übergesiedelten Schüler haben uns ebenfalls verlassen und sind in das K.L.V.-Lager ihrer alten Schule eingetreten (Bad Wildungen).

Januar 43 Aus dem K.L.V.-Lager Bresnitz, in dem 116 Schüler unserer Anstalt untergebracht sind, liefen weitere Berichte ein, die ganz danach angetan waren, auch die ängstlichen Gemüter besorgter Mütter zu beruhigen. Laut Zeitungsmeldung vom 29. XII. 42 spendete das Lager Bresnitz 660 RM für das Winterhilfswerk. Es sollen noch einige ältere Schüler der Anstalt als „Lageraufsichtsführer“ nach Bresnitz in Marsch gesetzt werden, um die dort bislang im Lager tätigen und unseren Schülern fremden „Mannschaftsführer“ abzulösen im Interesse eines ersprießlichen Zusammenlebens im Lager.

17. 4. 43 Am Sonnabend, dem 17. April, fand in der Aula des Carolinum nachmittags eine Versammlung der Eltern statt, deren Jungen sich z. Zt. im K.L.V.-Lager in Bresnitz aufhalten. Die große Aula war bis auf den letzten Platz gefüllt. Oberstudiendirektor Dr. Heinze setzte den Eltern die Gründe auseinander, die im Herbst vorigen Jahres zur Einrichtung des Lagers Bresnitz geführt hatten, und empfahl ihnen, nach Möglichkeit ihre Jungen auch während des Sommers im K.L.V.-Lager zu lassen. Erfahrungsgemäß ist für Osnabrück die Gefahr, von feindlichen Fliegern angegriffen zu werden, während der Sommermonate größer als zur Winterszeit. Studienrat Dr. Laig, der am 16. April aus Bresnitz in Osnabrück angekommen war, gab anschließend einen ausführlichen Bericht über das Leben im Lager Bresnitz während der Monate November bis April, beantwortete die aus dem Kreise der Eltern an ihn gestellten Fragen und setzte sich ebenfalls für die Fortführung des Lagers ein. Die Eltern wurden aufgefordert, sich schriftlich darüber zu äußern, ob sie ihre Jungen weiter in Bresnitz lassen wollten oder ihre Rückkehr in die Heimat wünschten. Die in den folgenden Tagen im Geschäftszimmer der Schule abgegebenen Erklärungen ergaben, daß 2/3 der Elternschaft ihre Kinder wieder zu Haus zu haben wünschten. Mithin dürfte mit einer Rückkehr unserer Schüler aus Bresnitz im Monat Mai zu rechnen sein.

15. 5. 43 Am späten Nachmittag des 15. Mai kehrten unsere Schüler, die am 20. November in das K.L.V.-Lager Bresnitz gefahren waren, wohlbehalten in ihre Heimat zurück. Am 24. Mai begann für sie wieder der Unterricht. Die Zusammensetzung der einzelnen Klassen soll in der Bresnitzer Form bis zum Ende des Schuljahres beibehalten bleiben. Der Reichsverteidigungskommissar hat eine Liste mit den Namen derjenigen Städte zusammengestellt, deren Schulen (bei den höheren Schulen handelt es sich um die Klassen 1-4) in luftsichere Gebiete zu verlegen sind. Osnabrück gehört zu diesen Städten, und am 15. Februar erhielt die Leitung unserer Schule durch Vermittlung des städtischen Schulamts die Aufforderung, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen für eine Verlegung der Klassen 1-4 nach Holland (zwischen Zwolle und Apeldoorn) um den 20. März herum. Oberstudiendirektor Dr. Heinze setzte daraufhin eine Gesamtkonferenz auf den 21. Februar, 17 Uhr, fest und berichtete auf dieser Konferenz über das Ergebnis einer am Vormittag desselben Tages stattgefundenen Besprechung der Leiter der höheren Schulen der Stadt. Sämtliche Schulen Osnabrücks werden nach und nach verlegt (einige Grundschulen sind schon fort), und zwar nach den beiden Hauptgesichtspunkten: 1) Es soll auf die Eltern kein Zwang ausgeübt werden; 2) die Sicherheit der Kinder ist auf alle Fälle zu gewährleisten! Unter den höheren Schulen eröffnet das Carolinum den Reigen. Das Gymnasium wird am 15. März seine Pforten bis auf weiteres schließen. Schloß Eerde in Ommen (150 Schüler) und ein großes Gebäude in Meppeln (60 Schüler) können belegt werden. Sobald unserer Anstalt eine feste Unterbringungsgelegenheit angeboten wird, wird auch sie geschlossen, unter Umständen klassenweise, je nach der Größe der zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten. Jeder Schüler, der mit nach Holland geht, hat eine Garnitur Bettwäsche, 1 Wolldecke, 1 Eßbesteck und 1 Tasse mitzunehmen. Es wird weiterhin dafür gesorgt werden,daß je 2 Schüler aus jeder Klasse abwechselnd ihre Mütter für eine gewisse Zeit im Lager unterbringen können. Auch die mitfahrenden Lehrer können ihre Frau mitnehmen bzw. nachkommen lassen. Die Betreuung der Schüler durch die H.J. liegt in den Händen des Oberbannführers Hinrichs, die Lagermannschaftsführer werden aus den Reihen unserer Schüler gestellt. Die Unterrichtsaufsicht wird durch den Schulrat in Apeldoorn durchgeführt. Jedes Lager wird außerdem durch einen Militärarzt und eine NSV-Schwester betreut. Es ist Pflicht eines jeden Lehrers, für die Verschickung der Jungen Propaganda zu machen. Und er kann es mit ruhigem Gewissen tun, denn das Gebiet in Holland, welches uns zur Verfügung gestellt wird, (30 km von der Reichsgrenze entfernt) ist als ein absolut luftsicheres Gebiet zu betrachten, welches zwar von feindlichen Flugzeugen überflogen wird, aber überhaupt keinen Flugalarm kennt. Bomben sind dort noch nicht gefallen. Auch eine Invasion im Westen, von der jetzt so viel geredet wird, dürfte das in Frage kommende holländische Gebiet in keiner Weise in Mitleidenschaft ziehen. Außerdem wird für eine gute und reichliche Verpflegung der Jungen im Lager Sorge getragen werden. – Die Einberufung einer Eltern-Versammlung ist für die nächste Zeit in Aussicht genommen! Abschließend und ergänzend sei noch gesagt, daß eine kirchliche Betreuung der Jungen in Holland unmöglich ist und daß ferner die Studienräte Dr. Schomburg, Dr. Völker, Dr. Laig, Dr. Lechtenberg und Schumann sich aus freien Stücken bereit erklärten, das Leben im Lager mit unseren Schülern zu teilen.

21. 3. 44 Am Dienstag, dem 21. März, berichtete der Direktor in einer um 17 Uhr beginnenden Gesamtkonferenz über seine auf der Reise nach Holland gesammelten Eindrücke. Die Schüler der Klassen 1-4 sollen nach Holland übersiedeln, soweit ihre Eltern ihre Einwilligung dazu geben. Das Gymnasium Carolinum hat auf das ihm zuerst zur Verfügung gestellte Schloß Eerde in Ommen bei Zwolle verzichtet, da nur ein paar Schüler sich bereit erklärten, nach dort verlegt zu werden. Das Carolinum ist aber nicht am 15. März aufgelöst worden, wie anfangs vorgesehen und ausdrücklich betont worden war. Schloß Eerde soll nun unsere Schüler aufnehmen, die sich zur Übersiedlung nach Holland melden. Der Direktor gab eine ausführliche Beschreibung von Land und Leuten aus der näheren und weiteren Umgebung des Schlosses. Schloß Erde liegt unweit Zwolle, etwa 25 km von der Reichsgrenze entfernt, weitab vom Getriebe der Großstädte mitten zwischen gewaltigen Buchenwaldungen. Sein Besitzer, ein holländischer Baron, hat sein Schloß mit allem Zubehör an eine Gemeinde der Quäker verpachtet, die ihrerseits aus dem idyllisch gelegenen Herrensitz ein Landerziehungsheim für Quäkerkinder gemacht haben. Von der eben genannten holländischen Sekte hat die N.S.V. den Besitz mit seinem sämtlichen lebenden und toten Inventar übernommen. Die Klassenzimmer sind hell und luftig, desgleichen die Schlaf- und Tagesräume der Jungen. Die für die Lehrkräfte vorgesehenen Räume lassen ebenfalls nichts zu wünschen übrig. Das Gebäude hat Heizung und alle erforderlichen sanitären Einrichtungen. Auf den in unmittelbarer Nähe des Gutshauses gelegenen Sportplätzen und im Schwimmbad werden die Jungen reichlich Gelegenheit haben, ihren Körper zu stählen. Für die Betreuung der erkrankten Schüler steht eine Schwester zur Verfügung, die in dem Schloß bereits ein geräumiges, sonniges Krankenzimmer eingerichtet hat. Bei ernstlichen Erkrankungen wird ein deutscher Militärarzt zu Rate gezogen werden; das Personal ferner, ein Hausmeisterehepaar, eine Köchin und sonstige Angestellte, setzt sich aus Holländern zusammen, die einen durchaus vertrauenerweckenden Eindruck machen. Alarm endlich kennt man dort in dem stillen, abgeschlossenen Waldwinkel nicht, trotzdem das Gebiet häufig überflogen wird. Man weiß nicht,ob es sich um deutsche oder feindliche Flugzeuge handelt. Bomben sind dort noch niemals gefallen. Der Gedanke der Invasion dürfte außerdem verblassen angesichts der Tatsache, daß sich hinter den gewaltigen Waldungen große Moore erstrecken, die für feindliche Truppen keinen willkommenen Landeplatz abgeben dürften. Nachdem der Direktor Land und Leute der näheren und weiteren Umgebung kurz charakterisiert und eine Beschreibung des Schlosses selbst gegeben hatte, erklärte er, daß mit dem besten Gewissen unter unseren Schülern Propaganda gemacht werden könnte und müßte für eine Übersiedelung nach diesem so herrlich gelegenen Landsitz, der als eine geradezu ideale Heimstätte für unsere Jungen aus den Klassen 1-4 in diesen unruhigen und bewegten Kriegszeiten anzusehen sei. – Die Eltern der Schüler der Klassen 1-4 sollen noch zu einer Versammlung am 27. März in der Aula des Carolinum eingeladen werden. Sie haben ferner zu dem auf einem Formular vorgedruckten drei Punkten Stellung zu nehmen: entweder lassen sie ihren Sohn mit nach Holland gehen oder sie schicken ihn im Rahmen der allgemeinen K.L.V. auf eine andere Schule innerhalb des Reichsgebietes oder sie erklären sich damit einverstanden, daß ihr Sohn bis auf weiteres überhaupt keine Schule besucht. Die Schüler, die ein amtsärztliches Attest beibringen und somit lagerunfähig geschrieben wurden, haben Anspruch auf weiteren Unterricht in Osnabrück. – Die Tatsache, daß das Carolinum zum festgesetzten Termin nicht aufgelöst worden ist, hat hier und da in den Elternkreisen unserer Schüler die Vermutung aufkommen lassen, daß unsere Anstalt hier in Osnabrück im vollen Umfang weiter bestehen wird. Das Carolinum hat uns da ein schlechtes Beispiel gegeben, und die Vermutung unserer Eltern ist durchaus zu verstehen, zumal es für Vater und Mutter nicht leicht sein dürfte, ihr Kind im Kriege in besetztes Feindesgebiet fahren zu lassen. Die Staatliche Oberschule aber ist entschlossen, das geplante und vom Staat gewünschte und geförderte Unternehmen durchzuführen.

28.3.44 Eine große Anzahl unserer Schüler der Klassen 1-4 ist in den letzten Wochen von der Anstalt abgegangen. Ihre Eltern haben sie abgemeldet, weil sie glaubten, es nicht verantworten zu können, ihre Söhne dem geplanten Transport nach Holland, d.h. in besetztes Feindesgebiet, mitzugeben. Es haben sich besonders die Klassen gelichtet, die sich vornehmlich aus Schülern aus der Landbevölkerung der Osnabrücker Umgebung, der Kreise Melle und Quakenbrück zusammensetzen. Inzwischen haben die Oberpräsidenten der Provinzen Hannover und Westfalen den Direktoren der ihnen unterstellten Schulen untersagt, Schüler der Anstalten aufzunehmen, die auf höheren Befehl hin zu evakuieren sind. Durch diesen Erlaß wurde dei Abwanderung seitens unserer Schüler ein gewisser Einhalt geboten. Diejenigen Schüler, die, wie oben erwähnt, unsere Anstalt verlassen haben, sind teils als Gastschüler, teils als etatmäßig geführte Schüler auf andere Schulen übergegangen, so auf die Oberschule in Bünde, die neugegründete Heimschule in Iburg, die Mittelschüler in Bad Essen, Ibbenbüren, die Hauptschulen in Bohmte, Schledehausen, die Volksschulen in Ankum, Hagen, Belm, Hasbergen … Die Versammlung der Eltern unserer Schüler aus den zu evakuierenden Klassen 1-4 fand, wie festgesetzt, am Montag, dem 27 März, um 16 Uhr statt. Die Aula des Carolinum war bis auf den letzten Platz besetzt; zahlreich waren die Eltern der Einladung des Direktors gefolgt. Außerdem waren die Klassenleiter (Kl. 1-4) und die mit nach Holland übersiedelnden Berufskameraden erschienen. Zu Beginn seiner Ausführungen wies der Direktor auf die Notwendigkeit und den tieferen Sinn der geplanten Verlegung der Klassen 1-4 nach Holland hin und hob im Zusammenhang damit nochmals die Tatsache hervor, daß er, falls die anderen Schulen unserem Beispiel der Auflösung nicht folgen würden, nach dem Spruch „Gleiches Recht für alle“ nichts unversucht lassen würde, spätestens bis Winteranfang unsere Schüler wieder nach Osnabrück zurückzubekommen. Der Direktor streifte dann noch bei dieser Gelegenheit die geplanten Maßnahmen des Carolinum, welches seine Klassen 1-4 im Landkreis Osnabrück bzw. in den Kreisen Bersenbrück bzw. Wittlage unterbringen will, ohne Frage ein zweifelhaftes Unternehmen angesichts der Tatsache, daß gerade in den letzten Wochen die feindliche Luftwaffe häufig Ortschaften in der näheren und weiteren Umgebung Osnabrücks nicht nur überflogen, sondern auch angegriffen hat. Im übrigen beschränkte der Direktor sich auf die Darlegungen, wie er sie in der Gesamtkonferenz am 21. März vor dem Kollegium gemacht hatte. Nach Schluß seiner Ausführungen beantwortete der Direktor noch einige Fragen, die aus dem Kreise der versammelten Eltern an ihn gerichtet wurden, so Fragen der kirchlichen Betreuung und des Religionsunterrichts, der Übergangsmöglichkeiten der zurückbleibenden Schüler auf andere Schulen usw.. Gegen 18 Uhr wurde die Elternversammlung nach Klärung aller aufgeworfenen Fragen geschlossen. Sie hatte sich im Gegensatz zu der im Anfang März an demselben Ort recht stürmisch verlaufenen Elternversammlung des Carolinum ganz harmonisch abgewickelt.

3. 4. 44 Am Montag, dem 3. April, 17 Uhr, war der K.L.V.-Transport unserer Schüler nochmals Gegenstand einer kurzen Gesamtkonferenz. Nach Mitteilung des Direktors haben sich 106 Schüler für das K.L.V-Lager in Holland gemeldet. Der Transport wird voraussichtlich am 2. Mai abgehen. Die Studienräte Albrecht, Dr. Schomburg, Dr. Laig, Schumann, Dr. Lechtenberg werden die Betreuung der Schüler übernehmen. Als 6. Lehrkraft (es sind 90 Stunden zu geben) wurde St.Rat Dr. Kellner als Mathematiker in Aussicht genommen. Die nicht „lagerfähig“ geschriebenen Schüler werden weiter Unterricht erhalten, vielleicht zusammen mit den zurückbleibenden Mädchen der Oberschule für Mädchen (sprachliche Form), die als nächste Schule evakuiert werden soll. Ein Teil der durch die Verlegung der Klassen 1-4 nach Holland „arbeitslos“ werdenden Lehrkräfte wird die Flakhelfer unterrichten. Über die Verwendung der übrigen ist noch nichts bekannt.

4. 4. 44 Planmäßig sollte der Unterricht vor den Osterferien am Donnerstag, dem 6. April, nach der 3. Stunde geschlossen werden. Da wir in der ersten Aprilwoche Nachmittagsunterricht hatten, am Mittwoch, dem 5. April also unterrichtsfrei waren, schlossen wir bereits am Dienstag. dem 4. April. Bereits nach Schluß der zweiten Unterrichtsstunde – es war gerade kein Fliegeralarm – ließ der Direktor Lehrer und Schüler auf die Aula kommen. Es dürfte wohl für längere Zeit das letzte Mal gewesen sein, daß die Schule im geschlossenen, wenn auch schon stark gelichteten Verband zusammentrat. Der Chronist unterstreicht diese Tatsache als wichtiges Moment in der Geschichte der Schule, besser gesagt in dem Auflösungsprozeß, in dem sich die Anstalt nun mal befindet. Ein Geschick hat sie damit ereilt, welches schon viele andere Schulen im Krieg seit langem getroffen hat. Lag auch in dem Festraum eine gewisse wehmütige Abschiedsstimmung über Lehrern und Schülern, so konnte der Direktor doch seine Freude darüber ausdrücken, daß unsere Schule sich sofort ohne jegliche Winkelzüge der Anordnung des Führers gebeugt hat. Es geht um die Sicherheit unserer Jugend. Der Entschluß der Eltern, ihre Kinder in ein K.L.V.-Lager nach Holland zu geben, ist gewiß kein leichter gewesen. Auch wir sehen nicht leichten Herzens die Schule sich auflösen. Aber es gibt für uns nur das Eine: Treue unserem Führer. Über diese größte Treue aber wollen wir nicht trotz der Auseinandergerissenheit und räumlichen Trennung die Treue zu unserer Schule vergessen. Darüber aber muß stets, wie schon gesagt, die Treue zu unserem Volk und Führer stehen, und dabei dürfen wir nicht vergessen, daß ja letzten Endes die Jugend nicht um ihrer selbst willen, sondern um sie unserem Volk zu erhalten, in weniger luftgefährdete Gebiete geschickt wird. Die Ansprache des Direktors, die vor allem den Schülern der Klassen 1-4 galt, schloß mit dem Gruß an den Führer und dem Singen der Nationalhymne. – Nach der 3. Unterrichtsstunde wurden die Schüler in die Osterferien entlassen.

6. 9. 44 Während der Ferien weilten St.Rat Dr. Laig und St. R. Schumann – der erstere während seines Urlaubs – kurze Zeit in Osnabrück, um ihre Militärangelegenheiten zu regeln. Beide Berufskameraden sind in unserem KLV-Heim im Schloß Eerde tätig. Die im KLV-Heim eingesetzten Kameraden lösten sich in ihrem – allerdings kurzen – Urlaub gegenseitig ab, sodaß der Unterricht, wenn auch stark eingeschränkt, im Lager weitergeführt werden konnte. Die Schüler des Lagers hatten keine Ferien. In der Zeit des gekürzten Unterrichts (Juli/August) hatten sie reichlich Gelegenheit, Sport zu treiben. Auch unternahmen sie Wanderungen während dieser Zeit unter der Führung ihrer Lehrer.

September 44 Die durch den Durchbruch der Amerikaner bei Avranches geschaffene Lage und der ununterbrochene feindliche Vormarsch ließen das Verbleiben des KLV-Lagers in Holland als recht zweifelhaft und daher unerwünscht erscheinen. Angesichts des Heranrückens der anglo-amerikanischen Heere traten in großen Teilen ihres Landes die Holländer in den Streik, ja gingen zum offenen Aufruhr über. Am Sonnabend, dem 2. Sept., erreichte die Leitung unseres Lagers auf Schloß Eerde der Bescheid, daß der Abtransport des Lagers am 5. Sept. erfolgen würde. In Deventer sollte der Transportzug zusammengestellt werden. In Ruhe konnten somit die Vorbereitungen für die Heimreise getroffen werden. U. a. wurde noch ein 4 Zentner schweres Schwein geschlachtet, so daß den Jungen reichlich Fleisch und Wurstwaren als Wegzehrung mitgegeben werden konnten. Das übrige Vieh und alles das, was nicht mitgenommen werden konnte, wurde, wie auch die Verfügung über das ganze Schloß, der Obhut des deutschen Bereitschaftsführers der holländischen SS, Dr. Schwier, überlassen. Bis zum 5. September hatte sich die Lage in Holland jedoch so zugespitzt, daß der Transport auf dem Bahnhof Ommen stundenlang vergebens auf seinen Zug wartete. Die Lagerleitung entschloß sich daher, mit den Wagen, die den Transport zur Bahn gebracht hatten, in Richtung auf die deutsche Grenze zu fahren. Auf halbem Wege nach Marienburg jedoch wurde der Transport durch Dr. Schwier zurückbeordert, da er angeblich die Wagen nicht entbehren konnte. So fuhr der Treck, nunmehr aus etwa acht requisierten holländischen Bauernwagen bestehend, um 4 Uhr nachmittags ab. Der Unteroffizier Hagge aus dem benachbarten WE-Lager mit einigen größeren Jungen des Lagers, die mit Karabinern bewaffnet waren, begleiteten den Treck, der so unbehelligt über Marienburg, Hardenberg zur Grenze ziehen konnte. Gegen 11 Uhr abends erreichte der Transport, müde aber doch wohlbehalten, die deutsche Zollstation bei Venebrügge. In Bauernhöfen wurde auf Stroh übernachtet. Am folgenden Tage, um 9 Uhr morgens, setzte der Treck seine Fahrt in Richtung Ülsen, Itterbeck, Neuenhaus fort. Die holländischen Wagen wurden nach und nach durch deutsche abgelöst. In Neuenhaus standen dem Transport unsere Eisenbahnwagen zur Verfügung. Da der Anschlußzug in Rheine nicht mehr erreicht wurde, lief der Transport erst gegen Mitternacht in Osnabrück ein, wo die außerordentlich erregten und mit Recht sehr besorgten Eltern ihre Kinder in Empfang nahmen. – Der Transport unserer KLV-Schüler aus Schloß Eerde war einer der letzten Transporte, die in jener unruhigen und bewegten Zeit auf mehr oder weniger gefahrvollen Irrfahrten Holland verließen.

29. 9. 44/11. 10. 44 Die Eltern der aus dem K.L.V.-Lager Schloß Eerde zurückgekehrten Scliüler versammelten sich am 29. September in der Aula der Ratsoberschule, wo ihnen Näheres über eine bevorstehende Verschickung der Schüler in ein Lager im Gau Salzburg mitgeteilt wurde. Am 11. Oktober fuhr der sich aus Schülern der Staatlichen Oberschule und der Ratsoberschule zusammensetzende Transport vom Hauptbahnhof nach Hochkeilhaus Pongau, Gau Salzburg ab. Zum Lagerleiter war St.Rat Albrecht bestimmt worden. Als seine Mitarbeiter schlossen sich dem Transport an die St.Räte Dr. Schomburg, Dr. Keller, Dr. Lechtenberg und Schumann. Es war eine nach Schulen getrennte Unterbringung der Jungen vorgesehen worden. Bei seiner Ankunft in Salzburg aber wurde dem Transportführer eröffnet, daß an Stelle der anfangs festgesetzten zwei voneinander getrennten Lager nur ein Lager für die Osnabrücker Schüler in Frage käme. Die so notwendig gewordene Zusammenlegung der beiden Schulen hatte zur Eolge, daß einige Lehrkräfte frei wurden. Dr. Schomburg und Dr. Lechtenberg traten die Heimreise an.

November 44 Aus unserem K.L.V.-Lager im Gau Salzburg waren wenig erfreuliche, ja man kann sagen, geradezu beunruhigende Nachrichten nach Osnabrück gelangt. Es hieß da, die Unterbringung der Jungen, die Heizung der Räume seien schlecht, die Verpflegung reiche nicht aus. St.Rat Vesper von der Ratsoberschule, der als Lehrer im KLV-Lager tätig gewesen und krank im Anfang November nach Osnabrück zurückgekehrt war, konnte ebenfalls nur einen wenig erfreulichen Bericht über das Lager geben. Er setzte das Stadtschulamt und die Leiter der in Frage kommenden Schulen eingehend über die im Lager herrschenden Mißstände in Kenntnis.

4. 12. 44 Am 4. Dezember fuhr Oberstudiendirektor Dr. Heinze nach Salzburg, um sich einen Einblick zu verschaffen in die mit Osnabrücker Schulkindern belegten K.L.V.-Lager des Kreises Salzburg. Er kehrte am 14. nach Osnabrück zurück und sprach im Auftrage der Stadtschulverwaltung am 21., 22. und 23. Dezember im Zeichensaal der Gehörlosenschule zu den Eltern der Osnabrücker K.L.V.-Schüler, deren Lager er im Kreis Salzburg aufgesucht hatte. Die in dieser Chronik schon angedeuteten Mißstände in den bewußten Lagern sind beseitigt worden. Was die Unterbringung unserer Schüler angeht, so ist dadurch für ausreichenden Platz Sorge getragen worden, daß zwei Klassen (komb. mit Ratsoberschülern) in einem unterhalb des Hauptlagers gelegenen Lager untergebracht wurden. Für ausreichende Ernährung unserer Schüler und gute Beheizung der Lagerräume ist Sorge getragen worden.

Dezember 44 In Ergänzung zu dem Bericht über die K.L.V.-Lager im Gau Salzburg sei an dieser Stelle noch die Verteilung der einzelnen Klassen unserer Anstalt erwähnt: Klasse 1 A: Gasthof Bräu in Abtenau: Dr. Schomburg Klassen 2,3: Gasthof Moisel in Abtenau (St.R. Albrecht, Schumann) Klassen 4,5: Haus Mitterberg in Mühlbach, Am Hochkönig (Pongau): (Dr. Kellner)

Januar 45 Es ist vorgekommen, daß Eltern ihre Kinder aus dem KLV-Lager herausgenommen haben. Diese Kinder sind dann plätzlich eines Tages wieder in Osnabrück in der Schule erschienen. Die Klassenleiter, so wurde beschlossen, dürfen nur diejenigen Jungen in ihre Klassengemeinschaft aufnehmen, die im Besitz eines vom Anstaltsleiter ausgestellten Erlaubnisscheins sind.

6 UNTERRICHT FÜR DIE SCHÜLER BEI DER FLAK

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29. 3. 43 Am Montag, dem 29. März, nahm der Unterricht für die Flakhelfer (Klasse 6,7) seinen Anfang. Die Schüler der Klasse 6 sind bei einer schweren Batterie, die Schüler der Klasse 7 bei einer Scheinwerferbatterie eingesetzt. Die Flakhelfer aus Klasse 6 haben den Unterricht in ihrer Stellung, die Flakhelfer aus Klasse 7 werden in der Schule unterrichtet. Der Physik- und Chemie-Unterricht aber wird auch für die Flakhelfer aus Klasse 6 in der Schule erteilt. Nach nächtlichem Alarm beginnt der Unterricht für die Flakhelfer aus Klasse 7 um 8.55, für die Flakhelfer aus 6 fallen dann die beiden ersten Stunden aus.

24. 8. 43 Unsere Flakhelfer versehen ihren Dienst in den Batterien auf dem Westesberg, auf dem Kalkhügel und bei Voxtrup. Der Unterricht findet in den Batteriestellungen statt, und zwar nur vormittags. Normalerweise beginnt er um 8.50. Wenn von Mitternacht – 2 Uhr Alarm gewesen ist, setzt der Unterricht eine Stunde später ein. Nach einem Alarm zwischen Mitternacht und 3 Uhr beginnt der Unterricht zwei Stunden später; er fällt ganz aus, wenn Alarm zwischen Mitternacht und 4 Uhr war.

Januar 44 Die Flakhelfer der Klasse 8 waren vom 20. Januar an bis auf weiteres unterrichtsfrei. Ihre Batterie war nach Rulle abgerückt und dort in Stellung gegangen. Ein Wagen konnte für die die Flakhelfer unterrichtenden Lehrer seitens der Batterie nicht gestellt werden. Die Flakhelfer der Klasse 7 sind mit ihrer Batterie vom Westerberg nach Hellern verlegt worden, wo auch die neuen Flakhelfer der Klasse 5 Einsatz finden werden. Die Flakhelfer der Klasse 6 haben kurz vor Weihnachten Stellung in der Gegend von Emden bezogen.

15. 2. 44 Am 15. Februar beginnt der Flakunterricht für die Klasse 5 und die Hannoverschen Flakhelfer in Achmer. Oberstudienrat Wille von unserer Anstalt, z.Z. Unteroffizier der Flak, wurde als Lehrer für Luftwaffenhelfer der Flakgruppe Nord (Osnabrück) zugeteilt; er wird in Achmer als Betreuungslehrer der dort liegenden Hannoverschen Klassen 5 und 6 (leichte Flak) eingesetzt. St.Rat Boerma wird in Achmer den Unterricht in Deutsch, Geschichte und Latein übernehmen und scheidet somit praktisch ab 15. Februar aus unserem Kollegium aus. Die am 5. Januar eingesetzten Flakhelfer der Klasse 6 (Jahrgang 1928) werden mit den Flakhelfern unserer zweiten Klasse 6 vereinigt, die vorläufig aus unserer Flakgruppe ausgeschieden ist und sich im überörtlichen Einsatz befindet. Die Flakhelfer der Klassen 5 und 7 sind … bei den Batterien in Hellern eingesetzt. Sie haben den gesamten Unterricht dort in ihren Batteriestellungen und wurden betreut von Studienrat Dr. Simon (Klasse 5) und Studienrat Dr. Kellner (Klasse 7 ), die zusammen mit den Studienräten Steckelmann und Käsewitter den Unterricht erteilen. Die Flakhelfer der Klasse 8 (Jahrgang 1926) erhielten ihr Reifezeugnis und wurden am 7. Februar in der Schule durch den Direktor und in Anwesenheit der in dieser Klasse unterrichtenden Lehrer aus dem Schulverband entlassen, um nun ihrer Pflicht im RAD zu genügen. Die Entlassung der Flakhelfer der Klasse 7 (Jahrgang 1926) erfolgte am 10. Februar. Sie erhielten in ihrem Zeugnis den Vorsemestervermerk.

Das Gebäude der Landesfrauenklinik am Lieneschweg wird heute von der Fachhochschule Osnabrück und dem Konservatorium genutzt.

S.H.D. / SHD: Sicherheits- und Hilfsdienst, bestand aus “Instandsetzungsdienst”, der Nachfolgeorganisation der “Technischen Nothilfe” und Feuerwehr

K.V. auch KV / kv – “kriegsverwendungsfähig” – wer “K.V.” geschrieben wurde, musste befürchten, dass er bald an die Front kommandiert würde.

Dr. Herbert Schnepel war Absolvent einer NAPOLA; auf den Bildern von der Kinderlandverschickung nach Trautenau kann man auf dem linken Revers seines Jacketts das Parteiabzeichen der NSDAP sehen. Er ist im Januar 1943 im Kaukasus gefallen.

Wer “unabkömmlich” / u.k. / uk gestellt wurde, war vom Dienst an der Front freigestellt – zwar schreibt Büsing, dass dies für die die KLV Lehrer schlimm gewesen sein muss – das wird er als “strammer Nazi”, so das Urteil seiner ehem. Schüler, so empfinden mögen, aber wenn es sich bei den beiden nicht um völlig verrückte Fanatiker handelte, so werden sie über diese Verwendung froh gewesen sein.

NSV / N.S.V. – “Nationalsozialistische Volkswohlfahrt”

RAD: “Reichsarbeitsdienst”

Vorsemestervermerk: Das Abgangszeugnis berechtigte nun zum Studium an einer Hochschule. Voraussetzung war allerdings, dass das Vorsemester an einer wiss. Hochschule. erfolgreich absolviert war.

Krieg und Kriegsende

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Es besteht kein Zweifel daran, dass die nationalsozialistische Herrschaft unsere Schule an der Lotter Straße – wie alle anderen Bildungseinrichtungen auch – politisch, ideologisch und organisatorisch nachhaltig geprägt hat. Die Umbenennung des Realgymnasiums in Deutsche Oberschule im Jahre 1937 bzw. Staatliche Oberschule für Jungen im Jahre 1941 ist dafür nur ein äußeres, aber augenfälliges Indiz (auch das Ratsgymnasium wurde entsprechend umbenannt in Ratsoberschule).

Unstrittig ist auch, dass die nationalsozialistische Lehre Eingang in Unterrichtsinhalte und Lehrbücher fand. Die von Bettina-Carola Fischer dokumentierten Prüfungsprotokolle geben darüber beredt Auskunft. Zudem kann kaum übersehen werden, dass zahlreiche Lehrer der Staatlichen Oberschule Mitglieder der NSDAP oder zumindest des NS-Lehrerbundes geworden waren, ob aus Überzeugung oder aus opportunistischen Gründen, sei dahingestellt. Wenn in der Rückschau dennoch der Unterricht als frei „von Willkür und Einflussnahme der Nationalsozialisten“ geschildert wird und dabei zwei Begebenheiten als Beispiele genannt werden, so zeigt das im Umkehrschluss erst recht, wie stark die Einflussnahme tatsächlich gewesen ist, wenn diese beiden Begebenheiten so stark in Erinnerung geblieben sind:

„Trotzdem brauchten wir unseren Lehrern nicht nach dem Mund zu reden, und das galt auch umgekehrt. Weit entfernt von Willkür und Einflussnahme der Nationalsozialisten zwei Begebenheiten: Unser Geschichtslehrer verglich die militärische Lage Deutschlands im Jahr 1943 mit der des Ersten Weltkriegs; die Schlussfolgerungen für den Ausgang sollten wir selbst ziehen. Es erhob sich kein Widerspruch, und denunziert wurde er auch nicht. Unser Lateinlehrer vermochte die Klasse nur schwer zu disziplinieren, einmal in Rage bezeichnete er uns als „HJ-Führerschweine“. Glauben Sie nicht, dass er angezeigt worden wäre. Es mag schwer vorstellbar sein, aber Toleranz und Humanitas sind an unserer Schule während der NS-Zeit nicht verloren gegangen.“ (Herman Gehring, NOZ, 16.1. 2004)

Die Einflussnahme auf das Schulleben erfolgte zudem nicht einmal in erster Linie über den Lehrkörper und die Lehrbücher, sondern zumeist über die Jugendorganisation der NSDAP, die Hitlerjugend (HJ). Unter deren maßgeblicher Beteiligung wurden auch die Kinderlandverschickungen in nicht vom Bombenkrieg bedrohte Gebiete durchgeführt. Für die Staatliche Oberschule wurden insgesamt vier KLV-Lager eingerichtet: bei Trautenau im Riesengebirge (Tschechoslowakei), in Bresnitz in der Nähe von Prag (Tschechoslowakei), auf Schloss Eerde in der Nähe von Zwolle (Niederlande) und in der Nähe von Salzburg. Die Teilnahme war im Prinzip freiwillig, es wurde aber durchaus auch ein moralischer Druck ausgeübt, so dass nur wenige Schüler bei ihren Eltern resp. ihren Müttern blieben. Neben dem Unterricht standen in den KLV-Lagern auch Geländespiele, vormilitärische Übungen und politische Schulungen auf dem Programm.

Die in Osnabrück verbliebenen Oberschüler wurden in Sammelklassen an der Ratsoberschule unterrichtet, sofern dies bei den immer häufiger erfolgenden Bombenangriffen möglich war. Manchmal mussten die Schüler mehrmals an einem Vormittag in die Luftschutzkeller der Schule gehen, gelegentlich wurden sie auch gleich wieder nach Hause geschickt. Der einschneidendste Eingriff in den Schulalltag war die Zerstörung der Schule durch eine Brandbombe am 10. August 1942. Danach wurde das Gebäude u.a. als Materiallager bzw. als Unterbringung für Zwangsarbeiter genutzt. Das Abitur des Jahres 1945 mit Hans Ludwig Fink als einzigem Prüfling wurde im Hausmeisterzimmer der Oberschule an der Lotter Straße abgenommen und musste mehrfach wegen Bombenalarms unterbrochen werden (ema-report 2005, S. 56-59).

Auch nach Kriegsende konnte der Schulbetrieb erst zu Beginn des Jahres 1946 wieder vollständig aufgenommen werden. Aber es fehlte an allem: an Büchern, an Papier, an Tischen, an Stühlen, an Heizmaterial und nicht zuletzt auch an Lehrern. Im Winter musste der Unterricht häufig ausfallen, weil die Klassenräume zu kalt waren. Die Schüler brachten ihre eigenen Tische und Bänke mit und stellten sich nach Abschriften von der Tafel ihre eigenen Lehrbücher zusammen. Heinz Sollmann hat uns ein Exemplar seines „Mathebuches“ zur Verfügung gestellt: Aus dem nicht mehr zugelassenen Buch „Mielert: Urväterland“ wurden die Seiten herausgerissen und stattdessen die – auch heute noch gut lesbaren – Abschriften von der Tafel eingeheftet. Die erste Abiturentlassung fand 1947 im Lutherhaus statt. Prof. Dr. Dr. Harding Meyer, einer der damaligen Abiturienten, sagte dazu auf der Abiturentlassungsfeier 1997: „Ein Abitur in einer plötzlich radikal veränderten politischen und gesellschaftlichen, geistigen und kulturellen Welt. Und wir stolperten damals – verwirrt und fasziniert zugleich – durch diese veränderte und unvertraute Landschaft.“ (ema-report 1997, S. 10)

Als wesentlicher Schritt zur Normalisierung wurde Hans-Jürgen Knoke (Abitur 1950) zufolge bereits die Aufführung einiger Teile aus Goethes „Torquato Tasso“ in der Schulaula empfunden (ema-report 2000, S. 131). Die äußeren Umstände sind das eine, die geistige Verunsicherung das andere. Dr. Heinrich Boge (Abitur 1951 – richtig: 1949; corr. h.b-w), der sich selbst in den schulinternen Diskussionen nach dem Krieg zu den „Unverbesserlichen“ rechnet, schreibt, er sei nach der Lektüre eines Buches über den Nationalsozialismus (vermutlich „Der SS-Staat“ von Eugen Kogon), das ihm Studienrat Otto Papenhausen empfohlen hatte, verzweifelt gewesen, „ernüchtert und dann voller Wut auf mich selbst, auf die ganze Welt. In mir entstand eine Leere; jetzt glaubte ich an nichts mehr. […] Studienrat Papenhausen bin ich auch heute noch dankbar.“ (ema-report 2005, S. 60) Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob diese Verunsicherung und Verzweiflung zu verallgemeinern ist. Dass von einer solchen Verunsicherung damals sowohl Lehrer als auch Schüler in unterschiedlicher Weise betroffen waren, liegt auf der Hand. Daher gehört es zu den Verdiensten der Schule im Allgemeinen, aber auch unserer Schule im Besonderen, dass diese Verunsicherung nicht zu Verzweiflung und Resignation führte, sondern dazu verwandt werden konnte, am Aufbau eines demokratischen Staatswesens mitzuwirken. Dass aus dem verzweifelten jungen „Hein“ Boge später der Präsident des Bundeskriminalamts wurde, spricht für sich. An Lehrern wie Otto Papenhausen, an den sich auch andere Ehemalige immer wieder als besondere Persönlichkeit erinnern, wird deutlich, dass Schule mehr ist als eine Anstalt zur Vermittlung von Wissen, sondern Orientierung bieten und Raum geben soll zur Persönlichkeitsentfaltung. Dies ist die Brücke, die wir Nachgeborenen zu der Zeit nach 1945 schlagen können.

Die Schule in der Nachkriegszeit

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Wie geht der Weg weiter in den schwierigen Jahren des Wiederaufbaus? Die Schule bleibt weiterhin eine der größten des Regierungsbezirks. Als die „Staatliche Oberschule für Jungen“ am 1. April 1954 wieder in städtische Trägerschaft übergeht und nun „Städtische Oberschule für Jungen“ heißt, setzt eine lebhafte Debatte um die Namensgebung der Schuleein, die an der Ecke Lotter Straße/Arndtstraße lag. Diese Diskussion läßt den Blick erneut zurückschweifen auf die Anfänge der Schule im Zuge der deutschen Einigungskriege. Ernst Moritz Arndt – kein Wunder, daß sich an ihm die Geister scheiden; erst recht protestiert ein Jahrzehnt später die Generation der 68er Studentenbewegung, die natürlich auch die Schulen erfaßt. Der Widerstand ist mit Blick auf manche Äußerung Arndts, nicht zuletzt über die Juden, verständlich. Andererseits ist gerade sein Name eng mit den Befreiungskriegen verknüpft und der Dichter lebenslang ein tief gläubiger Christ geblieben. Eines seiner zahlreichen Kirchenlieder wurde im Schulgottesdienst zum 120jährigen Jubiläum gesungen:

„Ich weiß, woran ich glaube, ich weiß, was fest besteht; wenn alles hier im Staube wie Sand und Staub verweht; ich weiß, was ewig bleibet, wo alles wankt und fällt, wo Wahn die Weisen treibet und Trug die Klugen prellt.“

Arndt dichtete das Lied 1819, wohl als er seinen Lehrstuhl in Bonn wegen seiner nationalen Gesinnung verlor. Liest man diese Zeilen und viele andere aus seiner Feder, dann wird vielleicht begreiflich, warum das nach wie vor evangelisch geprägte Kollegium jener Jahre dieser Namensgebung zustimmte. Waren es doch Jahre, die nach der zurückliegenden Diktatur erneut nach christlichen Grundwerten suchen ließen. Jahre, in denen zudem die Teilung Deutschlands vielen bitter auf der Seele lag.

Und wie stark Mitte der 50er Jahre das Erlebnis des Krieges noch nachwirkt, das belegt zum Beispiel eines der Jahreshefte „Vereinigung Alter Realgymnasiasten“ aus dem Jahre 1955, in dem auf der letzten Seite die Kameraden aufgefordert werden, an das kommende Ehrenmal für die Gefallenen zu denken und dafür zu spenden.

Was die folgenden Jahre angeht, so verbietet sich vom Umfang her eine so detaillierte Betrachtung wie bisher. Erlaubt sei jedoch noch ein Blick auf die Mitte der 70er Jahre und den damals gefaßten Ratsbeschluß, die Schule aus dem traditionellen Gebäude an der Lotter Straße in den Nordosten der Stadt an die Knollstraße zu verlegen. Diese Entscheidung muß zunächst im Zusammenhang mit dem Anfang der 70er Jahre erstellten Schulentwicklungsplan und dessen verschiedenen Fortschreibungen gesehen werden; sodann mit der geplanten Einführung der Orientierungsstufe in der Stadt Osnabrück sowie mit der spätestens 1976 umzusetzenden Oberstufenreform. Die Begriffe „Schulzentrum“, „Ganztagsschule“, „Gesamtschule“ gehen um und sorgen nicht anders als heute für die Erregung der Gemüter. Liest man die Schulausschußprotokolle jener Zeit oder diverse Verwaltungsvorlagen zu den anstehenden Neuerungen beziehungsweise Reformen, so will einem manches geradezu aberwitzig erscheinen, jedenfalls vor dem Hintergrund gewachsener historischer Gymnasien in einer Stadt wie Osnabrück, die sich bis heute in vielen Bereichen eine Orientierung am Althergebrachten bewahrt hat. Die Reformeuphorie hat manchen Gedanken geboren, der dann rasch wieder fallengelassen wird, etwa den Gedanken, die Oberstufen des Rats- und des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums an die Natruper Straße zu verlegen, ein anderes Mal an das Carolinum. Auch sorgen im Zusammenhang mit allen Reformvorhaben die Pläne des Bischöflichen Stuhls für Bewegung in der öffentlichen Diskussion, es werden zwei Schulzentren in kirchlicher Trägerschaft, in Haste und am Dom, ausgebaut. Von einer Verlagerung des EMA als Ganzes an die Knollstraße ist in den städtischen Ausschußprotokollen erst ab Anfang 1976 zu lesen. Mündlichen Berichten zufolge ist zuvor auch einmal der Gedanke einer Verlagerung in den Stadtteil Wüste ventiliert worden, aber am hartnäckigen Widerstand des Schulleiters Kähler gescheitert.

Als in der Schulausschußsitzung am 18. Februar 1976 die Verwaltung der Stadt im Zusammenhang mit anderen Fragen erstmalig „als Denkmodell“ die Verlagerung des EMA an den neu entstehenden Standort Sebastopol anspricht, ist die Lage anders. Die Schule ist zu diesem Zeitpunkt ohne Leiter. Der neue Kultusdezernent, Siegfried Hummel, voller neuer Ideen und Elan, nimmt erstmalig an einer Schulausschußsitzung teil. Er hat zu berücksichtigen, daß Anfang 1976 eine CDU/FDP-Mehrheit in Hannover zum Regierungswechsel im Lande Niedersachsen geführt hat. Der neue Kultusminister Werner Remmers, ebenfalls voller neuer Ideen und Elan, wird 1977 zum Schulleiter einen katholischen Sozialdemokraten als Nachfolger Kählers berufen.

Wer in Osnabrück zuerst den Gedanken der Verlagerung hinter den Kulissen äußerte, ist nicht genau auszumachen. Fest steht, daß aus dem so bezeichneten „Denkmodell“ bereits in der Sitzung des Rates am 30. April 1976 ein fester Tagesordnungspunkt geworden ist. Unter Tagesordnungspunkt 8 heißt es: „Verlegung des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums“. Auch die Baupläne für den Standort Sebastopol werden nun vorverlegt, weil die Schule, wie Eltern, Schüler und Lehrer beschlossen haben, einer stufenweisen Verlagerung keinesfalls zustimmen würden. Die Verwaltung untermauert ihren Vorschlag durch eine Reihe von Vorteilen, die die Verlagerung mit sich brächte, und durch Warnungen mit Blick auf die Entwicklung der Schülerzahlen. Merkwürdig ist allerdings zweierlei. Für das Schulzentrum Eversburg wird am 19. März 1976 eine Außenstelle des Ratsgymnasiums vorgeschlagen. Für das Schulzentrum Sebastopol in ähnlicher Weise eine Außenstelle des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums einzurichten, kommt offenbar niemandem in den Sinn. Da seit Anfang der 7Oer Jahre – wie erwähnt – mehrere abenteuerliche Modelle für ein Oberstufenzentrum in der Innenstadt ausgebrütet worden waren, befriedigt der Hinweis auf die Entwicklung der Schülerzahlen allein keineswegs. Jeder mag sich ein eigenes Urteil bilden! Andererseits finden sich auch Widersprüche in der Argumentation der Verwaltung. Sorgen der Gesamtschule Schinkel, daß die relative Nähe des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums an der Knollstraße den dortigen Aufbau der reformierten Oberstufe gefährden könne, wird mit dem Argument begegnet, daß vielmehr eher dann eine Gefährdung für den Schinkel eintrete, „wenn das EMA in der günstigen Verkehrslage in der Stadtmitte verbleibe“ In der gleichen Sitzung heißt es jedoch auch, daß „ohne Veränderung des jetzigen Standorts für das E.M.A.-Gymnasium damit zu rechnen ist, daß in 6-7 Jahren diese Schule an diesem Standort nicht mehr lebensfähig ist“. Diese Auffassung wird auch gegenüber Elternschaft und Kollegium wiederholt seitens der Verwaltung vertreten. Ältere Kollegen versichern, daß außerdem die Verlegung „schmackhaft“ gemacht worden sei mit dem Hinweis darauf, dem Verkehrslärm an der Lotter Straße zu entkommen, auch der Enge des dortigen Schulgeländes, und die Aussicht auf ein modernes Gebäude zu haben. Gewiß einleuchtende Argumente!

Dennoch bleibt bis heute die Frage, wie es möglich war,daß dieses Traditionsgymnasium ohne nennenswerten Protest aus den Reihen des Rates seines angestammten Sitzes beraubt wurde, handelt es sich doch um eine Schule, die einmal mit großem Einsatz des Magistrats der Stadt gegründet worden war. Das Bild ihres Gründers, Johannes Miquel, hängt an herausragender Stelle gegenüber der Tür zum Rats-Sitzungssaal. Hat sich kein Ratsmitglied damals beim Anblick des Bildes gefragt, was dieser hoch geachtete Bürgermeister der Stadt wohl zu dem Vorhaben der Verlagerung gesagt hätte? Wie soll man zum Beispiel das Phänomen erklären, daß in den Ausschußvorlagen das Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium längere Zeit gar nicht auftaucht, sondern meist nur vom „Schulzentrum Sebastopol“ die Rede ist? Ganz im Gegensatz übrigens zu allen anderen Schulzentren in der Stadt.

Nun, glücklicherweise hat sich bald nach Bekanntwerden der Verlagerungspläne der Förderverein der Schule gegründet, dessen über 400 Mitglieder sehr wohl daran interessiert sind, die alte Tradition wachzuhalten und die Schule zu unterstützen, in welcher Weise auch immer. Und daß die Schule lebt, wenn auch nicht mehr im angestammten Gebäude an der Lotter Straße, das wird nicht zuletzt das anstehende Jubiläum beweisen. Es sei deshalb ohne alle Überheblichkeit zum Schluß eine Äußerung des Landessuperintendenten für den Sprengel Osnabrück Dr. Gottfried Sprondel, wiedergegeben, die dieser in der Aula des Schlosses am 24. Oktober 1986 im Rahmen des Vertrags „Der Friedensauftrag der Christen“ vorbrachte: „Eine Symbolfigur [gemeint sind die Befreiungskriege und die Hoffnung auf ein starkes und geeintes Vaterland] ist etwa Ernst Moritz Arndt gewesen, dessen Andenken die Stadt Osnabrück im Namen einer ihrer besten Schulen bis heute ehrt.“

So steht am Ende dieses historischen Rückblicks auf den jeweiligen Zeitgeist der Wunsch, daß das Kollegium den Geist des Gründers der Schule weiterhin pflegen möge, trotz aller Schwierigkeiten, die Veränderungen in der Zusammensetzung der Schülerschaft naturgemäß mit sich bringen. Vergessen wir dabei nicht, daß für diese Schüler das Miteinander, sei es mit Ausländern aus der ganzen Welt, sei es mit Aussiedlern aus östlichen Ländern, eine Selbstverständlichkeit geworden ist. Und vergessen wir auch nicht, daß das Einvernehmen zwischen Lehrern und Schülern eine Grundvoraussetzung ist, um diesen Geist der Aufgeschlossenheit, Liberalität und Toleranz weiterhin zu pflegen, den bereits die Schüler der ersten Stunde deutlich empfunden haben, unter ihnen Albert Brickwedde, Abiturient des Jahres 1871. Er schreibt in seinen Erinnerungen über die Jahre an der neu gegründeten Realschule unter anderem:

„Auch mit den übrigen Lehrern der Schule […] machten wir häufig Fahrten, und gehören diese nach meiner Ansicht zu den besten und schönsten Mitteln, ein gutes Einvernehmen zwischen Lehrern und Schüler, wie es ja an anderen Anstalten gar nicht mal denkbar ist, herbeizuführen […] Auf der Realschule erziehen die Lehrer die Schüler, und nicht nur in pleno, sondern auch solo und sehr mit Unterschied, mit Rücksicht auf alle in Betracht kommenden Verhältnisse.“

Möge es so bleiben!

Karin Jabs

Die Namensgebung 1957

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Den Einband der im Jahre 1967 erschienenen Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums ziert nicht etwa der Kopf des Namensgebers, sondern der des Gründers der Schule, Johannes Miquel. Namensgebung und Namenspatron sind dem Herausgeber der Schrift, Walter Kaufmann, nur wenige Zeilen wert, während die Gründung der Schule und ihre Vorgeschichte ausführlich behandelt werden. Der Name „Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium“ war auch offenbar 10 Jahre nach der Umbenennung noch nicht richtig an der Schule angekommen. Tatsächlich erscheint die Umbenennung der Schule in Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium im Jahre 1957 aus heutiger Sicht als glatter Fehlgriff. Ernst Moritz Arndt war ein überzeugter Antisemit und glühender Franzosenhasser, der den Völkerhass zur nationalen Anstandspflicht erhob. Bei aller Berücksichtigung der historischen Zusammenhänge der napoleonischen Besatzungszeit, die hier aus Platzgründen nicht näher dargelegt werden können, erscheinen Arndts politische Auslassungen doch ungeeignet als Orientierung für Schülerinnen und Schüler einer Europaschule, wie das EMA sich heute nennen darf. 1957 mag das anders gewesen sein. Deutschland war geteilt. Die Supermächte standen sich in ideologischer Feindschaft gegenüber. Damals erinnerte Dr. Friedrich Erdmann (Abiturient des Realgymnasiums des Jahres 1925), einer der Osnabrücker Ratsherren, die die Entscheidung zur Umbenennung der Schule herbeigeführt hatten, daran, „dass wir mit den Brüdern und Schwestern jenseits des Eisernen Vorhangs ein gemeinsames Vaterland haben und dass wir ihnen im Kampf gegen Diktatur und Unfreiheit nur helfen können, wenn wir einig sind und uns nicht mit Diffamierungen und Gehässigkeiten gegenseitig bekämpfen und dabei das gemeinsame Ziel aus dem Auge verlieren: Die Wiedervereinigung aller Deutschen in Einheit und Freiheit!“ (siehe Zeitungsartikel auf S. 23) Das war in der Tat ganz im Sinne von Arndt, der ja auch gefordert hatte: „Das ganze Deutschland soll es sein!“

Daran sieht man, dass die Namensgebung vor allem eine politisch-ideologische Stoßrichtung hatte und ihre Motive im Kalten Krieg zu suchen sind. Dass möglicherweise auch ein eher banaler Grund, nämlich die räumliche Nähe des Schulgebäudes zur Arndt-Straße, ausschlaggebend war, steht auf einem ganz anderen Blatt. Die gegenwärtigen Lehrer- und vor allem Schülergenerationen, die in einem vereinten Europa aufwachsen, können Ernst Moritz Arndt jedoch nicht mehr viel abgewinnen. Seine Auslassungen über die Juden sind abstoßend, sein pathologischer Franzosenhass ist – vor allem gegenüber den Partnerschulen im französischen Angers – ausgesprochen peinlich. Dennoch steht eine erneute Umbenennung der Schule zur Zeit nicht zur Debatte. Die Namensgebung war politisch-ideologisch motiviert. Sie war zumindest aus heutiger Sicht falsch. Vielleicht wäre es besser für uns und unsere Schule, wenn man damals den Gründer der Schule, Johannes Miquel, als Namenspatron gewählt hätte, wie es auch zur Diskussion stand. Aber eine politisch-ideologisch motivierte Namensgebung ist auch durch eine ebenso motivierte Umbenennung 50 Jahre später nicht rückgängig zu machen. Vielmehr sollte der Name immer wieder Anlass sein, uns mit der Person Ernst Moritz Arndts ebenso wie mit unserer Geschichte kritisch auseinanderzusetzen, um auf diese Weise Völkerhass und Rassendiskriminierung zu überwinden. Aus der Losung Arndts: „Das ganze Deutschland soll es sein!“ könnte am EMA das völkerverbindende Motto werden: „Das ganze Europa soll es sein!“

Ehemalige Schüler

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  • Dieter Rieke Abi 1943, Journalist und Autor
  • Jürgen Kühling, Abitur 1952 oder 1953, Richter am Bundesverfassungsgericht
  • Heinz Aulfes, Abi 1944, Politiker, war 12 Jahre Mitglied der Bremer Bürgerschaft
  • Konrad Liebmann Abi 1947, Mäzen und Kunstsammler
  • Hans Weichsler Abi 1947, Mäzen und Stifter des Musikpreises der Stadt Osnabrück, vormals Wilhelm-Weichsler-Preis
  • Heinrich Boge, Abi 1950, Polizeibeamter, 1981 bis 1990 Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA)
  • Burkhard Ritz Abi 1952, ehem. Finanzminister in Niedersachsen
  • Hans-Joachim Driehaus, Abi 1960) Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht
  • Reinhard Klimmt Abi 1961, ehem. saarländischer Ministerpräsident und Bundesbauminister
  • Thomas Schütte Abi 1973, Künstler, dreimaliger documenta-Teilnehmer in Kassel u.a.
  • Ralf Holtmeyer Abi 1976, Bundestrainer für den Deutschen Ruderverband (DRV)
  • Boris Pistorius Abi 1978, ehem. Oberbürgermeister von Osnabrück, Innenminister in Niedersachsen, Bundesverteidigungsminister
  • Christian Wulff Abi 1980, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen 2002 bis 2009, Bundespräsident a. D.
  • Thomas Schneider Abi 1980, Leiter des Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrums
  • Dietmar Kröger Abi 1981, Redakteur bei der „Neuen Osnabrücker Zeitung“
  • Michael Kopatz Abi 1991, Umweltwissenschaftler, Dozent, Projektleiter im Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie
  • Dagmar Hirschfelder Abi 1993, ab 1. Januar 2022 Direktorin der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin
  • Nancy Plassmann Abi 1998, Mitglied des Vorstandes der Sparkasse Osnabrück











  • Niedersächsisches Staatsarchiv Osnabrück Rep. 726, Nr.l ff.
  • Schulprogramme der Realschule 1867-1872 (gebunden)
  • Schulprogramme der Realschule 1872-1879 (gebunden)
  • Jahresberichte 190O-1912 sowie 1924 (nicht gebunden)
  • Jahresberichte 1924-193O (gebunden)
  • Jahresberichte 193O-1947 (12 Bände)
  • Schülerlisten 1867-1911 (in l Band)
  • Schülerlisten 193O-1947 (in l Band)
  • Archiv des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums
  • Chronik der Staatlichen Oberschule für Jungen 1939-1944 (Kopie)
  • Chronik der Staatlichen Oberschule für Jungen 1944-1946 (Kopie)
  • Mitteilungsbuch vom September 1944 bis Oktober 1947 (Kopie)
  • Archiv des Rathauses der Stadt Osnabrück
  • Protokolle der Schulausschußsitzungen 197O-1979
  • Fesser, Gerd, Die Welt stürzt einl, in, DIE ZEIT, 5.7.1991, Seite 37
  • Gebhardt, Bruno, Handbuch der Deutschen Geschichte, Band III, Stuttgard I960
  • Hoffmeyer/Bäte, Chronik der Stadt Osnabrück, Osnabrück 1985
  • Kaufmann, Walter (Hirschgraben), 100 Jahre Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium, Osnabrück, 1967
  • Krockow, Christian Graf von. Die Deutschen in ihrem Jahrhundert 1890-1990, Hamburg 1990
  • Lembcke, Rudolf, Johannes Miquel und die Stadt Osnabrück unter besonderer Berücksichtigung der Jahre 1865-1869, Osnabrück, 1962
  • Remarque, Erich Maria, Der Wag zurück, Köln 1971
  • Spieker, Manfred (Hirschgraben), Friedenssicherung, Band l. Münster 1987
  • Ursulaschule Osnabrück 1865-1990 (Jubiläumsschrift), Werl 1990