Benutzer:FelMol/Primat der Ökonomie

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Primat der Ökonomie ist ein vor allem in den Sozialwissenschaften verwandter Begriff, der die These der Dominanz der Wirtschaft über die übrige Gesellschaft oder ihres Vorrangs gegenüber der Politik bezeichnen soll.[1]

Verwendung in Politischer Ökonomie und Gesellschaftstheorie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als ein griffiges Kürzel für die These von der Dominanz der realwirtschaftlichen Verhältnisse bzw. des wirtschaftlichen Teilsystems über die übrigen Gesellschaftsbereiche haben verschiedene Autoren den Ausdruck Primat der Ökonomie im Nachhinein auch auf klassische Erklärungen des Verhältnisses von Wirtschaft und Gesellschaft verwendet.

Die „materialistische Geschichtsauffassung“ von Karl Marx und Friedrich Engels begreift die aus dem Stand der Produktivkräfte und den Produktionsverhältnisse gebildete ökonomische Struktur (Produktionsweise) einer Gesellschaft als Basis, auf der sich ein entsprechender juristischer und politischer Überbau erhebt, und der bestimmte Bewußtseinsformen dieser Gesellschaft entsprechen.[2] Diese für das marxistische Geschichtsverständnis grundlegende Annahme bezeichnen Soziologen wie Stefan Kühl und Uwe Schimank mit Primat der Ökonomie, obwohl Marx und Engels diesen Ausdruck selbst noch nicht gebrauchten.[3] (siehe Basis und Überbau). Manche Kritiker sprechen gar von einem "ontologischen Primat der Ökonomie" bei Marx.[4] Auch Theodor W. Adorno benutzt den Terminus in seiner Negativen Dialektik mit dem kritischen Verweis auf die marxistische Geschichtsauffassung: "Der Primat der Ökonomie soll mit historischer Stringenz das glückliche Ende als ihr immanent begründen; der Wirtschaftsprozeß erzeugt die politischen Herrschaftsverhältnisse und wälze sie um bis zur zwangsläufigen Befreiung vom Zwang der Wirtschaft."[5]

Karl Polanyis historische Darstellung des Siegeszugs des Wirtschaftsliberalismus im England des 19. Jahrhunderts wird ebenfalls als realhistorische Durchsetzung des Primats der Ökonomie über die übrige Gesellschaft interpretiert.[6] Polanyi selbst spricht in seiner historischen Analyse der Entstehung der kapitalistischen Marktwirtschaft von einem Prozess der Freisetzung (Entbettung) ökonomischer Institutionen und wirtschaftlichen Handelns aus dem normativen Kontext einer traditionalen Gesellschaft und moralischen Ökonomie. Als dessen Konsequenz konstatiert er, dass die Gesetze des selbstregulierten Marktes die "Transformation der natürlichen und menschlichen Substanz der Gesellschaft in Waren" herbeiführten und "die Gesellschaft als Anhängsel des Marktes" behandelten.[7] Vornehmlich Arbeit, Boden, Geld seien aber nur fiktive Waren. Die Gewinnerzielung wurde ein neues fundamentales Handlungsmotiv, das an die Stelle der lebensnotwendigen Existenzsicherung trat.[8]

Dass der „kapitalistische Erwerbstrieb“ auf „andere Gebiete menschlicher Kultur“ übergreife und „die gesamte Wertewelt" tendenziell einem „Primat der Geschäftsinteressen“ unterwerfe, kritisierte auch schon Werner Sombart.[9]

Während Theodor W. Adorno in marxistischer Tradition den Primat der Ökonomie für ein wesentliches Kennzeichen moderner Gesellschaften hält,[10] hat sich für Niklas Luhmann zwar die „frühe bürgerliche Gesellschaft (...) am Primat der Ökonomie orientiert“,[11] aber in modernen, funktional differenzierten Gesellschaften habe die Wirtschaft als ein Teilsystem mit speziellen Funktionen gegenüber den anderen Teilsystemen „weder Vorrang noch übergeordnete Bedeutung“. Luhmann spricht hier ausdrücklich von einem „Bruch mit der mehrhundertjährigen Tradition der Politischen Ökonomie“.[12]

Soziologen in der Tradition Niklas Luhmanns benutzen die These vom Primat der Ökonomie gewissermaßen als Kontrastfolie. Helmut Willke setzt der „alten Tradition des Denkens, die einen Primat der Ökonomie für das 'Schicksal' und die Steuerung postuliert“, als Argument entgegen:: „Für moderne Gesellschaften, die nach dem Prinzip der funktionalen Differenzierung organisiert sind, ist dies schon deshallb widersinnig, weil in funktional differenzierten Systemen nicht einseitige, sondern wechselseitige Abhängigkeiten der spezialisierten Komponenten bestehen.“[13]

Uwe Schimank führt den Primat der Ökonomie in der funktional differenzierten kapitalitischen Gesellschaft auf die ubiquitäre Geldabhängigkeit zurück ......

Verwendung im Globalisierungsdiskurs[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als ein Synonym für die Beschränkung nationalstaatlicher Handlungsmöglichkeiten im Zeichen der Globalisierung und der Verselbständigung der Finanzmärkte haben in den letzten Jahren verschiedene Autoren den Primat der Ökonomie verwendet.[14] Ihren Analysen zufolge ist nach Helmut Voelzkow "der Globalisierungstrend gleichzusetzen mit einer Kapitulation der Politik vor einem neuen Primat der Ökonomie".[15]

Primat der Ökonomie im Verhältnis zum Staat[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Politikwissenschaft steht Primat der Ökonomie (auch) für eine normative Vorstellung vom Verhältnis zwischen Wirtschaft und Staat.

In der Typologie von Hermann Adam soll beim Primat der Ökonomie der Staat nicht in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen (freie Marktwirtschaft). Dem stehen als weitere Typen des Verhältnisses von Wirtschaft und Politik gegenüber:

Eine andere Einteilung nimmt Josef Schmid vor. Er ordnet dem Primat der Ökonomie neoklassische (Staatseingriffe meist kontraproduktiv) sowie systemtheoretische Ansätze (mangelnde Steuerungsfähigkeit des Staates) zu. Dem stellt er Positionen gegenüber, die vom Primat der Politik ausgehen, wozu er planwirtschaftliche, wohlfahrtsstaatliche und keynesianische Konzeptionen zählt. Zwischen Primat der Ökonomie und Primat der Politik stehen die Interdependenz beider Bereiche betonende Ansätze. [17]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Karl S. Althaler (Hg.): Primat der Ökonomie? Über Handlungsspielräume sozialer Politik im Zeichen der Globalisierung. Metropolis, Marburg 1999, ISBN 3-89518-145-5.
  • Stefan Kühl: Primat der Ökonomie vs. funktionale Differenzierung. Die Debatte über die Arbeits- und Industriegesellschaft. Kapitel II in ders.: Arbeits- und Industriesoziologie, transcript Verlag, Bielefeld 2004, S. 13ff.
  • Die Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte. Themenheft "Primat der Ökonomie?" Nr. 6 / Juni 1998.
  • Manfred Prisching: Im 21. Jahrhundert – Primat der Ökonomie? In: Heinrich Schmidinger (Hrsg.): Die Ressourcen der Zukunft. Tyrolia, Innsbruck-Wien 2002.
  • Uwe Schimank: Die Moderne - eine funktional differenzierte Gesellschaft. In: Berliner Journal für Soziologe, H. 3, Jg. 19/2009.
  • Gerhard Willke: Kapitalismus. Campus, Frankfurt am Main 2006.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Teilweise auch unter davon abweichenden Bezeichnungen haben diese These in neuerer Zeit eine Reihe von Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern aufgegriffen, u.a. Theodor W. Adorno, Niklas Luhmann, Helmut Willke, Uwe Schimank, Stefan Kühl, Gerhard Willke, Helmut Voelzkow. karl S- Althaler. Siehe auch die nachfolgenden Einzelnachweise.
  2. Karl Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie (1859), Vorwort, MEW Bd.13, S.8
  3. Stefan Kühl: "Marx geht in seiner Gellschaftstheorie - einfach gesprochen - von einem Primat der Ökonomie aus." Ders.: Arbeits- und Industriesoziologie. transcript, Bielefeld 2004, S. 24. Uwe Schimanck: ...........
  4. Christoph Henning (Narrative der Globalisierung. Zur Marxrenaissance im Globalismus und Globalisierungskritik. Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2006, S. 11. Siehe auch) referiert und relativiert diesen Vorwurf.
  5. Theodor W. Adorno Negative Dialektik. Gesammelte Schriften Band 6, 5. Auflage, Frankfurt am Main 1996, S. 315f.
  6. Stefan Kühl: Wirtschaft und Gesellschaft - Neomarxistische Theorieansätze. In: Andrea Maurer (Hrsg.): Handbuch der Wirtschaftssoziologie, VS-Verlag, 2008, S. 143. Roland Springer: Rückkehr zum Taylorismus. Arbeitspolitik in der Automobilproduktion am Scheideweg. Campus, Frankfurt am Main 1999, S. 75.
  7. Karl Polanyi: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1978, S. 70 u. S. 88.
  8. Karl Polanyi: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1978, S. 182ff.
  9. Gerhard Willke: Kapitalismus. Campus, Frankfurt am Main 2006, S. 9.
  10. Elke Wagner: Gesellschaftskritik und soziologische Aufklärung. In:Berliner Journal für Soziologie, 15 (1), 2005, S. 37-54.
  11. Niklas Luhmann; Soziologische Aufklärung 3. Westdeutscher Verlag, Opladen 1961, S. 45.
  12. Niklas Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1988, S. 10f. ISBN 3-518-57883-9.
  13. Helmut Willke: Global Governance. transcript Verlag 2006, S. 16. ISBN 3899424573.
  14. Christoph Henning (Narrative der Globalisierung. Zur Marxrenaissance im Globalismus und Globalisierungskritik. Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2006, S. 17. Siehe auch)
  15. Helmut Voelzkow: Von der fiunhktionalen Differenzierung zur Globalisierung: Neue Herausforderungen für die Demokratietheorie. in: Raimund Werke / Uwe Schimank (Hrsg.): Gesellschaftliche Komlexitöät und kollektive Handlungsfähigkeit. Campus, Frankfurt am Main 2000. S. 278. Siehe auch Dieter Nohlen (Hrsg.): Lexikon der Politikwissenschaft. Theorien, Methoden, Begriffe. Band 2 N-Z. C. H. Beck, München 2006, S. 607.
  16. Hermann Adam: Bausteine der Politik: Eine Einführung. Springer 2007. ISBN 3531154869. S.215
  17. Josef Schmid: Wirtschaftspolitik für Politologen. UTB 2006. ISBN 3825228045. S.18f

Kategorie:Politik Kategorie:Wirtschaftspolitik Kategorie:Sozialwissenschaft