Benutzer:KWmedipoint/Pegaspargase (Oncaspar®)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Pegaspargase, vertrieben unter dem Namen Oncaspar® (Hersteller Servier), ist eine PEGylierte Form der natürlich vorkommenden Escherichia-coli-(E.-coli-)L-Asparaginase und Bestandteil einer antineoplastischen Kombinationstherapie bei akuter lymphatischer Leukämie  (ALL) bei Kindern und Jugendlichen (von Geburt bis 18 Jahre) und Erwachsenen[1][2]. Häufig wird die Pegaspargase mit Vincristin, einem Kortikosteroid (Dexamethason, Prednison) und manchmal mit einem Anthracyclin (Daunorubicin, Doxorubicin) kombiniert[3]. Die Pegaspargase wird durch intravenöse Infusion oder intramuskuläre Injektion verabreicht und ist seit 2016 in Deutschland zugelassen[4].

Pegaspargase
Allgemeines
Handelsname Oncaspar®
Andere Namen PEGylierte E.-coli-L-Asparaginase
Summenformel C1377H2208N382O442S17
Kennung
CAS-Nummer 130167-69-0
Arzneistoffangaben
ATC-Code L01XX24
Wirkstoffklasse Zytostatika
Eigenschaften
Molare Masse 31.732,06 g·mol−1

Anwendungsgebiete[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Pegaspargase wurde 1994 in den USA für die Behandlung von ALL-Patienten zugelassen, die eine Überempfindlichkeitsreaktion gegenüber den natürlich vorkommenden Formen der L-Asparaginase aufweisen[5][6]. Im Jahr 2006 hat die U.S. Food and Drug Administration (FDA) für Pegaspargase die Zulassung zur Erstlinientherapie als Teil einer antineoplastischen Kombinationstherapie von ALL erteilt[5]. Seit 2016 ist die Pegaspargase in Deutschland für die Behandlung von ALL bei Kindern sowie Jugendlichen ab der Geburt bis zum Alter von 18 Jahren und Erwachsenen zugelassen[4]. Sie ist Bestandteil einer antineoplastischen Kombinationstherapie und wird auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geführt[7]. Im Kindes- und Jugendalter erfolgt die Behandlung einer ALL gemäß Behandlungsprotokoll der AIEOP-BFM ALL-Studie in fünf Therapiephasen (Induktion, Konsolidierung, Extra-Kompartmenttherapie/Intensivierung, Reinduktion, Erhaltungs- oder Dauertherapie), wobei die Pegaspargase sowohl in der Induktions- als auch der Reinduktionsphase eingesetzt wird[8]. Im Behandlungsprotokoll für Erwachsene (GMALL) ist die Asparaginase ebenfalls fester Bestandteil der Therapie[9].

Grundlage für die EU-Zulassung der Pegaspargase als Erstlinientherapie von ALL-Patienten waren drei klinische Studien (CCG-1962, AALL07P4 und DFCI 11-001), in denen die Wirksamkeit und Sicherheit untersucht wurde. Die Wirksamkeit der Pegaspargase bei ALL-Patienten mit refraktärer Erkrankung und einer früheren allergischen Reaktion gegenüber natürlicher E.-coli-L-Asparaginase wurde in sechs Studien bestätigt (ASP-001, ASP-201A, ASP-302, ASP-400 und ASP-001/003C)[2].

Die CCG-1962-Studie war eine randomisierte Phase-III-Vergleichsstudie, in der die Sicherheit und Wirksamkeit von Pegaspargase als intramuskuläre Injektion mit der nativen E.-coli-L-Asparaginase als Teil einer Kombinationstherapie bei 118 Kindern mit diagnostizierter ALL verglichen wurde[2]. In einer von Avramis et al. publizierten Analyse wiesen die mit Pegaspargase behandelten Kinder eine statistisch signifikant schnellere Clearance der Lymphoblasten auf als jene, die mit E.-coli-L-Asparaginase behandelt wurden. Außerdem zeigte die Pegaspargase-Gruppe eine verlängerte Asparaginase-Aktivität gegenüber der Vergleichsgruppe. Patienten mit nativer L-Asparaginase wiesen in 26–42 % der Fälle hohe Anti-Asparaginase-Antikörper-Titer auf, die mit einer niedrigen Enzymaktivität korrelierten, verglichen mit 2 % unter Pegaspargase ohne Beeinflussung der Asparaginase-Aktivität. Nebenwirkungen, Infektionen und Hospitalisierungen traten vergleichbar häufig in beiden Gruppen auf[10].

In der DFCI-05-001-Studie waren 551 Kinder und Jugendliche im Alter von 1–18 Jahren eingeschlossen, denen entweder Pegaspargase intravenös oder native E.-coli-L-Asparaginase intramuskulär verabreicht wurde. Bei etwa 95 % der Gesamtkohorte wurde eine vollständige Remission nach der Induktionsdosis beobachtet. Die durchschnittliche Asparaginase-Aktivität war in der Pegaspargase-Gruppe signifikant höher. Die Verträglichkeit war vergleichbar, jedoch traten Angstzustände in der Vergleichsgruppe signifikant häufiger auf[11].

Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Pegaspargase ist eine durch PEGylierung chemisch modifizierte Variante des Enzyms L-Asparaginase. Die PEGylierung ist ein Prozess, in dem Polyethylenglycol (PEG) mit einem Molekül oder einer Makrostruktur (z. B. Medikament) konjugiert wird (Abbildung 1), um so dessen pharmakokinetische und pharmakodynamische Eigenschaften zu verbessern. Durch die PEGylierung wird die Wasserlöslichkeit erhöht, die renale Abbaurate verlangsamt bzw. die Halbwertszeit verlängert sowie die Toxizität des Enzyms reduziert. Außerdem verbessert sich die pH-Wert- und Temperaturstabilität[12].

PegUricase
PegUricase


Abbildung 1: PEGylierung am Beispiel der Uricase. Die PEGylierte Form der Uricase besteht aus 40 PEG-Polymeren, was ihr eine verbesserte Löslichkeit, eine verlängerte Halbwertzeit und eine reduzierte Immunogenität verleiht. Das obere Bild stellt das gesamte Tetramer dar, während das untere eine PEGylierte Lysin-Gruppe zeigt (Uricase: Protein Data Bank (PDB) und PEG-Uricase-Modell aus[13]).

Gegenüber der nativen E.-coli-L-Asparaginase verlängert sich die Halbwertszeit der modifizierten L-Asparaginase durch die PEGylierung um das Fünffache bei reduzierter Immunogenität[14]. Antikörper gegen das Enzym und allergische Reaktionen wurden verglichen mit Pegaspargase bei einem höheren Anteil der Patienten mit nativer Asparaginase nachgewiesen. Bei nachgewiesenen Antikörpern blieb die enzymatische Aktivität der PEGylierten Asparaginase im Vergleich zu der nativen Asparaginase erhalten. Kinder, die mit Pegaspargase behandelt wurden, wiesen im Vergleich zur nativen Asparaginase eine deutlichere Reduzierung von Lymphoblasten und eine längere L-Asparaginase-Aktivität auf[10].

Wirkungsweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Asparagin ist eine nicht essenzielle Aminosäure, die ein wichtiger Bestandteil der Zellteilung ist. ALL-Zellen können im Gegensatz zu gesunden Körperzellen Asparagin nicht ausreichend selbst synthetisieren, da bei diesen Zellen das Enzym zur Synthese von Asparagin nicht ausreichend vorhanden ist. Somit sind diese Leukämiezellen auf das im Blut vorliegende Asparagin angewiesen[12][15]. Das Enzym L-Asparaginase vermindert das Asparagin im Blut, indem es dieses in Asparaginsäure und Ammoniak spaltet. In der Folge wird die Protein-Synthese gehemmt, was zum programmierten Zelltod (Apoptose) der ALL-Zellen führt (Abbildung 2)[2].

Wirkungsweise L-Asparaginase
Wirkungsweise L-Asparaginase


Abbildung 2: Wirkungsweise der L-Asparaginase. Das Enzym L-Asparaginase wandelt Asparagin in Asparaginsäure und Ammoniak um.

Darreichungsform[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Deutschland ist Pegaspargase in lyophilisierter (gefriergetrockneter) Formulierung erhältlich, wodurch sich die Haltbarkeit um das Dreifache von zuvor acht Monaten auf 24 Monate verlängert[16]. Sie liegt in Pulverform (750 Einheiten [E]/ml) zur Herstellung einer Injektions-/Infusionslösung vor. Jede Durchstechflasche enthält 3.750 E Pegaspargase. Die Behandlung erfolgt im Rahmen einer Polychemotherapie durch intramuskuläre Injektion oder intravenöse Infusion[2].

Nebenwirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu den sehr häufigen und häufigen  Nebenwirkungen zählen unter anderem: Febrile Neutropenie, erhöhte Leberenzymwerte, erhöhtes Bilirubin im Blut, Diarrhö, Übelkeit, Haut-Ausschlag, Störung der Blutgerinnung (Thrombose/Embolie, Blutungsneigung, erniedrigtes Fibrinogen), allergische Reaktion,  Pankreatitis sowie hohe Blutfett- und Blutzuckerwerte[2].

Kontraindikationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Pegaspargase sollte nicht verabreicht werden, wenn eine Hypersensitivität gegenüber der aktiven Substanz oder einem der anderen Inhaltstoffe vorliegt. Pegaspargase sollte ebenfalls nicht gegeben werden, wenn eine schwere Leberfunktionsstörung oder eine Pankreatitis vorliegt bzw. vorgelegen hat oder eine schwere Thrombose oder andere hämorrhagische Ereignisse im Zusammenhang mit einer vorherigen Asparaginase-Therapie aufgetreten sind[2].

Pharmakokinetik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die pharmakokinetischen Eigenschaften von Pegaspargase wurden in den Studien CCG-1962 (intramuskulär), AALL07P4 (intravenös) und DFCI 11-001 (intravenös) beurteilt[2].

Die PEGylierte Form der Pegaspargase zeigte nach intramuskulärer Injektion eine erhöhte Asparaginase-Aktivität sowie eine verlängerte Halbwertszeit im Vergleich zu der nativen Form (5,5 Tage vs. 26 Stunden)[10]. Die langanhaltende L-Asparaginase-Aktivität (≥ 0,1 E/ml für bis zu 18 Tage) der Pegaspargase wurde ebenfalls nach intravenöser Verabreichung beobachtet[11][2]. Aufgrund dieser pharmakokinetischen Eigenschaften und der vergleichbaren Verträglichkeit kann eine einmalige intravenöse Gabe von Pegaspargase in der Induktionsphase die mehrfachen intramuskulären Gaben der nativen E.-coli-L-Asparaginase (alle 2–3 Tage) ersetzen[17].

Wechselwirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Pegaspargase kann das Niveau von Serumproteinen vermindern und so die Toxizität anderer proteingebundener Medikamente erhöhen. Des Weiteren kann durch Hemmung der Zellteilung die Wirkung anderer Substanzen, die diese als Ziel haben, beeinflusst werden – hierzu zählt z. B. Methotrexat. Eine vorherige Gabe von Methotrexat und Cytarabin kann die Wirkung der Pegaspargase steigern, wohingegen eine nachfolgende Gabe die Wirkung reduzieren kann.[2]

Pegaspargase kann aufgrund ihrer Wirkung auf die Proteinsynthese und die Leberfunktion den Abbau anderer Medikamente beeinflussen. Eine gleichzeitige Gabe von Kontrazeptiva und Pegaspargase ist nicht zu empfehlen, da indirekte Wechselwirkungen nicht ausgeschlossen werden können. Eine Impfung mit Lebendimpfstoffen sollte frühestens drei Monate nach Vollendung der gesamten antileukämischen Behandlung durchgeführt werden[2].

Historisches[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den 60er-Jahren wurde entdeckt, dass die im Serum von Meerschweinchen enthaltene L-Asparaginase einen Anti-Lymphom-Effekt besitzt[18]. L-Asparaginase aus E.-coli-Kulturen besitzt ebenfalls diese Eigenschaft und diese Entdeckung ermöglichte es, L-Asparaginase in ausreichender Menge für den klinischen Gebrauch zu gewinnen[19]. Seit den 70er-Jahren wird L-Asparaginase standardmäßig in der Leukämietherapie eigesetzt.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Heo YA, Syed YY, Keam SJ. Pegaspargase: A review in acute lymphoblastic leukaemia. Drugs 2019;79(7):767-77; doi: 10.1007/s40265-019-01120-1
  2. a b c d e f g h i j k EMA. Oncaspar® – Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels. 2016. https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/oncaspar-epar-product-information_de.pdf, abgerufen am: 14.04.2021
  3. Drugs.com. Pegaspargase. 2020. https://www.drugs.com/monograph/pegaspargase.html, abgerufen am: 14.04.2021
  4. a b Fachinfo-Service®. https://www.fachinfo.de/, abgerufen am: 02.03.2021
  5. a b Dinndorf PA, Gootenberg J, Cohen MH, et al. FDA drug approval summary: pegaspargase (oncaspar) for the first-line treatment of children with acute lymphoblastic leukemia (ALL). Oncologist 2007;12(8):991-8; doi: 10.1634/theoncologist.12-8-991
  6. FDA. Oncaspar® (pegaspargase). 2011. https://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/label/2011/103411s5126lbl.pdf, abgerufen am: 23.03.2021
  7. WHO. Model list of essential medicines. 2019. https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/325771/WHO-MVP-EMP-IAU-2019.06-eng.pdf, abgerufen am: 22.03.2021
  8. Krebskinderinfo.de. Ablauf nach AIEOP-BFM ALL-Studie/-Register. 2018. https://www.kinderkrebsinfo.de/erkrankungen/leukaemien/pohpatinfoall120060414/therapie/ablauf_der_chemotherapie/nach_aieop_bfm_all/index_ger.html, abgerufen am: 19.04.2021
  9. Onkopedia. Akute Lymphatische Leukämie (ALL) 2020. https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/akute-lymphatische-leukaemie-all/@@guideline/html/index.html, abgerufen am: 15.06.2021
  10. a b c Avramis VI, Sencer S, Periclou AP, et al. A randomized comparison of native Escherichia coli asparaginase and polyethylene glycol conjugated asparaginase for treatment of children with newly diagnosed standard-risk acute lymphoblastic leukemia: a Children's Cancer Group study. Blood 2002;99(6):1986-94; doi: 10.182/blood.v99.6.
  11. a b Place AE, Stevenson KE, Vrooman LM, et al. Intravenous pegylated asparaginase versus intramuscular native Escherichia coli L-asparaginase in newly diagnosed childhood acute lymphoblastic leukaemia (DFCI 05-001): a randomised, open-label phase 3 trial. Lancet Oncol 2015;16(16):1677-90; doi: 10.016/S470-2045(15)00363-0
  12. a b Harris JM, Chess RB. Effect of pegylation on pharmaceuticals. Nat Rev Drug Discov 2003;2(3):214-21; doi: 10.1038/nrd3
  13. Sherman MR, Saifer MG, Perez-Ruiz F. PEG-uricase in the management of treatment-resistant gout and hyperuricemia. Adv Drug Deliv Rev 2008;60(1):59-68; doi: 10.1016/j.addr.2007.06.011
  14. Asselin BL, Whitin JC, Coppola DJ, et al. Comparative pharmacokinetic studies of three asparaginase preparations. J Clin Oncol 1993;11(9):1780-6; doi: 10.200/JCO.993.11.9.
  15. Haskell CM, Canellos GP. l-asparaginase resistance in human leukemia – asparagine synthetase. Biochem Pharmacol 1969;18(10):2578-80; doi: 10.1016/0006-2952(69)90375-x
  16. ÖKZ. Noch bessere Patientenversorgung bei akuter lymphatischer Leukämie (ALL). 2018. http://www.schaffler-verlag.com/alles/dokumente/2897.pdf, abgerufen am: 15.04.2021
  17. Douer D, Yampolsky H, Cohen LJ, et al. Pharmacodynamics and safety of intravenous pegaspargase during remission induction in adults aged 55 years or younger with newly diagnosed acute lymphoblastic leukemia. Blood 2007;109(7):2744-50; doi: 10.1182/blood-2006-07-035006
  18. Broome JD. Evidence that the L-asparaginase of guinea pig serum is responsible for its antilymphoma effects. I. Properties of the L-asparaginase of guinea pig serum in relation to those of the antilymphoma substance. J Exp Med 1963;118:99-120; doi: 10.1084/jem.118.1.99
  19. Mashburn LT, Wriston JC, Jr. Tumor inhibitory effect of L-asparaginase from Escherichia coli. Arch Biochem Biophys 1964;105:450-2; doi: 10.1016/0003-9861(64)90032-3