Benutzer:Mibo2de/ALW301-de

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Mibo2de/ALW301-de

Die Unglücksmaschine am Flughafen Berlin-Schönefeld im Juli 1995

Unfall-Zusammenfassung
Unfallart Wartungsfehler / Instrumentenausfall / Pilotenfehler
Ort 26 Kilometer nordöstlich von Puerto Plata, Dominikanische Republik (POP/MDPP)
Datum 6. Februar 1996
Todesopfer 189
Überlebende 0
Verletzte 0
Luftfahrzeug
Luftfahrzeugtyp Boeing 757
Betreiber Birgenair (KT)
Kennzeichen TC-GEN
Passagiere 176
Besatzung 13
Listen von Luftfahrt-Zwischenfällen

Birgenair-Flug 301 war ein mit einer Boeing 757-225 durchgeführter Charterflug, der am 6. Februar 1996 von Puerto Plata in der Dominikanischen Republik mit Zwischenlandungen in Gander (Neufundland) und Berlin-Schönefeld nach Frankfurt am Main führen sollte und kurz nach dem Start in Puerto Plata verunglückte.

Vorgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für den Flug war ursprünglich eine Boeing 767 der Fluggesellschaft ALAS Nacionales eingeplant. Wegen eines Defekts wurde diese Maschine jedoch kurzfristig gegen eine auf dem Vorfeld geparkte 757 der Birgenair ausgetauscht. Diese Maschine stand seit 20 Tagen inaktiv auf dem Vorfeld des Aeropuerto Gregorio Luperon. Es wurde später vermutet, dass sich während dieser Standzeit eine Verstopfung einer der Staudrucksonden gebildet hatte.

Der Höhenmesser und der Geschwindigkeitsmesser im Cockpit benötigen zur korrekten Anzeige den Staudruck, der sich während des Fluges in dieser Sonde aufbaut (Pitot-Statik-System). Bei längerer Standzeit am Boden werden die kleinen Öffnungen der Staudrucksonden normalerweise abgedeckt, da sie beispielsweise durch Insekten oder Schmutz verstopft werden können. Die Abdeckung soll unterblieben sein. Allerdings ist es auch möglich, dass eine Verstopfung, zum Beispiel durch Insekten während des Rollvorgangs eintreten kann.

Flugablauf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Staudrucksonde zum Messen der Geschwindigkeit an einem Airbus A380
Gedenkstein für die Opfer auf dem Frankfurter Hauptfriedhof

Um 03:42 Uhr UTC begann die Boeing 757 mit ihrem Startlauf. Als das Flugzeug eine Geschwindigkeit von 80 Knoten erreicht hatte und der Copilot dies routinegemäß ausrief, bemerkte der Kapitän, dass sein Geschwindigkeitsmesser nicht funktionierte. Das Instrument des Copiloten zeigte hingegen korrekte Werte an. Obwohl man die sogenannte Entscheidungsgeschwindigkeit für einen Startabbruch (V1) noch nicht erreicht hatte, entschied sich die Besatzung, den Startlauf fortzusetzen.

Kurz nach dem Abheben begann auch der Geschwindigkeitsmesser des Kapitäns zu arbeiten. Die Piloten schalteten den Autopiloten ein und wählten die entsprechenden Modi für den weiteren Steigflug. Wegen des teilweise verstopften Staudruckrohres zeigte das Instrument des Kapitäns jedoch eine wesentlich höhere Fluggeschwindigkeit an, als tatsächlich vorlag. Während die Piloten versuchten, die Ursache für die falsche Anzeige des Kapitäns zu finden, erschienen auf dem EICAS-Monitor im Cockpit die Warnmeldungen Rudder Ratio und Mach Speed Trim. Beide deuteten auf Probleme mit abweichenden Geschwindigkeiten der beiden an Bord befindlichen Air-Data-Computer hin. Sie wurden durch die falschen Messdaten des linken Datenrechners ausgelöst, die auch die Geschwindigkeitsanzeige (Airspeed Indicator) des Kapitäns auf der linken Seite versorgten. Dies war den Piloten jedoch nicht bekannt. Birgenair benutzte als Handbuch zum Flugzeug die Originalunterlagen des Herstellers Boeing. Obwohl es in der Vergangenheit bereits verschiedene Vorfälle gegeben hatte und einige Airlines (darunter United und Delta) daraufhin ihre eigenen, betriebsinternen Handbücher geändert hatten, wurde durch den Wortlaut im Boeing-Handbuch kein gravierendes Problem als Ursache dieser Fehlermeldung suggeriert.

Während sich die Maschine weiterhin im Steigflug befand, wurde in einer Höhe von 6700 Fuß (ca. 2300 m) auf der Anzeige des Kapitäns eine Geschwindigkeit von 353 Knoten (ca. 640 km/h) angezeigt. Der mit diesen Daten gespeiste Autopilot und das automatische Schubregelsystem ergriffen nun Maßnahmen, um die vermeintlich zu hohe Geschwindigkeit zu korrigieren. Die Triebwerke wurden gedrosselt, und die Maschine vergrößerte ihren Anstellwinkel. Tatsächlich betrug die Geschwindigkeit über Grund zu diesem Zeitpunkt nur 199 Knoten. Diese Geschwindigkeit wurde auf der Anzeige des Kopiloten (rechts) angezeigt. Durch das Instrument des Kapitäns wurde nun eine Hochgeschwindigkeitswarnung ausgelöst (Overspeed-Warning), die vor einer vermeintlich zu großen Geschwindigkeit und einem in diesen Fällen drohenden High-Speed Stall warnte. Fliegt ein Flugzeug zu schnell besteht die Gefahr, dass wesentliche Teile der Struktur beschädigt werden oder sogar abreißen können. Zehn Sekunden später erfolgte dann der Stick Shaker, ein Rütteln der Steuersäule, das die Piloten vor einem drohenden Strömungsabriss (Stall) warnen soll.

Die Piloten waren durch die gegensätzlichen Warnungen (Overspeed und Stick Shaker) binnen nur zehn Sekunden irritiert, zumal jede Warnung für sich genommen eine sofortige „Abhilfemaßnahme“ in entgegen gesetzter Richtung erfordert. Bei einer Overspeed muss die Geschwindigkeit verringert werden, was durch das Hochnehmen der Flugzeugnase und Drosselung der Triebwerke unterstützt wird, wohingegen die Stall-Warning erfordert, dass die Nase gesenkt wird und man die Triebwerksleistung erhöht. Gemäß den Aufzeichnungen auf dem Cockpit-Voice-Recorder und dem Flugdatenschreiber hat der Kapitän die Overspeed-Warnung als falsche Warnung identifiziert und in der Folge versucht den bevorstehenden Strömungsabriss zu verhindern. Seine Abfangmanöver konterkarierend kam jedoch hinzu, dass sich der Autopilot erneut in das Geschehen einschaltete und durch automatisches Verstellen der Höhenruderflosse den kritischen Anstellwinkel wieder erhöhte. Auf der Aufzeichnung des Cockpit-Voice-Recorders ist gut hörbar, dass der Stick-Shaker nicht, wie fälschlicherweise im Bericht behauptet, konstant bis zum Aufprall aktiv war, sondern mit Unterbrechungen (intermittierend). Einige Sekunden später erlitt das linke Triebwerk der Boeing einen Strömungsabriss (Triebwerksstall). Die Maschine rollte daraufhin über die linke Tragfläche auf den Kopf und prallte um 03:47:15 UTC auf die Meeresoberfläche.

Alle 176 Passagiere und 13 Besatzungsmitglieder kamen bei dem Unglück ums Leben.

Unfalluntersuchung und Abschlussbericht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Absturz wurde von der zivilen Luftfahrtbehörde der Dominikanischen Republik, der Direccion General de Aeronautica Civil, untersucht. Hier kam erschwerend hinzu, dass der zuständige Chefermittler Major Emanuel Souffront nur über rudimentäre Englischkenntnisse verfügte und vor allem auf die Unterstützung von Kollegen der US-amerikanischen Untersuchungsbehörde NTSB angewiesen war. Im Zuge der Untersuchung wurden einige schwerwiegende Fehler gemacht. So wurde etwa das Transskript des Cockpit-Voice-Recorders in den Vereinigten Staaten vom Türkischen (die Besatzung sprach Türkisch) ins Englische übersetzt. Dabei wurden einige Übersetzungsfehler gemacht. Die englische Fassung wurde dann ins Spanische übersetzt (Landessprache in der Dominikanischen Republik). Verschiedene Aussagen wurden fälschlich dem Kapitän zugeschrieben, obwohl sie vom Ersten Offizier stammen. Nach mehrfachen Verzögerungen bei der Abfassung des Untersuchungsberichts kam die Kommission zu folgendem Ergebnis:

Die wahrscheinliche Unglücksursache lag in dem Unvermögen der Flugbesatzung, die Aktivierung des Stick Shaker als unmittelbare Warnung für den Übergang in den überzogenen Flugzustand zu erkennen, und der Unfähigkeit, die entsprechenden Verfahren zur Behebung dieses Flugzustandes durchzuführen. Vor der Warnung durch den Stick Shaker hatten eine fehlerhafte Anzeige des Anstiegs der Fluggeschwindigkeit und die Warnung für die Überschreitung der maximalen Geschwindigkeit zur Verwirrung der Besatzung geführt.

Kritik am Umgang mit den Angehörigen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit Unterstützung des NTSB wurde ein sehr großer Aufwand für die Bergung der Wrackteile, insbesondere des Cockpit Voice Recorders, betrieben. Die in über 2000 Meter Tiefe gelegenen Trümmer wurde zum Teile mit Hilfe von Tauchrobotern an die Oberfläche geholt. Man beschränkte sich dabei bewusst auf die Wrackteile und beförderte dabei nur zufällig den persönlichen Besitz der Opfer sowie deren Überreste aus der Tiefe. Zwei Jahre nach der Katastrophe wurden auf einer Müllhalde in Puerto Plata zwischen den Wrackteilen, neben verfaulten Reisetaschen, sogar Leichenteile entdeckt.[1]

Das Unglück von Birgenair-Flug 301 steht heute sinnbildlich für große Mängel im Umgang mit den Angehörigen.

Ähnliche Ereignisse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aeroperú-Flug 603: Parallelen und Unterschiede[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nur acht Monate später verunglückte Aeroperú-Flug 603 kurz nach dem Start in Lima (Peru). Hier hatten Mechaniker bei einer vorangegangenen Reinigung des Flugzeugs vergessen, Klebestreifen von den Einlässen für den statischen Luftdruck zu entfernen.

  1. In beiden Fällen handelte es sich um das gleiche Flugzeugmuster (Boeing 757).
  2. In beiden Fällen standen blockierte Drucksonden (bei Birgenair: vermutlich) in Folge unsachgemäßer Handhabung durch Bodenpersonal am Anfang der Ursachenkette:
    • Bei Birgenair 301 geht die Untersuchungskommission von einer Blockierung eines Staudruckrohrs (pitot probe) durch Verschmutzung aus. Gestützt wird diese Annahme durch die geborgene Stimm- (CVR = Cockpit Voice Recorder) und insbesondere Flugdatenaufzeichnung (FDR = Flight Data Recorder) sowie durch nachträgliche Versuche im Simulator.
    • Bei Aeroperu 603 geht man von einem Verschluss aller statischen Drucköffnungen (static ports) mittels Klebeband aus. Die Ports der linken Rumpfseite wurden in abgeklebtem Zustand geborgen, die anderen nicht gefunden.
  3. In beiden Fällen verursachten die blockierten Drucksonden Fehlanzeigen von Instrumenten und Fehlfunktionen der davon abhängigen vertikalen Navigation des Autopiloten:
    • Bei Birgenair 301 zeigte der linke von insgesamt drei Fahrtmessern (ASI) unsinnige Werte an, was die Crew beim Startlauf noch vor Erreichen von V1 bemerkte. Für eine Fehlanzeige der beiden anderen Fahrtmesser (rechts und stand-by) oder weiterer Instrumente gibt es keine Indizien. Auf Basis der fehlerhaften Geschwindigkeitswerte des linken Air Data Computers (ADC) erhöhte der Autopilot im Steigflug die positive Längsneigung, bevor er sich schließlich abschaltete.
    Beide Probleme wären durch Umschalten auf den rechten ADC ("alternate source") behebbar gewesen. Aufgrund der beim Startlauf beobachteten Fehlanzeige hätte dies nahe gelegen, wurde von der Crew jedoch unterlassen.
    • Bei Aeroperu 603 waren mangels statischem Bezugsdruck sämtliche Fahrtmesser, Höhenmesser (einschließlich der vom Sekundärradar-Transponder an die Flugsicherung übermittelten Höhenangabe) und Variometer (VSI, Anzeige von Steig- oder Sinkrate) unbrauchbar. Während des Startlaufs am Boden waren diese Ausfälle prinzipbedingt noch nicht erkennbar. Die Crew bemerkte den Ausfall der Höhenmesser im Anfangssteigflug, kurz darauf auch die Fehlanzeige der Fahrtmesser.
    Die folgerichtig durchgeführte Umschaltung des ADC blieb hier erfolglos, da unter den gegebenen Umständen beide ADCs fehlerhafte Messwerte erhielten, ebenso die konventionellen Notinstrumente. Der Aeroperu-Crew standen als Notbehelf lediglich der Radiohöhenmesser (geländebezogen) und die Geschwindigkeit über Grund (windabhängig) zur Verfügung.
  4. Als Folge der fehlerhaften Geschwindigkeitsmesswerte wurden in beiden Fällen die Alerts "RUDDER RATIO" und "MACH SPEED TRIM" angezeigt, die jedoch nicht ohne Weiteres auf die Ursache schließen ließen.
    • Aufgrund der wesentlich umfangreicheren Ausfälle erschienen bei Aeroperu 603 in kurzer Folge weitere Alerts der Stufen "CAUTION" und "WARNING", unter anderem vor einer (vermeintlichen) Windscherung.
  5. ... groundspeed und radio alt bei beiden nicht genutzt (Birgenair: zusätzliche, Aeroperu: einzige Referenz) ...
  6. In beiden Fällen ließ sich die Besatzung durch Fehlanzeigen, Fehlfunktionen und teilweise irreführende Alerts so irritieren, dass es ihr nicht (bei Aeroperu: nicht nachhaltig) gelang, die eingetretene Problemsituation erfolgreich zu bewältigen.
    ... rework: basic flying in eigenen Punkt ...
    • Seitens der Birgenair-Crew waren (abgesehen von einem Reset der Sicherungen) weder eine angemessene Reaktion auf die bereits zuvor erkannte Fehlanzeige des linken Fahrtmessers noch eine folgerichtige Bewertung der widersprüchlichen Anzeigen und Warnungen feststellbar, ebensowenig eine Bezugnahme auf die Geschwindigkeit über Grund (als möglicher Notbehelf) oder eine Erörterung der tatsächlichen Fluglage (Längsneigung) in Relation zur gesetzten Leistung.
    Etwa dreieinhalb Minuten nach dem Abheben verlor die Besatzung die Kontrolle über das Flugzeug (Stall). Trotz Erkennbarkeit anhand der unzweifelhaft intakten Instrumente Fluglageanzeige (ADI = "künstlicher Horizont"), Höhenmesser und Variometer gelang es ihr während der folgenden Minute nicht, den überzogenen Flugzustand sicher zu identifizieren und auszuleiten. Weniger als fünf Minuten nach dem Abheben erfolgte der Aufschlag auf der Meeresoberfläche in unkontrollierter Fluglage.
    • Aeroperu: wesentlich schwieriger; ähnlich konfus, aber dauernd unter Kontrolle bis zum Wasserkontakt ...
  7. letzlich Totalverlust des Flugzeugs; loss of control versus CFIT
  8. keine Überlebenden; Überlebensaspekte

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Van Beveren, Tim und Hubacher, Simon: Flug Swissair 111 - Die Katastrophe von Halifax und ihre Folgen, WERD Verlag Zürich 2000

Weitere Quellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gutachten für die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main, Aktenzeichen 58 UJs 30369/96 vom Dezember 1998
  • Tim van Beveren: Runter kommen sie immer. Die verschwiegenen Risiken des Flugverkehrs. 6. Auflage. Campus, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-593-35688-0, S. 258.
  • RTL-Fernsehdokumentation: „Urlaubsreise in den Tod“ vom 7. Februar 1998

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]