Benutzer:TAXman/10. Sinfonie (Schostakowitsch)

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Die 10. Sinfonie in e-moll op.93 von Dmitri Schostakowitsch ist eine Sinfonie in vier Sätzen für Orchester.

Sie entstand im Jahr 1953, dem Todesjahr Josef Stalins, als erste Sinfonie nach acht Jahren, die auf die Ächtung Schostakowitschs Musik im Zuge der Anti–Formalismuskampagne 1948 folgten. Sie wird häufig als Auseinandersetzung mit Stalin und dem Stalinismus angesehen[1]. In diesem Zusammenhang wird besonders der 2. Satz als „musikalisches Portrait Stalins“ bezeichnet[1]. Der Aufbau der Symphonie und die Verwendung zahlreicher Themen und Motive mit außermusikalischem Bezug unterstreichen dies und ergeben ein dramaturgisches Werk von großer emotionaler Intensität[2].

Die Aufführungen der Sinfonie löste kontroverse Diskussionen innerhalb der Sowjetunion aus, während sie in der Westlichen Welt spontan große Erfolge feierte. Die Debatte um die Bewertung der Sinfonie führte schließlich zu einer Wende in der sowjetischen Musikpolitik, so dass im Verauf der folgenden Jahre auch Schostakowitschs früheren Werke wieder aufgeführt werden konnten. Die Sinfonie gehört zu den häufig interpretierten Sinfonien Schostakowitschs und ihre Rezeption und Analyse fördert auch ein halbes Jahrhundert nach ihrer Entstehung neue Erkenntnisse zu Tage.

Vorgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Drei Jahre nach der Erstaufführung der 9. Sinfonie zu Ende des zweiten Weltkriegs veröffentlichte das Zentralkomitee der KPdSU 1948 mehrere Beschlüsse und starteten damit eine Kampagne gegen den „Formalismus“ und den „Kosmopolitismus“. Im Zuge der darauf aufbauenden Rede von Andrei Schdanow wurde auch Schostakowitsch und seine Musik, darunter insbesondere die auch im Ausland erfolgreichen Sinfonien sieben und acht, zum zweiten Mal nach 1936 geächtet. Sein kompositorisches Schaffen war in den darauf folgenden Jahren stark eingeschränkt[3]. Während er in der Öffentlichkeit Fehler eingestand und bei Reden im In- und Ausland die von der Partei vorgegebenen Texte verlas, zog er sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. Er komponierte hauptsächlich kammermusikalische Werke und einige traditionelle und folkloristische Stücke wie Das Lied von den Wäldern. Symphonische Werke wie das Violinkonzert oder den ideologisch riskanten Liederzyklus Aus der jüdischen Volkspoesie komponierte er „für die Schublade“; sie konnten erst nach dem Tode Stalins uraufgeführt werden.

Die Nachricht vom Tode Stalins am 6. März 1953 soll Schostakowitsch von seiner Tochter Galina überbracht worden sein[2]. Krzysztof Meyer beschreibt diese Nachricht als einen unerwarteten Hoffnungsschimmer für Schostakowitsch. Er erklärt die nun erfolgte Rückkehr Schostakowitsch zur Sinfonie mit der Rolle dieser Musikgattung für den Komponisten, der durch die Übertragung der dramatischen Elemente und der Programmatik seine Vorliebe für das Theater auszugleichen suchte, die er seit der Oper Lady Macbeth von Mzensk nicht mehr ausleben konnte.

Entstehungsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wann Schostakowitsch mit der Arbeit an der Sinfonie begann ist unbekannt. Ab Mitte Juni 1953 hielt er sich in seiner Datscha in Komarowo auf. Am 27. Juli schrieb er von dort seinem ehemaligen Schüler Kara Karajew:

„Ich versuche eine Sinfonie zu schreiben. Aber obgleich mich niemand bei der Arbeit stört, geht sie nur mäßig voran [...]. Vorerst bin ich dabei, unter Schwierigkeiten den ersten Satz zu beenden. Wie wird es weitergehen - ich habe keine Ahnung[4]

Laut Manuskript beendete er diesen ersten Satz am 5. August. Am 28. August schrieb er an seinen Freund Isaak Glikman, er käme kaum voran und sei mit dem 2. Satz, den er am Tag zuvor beendet habe, unzufrieden[5].

Nach einer kurzen Pause wechselte er nach Moskau, wo der befreundete Dirigent Jewgeni Mrawinski die Entstehung mit großem Interesse verfolgte und sich in seinem Tagebuch nur in Superlativen darüber äußerte[2]. Das Komponieren schritt nun zügig voran und so entstand der dritte Satz bis 8. Oktober und der vierte wurde am 25. Oktober vollendet. Die Uraufführung der Sinfonie fand am 17. Dezember 1953 in Leningrad mit der Leningrader Philharmonie und kurze Zeit später in Moskau unter Mrawinskis Dirigat statt.

Besetzung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Besetzung entspricht der eines erweiterten symphonischen Orchesters. Der Holzbläsersatz ist dreifach besetzt mit zwei Querflöten, Piccoloflöte, zwei Oboen, Englischhorn, zwei Klarinetten, Es-Klarinette, zwei Fagotten und Kontrafagott. Zwischenzeitlich wechseln die Instrumentalisten auch Ihre Instrumente und besetzen dann kurzzeitig eine zweite Piccoloflöte, drei Oboen, drei Klarinetten oder drei Fagotte.

Der Blechbläsersatz besteht aus vier Hörnern, drei Trompeten, drei Posaunen und Tuba. Im Schlagzeug sind Pauken, Triangel, Tamburin, Kleine Trommel, Becken, Große Trommel, Tamtam und Xylophon besetzt.

Hinzu kommt ein symphonisch besetztes Streichorchester mit zwei Geigen, Bratsche, Cello und Kontrabass.

Form und Symbole als Ausdrucksmittel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vorgaben des Sozialistischen Realismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

siehe Hauptartikel: Sozialistischer Realismus


Werkanalyse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die formale Analyse hat bei der Rezeption und Interpretation von Schostakowitsch Werken großes Gewicht, da der Komponist nur wenig über seine eigenen Werke gesprochen hat. Musikwissenschaftlich wird der dramaturgischen Gehalt seine Stücke daher vielmehr dem formalen Arrangement der Themen und Motive entnommen. Werkübergreifende Beziehungen zu Ereignissen innerhalb seiner Biographie können über die wiederkehrende Verwendung von Symbolen und Paraphrasen hergestellt werden. Dies führt insbesondere seit dem Fall des Eisernen Vorhangs zu immer weitergehenden Interpretationsmöglichkeiten seiner Kompositionen.

Übersicht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die durchschnittlich 50-minütige Symphonie ist unterteilt in vier Sätze und zeigt in der Abfolge ihrer Sätze eine deutliche Dramaturgie: ein langes, düsteres Moderato wird gefolgt von einem sehr kurzen, rhythmischen und kräftigen Scherzo. Im ersten Satz wird ein eher pessimistisches Bild gezeichnet, indem der Konflikt zwischen Ansätzen von individualistischem Handeln mit der formalen, äußeren Repression thematisiert wird. Dem gegenüber stellt der zweite Satz, dem Zeugnis von Schostakowitsch Sohn Maxim zufolge, ein Portrait Stalins dar.

Das Allegretto im dritten Satz greift die Stimmung des ersten Satzes wieder auf, wobei der Komponist hier viele Motive mit persönlichem Bezug verwendet. Im vierten Satz schließlich wird, nach einer langsamen Einleitung (Andante), in einem heiter anmutendes Allegro eine scheinbare Lösung präsentiert, die jedoch durch den Bezug zu Stalins Tod die Frage nach der zukünftigen Entwicklung offen lässt.

Auffällig ist, dass bis auf das Scherzo alle Sätze in der Sonatenhauptsatzform komponiert sind und ein langsamer Satz gänzlich „fehlt“. Mit dieser Betonung der „klassischen“ Form einer Sinfonie, die auch in Anzahl und Anordnung der Sätze konform mit den Vorgaben des sozialistischen Realismus gehen, thematisiert Schostakowitsch den Konflikt zwischen künstlerischer Gestaltungsfreiheit und dogmatischen Vorgaben durch den Staat. Dies wird durch den starken Kontrast zwischen der Form der 10. und der 6. Sinfonie begründet, die überhaupt keinen Satz in Sonatenform enthielt, und die daraufhin 1939 öffentlich - und in Anspielung auf die geforderte Norm - als „Rumpf ohne Kopf“ kritisiert worden war.

Erster Satz (Moderato)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Kopfsatz der Sinfonie nimmt mit mehr als 20 Minuten Spieldauer einen großen Teil des gesamten Werkes ein. Ihm liegen drei Themen zu Grunde, das eröffnende 1. Thema (anhören/?) ist dabei den ganzen Satz über präsent, strukturiert ihn und schafft einen dunklen, langsam fließenden Grundtenor. Durch die tiefen Streicher im unisono vorgestellt, zeigt es weder rhythmische Akzente noch ist es harmonisch gefestigt. Es erscheint damit eher als Klangteppich denn als Thema. Seine herausgehobene Stellung zeigt sich allerdings bereits in Form einer Begleitung zum 2. Thema, das von dem ersten Bläsereinsatz des Stückes mit einem lyrisch-cantablen Klarinettensolo vorgestellt wird.

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Das Klarinettensolo stellt das zweite Thema vor

Dieses 2. Thema (anhören mit Überleitung/?) erinnert durch die hohe Lage, weite Phrasierungsbögen und die Akzentuierung des 3/4-Taktes an einen langsamen Walzer und ist auch harmonisch stärker eingebunden als das erste Thema.

Dass das 2. Thema bereits mit einer Abwandlung des 1. Themas als Begleitstimme eingeführt wird, deutet die weitere Entwicklung an. Schostakowitsch verlässt hier die klassische Form des Sonatenhauptsatzes und beginnt bereits in der Exposition die Themen zu verarbeiten und durchzuführen. Diese Entwicklung erreicht im folgenden einen Höhepunkt in Fortissimo-Dynamik, geht dann aber allmählich wieder zurück ins piano um Raum für das 3. Thema des Satzes zu schaffen.

Im Kontrast zu den ersten beiden Themen verkörpern in diesem Thema (anhören/?) die Achtelbewegungen und Tonrepetitionen in kleinen Einheiten einen ausgesprochenen Tanzcharakter. Dieser wird allerdings durch Pizzicati der Streicher, die dem 3/4 Takt nicht folgen und in jeden längeren Ton der Flöte einbrechen, konterkariert.

Die Durchführung besteht aus einer lang angelegten Steigerung vom Piano bis zum Forte-fortissimo. In ihr werden alle drei Themen simultan verarbeitet, in dem einzelne Motive abgespalten oder, auf rhythmisch charakteristische Tonfolgen verkürzt, gleichzeitig erklingen. Dadurch entsteht eine immer komplexere Polyphonie, die sich als Höhepunkt in einer dreimal wiederholten Kadenz (e-moll - f-moll - h-moll) entlädt.

In der Reprise wird die Spannung wieder abgebaut, indem die in der Durchführung veränderten Themen allmählich wieder in ihre Grundform zurückgeführt werden und die Dynamik vom Gesamtklang im Fortissimo auf die ursprüngliche kleine Besetzung reduziert wird. In der Coda letztendlich wird die Einleitung in der Originaltonart wiederholt und pendelt zwischen e-moll und E-Dur, wobei sich am Ende der Mollakkord durchsetzt. Den Abschluss bildet ein pianissimo - morendo.

Zweiter Satz (Allegro)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dieses kürzeste aller von Schostakowitsch komponierten symphonischen Scherzi ist ein schneller, rhythmisch bewegter Satz, der sich mit wenigen Ausnahmen des vollen Orchesterapparates in Fortissimodynamik bedient. Der Mittelteil bildet dabei kaum ein Gegengewicht zum Scherzo am Anfang und am Ende des Stückes, wodurch auch dieser Satz sehr nahe an die Sonatensatzform heranrückt.

Das erste Thema (anhören/?) prägt durch seine scharfen Akzente und die Verschiebung des rhythmischen Schwerpunkts zur Mitte des Taktes den motorischen Charakter des Satzes. Auf diese Basis setzt der Komponist das zweite Thema des Satzes, die Paraphrase eines der Themen aus Mussorgskis Oper Boris Godunow. Zu den möglichen Gründen für die Wahl dieses Themas schreibt Feuchtner:

„Das Hauptthema des Satzes ist eine bösartig verzerrte Variante des Themas, das das Vorspiel des Boris Godunow einleitet und in Mussorgskis Oper das Volk versinnbildlicht. Da der Komponist den Boris als eine intelligente Auseinandersetzung mit dem Thema Volk und Macht, der Blutschuld des Herrschers und seinen vergeblichen Versuchen, sich unter Berufung auf das Wohl des Volkes reinzuwaschen, sehr schätzte, sind weitreichende Spekulationen nicht unangebracht.“

Bernd Feuchtner, 1986[6]

Feuchtner zieht hiermit einen direkten Bezug zwischen dem Thema und dem sowietischen Volk. Diesem Leitmotiv wird darüber hinaus im Verlaufe des Satzes das berühmte D-S-C-H-Motiv herausgelöst, so dass neben dem allgemeinen Volk auch Schostakowitsch persönlich durch das Thema repräsentiert wird.

Dem zweiten Thema wird als scharfer Kontrast in einem dritten Thema ein Selbstzitat Schostakowitschs entgegengestellt. Die als Gewaltmotiv bekannte kurze Phrase erscheint erstmals 1934 in Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“, jenem Stück, das nach ersten Erfolgen durch die kommunistische Propagande verrissen wurde und den Komponisten in seine erste große Krise stürzte. Neben dieser Sinfonie taucht das vollständige Motiv auch in der Leningrader Sinfonie und in der 11. Sinfonie auf und ist dabei stets mit einbrechender oder bereits erlittener Gewalt verbunden.

Diese Gegenüberstellung von Volk und Gewalt zieht sich durch den ganzen Satz und läßt in seiner Symbolik die Deutung zu, dass Schostakowitsch hier die Macht Stalins, mit der das Volk und er konfrontiert werden, darstellt. Dies wird auch durch die Aussagen seines Sohnes Maxim gestützt, der in Volkovs Memoiren über diesen Satz, je nach Übersetzung, von einem „Portrait“ oder einer „Fratze“ Stalins spricht.

Dritter Satz (Allegretto)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vierter Satz (Andante - Allegro)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Symbole in der 10. Sinfonie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rezeptionsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Diskographie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur und Quellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Allgemein[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Krzysztof Meyer: Schostakowitsch, Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach, 1995, ISBN 3-7857-0772-X
  • Solomon Volkov: Stalin und Schostakowitsch, Propyläen-Verlag, Berlin, 2004, ISBN 3-549-07211-2
  • Solomon Volkov (Hrsg.): Die Memoiren des Dmitrij Schostakowitsch, Propyläen-Verlag, Berlin - München, 2000, ISBN 3-549-05989-2

Noten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Internationale Musikverlage Hans Sikorski GmbH & Co. KG, Dmitri Schostakowitsch - Symophonie Nr. 10 op.93, Edition Sikorski Nr. 2219, Hamburg 1957, ISMN M-003-01775-4

Werkanalysen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Karen Kopp: Form und Gehalt der Symphonien Dmitrij Schostakowitschs, Verlag für systematische Musikwissenschaft, Bonn, 1990, ISBN 3-922626-53-X
  • Nelly Kravetz: New Insight into the Tenth Symphony. In: Rosamund Barlett (Hrsg.): Shostakovich in context, Oxford University Press, Oxford, 2000, ISBN 0-19-816666-4

Referenzen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Volkow, Zeugenaussagen, S. 230
  2. a b c Meyer, Schostakowitsch, S. 363 ff.
  3. Meyer, Schostakowitsch, S. 323 ff
  4. D. Schostakowitsch, in: Erfahrungen, S. 232
  5. D. Schostakowitsch, in Chaos statt Musik?, S. 114
  6. Bernd Feuchtner: Und Kunst geknebelt von der groben Macht. Dmitri Schostakowitsch. Sendler, Frankfurt a.M. 1986. ISBN 3-88048-078-8

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Quellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]