Beratungsstelle Radikalisierung

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Die Beratungsstelle Radikalisierung ist ein Beratungsangebot des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vor allem für Angehörige, aber auch Freunde und Lehrer von jugendlichen Muslimen in Deutschland, die sich dem Islamismus zuwenden. Eingerichtet wurde die Stelle zum 1. Januar 2012 als Teil der Initiative Sicherheitspartnerschaft, die verhindern soll, dass sich die Jugendlichen weiter radikalisieren. Die Finanzierung der kostenlosen Beratung liegt beim Bundesinnenministerium.[1]

Ansatz und Ziele[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Beratungsstelle folgt dem Ansatz, die Jugendlichen nicht direkt, sondern über deren Umfeld zu erreichen. Ein direkter Kontakt mit den jungen Muslimen findet nicht statt.[2] Dahinter steht der Gedanke, dass das soziale Umfeld eine Radikalisierung am ehesten bemerkt und auch für eine „Deradikalisierung“ unverzichtbar ist. Mit dem Kontakt zu Eltern verfolgt man zwei Ziele: Erstens möchte man ihre Verunsicherung im Umgang mit ihren Kindern durch entsprechende Aufklärung auffangen. Zweitens wird über die Angehörigen versucht, Einfluss auf die Jugendlichen zu nehmen. Voraussetzung dafür ist, dass weiterhin ein Kontakt zur Familie besteht und sich die Jugendlichen nicht vollständig von ihrem sozialen Umfeld zurückgezogen haben.[3]

Arbeitsweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der erste Kontakt mit der Beratungsstelle findet über eine Telefonhotline statt, an die sich Ratsuchende wenden können. In einem ersten Gespräch können Fragen beantwortet und geklärt werden, ob eine weitere Beratung nötig ist. Im Bedarfsfall können dann auch persönliche Gespräche mit lokalen Beratern vor Ort stattfinden. Diese Berater (z. B. Sozialpädagogen, Islamwissenschaftler, Imame) sollen die Angehörigen beim Umgang mit dem Radikalisierten begleiten.[4] Die Beratungsstelle arbeitet dabei mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren wie dem Beratungsnetzwerk Grenzgänger, Violence Prevention Network, VAJA Bremen und dem Zentrum Demokratische Kultur zusammen.[5][6] Ein Kontakt mit den Sicherheitsbehörden findet nur im Ausnahmefall statt, wenn eine Gefahr vom Radikalisierten ausgeht. Ansonsten sind die Gespräche vertraulich. Neben Deutsch ist eine Beratung auch auf Englisch, Türkisch, Französisch, Arabisch, Persisch, Russisch und Usbekisch möglich.[7]

Reaktionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Um die Beratungsstelle Radikalisierung in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, wurde eine Plakatkampagne entworfen. Vier der sechs an der Initiative Sicherheitspartnerschaft beteiligten Verbände stellten die Zusammenarbeit daraufhin unter Protest ein, da auf Vorbehalte und Bedenken der Verbände vom Ministerium nicht reagiert worden sei. Die Plakate kriminalisierten die Zielgruppe aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu Fahndungsplakaten.[8]

Die Beratung selbst erreicht zahlreiche Betroffene. Bis Mitte 2014 gingen etwa 950 Anrufe bei der Beratungsstelle ein – am häufigsten aus Nordrhein-Westfalen, Hessen, Berlin, Bremen und Hamburg.[9] Die meisten Beratungsanfragen konnten am Telefon ohne Beratung vor Ort bearbeitet werden.[10] Bis Oktober 2022 gingen mehr als 5.000 telefonische Anfragen ein.[11]

Das Konzept der Deradikalisierungshotline wurde zum 1. Dezember 2014 auch in Österreich verwirklicht. Die dortige Einrichtung gehört nicht zum Geschäftsbereich des Innenministeriums, sondern ist dem Familienministerium unterstellt, um die Hemmschwelle für einen Anruf möglichst gering zu halten. Die Beratung erfolgt anonym und kostenlos in fünf Sprachen.[12] Anders als bei der deutschen Hotline soll sie aber nicht nur islamistische, sondern auch andere extremistische Radikalisierung verhindern.[13]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Kampagne der Beratungsstelle Radikalisierung gestartet. (Memento vom 31. Dezember 2014 im Internet Archive) Meldung des Bundesinnenministeriums vom 4. September 2012. Abgerufen am 30. Dezember 2014.
  2. Glaube oder Extremismus?. Broschüre des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Abgerufen am 30. Dezember 2014.
  3. Beratungsstelle für Radikalisierte und deren Angehörige eröffnet. Abgerufen am 24. November 2020.
  4. Beratungsstelle Radikalisierung. Internetseite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. Januar 2012. Abgerufen am 30. Dezember 2014.
  5. Die „Beratungsstelle Radikalisierung“ und „Hayat“. Meldung der Bundeszentrale für politische Bildung vom 30. Juni 2014. Abgerufen am 30. Dezember 2014.
  6. Kooperationspartner vor Ort.Meldung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, zuletzt gesichtet am 13. Oktober 2015.
  7. Glaube oder Extremismus?. Broschüre des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Abgerufen am 30. Dezember 2014.
  8. Kampagne des Innenministeriums empört Muslime. Artikel vom 30. August 2014. Abgerufen am 30. Dezember 2014.
  9. Hilferufe bei der Beratungsstelle Radikalisierung nehmen zu. Artikel vom 7. Dezember 2014. Abgerufen am 30. Dezember 2014.
  10. Die „Beratungsstelle Radikalisierung“ und „Hayat“. Meldung der Bundeszentrale für politische Bildung vom 30. Juni 2014. Abgerufen am 30. Dezember 2014.
  11. 10 Jahre Beratungsstelle „Radikalisierung“. In: Pressemitteilung, bmi.bund.de. Bundesministerium des Innern und für Heimat, 7. November 2022, abgerufen am 5. März 2024.
  12. Regierung will Prävention verstärken. Artikel vom 1. Dezember 2014. Abgerufen am 10. Januar 2015.
  13. Beratungsstelle Extremismus - Beratung, Prävention, Intervention. (Memento des Originals vom 31. Dezember 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.familienberatung.gv.at Homepage der Beratungsstelle Extremismus. Abgerufen am 30. Dezember 2014.