Blondelsage

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Richard Löwenherz
(aus einer Handschrift des 12. Jahrhunderts)

Die Blondelsage ist eine mittelalterliche Sage, die von der Suche des Troubadours Blondel nach seinem gefangenen Herrn und Freund, dem englischen König Richard Löwenherz, und von dessen Befreiung erzählt.

Historischer Hintergrund

König Richard Löwenherz wurde 1192 auf der Rückreise vom Kreuzzug durch Truppen des österreichischen Herzogs Leopold V. bei Wien gefangen genommen. Der Gefangene wurde zunächst auf der Burg Dürnstein inhaftiert, um an Heinrich VI., den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, ausgeliefert zu werden. Die Übergabe an den Kaiser erfolgte am 28. März 1193 in Speyer. Möglicherweise bis zum 4. Februar 1194 wurde Richard dann im Pfälzerwald auf der Reichsburg Trifels bei Annweiler festgehalten, bevor er gegen ein extrem hohes Lösegeld frei kam. Im Artikel über Richard Löwenherz sind Einzelheiten zu den tatsächlichen Ereignissen beschrieben.

Sage

Burg Dürnstein in Niederösterreich
Reichsburg Trifels im Pfälzerwald

Die Sage berichtet demgegenüber, der Sänger Blondel sei auf der Suche nach Löwenherz in Deutschland von Burg zu Burg gezogen. Letzten Endes habe er ihn auf dem Trifels gefunden und, unterstützt von einer Schar Gesinnungsgenossen, gewaltsam befreit.

Der Lokalhistoriker Friedrich Wilhelm Hebel beschreibt die Begebenheit in seinen literarischen Sagenbearbeitungen im Jahr 1912, einer Zeit des Historizismus, folgendermaßen[1]:

Richard Löwenherz auf Trifels
König Richard Löwenherz von England hatte auf einem Kreuzzuge auf den Wällen von Ptolemais die Fahne Leopolds von Österreich beschimpft und wurde von diesem bei seiner Rückkehr gefangengenommen und nach Dürrenstein an der Donau gebracht. Doch Heinrich VI. meinte, nur ein Kaiser dürfe einen König gefangenhalten, und brachte den Löwenherz auf den Trifels, wo er zehn Monate lang der Freiheit beraubt war.
Niemand wusste den Aufenthalt des löwenmutigen Helden. Sein treuer Sänger Blondel zog singend von Schloss zu Schloss, den guten König zu suchen. Einst kam er vor die Burg Trifels und ließ sein Lied erklingen, das nur ihm und dem König bekannt war. Als die erste Strophe geendet hatte, scholl die zweite als Antwort aus dem Turme. "O Richard, o mein König!", rief Blondel dem Einsamen zu.
Er eilte rasch zu Tale und rückte bald mit fünfzig Mannen zum Trifels und stürmte ihn trotz heftiger Gegenwehr. Und wieder klang das Lied der Freunde durch die weiten Hallen und soll auch heute noch in einsamen Stunden dort gehört werden.

Die erst im 13. Jahrhundert entstandene Geschichte wurde im Laufe der Zeit ausgeschmückt und entfernte sich dabei immer mehr vom tatsächlichen Geschehen. Unhistorisch ist vor allem die Episode der kämpferischen Befreiung; zeitgenössische Chronisten berichten nichts davon.

In ihrer frühesten Form wurde die Sage um 1260 in den sogenannten Récits d’un Ménestrel de Reims, einer sagenhaften Kreuzzugschronik, erzählt. Die Sage wurde im 18. Jahrhundert wieder entdeckt und vor allem durch die Oper Richard Coeur de Lion von Grétry (1784) populär.

In Österreich existiert eine ähnliche Sage hinsichtlich der Burg Dürnstein, auf welcher Richard Löwenherz vor seiner Gefangenschaft auf dem Trifels festgehalten wurde. Von einer gewaltsamen Befreiung ist hier allerdings nicht die Rede.

Deutungen

Es waren hauptsächlich englische Chronisten, die berichteten, dass Richard im dunklen Kerker schmachten musste. Andere Chronisten berichten dagegen von einer ehrenvollen Behandlung.

Die Beschreibung der strengen Haftbedingungen ist sehr übertrieben; denn König Richard war zu wertvoll, als dass der deutsche Kaiser ihn schlecht behandeln konnte. Für Heinrich VI. war der gefangene Richard nicht nur eine Geldquelle, sondern auch ein Faustpfand gegen die welfische Fürstenopposition unter Führung von Heinrich dem Löwen, dem Schwager von Heinrich VI. Heinrich den Löwen hatte Richard bereits früher immer wieder aktiv gegen den Kaiser unterstützt. Um nicht an den ihm feindlich gesinnten König Philipp II. von Frankreich ausgeliefert zu werden, betätigte sich Richard sogar als Diplomat und arbeitete an der Aussöhnung zwischen Heinrich VI. und den aufständischen Fürsten.

Aus Richards Briefen und aus Berichten neutraler Zeitzeugen stellte der Historiker Theodor Toeche (1837–1919) folgendes Bild zusammen:

Er durfte sich, von deutschen Rittern gefolgt, frei bewegen. Der Verkehr mit seinen Freunden und Landsleuten, die von England herüberkamen, ihm zu huldigen oder zu raten, wurde nicht gehindert. Nur des Nachts musste er allein sein. Der Frohsinn verließ den König auch hier nicht; wer ihn sah, fand ihn launig und heiter. Die größte Belustigung gewährte ihm, mit den Wächtern sein Spiel zu treiben, sie im Ringkampf mit meisterlicher Gewandtheit zu bewältigen oder im Zechgelage sie sämtlich trunken zu machen und allein obenauf zu bleiben.

Musical

Das Musical Blondel von Tim Rice und Stephen Oliver (1983) basiert sehr frei auf der Sage über den Troubadour Blondel. Dessen Bemühungen, König Richard Löwenherz zu retten, haben nämlich zum Ziel, Ruhm als Popstar zu erlangen.

Literatur

  • Hans Reither und Helmut Seebach: Der englische König Richard I. Löwenherz als Gefangener auf Burg Trifels. Beiträge zur Trifelsgeschichte, Heft 1. Bachstelz-Verlag, Mainz-Gonsenheim o. J., ISBN 3924115141
  • Récits d’un Ménestrel de Reims. Edition Natalis de Wailly. Paris 1876

Einzelnachweise

  1. Friedrich Wilhelm Hebel: Der englische König Richard I. Löwenherz als Gefangener auf Burg Trifels. In: Reither/Seebach