Boris Tsirelson

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Boris Tsirelson, Oberwolfach 2005

Boris S. Tsirelson, russisch Борис Цирельсон (* 4. Mai 1950 in Leningrad[1][2]; † 21. Januar 2020 in Basel[3]), auch Cirelson oder Tsirel'son zitiert, war ein russisch-israelischer Mathematiker. Er war Professor an der Universität Tel Aviv und befasste sich mit Funktionalanalysis, Quantentheorie und stochastischen Prozessen.

Leben und Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tsirelson besuchte als Schüler eine von Vladimir Lifschitz und Alexander Kruglow betreute Gruppe für in Mathematik begabte Schüler (dazu gehörten auch Vyatcheslav Kharlamov, Serguey Kislyakov und Alex Reyman). Er wurde 1975 an der Universität Leningrad bei Ildar Ibragimov promoviert (General properties of bounded Gaussian processes and related questions).[4]

Er fand ein Gegenbeispiel in der Theorie der Banachräume, veröffentlicht 1974. Er konstruierte einen reflexiven Banach-Raum, für den es keine Einbettung der Folgenräume und gibt, der Raum wird heute als Tsirelson-Raum bezeichnet.[5][6] Der nach ihm benannte Raum war das erste echte Beispiel eines nicht-klassischen Banachraums.[7]

Mit Anatoli Werschik untersuchte er neuartige Konstruktionen von Produkträumen aus Wahrscheinlichkeitsräumen und Hilberträumen und damit Einführung neuer Varianten des Rauschens (Black Noise).

Ein Gegenbeispiel in der Theorie stochastischer Differentialgleichungen ist nach ihm benannt (Tsirelsons stochastische Differentialgleichung).[8][9][10] Er bewies 1974 die gaußsche isoperimetrische Ungleichung[11] und daraus folgend zum Beispiel Sätze über die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Norm von Zufallsvektoren.[12]

Aufbauend auf Ideen von Anatoli Werschik (der sich Anfang der 1970er Jahre mit Klassifikation von Filtrierungen befasste und fand, dass sie nicht alle isomorph untereinander sind) konstruierte er Nicht-Standard-Filtrierungen zu stochastischen Prozessen (wie dem Wurf einer Münze mit gleicher Wahrscheinlichkeit für Kopf und Zahl).[13][14][15] Sie fanden, dass Standard-Filtrierungen (nach Werschik) nicht stabil unter äquivalentem Wechsel der Wahrscheinlichkeitsmaße waren, insbesondere ergaben sich bei Brownscher Bewegung bei solchen Wechseln Filtrierungen, die keinem Brownschen Prozess entsprachen. Dabei führte er eine cosiness-Invariante ein und cosy-Filtrationen. Tsirelson kam zu ähnlichen Ergebnissen bei Walsh-Prozessen.[16]

Er befasste sich auch mit Quanteninformatik und Quantentheorie und untersuchte die maximale Korrelation von entfernten Ereignissen (maximale Verletzung einer Bellschen Ungleichung) in der Quantenmechanik, ein Problem von Anatoli Werschik beantwortend. Er fand eine obere Schranke dafür, bekannt als Tsirelson-Schranke.[17]

Er befasste sich auch mit dem klassischen Grenzfall quantenmechanischer Systeme mit wenigen Freiheitsgraden bzw. ihrer klassisch-quantenmechanischen Korrespondenz (betrachtet im Fall, dass Dekohärenz durch thermische Wechselwirkung mit der Umgebung die quantenmechanischen Interferenzen zerstört)[18] Es ergibt sich nach Tsirelson ein Schwellwert-Verhalten statt des üblicherweise betrachteten Grenzwert-Übergangs (Planck-Konstante gegen Null).

Weiter befasste er sich mit fehlertoleranten zellulären Automaten.[19]

Er war Invited Speaker auf dem Internationalen Mathematikerkongress in Berlin 1998 (Within and beyond the reach of Brownian innovation). 1976 erhielt er den Preis für junge Mathematiker der Sankt Petersburger Mathematischen Gesellschaft.

Schriften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

(Außer den bereits zitierten)

  • Scaling limit, noise, stability, in: Wendelin Werner, Boris Tsirelson, Lectures on Probability Theory and Statistics, Ecole d’Eté de Probabilités de Saint-Flour XXXII - 2002 Lecture Notes in Mathematics 1840, 2004, 1–106
  • mit A. Vershik Examples of nonlinear continuous tensor products of measure spaces and non-Fock factorizations, Reviews in Mathematical Physics 10:1, 81–145
  • Nonclassical stochastic flows and continuous products, Probability Surveys 1, 2004, S. 173–298

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • J. Azéma, M. Émery, M. Ledoux, M. Yor Séminaire des Probabilités XXXIII, Springer Verlag 1999 (darin Aufsätze von Walter Schachermayer, Emery, B. De Meyer zu Tsirelson, zum Beispiel Schachermayer On certain probabilities equivalent to Wiener measure, d´après Dubins, Feldman, Smorodinsky and Tsirelson)

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Geburtsdatum nach Albrecht Pietsch History of Banach Spaces and Linear Operators, Birkhäuser 2007
  2. Eintrag prabook.com
  3. Todesnachricht abgerufen am 26. Februar 2020
  4. Boris Tsirelson im Mathematics Genealogy Project (englisch) Vorlage:MathGenealogyProject/Wartung/id verwendet
  5. Tsirelson Not every Banach space contains an imbedding of or , Functional Analysis and its Applications 8, 1974, S. 138–141. Nach eigenen Angaben kam ihm die Beweis Idee aus seinem Studium der Forcing-Methode von Paul Cohen, wobei er in seiner Publikation Referenzen auf Vitali Milman, in der Sowjetunion in Ungnade, entfernen musste, Erinnerungen von Tsirelson
  6. P.G. Casazza, T.J. Shura, Tsirelson's space, Lecture Notes in Math., Vol. 1363, Springer-Verlag, 1989
  7. E. Odell, Th. Schlumprecht, Distortion and stabilized structure in Banach spaces; new geometric phenomena for Banach and Hilbert spaces, Proceedings of the International Congress of Mathematicians, Zürich 1994
  8. Tsirelson An example of a stochastic differential equation having no strong solution, Theory Probab. Appl. 20, 1975, 416–418
  9. L. C. G. Rogers, D. Williams Diffusion, Markov Processes and Martingales, Band 2, Wiley 1987, S. 155
  10. Marc Yor Tsirel'son's equation in discrete time, Probab. Theory Relat. Fields 91, 1992, S. 135–152
  11. V.N. Sudakov, B.S. Tsirelson, Extremal properties of half-spaces for spherically invariant measures", Journal of Soviet Mathematics 9, 1978, S. 9–18
  12. Tsirelson The density of the distribution of the maximum of a Gaussian process, Theory Probability Appl. 20, 1975, 847–856
  13. Michel Èmery: Espaces probabilisés filtrés: de la théorie de Vershik au mouvement brownien, via des idées de Tsirelson (Memento vom 4. Oktober 2013 im Internet Archive), Séminaire Bourbaki 882, 2000/2001
  14. L. Dubins, J. Feldman, M. Smorodinski, Tsirelson: Decreasing sequence of -fields and a measure change for Brownian motion (Memento vom 3. Juni 2016 im Internet Archive), Annals of Probability, 24, 1996, 882–904, Teil 2 mit Feldman 905–911
  15. Michel Émery, Walter Schachermayer, On Vershik´s Standardness criterion and Tsirelson´s notion of cosines, Séminaire de probabilités de Strasbourg 35, 2001, Springer, Lecture Notes in Mathematics, S. 265–305, pdf
  16. Tsirelson Triple points: from non-Brownian-filtrations to harmonic measures, GAFA (Geometric and Functional Analysis) 7, 1997, 1096–1142
  17. Tsirelson Quantum generalizations of Bell's inequality, Lett. Math. Phys. 4, 1980, 93–100
  18. L.A. Khalfin, B.S. Tsirelson,Quantum/classical correspondence in the light of Bell's inequalities, Foundations of Physics 22, 1992, 879–948, Tsirelson This non-axiomatizable quantum theory: From Hilbert's sixth problem to the recent viewpoint of Gell-Mann and Hartle, Preprint IHES 1994
  19. Tsirelson Reliable storage of information in a system of unreliable components with local interactions, Lect. Notes Math. 653, Springer Verlag 1978, S. 15–30