Ein Männlein steht im Walde

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„Das Männlein […] kann nur die Hagebutte sein.“

Ein Männlein steht im Walde ist eins der zahlreichen volkstümlichen Kinderlieder von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben aus dem Jahr 1843.

Ein Männlein steht im Walde
Ganz still und stumm,
Es hat von lauter Purpur
Ein Mäntlein um.
Sagt, wer mag das Männlein sein,
Das da steht im Wald’ allein
Mit dem purpurrothen Mäntelein?

Das Männlein steht im Walde
Auf Einem Bein
Und hat auf seinem Haupte
Schwarz Käpplein klein.Anm. 1
Sagt, wer mag das Männlein sein,
Das da steht im Wald’ allein
Mit dem kleinen schwarzen Käppelein?

gesprochen:

Das Männlein dort auf Einem Bein,
Mit seinem rothen Mäntelein
Und seinem schwarzen Käppelein,
Kann nur die Hagebutte sein![1]

Anm. 1 
Weitere Varianten: „ein Käpplein klein“ oder „ein Käppelein“

Das Lied gehört zur Gruppe der Rätsellieder.[2] Die korrekte Lösung des Rätsels ist die Hagebutte, wie Hoffmann von Fallersleben in einer 1860 ergänzten Strophe zu erkennen gibt, die nach Willen des Dichters nur gesprochen wird. Doch enthält das Lied auch irreführende Hinweise, die den Fliegenpilz als (falsche) Lösung nahelegen, wie der Musikwissenschaftler Hans-Josef Irmen darstellt. Irmen führt aus:

„Tatsächlich wächst die Hagebutte nicht im Wald allein, sondern zumindest am Waldesrand, ‚am Rain‘, und ihre Früchte stehen zahlreich beisammen. Hoffmann weist dem Ratenden in der ersten Strophe einen falschen Weg, jedermann denkt zuerst an den Fliegenpilz. Erst wenn als weiteres Indiz der zweiten Strophe das ‚schwarze Käppelein‘ bekannt wird, ist klar, dass es sich um die Hagebutte handelt. Der Widerspruch zwischen beiden Strophen lässt darauf schließen, dass der Dichter inkompatible Vorlagen zu vereinigen suchte.“[3]

Das Lied folgt einer Volksweise, die seit etwa 1800 bekannt ist,[4][5] und für die in manchen Liederbüchern der Niederrhein als Herkunft angegeben wird.[6] Die Melodie besteht aus 16 Takten, beginnt auftaktig und steht im 2/4-Takt. Da sich das Motiv innerhalb der Melodie des Öfteren wiederholt, spricht man von der Reprisenbarform, also a a b a′.

Erst durch die Aufnahme des Liedes 1893 in die Märchenoper Hänsel und Gretel von Engelbert Humperdinck erlangte es volksliedhafte Beliebtheit. Allerdings werden in dieser Oper nur die beiden ursprünglichen ersten Strophen gesungen, das Rätsel also nicht aufgelöst.

Stoff- und Motivgeschichte

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Rätsel, die die Hagebutte als Lösung haben, haben eine lange, bis in die frühe Neuzeit zurückreichende Tradition. Eine Fassung findet sich schon in einem Reterbüchlein (Rätselbuch) von 1562,[7] das Hoffmann von Fallersleben 1833 gefunden haben will.[8] In der Universitätsbibliothek Breslau, wo Hoffmann 1833 Kustos war, ist es allerdings nicht auffindbar.[9]

Was hat seinen Busen voll Stein?
Und wird gefunden selten allein;
Hat auch ein rothes Röckchen an?
Thät manchem Nichts, ließ man es stahn.
  Retherbüchlein, Frankfurt 1562[8][10][11]

Schon 1829[12] hatte Hoffmann ein verwandtes Gedicht von Huldrichus Therander (= Johannes Sommer, 1559–1622) zitiert, das ca. 1605 im Druck erschienen war:[13]

Es hat ein rothes Röcklein an.
Bei Gesellschaft sieht man’s allzeit stahn,
Ist aus der Stadt hinausgezogen,
Wird im Grünfelde auferzogen,
Hat seinen Busen voller Stein
Und steht allein auf einem Bein.
Du darfst dich für ihm fürchten nicht:
Wenn du’s stehn läßt, so sticht dich’s nicht;
Wirst du’s aber wollen zerbrechen,
So hüt dich, daß dich’s nicht thut stechen.
Sag mir: weißt du, was mag es sein?
So verdienst du ein Kränzelein.

Karl Simrock zitiert in seinen Deutschen Volksbüchern mehrere verwandte Texte:

Es steht auf dem Rain,
Hat den Busen voll Stein,
Hat ein rothes Mäntelchen auf,
Und ein schwarzes Käppchen drauf.[14]

Männchen im Strauch
Hat ein schwarz Käppchen auf,
Ein roth Mäntelchen um
Und Steine im Bauch:
Wie heißt’s Männchen im Strauch?[15]

Eine lateinische Variante dieser Rätseltexte findet sich bereits in den Carmina Burana (vor dem 13. Jahrhundert)[2] in der ersten Strophe von CB 177. Diese Textvariante dürfte als Rätsellösung allerdings eher die Zwiebel haben.[16]

Stetit puella
rufa tunica;
si quis eam tetigit,
tunica crepuit.
  eia![17]

Stand ein Mädchen
im roten Hemd;
wenn man sie berührte
knisterte das Hemd.

  • Wegen der falschen Rätsellösung als Fliegenpilz wurde der Text von R. Gordon Wasson als Beleg für einen kindlichen Soma-Kult in Deutschland mit der berauschenden Wirkung des Fliegenpilzgifts angesehen.[18] Dies wurde 1985 von R. E. Emmerick widerlegt.[19]
  • Im Film Hannibal Rising – Wie alles begann bzw. dem Roman Hannibal Rising hat das Lied eine tragende Rolle und zieht sich durch die Handlung angefangen im Prolog, über die Tötung von Hannibal Lecters Schwester Mischa sowie wiederholt im darauf folgenden Rachefeldzug.
  • Auch in der Werbung wird das Lied gern verwendet. So beispielsweise in einer verfremdeten Fassung für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge oder als Parteiwerbung für die CSU („Ein Männlein steht im Walde, ganz grün und dumm.“).
  • Der britische Popsänger Grant Tracy veröffentlichte 1963 den Ein-Männlein-steht-im-Walde-Twist.[20] Die Aufnahme wurde auch auf der dritten Folge der CD-Serie 1000 Nadelstiche wiederveröffentlicht, einer Sammlung von deutschsprachigen Liedern, die von bekannten amerikanischen und britischen Künstlern gesungen wurden.[21]
  • Das Lied dient im Film Dschungelkind an einer traurigen Stelle als Untermalung.
  • Andreas Kowalewitz komponierte humorvolle Variationen des Liedes für Chor und Klavier im Stil von Bach, Orff, zeitgenössisch, Jazz, Verdi und Mozart.
  • In der deutschen Fassung von Stephen Kings Buch Billy Summers wird das Lied zur Schmerzkontrolle bei verwundeten Soldaten und zur Beherrschung von Panikattacken genutzt.
  • In dem Interlude Kowalski VI der deutschen Band Pur wird die Melodie und ein leicht veränderter Text benutzt, um auf die bekannte Pur-Figur Kowalski anzuspielen, die hier zum letzten Mal auf einem Pur-Album erwähnt wird (Mächtig viel Theater).[22]
  • Theo Mang, Sunhilt Mang (Hrsg.): Der Liederquell. Noetzel, Wilhelmshaven 2007, ISBN 978-3-7959-0850-8, S. 665–666.
Commons: Ein Männlein steht im Walde – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Textfassung 1860
  2. a b Lutz Röhrich: Rätsellied. In: Rolf Wilhelm Brednich, Lutz Röhrich, Wolfgang Suppan (Hrsg.): Handbuch des Volkslieds. Band 1. Wilhelm Fink, München 1973, S. 205–233, hier S. 231. Abgedruckt in: Lutz Röhrich: Gesammelte Schriften zur Volkslied- und Volksballadenforschung. Waxmann, München 2002, ISBN 3-8309-1213-7, S. 165–200, hier S. 197 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  3. Hans-Josef Irmen: Hänsel und Gretel. Studien und Dokumente zu Engelbert Humperdincks Märchenoper. Schott, Mainz 1989, ISBN 3-7957-1850-3, S. 83.
  4. Heinz Rölleke (Hrsg.): Das Volksliederbuch. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1993, ISBN 3-462-02294-6, S. 356.
  5. Ingeborg Weber-Kellermann: Das Buch der Kinderlieder (= Serie Musik. 8370). Neuauflage. Schott, Mainz 2010, ISBN 978-3-254-08370-8, S. 95.
  6. Anne Diekmann (Hrsg.), Tomi Ungerer (Ill.): Das große Liederbuch. Diogenes, Zürich 1975, ISBN 3-257-00947-X, S. 135.
  7. Das Reterbüchlein. Welchen Ahn kürtzweil thet zerrinnen, Mag wol diß Büchlein durchgründen. Er find darinnen vil kluger lehr, Von reder gedicht vnd newer mehr. Jetz von newem im Truck verfertigt. Getruckt zu Franckfurt am Mayn, durch Nicolaum Bosse, vnd Sigmundt Feyrabend, im Jar M.D.LXJJ.
  8. a b Hoffmann von Fallersleben: Räthsel (Räthersche, Rätherle). In: Anzeiger für Kunde des deutschen Mittelalters, 2 (1833), Sp. 310–312 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
  9. Heike Bismark: Rätselbücher: Entstehung und Entwicklung eines frühneuzeitlichen Buchtyps im deutschsprachigen Raum (= Frühe Neuzeit. Band 122). Niemeyer, Tübingen 2007, ISBN 978-3-484-36622-0, S. 53 u. 357 (abgerufen über De Gruyter Online; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  10. Franz Magnus Böhme: Deutsches Kinderlied und Kinderspiel: Volksüberlieferungen aus allen Landen deutscher Zunge. Breitkopf und Härtel, Leipzig 1897, S. 689 (Textarchiv – Internet Archive).
  11. Das deutsche Räthselbuch. Dritte Sammlung. Nr. 14. In: Karl Simrock: Die deutschen Volksbücher. Band 10. Brönner, Frankfurt am Main 1864, S. 131 (Textarchiv – Internet Archive), Auflösung S. 205.
  12. Hoffmann von Fallersleben: Merkwürdigkeiten aus der Königl. und Universitäts-Bibliothek zu Breslau: 5. Alte Räthsel. In: Monatschrift von und für Schlesien. 1 (1829), 1. Band, März 1829, S. 160–164 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
  13. Aenigmatographia rythmica / Ein news künstreiches Rätzelbuch auß den berümbtesten vnnd vortrefflichsten Alten vnd Newen Lateinischen Scribenten mit fleiß zusam gezogen / Und den lieben Teutschen zu erforschung vieler Natur geheimniß/ lieblicher vnnd anmuthlicher ergetzligkeit/ vnd zeit vertreibung zu gut in Teudsche Reim verfasset/ Durch Huldrichum Therandrum. o. O. [Magdeburg] o. J. [1605/06], OCLC 165914086/HAB Wolfenbüttel.
  14. Das deutsche Räthselbuch. Nr. 80. In: Karl Simrock: Die deutschen Volksbücher. Band 7. Brönner, Frankfurt am Main 1850, S. 289 (Textarchiv – Internet Archive), Auflösung S. 360.
  15. Das deutsche Räthselbuch. Dritte Sammlung. Nr. 131. In: Karl Simrock: Die deutschen Volksbücher. Band 10. Brönner, Frankfurt am Main 1864, S. 153 (153 – Internet Archive), Auflösung S. 207.
  16. Hans Naumann: Stetit Puella. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, 1917, Heft 42, S. 163–167, doi:10.1515/bgsl.1917.1917.42.163.
  17. CB 177, zitiert nach der Bibliotheca Augustana
  18. R. Gordon Wasson: Soma and the fly-argaric. Cambridge MA 1972, S. 58, OCLC 652147338.
  19. R. E. Emmerick: Ein Männlein steht im Walde. In: Papers in Honour of Prof. Mary Boyce (= Acta Iranica. 24) Brill, Leiden 1985, ISBN 90-6831-002-X, S. 179–184 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  20. Grant Tracy: Ya, Ya Twist / Ein Männlein steht im Walde-Twist bei 45cat, abgerufen am 29. Januar 2018
  21. 1000 Nadelstiche Vol. 3 bei Bear Family Records, abgerufen am 29. Januar 2018
  22. Pur – Kowalski VI. Abgerufen am 9. Oktober 2022.