Goldhaber-Experiment
Das Goldhaber-Experiment, benannt nach Maurice Goldhaber, ist ein quantenphysikalisches Experiment, das erstmals 1957 am Brookhaven National Laboratory durchgeführt wurde.[1] Mit ihm wurde zum ersten Mal die Helizität des Neutrinos bestimmt, nachdem ein Jahr zuvor die Paritätsverletzung der schwachen Wechselwirkung entdeckt worden war.
Experimenteller Aufbau
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Die Grafik zeigt den Aufbau des Experiments. Es wird eine Probe aus Europium-152 verwendet, die sich in einem isomeren (metastabilen) Zustand befindet (152mEu). Diese Atomkerne zerfallen mit einer Halbwertszeit von 9,3 Stunden durch Elektroneneinfang in Samarium-152-Kerne. Dabei wird ein Neutrino emittiert:
- .
Der Tochterkern 152Sm befindet sich nach dem Zerfall in einem angeregten Zustand, was durch den Stern angedeutet wird. Die Anregungsenergie wird nach sehr kurzer Zeit (im Mittel 3e-14 s) durch Emission eines Gamma-Quants (Photons) abgegeben:
- .
In der Nähe befindet sich ein Szintillationsdetektor zum Nachweis von Gamma-Quanten, der von einem Ring aus Samariumsequioxid (Sm2O3) umgeben ist. Die Photonen aus den Sm-Kernen, die beim Zerfall von 152mEu-entstehen, können diesen Detektor nicht direkt erreichen, das verhindert eine Abschirmung aus Blei (Pb). Sie können aber über Kernresonanzabsorption des Photons an einen 152Sm-Kern des Rings und anschließende spontane Emission den Detektor erreichen.
Das Nuklid 152mEu und sein Zerfallsprodukt 152Sm haben eine einzigartige Kombination von Eigenschaften, ohne die dieses Experiment nicht möglich gewesen wäre:
- In der Kette 152mEu → 152Sm⁎ → 152Sm haben Kernspin und Parität die Werte 0− → 1− → 0+.
- Neutrino- und Gamma-Emission haben sehr ähnliche Energien.
- Der angeregte Zustand 152Sm⁎ hat eine sehr kurze Lebensdauer.
Bei der Planung des Experiments war sich Goldhaber zunächst nicht sicher, ob es überhaupt ein Nuklid gibt, das diese Voraussetzungen erfüllt.
Bestimmung der Flugrichtung des Neutrinos
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Eine resonante Absorption des Photons am Samarium wäre im Normalfall gar nicht möglich: Das vom 152Sm⁎ nach dem Zerfall des 152mEu in der Quelle emittierte Photon besitzt aufgrund des Kernrückstoßes eine um 3,2 eV verringerte Energie, also weniger Energie, als für eine resonante Absorption in einem anderen Samariumkern erforderlich ist. Die Abweichung darf nur ungefähr die Größe des natürliche Linienbreite betragen, und diese ist mit 0,023 eV weitaus kleiner.
In diesem Fall jedoch befindet sich das 152Sm⁎-Atom nicht in Ruhe, sondern bewegt sich aufgrund der kurz zuvor erfolgten Emission des Neutrinos. Die Lebensdauer des angeregten Zustands ist so kurz, dass bis zur Emission des Photons keine Relaxation durch Wechselwirkungen mit dem Gitter des umgebenden Festkörpers erfolgen kann. Da nun die Energie des emittierten Neutrinos annähernd der Energie des Gamma-Übergangs entspricht, kompensieren sich die beiden Energien durch Dopplerverschiebung der Wellenlänge, sofern das Gamma-Quant und das Neutrino entgegengesetzt emittiert wurden (wie in der Abbildung dargestellt). Bei einer um 180° entgegengesetzten Emission beträgt die Abweichung der Energie des Gamma-Quants zur Resonanzenergie nur etwa , ist also deutlich kleiner als die natürliche Linienbreite.
Diese Konstellation macht also eine resonante Absorption möglich, jedoch nur – und das ist der entscheidende Punkt – wenn das Neutrino in die entgegengesetzte Richtung zum Photon (auf der Abbildung nach oben) emittiert wurde. Nur dann kann ein Photon den Detektor erreichen. Man selektiert auf diese Weise also nach der Emissionsrichtung des Neutrinos.
Bestimmung der Helizität des Neutrinos
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Helizität des lässt sich aus der Betrachtung der Spin-Struktur des Zerfalls ableiten.
Beim Zerfall des 152mEu hat der Ausgangskern den Spin 0. Das Elektron wird aus der K-Schale eingefangen, es hat daher Spin ½ und Bahndrehimpuls 0. Das System aus Mutterkern und eingefangenem Elektron hat somit den Gesamtdrehimpuls ½. Da der Tochterkern den Spin 1 hat und das emittierte Neutrino Spin ½ davonträgt, muss wegen der Erhaltung des Drehimpulses der Spin des Tochterkerns 152Sm⁎ dem des Neutrinos entgegengerichtet sein. Die Helizität ist das Produkt aus Spinrichtung und Bewegungsrichtung. Da sich das Neutrino und Tochterkern im Laborsystem in entgegensetzte Richtungen bewegen (Rückstoß), haben sie demnach dieselbe Helizität.
Bei der nachfolgenden Gamma-Emission trägt das Photon den Spin 1. Der 152Sm-Kern im Endzustand hat, wie alle Kerne mit gerader Protonen- und Neutronenzahl (gg-Kerne), im Grundzustand den Spin 0. Das Photon hat daher dieselbe Spinrichtung wie der angeregte 152Sm⁎-Kern. Da resonante Absorption nur dann stattfindet, wenn sich das Photon in der Bewegungsrichtung des 152Sm⁎-Kerns (und damit in entgegengesetzte Richtung zum Neutrino) abgestrahlt wurde, ist die Helizität des Photons in diesem Fall gleich der Helizität des 152Sm⁎ und damit gleich der Helizität des Neutrinos.
Die folgende Tabelle verdeutlicht noch einmal die Drehimpulsbilanz. Es wird wohlgemerkt nur der resonante Fall betrachtet, bei dem Neutrino und Photon in entgegengesetzte Richtungen emittiert werden, die hier willkürlich mit „+“ und „−“ bezeichnet sind. Der nicht messbare Spin des Neutrinos könnte zwei verschiedene Richtungen haben, beide Optionen und die daraus resultierenden Spinrichtungen für 152Sm⁎ und Photon sind hier mit „±“ bzw. „∓“ gekennzeichnet.
| + | |||||||||
| + | |||||||||
| Spin | 0 | ½ | 1 | 0 | 1 | ||||
| Richtung des Spins | 0 | ±½ | ∓1 | 0 | ∓1 | ||||
| Bewegungsrichtung | 0 | + | − | ≈0 | − | ||||
| Helizität | ±1 | ±1 | ±1 | ||||||
Da bei resonanter Streuung die Helizität des Photons der des Neutrinos entspricht, lässt sich die Helizität des Neutrinos bestimmen, indem man die Helizität des Photons misst. Man nutzt dabei die Tatsache, dass der Wirkungsquerschnitt für Compton-Streuung stark von der Polarisierung des streuenden Materials abhängt. Dies wird im Experiment so realisiert, dass zwischen Quelle und Absorber ein magnetisierter Eisen-Block platziert wird (siehe Grafik). Dadurch sind ungefähr 7–8 % der Elektronen im Eisen polarisiert. Ein im Eisen gestreutes Photon verliert einen Teil seiner Energie, so dass keine Resonanzabsorption mehr stattfinden kann. Falls es eine bevorzugte Helizität der Photonen und damit der Neutrinos geben sollte (mittlere Helizität ), müssten sich die Zählraten bei entgegengesetzten Polarisationen des Eisens (also entgegengesetzter Magnetisierung) wegen der unterschiedlich starken Streuung unterscheiden.
Tatsächlich maß man nicht nur eine Asymmetrie, sondern mit
- ,
im Rahmen der Messgenauigkeit ausschließlich negative Neutrino-Helizität.
Konsequenz
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Experiment zeigte, dass Neutrinos in der Natur nur linkshändig vorkommen. Es war damit eine eindrucksvolle Bestätigung der V-A-Theorie, die die Paritätsverletzung der schwachen Wechselwirkung vorhersagte.
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Maurice Goldhaber, Lee Grodzins und Andrew W. Sunyar: Helicity of Neutrinos. In: Physical Review. 109. Jahrgang, Nr. 3, 1958, S. 1015–1017, doi:10.1103/PhysRev.109.1015 (englisch).
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Bogdan Povh, Klaus Rith, Christoph Scholz und Frank Zetsche: Teilchen und Kerne. 6. Auflage, Springer, 2004, ISBN 3-540-21065-2
- Walter Greiner, Berndt Müller: Eichtheorie der schwachen Wechselwirkung. 2. Auflage, Harri Deutsch, 1995, S. 19 f, ISBN 3-8171-1427-3