Im Krebsgang

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Im Krebsgang (2002) ist der Titel einer Novelle von Günter Grass. Ähnlich wie in früheren Werken beschäftigt sich Grass hier sehr ausführlich mit der Wirkung der Vergangenheit auf die Gegenwart und mit deren Verarbeitung. Er flicht in diesem Text verschiedene Handlungsstränge ineinander und verknüpft dabei Realität und Fiktion. Während die Ermordung von Wilhelm Gustloff durch David Frankfurter und der Untergang der Wilhelm Gustloff reale Ereignisse sind, übertragen die fiktionalen Mitglieder der Familie Pokriefke den Untergang in die heutige Zeit.

Inhalt

Beziehungen der Figuren im Werk

Ich-Erzähler der Novelle ist der Journalist Paul, der am 30. Januar 1945, dem Tag des Untergangs des Kraft-durch-Freude-Schiffes Wilhelm Gustloff, geboren wurde. Seine noch sehr junge, werdende Mutter Tulla Pokriefke, geboren in Danzig, dem Leser bereits aus den Romanen Katz und Maus und Hundejahre der Danziger Trilogie bekannt, befand sich unter den mehr als 10.000 Passagieren und konnte beim Untergang des Schiffes gerettet werden. Unmittelbar nach der Rettung kommt Paul an Bord des Torpedoboots „Löwe“, das die Gustloff begleitete, zur Welt. Sein Leben ist durch diese Umstände geprägt, vor allem weil ihn seine Mutter Tulla immer wieder drängt, es sei „seine Pflicht“, das Unglück schriftstellerisch aufzuarbeiten.

Im Laufe der Recherchen stellt der Erzähler durch Zufall fest, dass sein von ihm getrennt lebender Sohn Konny durch Tullas Einfluss ebenfalls Interesse an der Geschichte des Schiffes entwickelt hat. Er begeistert sich immer mehr für den Untergang, sowie auch für die Geschichte des Namenspatrons des Schiffes. Auf einer Website arbeitet er diese Ereignisse auf und nimmt virtuell die Rolle des Wilhelm Gustloff an, eines NSDAP-Funktionärs, der vom jüdischen Studenten David Frankfurter erschossen und danach von den Nationalsozialisten zum Märtyrer und Blutzeugen für ihre Bewegung hochstilisiert wurde. In dieser virtuellen Welt ist Konny anonym und kann sich mit anderen Chattern wie Wolfgang Stremplin über die Gustloff-Thematik austauschen, wobei Wolfgang die Rolle des echten David Frankfurter annimmt.

Es entwickelt sich eine „Feind-Freundschaft“ zwischen den beiden jungen Männern, die in einem persönlichen Treffen endet. Wolfgang, der die Rolle des Juden David Frankfurter eingenommen hat, lässt seine Judenliebe in sich selbst widerspiegeln. Beim Treffen schändet Wolfgang in Konrads Augen die ehemalige Gedenkstätte Gustloffs durch dreimaliges Spucken, sodass Konny, der zum Ende der Novelle ohne Sinn für die Realität rechtsradikal geworden ist, jenen – wie einst Frankfurter Gustloff – tötet. Konny zeigt sich selbst an mit den Worten „Ich habe geschossen, weil ich Deutscher bin“. Dies spiegelt das Geschehen in der Vergangenheit: nachdem der echte David Frankfurter Wilhelm Gustloff erschossen hatte, stellte er sich mit den Worten „Ich habe geschossen, weil ich Jude bin“.

Der Ich-Erzähler muss schließlich entsetzt feststellen, dass sein inhaftierter Sohn nun selbst als neuer „Blutzeuge“, sprich als faschistisches Märtyrerbild im Internet gefeiert wird.

Personen

Konrad Pokriefke

Konrad (auch „Konny“ genannt) ist der Sohn von Paul Pokriefke, mit dem er aufgrund der Scheidung seiner Eltern nur wenig Kontakt hat, und Gabi, die ihn antiautoritär erzieht. Von seinen Eltern wird er immer wieder als Einzelgänger charakterisiert. Weiterhin ist er sehr intelligent, was sich daran zeigt, dass er im Gefängnis sein Abitur mit einem Durchschnitt von 1,6 ablegt. Er hat ein sehr gutes Verhältnis zu Tulla, die ihm viele Geschichten von der Wilhem Gustloff erzählt, weshalb er eine neonazistische Einstellung entwickelt und die Website www.blutzeuge.de ins Leben ruft. Dort verbreitet er seine Ansichten bezüglich der Geschichte Gustloffs und trifft auf Wolfgang Stremplin, mit dem er sich heiße Wortgefechte liefert, aber dennoch durch die Vorliebe für Tischtennis und ein ähnliches Charakterbild eine Art Hassliebe entwickelt. Er vertritt auch die im Ausland als „typisch deutsch“ angesehen Eigenschaften wie Prinzipientreue, Ordnung, Fleiß und Hilfsbereitschaft. Man darf ihn anfangs auch als Rassist bezeichnen, da er sich sehr abfällig über die Rasse des Ubootkapitäns Marinesko äußert. Da er später aber ein Bild von diesem aufhängt, ist eine Abkehr von rassistischen Gedanken zu vermuten. Konny pflegt auch einen „Hass auf Sparflamme“ gegen Juden.

Tulla Pokriefke

Die Mutter des Erzählers Paul Pokriefke wird im Buch als eine politisch sehr schwer zu klassifizierende Figur dargestellt. Zum einen schwärmt sie immer wieder von der „klassenlosen Gesellschaft“ auf der Gustloff, zum anderen gilt sie zu DDR-Zeiten als vorbildliche Aktivistin. Da sie mit starkem Dialekt (eine Art Plattdeutsch) spricht, wirkt sie wenig gebildet und etwas einfältig. Auch die Bezeichnung „Ewiggestrige“ passt zu diesem Bild.

Sie versucht um jeden Preis die Geschichte der Wilhelm Gustloff der Öffentlichkeit zu präsentieren, da sie lange Zeit verschwiegen wurde. Als der Versuch, ihren Sohn dazu zu bewegen scheitert, bearbeitet sie ihren Enkel Konrad, der sich fortan intensiv mit diesem Thema auseinandersetzt und aufgrund der subjektiv beschönigenden Sicht Tullas zum Neonazi wird. Deshalb und wegen der Tatsache, dass sie ihm eine Waffe schenkt, trägt sie eine erhebliche Mitschuld am Mord.

Die Figur des Alten

Der Alte wird als weitere Figur zwischen Grass und dem Erzähler Paul Pokriefke platziert, er weiß mehr als der Erzähler und setzt diesen in einem hierarchischen Verhältnis unter Druck. Dabei wird nie völlig klar, um wen es sich bei dieser Figur handelt, mal scheint es sich um Pokriefkes alten Dozenten zu handeln, für den dieser als Ghostwriter tätig ist, ein andermal wirkt die Figur wie ein Psychoanalytiker. Der Erzähler bezeichnet ihn als „Arbeitgeber“ oder „Boss“, als den, der ihn immer wieder zum Aufschreiben der Geschichte drängt. So kann im Alten auch der Autor Grass erkannt werden. Dem Autor gibt die Figur des Alten die Möglichkeit deutlich zu machen, dass eine Gleichsetzung von Autor und Ich-Erzähler hier nicht möglich ist; Grass wählt in Pokriefke eine Figur, die sich deutlich von ihm absetzt um aus dessen Perspektive „seinen“ Stoff zu vermitteln.

Literatur

  • Bernhardt, Rüdiger: Günter Grass: Im Krebsgang. Königs Erläuterungen und Materialien (Bd. 416). Hollfeld: Bange Verlag 2003. ISBN 978-3-8044-1791-5

Weblinks