Ingrid Miethe

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Ingrid Miethe (* 1962 in Plauen) ist eine deutsche Erziehungswissenschaftlerin und Universitätsprofessorin für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen.[1] Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Bildungs- und Biografieforschung, Bildung und soziale Ungleichheit sowie Bildungsgeschichte.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Miethe studierte zunächst an der Medizinischen Fachschule Greifswald (1978–1981) und arbeitete nach ihrem Abschluss als Orthoptistin in der Augenklinik in Plauen (1981–1985).[2] Seit 1985 war sie in der Unabhängigen Friedensbewegung der DDR aktiv und wurde vom Ministerium für Staatssicherheit im Operativvorgang (OV) Kantus bearbeitet. Im Herbst 1989 war sie im Neuen Forum aktiv und initiierte die Arbeitsgruppe Bildung in Berlin. Aufgrund dieser oppositionellen Tätigkeit erhielt sie in der DDR keine Studienzulassung und übte wechselnde Beschäftigungen (Kellnerin, Nachtwächterin, Landwirtschaftshilfe, ambulante Händlerin) aus. Die wissenschaftliche Karriere begann erst nach dem Mauerfall.[3]

Von 1990 bis 1995 studierte Miethe Erziehungswissenschaft an der Technischen Universität Berlin, gefolgt von einem Aufbaustudium „Qualitative Forschungsmethodik“ an der Freien Universität Berlin (1996–1997). Nach einer Promotion in Politikwissenschaft 1999 an der FU Berlin arbeitet sie zunächst als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald (1999–2002). Von 2002 bis 2010 war sie Professorin für Allgemeine Pädagogik an der Evangelischen Fachhochschule Darmstadt. 2007 habilitierte sich Miethe in Erziehungswissenschaft an der Philosophischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Miethe nahm 2009 den Ruf auf die Professur für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen an, wo sie bis heute beschäftigt ist.[1] Ab 2017 war sie zudem Dekanin am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Universität Gießen.[4] Im Januar 2021 stellte sich laut Medienberichten heraus, dass das Finanzbudget des Fachbereichs um einen mindestens sechsstelligen Betrag überzogen wurde, was zu Stellenkürzungen führte.[5] Aufgrund der anhaltenden Kritik des Fachbereichsrates an ihrer Amtsführung trat Miethe am 7. März 2022 mit sofortiger Wirkung als Dekanin zurück.[6]

Wissenschaftlicher Beitrag[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Miethe forschte zur Frauenfriedensbewegung der DDR[7] und erweiterte ihr Forschungen dann auf Frauenbewegung in Ostdeutschland und Osteuropa insgesamt. Zu diesem Thema veröffentlichte sie mehrere Publikationen über Differenzen zwischen ost- und westdeutschen Frauenbewegungen[8] sowie den Einfluss des europäischen Vereinigungsprozesses.[9]

Vergleichsweise früh beschäftigte sich Miethe mit Fragen der Forschungsethik[10] und initiierte die Gründung einer Ethik-Kommission im Rahmen der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE). Seit Gründung ist sie die Vorsitzende dieser Kommission.[11]

Als Mitbegründerin des „Netzwerkes für Rekonstruktive Sozialarbeitsforschung“ (seit 2014 unter der Bezeichnung „Netzwerk für Rekonstruktive Soziale Arbeit – zur Entwicklung von Forschung, Lehre und beruflicher Praxis“) hat sie die Entwicklung einer rekonstruktiven Forschung in der Sozialen Arbeit wesentlich mit vorangetrieben. Seit 2008 ist sie Mitherausgeberin der Buchreihe „Rekonstruktive Forschung in der Sozialen Arbeit“ im Verlag Barbara Budrich.[12] Mit der (Mit)herausgabe des „Handbuches qualitative Methoden in der Sozialen Arbeit“[13] hat sie wesentlich zur Weiterentwicklung dieses Bereiches beigetragen. Außerdem beschäftigt sich Miethe mit dem Transfer qualitativer Methoden in die Praxis der Sozialen Arbeit. Mit ihrem Buch „Biografiearbeit. Lehr- und Handbuch für Studium und Praxis“ hat sie ein Standardwerk in diesem Bereich geschaffen.[14]

Ein weiterer Schwerpunkt von Miethes Forschung liegt im Bereich der Bildungsgeschichte insbesondere der DDR. Hier hat sie eine Studie zu den Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten (ABF) der DDR verfasst.[15] Ein zentrales Ergebnis dieser Forschungen war der Befund, dass die Idee dieser Einrichtungen in viele sozialistische Länder oder solche mit einem so genannten sozialistischen Entwicklungsweg transferiert wurden. In einer Studie zu den Arbeiterfakultäten in Kuba, Vietnam und Mosambik wird dieser internationale Ausbreitungsprozess vergleichend untersucht.[16] Miethe hat damit einen wesentlichen Beitrag zur Untersuchung der Bildungszusammenarbeit der sozialistischen Länder mit Ländern des globalen Südens geleistet.

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt von Miethe stellt die Untersuchung des Verhältnisses von Bildung und sozialer Ungleichheit dar. Diese Thematik wird sowohl (international vergleichend) im Rahmen der Untersuchung zu den Arbeiterfakultäten verfolgt, als auch in Form eigenständiger Studien. Miethe hat diese Frage sowohl im Rahmen ihrer Untersuchung von ArbeiterKind.de verfolgt,[17] als aber auch im Generationen- und Ost-West-Vergleich.[18] In jüngster Zeit hat sie die in diesem Bereich weit verbreitete These der „Fremdheit von Bildungsaufsteiger*innen“ kritisch hinterfragt und darauf hingewiesen, dass es sich dabei um einen „Mythos“ handelt. Bildungsaufsteiger*innen nehmen zwar habituelle Differenzen wahr, diese müssen jedoch nicht unbedingt problematisch sein und können sogar als Ressource wahrgenommen werden.[19] Sie plädiert von daher für eine offene Forschungsperspektive, in der Passungen genauso wie Nicht-Passungen als offene empirische Frage untersucht werden.

Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Vereinigungen (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Miethe war und ist Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Vereinigungen.[20] Sie war unter anderem Mitgründerin und -herausgeberin der Femina Politica (1997–2000), Vorstandsmitglied des Interdisziplinären Zentrums für Frauen- und Geschlechterstudien der Universität Greifswald (2000–2002) sowie Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (2008–2011).

Seit 2014 ist Miethe Vorstandsmitglied und seit 2018 stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE).[21] Sie ist außerdem Vertrauensdozentin der Hans-Böckler-Stiftung[22] und als Zeitzeugin für die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur tätig.[23]

Publikationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine umfassende Publikationsliste von Miethe findet sich auf der Institutsseite der Universität Gießen.[24]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Prof. Dr. Ingrid Miethe, Professorin für Allgemeine Erziehungswissenschaft. Justus-Liebig-Universität Gießen, 2018, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 27. Oktober 2018; abgerufen am 15. Oktober 2018.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.uni-giessen.de
  2. Prof. Dr. Ingrid Miethe, Kurzvita. Justus-Liebig-Universität Gießen, 2018, abgerufen am 15. Oktober 2018.
  3. Miethe, Ingrid. (2005). Egon Krenz, Schabowski oder ich. In: Hänsch, U. (2005). Jetzt ist eine andere Zeit. Ostdeutsche Frauen erzählen. Königstein/Taunus: Ulrike Helmer Verlag.
  4. Prof. Dr. Ingrid Miethe, Dekanat. Justus-Liebig-Universität Gießen, 2018, abgerufen am 16. Oktober 2018.
  5. Sebastian Schmidt: Stellenkürzungen an Uni Gießen: Wer trägt Verantwortung für Finanzloch? In: giessener-allgemeine.de. Giessener Allgemeine, 28. Januar 2022, abgerufen am 30. Januar 2022.
  6. Sebastian Schmidt: JLU: Dekanin und Pro-Dekanin treten am FB 03 zurück. In: giessener-allgemeine.de. Giessener Allgemeine, 8. März 2022, abgerufen am 9. März 2022.
  7. Miethe, Ingrid (1999): Frauen in der DDR-Opposition. Lebens- und kollektivgeschichtliche Verläufe in einer Frauenfriedensgruppe. Reihe Forschung Politikwissenschaft, Band 36, Opladen: Leske + Budrich.
  8. Miethe, Ingrid (2005): Dominanz und Differenz. Verständigungsprozesse zwischen feministischen Akteurinnen aus Ost- und Westdeutschland. In: Schäfer, Eva/ Dietzsch, Ina/ Drauschke, Petra/ Peinl, Iris/ Penrose, Virginia (Hg.) Irritation Ostdeutschland. Geschlechterverhältnisse in Deutschland 13 Jahre nach der Wende. Münster: Westphälisches Dampfboot, S. 218–234.
  9. Miethe, Ingrid (2008): From “Strange Sisters” to “Europe’s Daughters”? European Enlargements as a Chance for Women's Movement in East and West Germany. In: Roth, Silke (ed.) Gender Politics in the Expanding European Union. Mobilization, Inclusion, Exclusion. Oxford, New York: Berghahn Books, S. 118–136.
  10. Miethe, Ingrid (2003): Das Problem der Rückmeldung. Forschungsethische und -praktische Erfahrungen und Konsequenzen in der Arbeit mit hermeneutischen Fallrekonstruktionen. In: Zeitschrift für qualitative Bildungs- und Sozialforschung. 4. Jhrg., Heft 2. S. 223–239.
  11. Ethik-Kommission der DGfE. Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, 2018, abgerufen am 16. Oktober 2018.
  12. Buchreihe „Rekonstruktive Forschung in der Sozialen Arbeit“. Netzwerk für Rekonstruktive Soziale Arbeit, abgerufen am 16. Oktober 2018.
  13. Bock, Karin/ Miethe, Ingrid (Hrsg.) (2010): Handbuch Qualitative Methoden in der Sozialen Arbeit. Opladen & Farmington Hills: Barbara Budrich.
  14. Miethe, Ingrid (2011) Biografiearbeit. Lehr- und Handbuch für Studium und Praxis. München/ Weinheim: Juventa. (3. Auflage 2017).
  15. Miethe, Ingrid (2007): Bildung und soziale Ungleichheit in der DDR. Möglichkeiten und Grenzen einer gegenprivilegierenden Bildungspolitik in der DDR. Leverkusen: Budrich-Verlag.
  16. Miethe, Ingrid/ Kaiser, Tim/ Kriele, Tobias/Piepiorka, Alexandra (2018): Globalisation of an Educational Idea: Workers’ Faculties in Eastern Germany, Vietnam, Cuba and Mozambique. Berlin: de Gruyter, ISBN 978-3-11-060061-2, siehe auch doi:10.1080/10564934.2015.1065394.
  17. Miethe, Ingrid/ Boysen, Wibke / Grabowsky, Sonja / Kludt, Regina (2014): First Generation Students an deutschen Hochschulen. Selbstorganisation und Studiensituation am Beispiel der Initiative www.ArbeiterKind.de. Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung, Arbeit, Beschäftigung, Bildung, Bd. 167. Berlin: edition sigma.
  18. Miethe, Ingrid/ Soremski, Regina/ Suderland, Maja/ Dierckx, Heike/ Kleber, Birthe (2015): Bildungsaufstieg in drei Generationen. Zum Zusammenhang von Herkunftsmilieu und Gesellschaftssystem im Ost-West-Vergleich. Leverkusen: Barbara Budrich.
  19. Miethe, Ingrid (2017): Der Mythos von der Fremdheit der Bildungsaufsteiger_innen im Hochschulsystem. Ein empirisch begründetes Plädoyer für eine Verschiebung der Forschungsperspektive. In: Zeitschrift für Pädagogik 6: 686 – 707.
  20. Prof. Dr. Ingrid Miethe, Aktivitäten. Justus-Liebig-Universität Gießen, 2018, abgerufen am 15. Oktober 2018.
  21. DGFE: Vorstand. Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, 2018, abgerufen am 15. Oktober 2018.
  22. Andreas Kraft: Bildungsaufsteiger DER WEG NACH OBEN. Hans-Böckler-Stiftung, April 2014, abgerufen am 16. Oktober 2018.
  23. Geschichte mit Spaßfaktor: Professorin Ingrid Miethe als Zeitzeugin an der Bachgauschule. Babenhäuser Zeitung, 2. Februar 2017, abgerufen am 16. Oktober 2018.
  24. Prof. Dr. Ingrid Miethe, Publikationen. Justus-Liebig-Universität Gießen, 2018, abgerufen am 15. Oktober 2018.