Jürgen (Figur)

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Die Figur des Propheten Jürgen gilt heute als eine der wesentlichen Vorläuferfiguren des Ewigen Juden Ahasverus. Die Geschichte um den mysteriösen Wanderer hat ihren Ursprung im Baltikum und ist in mehr als fünf Chroniken stückweise überliefert.

Ursprung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Sommer 1546 taucht in Riga ein Wanderer auf, der in der Stadt nach Arbeit sucht und insgesamt ein halbes Jahr dort verbringt. Er wandert barfuß und verfügt lediglich über ärmliche Kleidung. Während seiner Arbeit verweigert er die Annahme von Gaben wie Essen oder Trinken, besucht häufig die Kirche und die Predigt. Versuche der örtlichen Geistlichen, den Wanderer mit Namen Jürgen von seiner ans Masochistische grenzenden Arbeitshaltung abzubringen, misslingen, da dieser alle religiösen Argumentationen der Geistlichen durch genaue Kenntnis der Bibel zu entkräften weiß. Vor seiner Abreise aus Riga prophezeit Jürgen den Menschen einen verheerenden Brand, der schließlich am Sonntag vor Pfingsten des Jahres 1547 auch ausbricht. 1549 erscheint der mysteriöse Wanderer erneut in Münden, 1556–1558 hält er sich in Livland unter anderem erneut in Riga und in Reval, dem heutigen Tallinn auf. Hier ist er lediglich in eine Art Sack gekleidet, verweigert erneut jegliche Fürsorge und widmet sich ganz der Arbeit. Die religiöse Inbrunst, die den Propheten dabei umtreibt, wird von den Umstehenden als Zeichen Gottes interpretiert:

„In seiner Arbeit ist er um eine Stunde allewege niedergefallen und hat gebetet und nach dem Gebete wieder angefangen gewaltig zu arbeiten. (…) Etliche hielten ihn für einen Unsinnigen, Etliche für einen Phantasten, Etliche aber sprachen, er wäre ein Wunderzeichen Gottes.“[1]

Weitere Reisen führen Jürgen schließlich nach Königsberg in Preußen und nach Sagan in Schlesien. In Narva wird er schließlich von wütenden Bauern erschlagen.

Überlieferung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Geschichte von Jürgen wurde vor allem durch fünf Chroniken und mehrere Gedichte überliefert. Neben der unbekannten Chronik Cronica Oder Handbüchlein aus dem Jahre 1577 ist die Überlieferung vor allem auf die Varianten nach Johannes Renner (1525–1583) und Balthasar Russow (1536–1600) zurückzuführen. Sie schildern einen vergleichsweise ähnlichen Verlauf des Lebens des Propheten bis zu seinem Tod, wobei die Chronik Russows deutlich ausführlicher gestaltet ist. Die Chronik Renners ist dabei auf das Jahr 1561/1562, die Chronik Russows auf das Jahr 1578 zu datieren.[2] Die Besuche Jürgens in Königsberg und Sagan sind bei Caspar Hennenberger und Esaias Fiebing niedergelegt.[3]

Nebenbei ist die Geschichte Jürgens in zwei Reimchroniken des heute weitestgehend unbekannten Dichters Johannes (Hans) Hasentödter überliefert, die aus dem Jahre 1569 stammen.

Bezüge zur Figur des Ewigen Juden[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die zeitliche Abfolge der Reisen Jürgens lässt eine enge Verbindung der Figur zum erstmaligen Erscheinen des Ahasverus in Hamburg im Jahre 1547 vermuten. Damals soll der Ewige Jude gemäß der Kurzen Beschreibung und Erzählung von einem Juden mit Namen Ahasverus aus dem Jahre 1602 mit dem Schleswiger Bischof Paul von Eitzen zusammengetroffen sein.[4] Appel (2022) betont, dass die Erzählungen rund um den Propheten Jürgen vor allem die Literarizität der Figur Ahasverus in besonderem Maße gefördert hätten. Für die spätere Erzählung vom Ewigen Juden bestimmende Kern-Mythologeme wie etwa die Unsterblichkeit oder die Hoffnung auf Erlösung und auch der Bibelbezug seien in den Erzählungen um Jürgen allerdings kaum präsent.[5] Hingegen seien vor allem Wesensmerkmale und Aussehen des in der Kurzen Beschreibung ausgestalteten Ewigen Juden von der Figur des Jürgen entlehnt worden.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Jürgen Beyer: Jürgen und der ewige Jude. Ein lebender Heiliger wird unsterblich. In: Arne Bugge Amundsen (Hrsg.): ARV. Nordic Yearbook of Folklore. Band 64. Oslo 2008, S. 125–140.
  • Paul Johansen: War der ewige Jude in Hamburg? In: Kurt Detlef Möller (Hrsg.): Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte. Band 41. Christians, Hamburg 1951, S. 189–203.
  • Leonhard Neubaur: Zur Geschichte der Sage vom ewigen Juden. In: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde. Band 22. Behrend & Co., Berlin 1912, S. 33–54.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Jürgen Beyer: Jürgen und der ewige Jude. Ein lebender Heiliger wird unsterblich. In: Arne Bugge Amundsen (Hrsg.): ARV. Nordic Yearbook of Folklore. Band 64. Oslo 2008, S. 128–131.
  2. Jürgen Beyer: Jürgen und der ewige Jude. Ein lebender Heiliger wird unsterblich. In: Arne Bugge Amundsen (Hrsg.): ARV. Nordic Yearbook of Folklore. Band 64. Oslo 2008, S. 127.
  3. Jürgen Beyer: Jürgen und der ewige Jude. Ein lebender Heiliger wird unsterblich. In: Arne Bugge Amundsen (Hrsg.): ARV. Nordic Yearbook of Folklore. Band 64. Oslo 2008, S. 130.
  4. Paul Johansen: War der ewige Jude in Hamburg? In: Kurt Detlef Möller (Hrsg.): Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte. Band 41. Christians, Hamburg 1951, S. 189–203.
  5. Bernd Appel: Antisemitismus und Ahasver (= Hamburger Beiträge zur Germanistik. Nr. 69). Peter Lang Verlag, Berlin / Bern / Bruxelles u. a. 2022, ISBN 9783631881200, S. 137.