Michael Najjar

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Michael Najjar (* 31. Oktober 1966 in Landau in der Pfalz) ist ein deutscher Fotokünstler. Er lebt und arbeitet in Berlin. In seinem Werk setzt er sich mit den technologischen Entwicklungen auseinander, die das frühe 21. Jahrhundert bestimmen.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von 1988 bis 1993 studierte Najjar bei Thomas Born und Anna Elisa Heine an der Berliner bildo Akademie für Kunst und Medien[1]. Während dieser Zeit beschäftigte er sich mit den Medientheorien von Vilém Flusser, Paul Virilio und Jean Baudrillard, die bis heute sein künstlerisches Schaffen prägen. 1993 schloss er sein Studium mit Diplom in Medienkunst mit dem Schwerpunkt Fotografie ab. Die in seiner Kunst stark ausgeprägte globale Perspektive wurde durch sein Leben und Arbeiten in Brasilien, Kuba, Spanien, England, Japan und den Vereinigten Staaten geprägt. Von 2012 bis 2017 war Michael Najjar Hasselblad-Botschafter.[2] Seit 2020 ist er Mitglied im Beirat von The Karman Project, einer gemeinnützigen Stiftung mit Sitz in Berlin. Michael Najjar ist außerdem Virgin Galactic Pioneer Astronaut und möchte als erster zeitgenössischer Künstler ins All fliegen. Seit 2006 ist er mit der Yogalehrerin Dr. Sherin Najjar verheiratet.

Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Michael Najjar gehört zu einer künstlerischen Avantgarde, die sich auf komplexe und kritische Weise mit den technologischen Entwicklungen auseinandersetzt, die das frühe 21. Jahrhundert bestimmen und drastisch verändert haben. Seine Foto- und Videoarbeiten entwickelt Najjar aus einem interdisziplinären Kunstverständnis heraus. Er verknüpft Wissenschaft, Kunst und Technologie zu künstlerischen Visionen und Utopien zukünftiger Gesellschaftsordnungen, die sich unter dem Einfluss neuer Technologien herausbilden[3].

Najjars Werke sind thematisch in Serien zusammengefasst. Inhaltlich reichen sie von der Veränderung der weltweiten Megacities durch die Verdichtung der Informationsnetzwerke („netropolis“, 2003–2006 und 2016 fortlaufend) über die Transformation des menschlichen Körpers mittels biogenetischer Eingriffe („bionic angel“, 2006–2008), die Virtualisierung der Finanzmärkte anhand intelligenter Algorithmen („high altitude“, 2008–2010) bis hin zu den jüngsten Entwicklungen in der Weltraumforschung sowie ihrer Einflussnahme auf die Gestaltung unseres zukünftigen Lebens im All („outer space“, seit 2011). Seit dem Jahr 2021 arbeitet er an seiner neuen Werkserie „cool earth“, die sich mit der planetaren Zukunft in Zeiten des Klimawandels auseinandersetzt und sich auf die Themen Anthropozän, Geoengineering das Verhältnis Mensch-Natur konzentriert.

Werkserien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

bionic angel (2006):

Die Werkgruppe „bionic angel“ thematisiert die zukünftige Transformation und technologische Steuerung der menschlichen Evolution. Entwicklungen in der Genetik, Robotic, Informations- und Nanotechnologie verändern den menschlichen Körper, den Geist, unsere Erinnerungen, Identität und Nachkommenschaft. Die Technologien konvergieren mit dem Ziel der Verbesserung der human performance. Orientiert an idealisierten Körperdarstellungen aus Antike und Renaissance, verweist die Werkserie „bionic angel“ auch auf die Thematik der Metamorphose in der klassischen griechischen Mythologie.

netropolis (2003–2006 und seit 2016):

Inspiriert durch Fritz Langs monumentales und futuristisches Filmwerk „Metropolis“ (1927) und Ridley Scotts dystopischer Cyberpunkvision „Blade Runner“ (1982) führt Michael Najjar mit seiner Werkgruppe „netropolis“ die künstlerische Auseinandersetzung mit der Megacity ins 21. Jahrhundert. Im urbanen Raum spiegelt sich ein Zeitalter wider, in dem der globale Fluss des Kapitals und ein unsichtbarer Strom von Daten zu einem allumfassenden Netzwerk werden. Es entstehen technische Fließräume, die durch Verkehr, Information, Kommunikation und Handelsströme kontinuierlich expandieren und zu immer tiefer durchdringenden Vernetzungen führen. Die großformatigen Schwarzweißfotografien aus der „netropolis“-Serie zeigen einen panoramatischen Blick auf die Stadt, in dem alle vier Himmelsrichtungen in einem einzigen Bild komprimiert werden. Die wechselseitige Durchdringung der vier Blickrichtungen Norden, Süden, Osten, Westen erzeugt eine gewebeartige Struktur, es entstehen raumzeitliche Dehnungen, Verdichtungen und Rekonstruktionen, die Najjar als Sinnbild für den abstrakten und unendlichen Datenhorizont unserer Megacities begreift. Die elektronische Topografie unserer Megacities impliziert daher auch das Verschwinden von Raum und Zeit, die Beschleunigung als beherrschende Dimension unserer Welt reduziert urbane Strukturen mitsamt ihrem sozialen Gewebe zunehmend auf ein Datenrauschen. Die „netropolis“-Arbeiten wurden weltweit ausgestellt und gezeigt, unter anderem auf der Venedig Architektur Biennale 2006.

high altitude (2008–2010):

Für seine Serie „high altitude“ bestieg Michael Najjar den Aconcagua, den mit 6.962 Meter Höhe höchsten Berg der Welt außerhalb Asiens. Am 29. Januar 2009 erreichte er mit seinem Bergführer Leonardo Bazzana den Gipfel. Najjar fotografierte bei der Besteigung Bergrücken, deren versteinerte Zickzackkurven ihm als Repräsentation der Monumentalität der Finanzmärkte dienten. Er hat die während der Expedition gemachten Aufnahmen digital modifiziert, sodass die Werke schließlich die Börsenentwicklung der weltweit wichtigsten Leitindizes visualisieren. Was wir sehen, sind die Bewegungen der tektonischen Platten der Weltwirtschaft in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren, in deren Verlauf neue Gipfel entstehen und Erdbeben und Erosion unvermeidlich sind. Die Gebirgszüge der Serie „high altitude“ versinnbildlichen den schmalen Grat zwischen Realität und Simulation. Najjar zeigt das Erhabene in einer Zeit, in der die Informationstechnologien allmächtig geworden sind.

outer space (seit 2011):

In seiner Werkserie „outer space“ befasst sich Najjar mit den jüngsten Entwicklungen in der Weltraumforschung sowie ihrer Einflussnahme auf die Gestaltung unseres zukünftigen Lebens auf der Erde, in der nahen Erdumlaufbahn und auf anderen Planeten. Die kulturelle Dimension, die dieser Übergangsprozess hin zu einer größeren menschlichen Präsenz im Weltraum eröffnet, steht im Mittelpunkt der bislang umfangreichen Werkserie, die inzwischen über 60 fotografische und 5 Videoarbeiten umfasst. Mit dieser Serie ist der performative Aspekt von Najjars Arbeit deutlich stärker in den Vordergrund gerückt. Kletterte der Künstler für seine früheren Serien auf Wolkenkratzer und bestieg in einer mehrwöchigen Expedition erfolgreich einen der höchsten Berge der Welt[4], wird Najjar in naher Zukunft mit einem Raumgleiter selbst in den Weltraum fliegen. Der Künstler setzt sich einmal mehr extremen Erfahrungen aus und testet seine mentalen und physischen Grenzen im Kontext hochkomplexer, technologischer Umfelder. Aus diesen Erfahrungen schafft er einzigartige Foto- und Videoarbeiten. Najjar nutzt seinen eigenen Körper als Medium der Performance[5] – der Künstler wird zum Weltraum(er)fahrer.

Vorbereitend für seinen Raumflug unterzog er sich 2013 einem intensiven Raumfahrertraining im russischen Sternenstädtchen (Swjosdny Gorodok).[6] Dazu gehörten Jetflüge in die Stratosphäre, Schwerelosigkeits-, Zentrifugal- und Spacewalktraining sowie ein HALO-Sprung aus 10.000 Meter Höhe. Najjar setzte sich extremen Erfahrungen aus und testete seine mentalen sowie physischen Grenzen im Rahmen hochkomplexer, technischer Umfelder. Im Rahmen der Serie beschäftigt sich Najjar seit 2017 außerdem mit der Thematik Terraforming, der Umformung fremder Planeten in bewohnbare, erdähnliche Himmelskörper.[7]

Die Serie umfasst außerdem eine Zusammenstellung zeitgenössischer Visionen eines zukünftigen Lebens und Arbeitens im Weltraum. Diese Visionen, die den Kunstwerken inhärent sind, wurden vom Künstler in Auftrag gegeben und in einer Reihe von „Vision Statements“ artikuliert, die von führenden Persönlichkeiten der Weltraumforschung, Wissenschaft, Architektur und Philosophie verfasst wurden.

cool earth (seit 2021):

Die neuste Werkgruppe des Künstlers „cool earth“ Serie setzt sich mit unserer planetaren Zukunft in Zeiten des Klimawandels auseinander[8]. Sie thematisiert die weitreichenden ökologischen und kulturellen Auswirkungen des Klimawandels, welcher zu einer Neudefinition der Beziehung zwischen Mensch und Natur führt. Der vom Menschen verursachte Wandel des Klimas manifestiert sich zunehmend als kaum noch abwendbare Bedrohung für die Spezies selbst[9]. Wir nähern uns einer Zeit in der unsere mechanischen, elektronischen und biologischen Artefakte das System der Erde selbst steuern können. Das Technische konkurriert mit dem Natürlichen um die zukünftige Gestalt der Welt. Um dem fortschreitenden Klimawandel und der existenziellen Bedrohung unseres planetaren Ökosystems entgegenzuwirken diskutieren Wissenschaftler zunehmend die Möglichkeiten großräumiger technischer Eingriffe in die Erdsysteme, das sogenannte Climate- oder Geoengineering. Der Begriff bezeichnet gezielte technische Eingriffe in geo- und biochemische Kreisläufe der Erde, in die Ozeane, in die Böden und in die Atmosphäre.

In der „cool-earth“-Serie geht es um eine neue Natürlichkeit zukünftiger künstlicher Landschafts- und Klimazonen. Das Konzept der Werkgruppe setzt bei Alexander von Humboldt an, der als Erster die Interkonnektivität des Erdklimas erforscht und dokumentiert hat, spannt den Bogen über den aktuellen Klimawandel in eine Zukunft, in der der Mensch mittels Technologie die Kontrolle über das Erdklima zu übernehmen versucht.

Projekte Studio Michael Najjar[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

2015 eröffnete das Kameha Grand in Zürich die weltweit erste „Space Suite“, die vom Studio Michael Najjar gestaltet wurde.[10]

2016 wurde das Studio Michael Najjar für die Gestaltung der „Space Suite“ als Finalist für den European Hotel Design Award nominiert.[11]

2021/2022: In Zusammenarbeit mit der Michael-Stich-Stiftung gestaltet Michael Najjar für das UKE - Klinik für Kindermedizin in Hamburg eine komplette Etage. Das gestalterische Konzept basiert auf seiner „outer space“-Serie.

Ausstellungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den letzten 25 Jahren waren Michael Najjars Werke in zahlreichen Museumsausstellungen und Biennalen zu sehen.

Literatur (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Najjar, Michael (Hrsg.): „outer space – v2“, Distanz Verlag, Berlin 2021
  • Beatrice, Luca (Hrsg.): „FUTURO – Arte e società dagli anni Sessanta a domani, Gallerie d'Italia – Palazzo Leoni Montanari“, Ausst.-Kat. Vincenza, Italy 2020
  • Vanhanen, Hannu (Hrsg.): „Space Works - Our Relationship With the Cosmos“, Ausst.-Kat. Tampere Art Museum, Tampere, USA 2020
  • Feireiss, Lukas (Hrsg.): „Space is ... the Place“, Leipzig 2020
  • Bollmann, Philipp (Hrsg.): „Mit geliehenen Augen“, Bielefeld 2020
  • Innovationsfabrik Wittenstein (Hrsg.): „Beyond the Horizon“, Ausst.-Kat. Innovationsfabrik Wittenstein, Igersheim 2019
  • Rau, Bodo (Hrsg.), „Über Grenzen“, Ausst.-Kat. Kunsthof Bahnitz, Bahnitz 2019
  • Brenner, Neil (Hrsg.), „New urban Spaces“, New York, USA, 2019
  • Ewing, William A. & Roussel, Holly (Hrsg.), „Civilization – The Way We Live Now“, Ausst.-Kat. London, GB 2018
  • Bollmann, Philipp (Hrsg.), „Sichtspiele – Filme und Videokunst aus der Sammlung Wemhöner“, Berlin 2018
  • Lukas Feireiss, Michael Najjar (Hrsg.), Planetary Echoes. Exploring the implications of human settlement in space, Leipzig 2017
  • Michael Kröger et al. (Hrsg.): Grün stört – Im Fokus einer Farbe. Marta Herford, 2016 (Online)
  • ZKM Karlsruhe (Hrsg.): Globale – Exo-Evolution. ZKM Karlsruhe, Karlsruhe 2015.
  • Lukas Feireiss (Hrsg.): Memories of the Moon Age. Berlin 2015.
  • William Ewing (Hrsg.): Landmark: The Fields of Photography. London 2014.
  • Wim van Sinderen (Hrsg.): Fotoverhalen. Ausst.-Kat., Gemeentemuseum Den Haag, Den Haag 2014.
  • Michael Najjar – outer space. Distanz Verlag, Berlin, 2014 (Online)
  • Güzin Tezcanlı & Kathleen Forde (Hrsg.), „Datascape“, Borusan Contemporary, Istanbul 2013.
  • Philipp Bollmann (Hrsg.): Im Blick – Fotografie aus der Sammlung Wemhöner. Bielefeld 2012.
  • Michael Najjar – high altitude. Bielefeld 2011
  • Identity, or on a variety of perspectives. Ausstellungskatalog, Poznań 2011
  • Augmented realities – Michael Najjar 1997–2008. Eikon, Wien, Österreich 2008.
  • Harald Szeemann (Hrsg.): The Beauty of Failure / The Failure of Beauty. Ausst.-Kat. Fundació Joan Miró, Madrid 2004.
  • Sandra Kemp (Hrsg.): Future Face – Image, Identity, Innovation. Ausst.-Kat. Science Museum London, London 2004.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Belege[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Michael Najjar – outer space, Distanz, Berlin 2014
  2. Our Ambassadors Michael Najjar (Memento vom 5. Oktober 2016 im Internet Archive), abgerufen am 5. Oktober 2016
  3. Kunstforum International, Globale ZKM Karlsruhe #237/2015
  4. The New York Times, Michael Najjar. Markets and Mountains, With Dangerous Peaks, 18. April 2010
  5. Andreas Beitin: A Question of Perspective, in: Michael Najjar – outer space, Berlin 2014
  6. archiviert (Memento vom 15. Januar 2013 im Internet Archive) von anti-utopias. Abgerufen am 12. März 2013.
  7. Lukas Feireiss, Michael Najjar, Planetary Echoes. Exploring the implications of human settlement in space, Leipzig 2017
  8. Drama des Schreckens und der Schönheit. FAZ, 15. April 2021
  9. https://ocula.com/magazine/art-news/michael-najjar-on-the-james-webb-telescope/
  10. Monopol Magazin, Elke Buhr, Die Private Weltraumkapsel: Künstler gestaltet Space Suite in Züricher Hotel, 2015
  11. The Shortlist 2016 (Memento vom 6. Oktober 2016 im Internet Archive), abgerufen am 5. Oktober 2016