Paradies (Architektur)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Paradiesvorhalle, Kloster Maulbronn. (unten links)
Paradiesvorhalle am Lübecker Dom

Paradies ist eine Benennung für bestimmte Vorhallen an mittelalterlichen Kirchen.

Geschichtliche Entwicklung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im St. Galler Klosterplan um 820 sind Höfe um die beiden Apsiden als plana paradisi und campus paradisiacus benannt. Umfangreiche Vorhallen besaßen Kirchen der Cluniazenser in Burgund (Cluny III (1135), Paray-le-Monial (11. Jh.)), von geringerer Tiefe waren sie bei den Zisterziensern (Pontigny, gegen 1170; Maulbronn, Ende des 12. Jhts.), und an den Domen von Mainz, Straßburg, Merseburg oder Fritzlar.

Ihre Bauweise und Funktion war vielfältig. Frühe Anlagen hatten die Form atriumartiger Vorplätze (so noch Maria Laach, 13. Jh.). Sie dienten für Prozessionen, als Bestattungsort und boten Asylsuchenden einen Zufluchtsort. Im Grimmschen Wörterbuch ist vermerkt: "der zuweilen mit gartenanlagen versehene (auch zum begräbnisplatz der geistlichen dienende) vorhof einer kirche sowie der klostergarten und der begräbnisplatz für die klostergeistlichen hiesz mlat. paradisus und darnach deutsch paradies."
In gotischer Zeit entstanden Paradiesvorhallen oft auch vor den Eingängen an den Langhausseiten, wo sie bevorzugt zu Marienportalen führten (Dome in Magdeburg, Münster, Paderborn, Lübeck, Hildesheim). Manche werden bis heute als Brautportale bezeichnet, das hängt damit zusammen, dass die Vorhallen bis zur Reformation und zum Teil darüber hinaus als Ort der kirchlichen Eheschließung genutzt wurden.
Nachmittelalterlich wurde, vor allem an kleineren Kirchen, statt der Paradiesvorhalle nur ein kleines, mit Satteldach gedecktes Brauthaus vor den Eingang gesetzt.

Verwandte Begriffe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Bezeichnung „Paradies“ überschneidet sich in unterschiedlichen Weisen mit den Begriffen Atrium, Narthex, Paradies und Galiläa.

  • Als Narthex bezeichnet man eine westliche Vorhalle, vor allem in byzantinischen und frühchristlichen Kirchen. Ein Narthex kann geschlossen sein.
  • Die Bezeichnung Paradies wird vor allem für offene Vorhallen verwendet. Ein Paradies kann auch vor einem Seitenportal liegen.
  • Atrium ist die bei Kirchen eindeutige Bezeichnung für einen im Westen vorgelagerten, mit einem Säulengang umschlossenen Hof.[1]
  • Galiläa ist ein Name für Vorhallen der romanischen Zeit in Frankreich (galilée) und England (galilee), Beispiele: Vezelay, Tournus, Lincoln.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Wilfried Koch, Baustilkunde, 33. Auflage (2016), ISBN 978-3-7913-4997-8:
    • Paradies (Stichwort 536) → Narthex.
    • Narthex (Stichwort 503), auch Galiläa, Paradies (griech. Paradeisos = Park)
      • 1. das Atrium der altchristlichen und mittelalterlichen Basilika: von Säulenhallen umgebener Vorhof;
      • 2. Vorhalle der Kirchen, oft reich mit Bauplastik geschmückt. Früher wurden hier die Leichen niedergelegt und gesegnet, bevor sie in die Kirche gebracht wurden. Der narthex wird im byzantinischen Kirchenbau „Litai“ genannt.
    • Atrium (Stichwort 53)
      • 1. zentraler, meist nach oben geöffneter Raum antiker Wohnhäuser
      • 2. → Narthex