Poporanismus

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Der Poporanismus (von rumänisch popor, deutsch Volk) war mit dem Sämänätorismus eine ideologische und künstlerische Strömung im Königreich Rumänien vom Ende des 19. Jahrhunderts bis über die Zwischenkriegszeit hinaus, welche eine Aufwertung des ländlichen Raums und der traditionellen bäuerlichen Welt gegenüber der europäisch geprägten modernen städtischen Zivilisation zum Kern hatte.[1] Sie manifestierte sich um den moldauischen Politiker und Publizisten Constantin Stere (* 1864, † 1936) und in der seit 1906 erscheinenden Zeitschrift Viața Românească.[2]

Die wirtschaftlich den Grundbesitzern untergeordnete Bauernschaft machte zu dieser Zeit etwa 80 Prozent der rumänischen Bevölkerung aus und litt unter der staatlichen Steuer- und Abgabenlast.[3]

Constantin Stere, 1895

Constantin Stere war Anfang der 1890er Jahre Begründer des Poporanismus, den er als bäuerlichen Sozialismus verstand,[4] wobei er den Bauern und das Leben auf dem Land als soziale Basis eines politischen Systems sah.[5] Er forderte ein Stimmrecht für alle Rumänen und strebte eine Reform des parlamentarischen und landwirtschaftlichen Systems zu einer bäuerlichen Genossenschaftsdemokratie an.[6] Mit der Bildung von landwirtschaftlichen Genossenschaften sollten Betriebe für Bauern geschaffen werden, die das Agrarwesen in Rumänien von der Kontrolle der Großgrundbesitzer befreien sollten. Der Poporanismus konzentrierte sich im Wesentlichen auf die Ausweitung der Macht der Bauern, war aber auch im Bezug auf die rumänische Sprache und die Pflege des rumänischen Geistes nationalistisch ausgerichtet.

Der politische Aktivist Constantin Dobrogeanu-Gherea, welcher die Idee der sozialrevolutionären Bewegung der Narodniki (deutsch Volkstümler) aus dem Russischen Kaiserreich nach Rumänien gebracht hatte, nahm mit seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Kapitalismus und dem Marxismus Einfluss auf den Poporanismus. Im Gegensatz zu den Volkstümlern sah Stere jedoch keine Notwendigkeit für eine Revolution in Rumänien. Der blutige Bauernaufstand in Rumänien 1907 wurde zu einem Impuls des Umdenkens.[2]

Letztendlich schieden sich die Meinungen an Fragen wie Antisemitismus und Liberalismus. Dobrogeanu-Gherea beteiligte sich später an der Gründung der Partidul Social Democrat Român, und die Poporanisten wandten sich vielfach der Partidul Național Liberal zu. 1910 kritisierte Dobrogeanu-Gherea den Poporanismus in seiner Studie „Neoleibeigenschaft“. Darin analysierte er Rumänien als „feudal-kapitalistisches System, in dem die Bauern einer modernen Leibeigenschaft ausgesetzt“ seien.[4]

Der Poporanismus beeinflusste auch die Bildung der Partidul Țărănesc (deutsch Bauernpartei) im Jahr 1918, die agrarsozialistische Forderungen mit einem Bekenntnis zum Parlamentarismus verband.[7]

Der Marxismus und Internationalismus der 1950er Jahre ging in den 1980er Jahren in einen Neo-Poporanismus über, dessen national- und sozialpopulistische Formeln in den Transformationsideologien der Postkommunistischen Ära nach der Rumänischen Revolution 1989 fortlebten.[7]

Ion Theodorescu-Sion: Străjerii.
Öl auf Leinwand, 151,5 × 106 cm, 1925

Der Literaturhistoriker und -kritiker Garabet Ibrăileanu, Mitherausgeber der Zeitschrift Viața Românească,[8] ordnete die sozialkritischen, antisentimentalen und antiidyllischen Prosawerke von Gala Galaction oder Ion Agârbiceanu dem Poporanismus zu.[9]

Die kritische Auseinandersetzung mit dem Poporanismus brachte später einige der großen Bauernromane hervor, wie Liviu Rebreanus Răscoala (deutsch Der Aufstand) von 1932, Zaharia Stancus Desculț (deutsch Barfuß) von 1948, und Marin Predas Moromeții (deutsch Die Morometes).[4]

Die Strömung des Poporanismus in der rumänischen Malerei, mit den Bauern als beherrschende Dimension des rumänischen Nationsbegriffes nach dem Bauernaufstand von 1907, beschrieb Anca Monica Gogîltan von der Babeș-Bolyai-Universität Cluj:[2]

„Die jungen Künstler führten aufbauend auf diesen geistigen Veränderungen nicht nur einen neuen Stil ein, sondern veränderten auch den inhaltlichen Blick auf die Bauern und ihre Landschaften. In ihren Arbeiten werden die Bauern massiv und imposant dargestellt, während die Landschaft, in die sie hineingestellt werden, eine bearbeitete, geordnete, vom Menschen beherrschte Natur zu sein scheint. Gleichzeitig wird die Bedeutung der Geographie minimalisiert und stellt nur den Rahmen für die Darstellung des Menschen und vor allem des Bauern dar. […] Theoretiker und Künstler wie Francisc Șirato oder Camil Ressu gelangten zu der Schlussfolgerung, dass die Sprache des Künstlers tiefgehend mit der Geographie des Landes verbunden sei. Ihre Bemühungen um einen rumänischen Nationalstil führten zu immer betonteren, dekorativen Darstellungen, in denen die Bauern zu Symbolen bar jeder Individualität stilisiert wurden. Beispiele wären die Gemälde von Ion Theodorescu-Sion (1882–1939). Auch die Natur wurde auf einen theatralischen Aspekt reduziert. Ihre Darstellung schwankte zwischen Bildern des von den Bauern durch die Landwirtschaft bearbeiteten und geordneten Bodens und organischen Räumen mit Venen und Arterien, mit denen die Bauern in einer symbiotischen Beziehung standen.“

In deutscher Sprache:

  • Dietmar Müller: Agrarpopulismus in Rumänien: Programmatik und Regierungspraxis der Bauernpartei und der Nationalbäuerlichen Partei Rumäniens in der Zwischenkriegszeit. Gardez! Verlag, Remscheid 2001, ISBN 3-89796-068-0, S. 193.

In rumänischer Sprache:

  • George Călinescu, Al Piru: Istoria literaturii române de la origini și pînă în prezent. Editura Vlad & Vlad, Bukarest 1982, S. 1058.
  • Dumitru Micu: Poporanismul și „Viața românească“. Editura pentru literatură, Bukarest 1961, S. 208.
  • Zigu Ornea: Poporanismul. Minerva, Bukarest 1972, S. 531.
  • Marian Popa: Geschichte der rumänischen Literatur. Publisher Univers, 1980, X: Der Poporanismus und die Viața Românească, S. 365.
  • Henri H. Stahl: Gânditori și curente de istorie socială românească. Ed. Univ. din Bucureşti, Bukarest 2001, ISBN 973-575-600-5, S. 249.
  • Poporanismul în literatura română. Contribuții bibliografice. Biblioteca Centrală Universitară din București, Bukarest 1972, S. 175.

Einzelnachweise

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  1. Georgeta Daniela Oancea: Mythen und Vergangenheit, Rumänien nach der Wende. (PDF; 1,8 MB) 2005, Ludwig-Maximilians-Universität München, abgerufen am 12. April 2011.
  2. a b c Anca Monica Gogîltan: Der Einfluß des Agrarianismus auf die rumänische Malerei um die Jahrhundertwende (1880–1920). (PDF; 943 kB), Schlussbericht Projekt Agrarismus in Ostmitteleuropa 1890–1960, 2010, S. 88, hier S. 35, abgerufen am 12. April 2010.
  3. Poporanismul – doctrina politica și program cultural. news20.ro (rumänisch), abgerufen am 12. April 2011.
  4. a b c Keno Verseck: Rumänien, Band 868 von Beck’sche Reihe, Ausgabe 3. C.H.Beck, 2007, ISBN 3-406-55835-6, S. 226, hier S. 167.
  5. Maria-Laura Comşa: Institutioneller Wandel in Rumänien 1866–2005. Eine institutionenökonomische Analyse zur Rolle der Pfadabhängigkeit für die Transformation und die Integration des Landes in die Europäische Union., Universität Siegen, 24. Oktober 2006, S. 247, hier S. 88, abgerufen am 14. April 2011.
  6. Helga Schultz, Dagmara Jajeśniak-Quast, Torsten Lorenz, Uwe Müller: Wirtschaftsnationalismus in Ostmitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert. (PDF; 445 kB) Europa-Universität Viadrina, Forschungsbericht 2006, S. 42, hier S. 7, abgerufen am 13. April 2011.
  7. a b Larisa Schippel: Kultureller Wandel als Ansinnen: die diskursive Verhandlung von Geschichte im Fernsehen, Band 1 von Forum: Rumänien. Frank & Timme, 2009, ISBN 978-3-86596-249-2, S. 472, hier S. 56.
  8. Horst G. Klein, Katja Göring: Rumänische Landeskunde. Gunter Narr, 1995, ISBN 3-8233-4149-9, S. 179, hier S. 165 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  9. lebensgeschichten.org (Memento vom 14. Oktober 2011 im Internet Archive), Rumänische Literatur, 20. Jahrhundert, abgerufen am 12. April 2011.