„Schwabinger Krawalle“ – Versionsunterschied

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Einer der Teilnehmer an den Krawallen war der damals noch eher unpolitische spätere [[Rote Armee Fraktion|RAF]]-Terrorist [[Andreas Baader]].<ref>Michael Sturm: ''Wildgewordene Obrigkeit?'' In: Gerhard Fürmetz (Hrsg.): ''Schwabinger Krawalle.'' Essen 2006, S. 59–105, hier S. 84–86</ref> Die Bedeutung der „Schwabinger Krawalle“ für die politische Entwicklung Baaders wurde vielfach diskutiert. Baaders Mutter selbst berichtet, dass Andreas Baader unter dem Eindruck der „Krawalle“ gesagt habe: „Weißt du Mutter, in einem Staat, wo die Polizei mit Gummiknüppeln gegen singende junge Leute vorgeht, da ist etwas nicht in Ordnung.“<ref>Zit. nach Butz Peters: ''RAF: Terrorismus in Deutschland.'' Stuttgart 1991, S. 39</ref> Der Publizist [[Butz Peters]] ist sich sicher, dass die Ereignisse des Münchner Stadtsommers 1962 „ein Schockerlebnis für den Neunzehnjährigen“ waren.
Einer der Teilnehmer an den Krawallen war der damals noch eher unpolitische spätere [[Rote Armee Fraktion|RAF]]-Terrorist [[Andreas Baader]].<ref>Michael Sturm: ''Wildgewordene Obrigkeit?'' In: Gerhard Fürmetz (Hrsg.): ''Schwabinger Krawalle.'' Essen 2006, S. 59–105, hier S. 84–86</ref> Die Bedeutung der „Schwabinger Krawalle“ für die politische Entwicklung Baaders wurde vielfach diskutiert. Baaders Mutter selbst berichtet, dass Andreas Baader unter dem Eindruck der „Krawalle“ gesagt habe: „Weißt du Mutter, in einem Staat, wo die Polizei mit Gummiknüppeln gegen singende junge Leute vorgeht, da ist etwas nicht in Ordnung.“<ref>Zit. nach Butz Peters: ''RAF: Terrorismus in Deutschland.'' Stuttgart 1991, S. 39</ref> Der Publizist [[Butz Peters]] ist sich sicher, dass die Ereignisse des Münchner Stadtsommers 1962 „ein Schockerlebnis für den Neunzehnjährigen“ waren.

Ergänzung

Der polizeiliche Einsatz, der zu den Schwabinger Krawallen führte, war nicht der erste, der von diesen Straßenmusikanten verursacht wurde. Vielmehr wurden wir noch am frühen Morgen desselben Tages mehrmals zu Ruhestörungen gerufen – zum letzten Mal gegen 5 Uhr am Elisabethplatz -, bei denen wir die jungen Leute zur Einstellung ihrer musikalischen Darbietung brachten. Erstaunlich war, dass sich nie ein Mitteiler oder Beschwerdeführer zeigte. Aus diesem Grunde sahen wir uns auch nicht zu irgendwelchen polizeilichen Maßnahmen veranlasst.
Gegen 22 Uhr wurden wir dann zur Leopoldstraße gerufen. Die fünf Musikanten waren umringt von einer Schar von Menschen, die der Aufführung der fünf Musikanten lauschten. Wir warteten, bis das gerade gespielte Stück zu Ende war, im der Hoffnung, dass sich doch noch ein Mitteiler zu erkennen gab. Nichts! Jetzt schien es uns angezeigt, die Personalien festzustellen für den Fall, dass sich später noch jemand als Beschwerdeführer melden würde. Am Einsatzort war dies kaum möglich, da die Umstehenden zu murren anfingen und Schimpfworte fielen.
Also bat ich die fünf jungen Leute in unseren Streifenwagen einzusteigen um dann auf dem Polizeirevier die Personalien feststellen zu können. Dies tat sie auch ohne Widerrede. Es wurde also niemand vorläufig festgenommen und es wurde auch kein Platzverweis ausgesprochen.
Erst Jahre später erhielt ich, neben einigen Telefonanrufen, eine Postkarte, in der mir mitgeteilt wurde, dass es sich bei dem Anrufer um einen Stadtrat handelte, der gegen den damaligen Oberbürgermeister Dr. Hans-Jochen Vogel Stimmung machen wollte.
Friedrich Weiler
Ex Polizeimeister
Funkstreifendienst; Isar 2/II


== Bewertung ==
== Bewertung ==

Version vom 11. Juni 2012, 16:24 Uhr

Als Schwabinger Krawalle werden die Unruhen bezeichnet, die im Juni 1962 im Münchener Stadtteil Schwabing stattfanden.

Verlauf

Weil eine Gruppe von jugendlichen Straßenmusikanten am 21. Juni 1962 noch nach 22.30 Uhr spielte, riefen ein Stadtrat und Anwohner der Leopoldstraße nach einem erfolglosen Versuch, selbst für Ruhe zu sorgen, die Polizei. Bei dem Versuch der Polizei, die Gruppe aufzulösen und die fünf Musiker vorläufig festzunehmen, kam es zu Rangeleien mit Jugendlichen und die Situation eskalierte. In der Nacht und an den folgenden vier Tagen kam es in der gesamten Umgebung der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) zu Straßenschlachten zwischen bis zu 40.000 vor allem jugendlichen Protestteilnehmern und zum Teil berittenen Polizisten.[1] Zu den letzten Abenden kamen auch Personen aus anderen Städten angereist. Es entstand ein hoher Sachschaden. Insgesamt wurden etwa 200 Personen festgenommen, einige wurden später zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Zwischen der Militanz auf Seiten mancher Protestierer und dem massiven Schlagstockgebrauch der Polizei bestand eine gewisse Wechselwirkung, so dass die öffentliche Kritik an den Methoden der Polizei immer lauter wurde. Nach den Unruhen erarbeitete die Münchener Polizei unter der Federführung von Manfred Schreiber ein Konzept, das erstmals in Deutschland auf Ansätze zur Deeskalation setzte, um zukünftige Ereignisse dieser Art zu vermeiden („Münchner Linie“). Im Zuge der Polizeireformen wurde in München nun ein Polizeipsychologe eingesetzt, zugleich aber auch die Mittel der Strafverfolgung durch den Einsatz von Filmteams ausgebaut.[2]

Einer der Teilnehmer an den Krawallen war der damals noch eher unpolitische spätere RAF-Terrorist Andreas Baader.[3] Die Bedeutung der „Schwabinger Krawalle“ für die politische Entwicklung Baaders wurde vielfach diskutiert. Baaders Mutter selbst berichtet, dass Andreas Baader unter dem Eindruck der „Krawalle“ gesagt habe: „Weißt du Mutter, in einem Staat, wo die Polizei mit Gummiknüppeln gegen singende junge Leute vorgeht, da ist etwas nicht in Ordnung.“[4] Der Publizist Butz Peters ist sich sicher, dass die Ereignisse des Münchner Stadtsommers 1962 „ein Schockerlebnis für den Neunzehnjährigen“ waren.

Ergänzung

Der polizeiliche Einsatz, der zu den Schwabinger Krawallen führte, war nicht der erste, der von diesen Straßenmusikanten verursacht wurde. Vielmehr wurden wir noch am frühen Morgen desselben Tages mehrmals zu Ruhestörungen gerufen – zum letzten Mal gegen 5 Uhr am Elisabethplatz -, bei denen wir die jungen Leute zur Einstellung ihrer musikalischen Darbietung brachten. Erstaunlich war, dass sich nie ein Mitteiler oder Beschwerdeführer zeigte. Aus diesem Grunde sahen wir uns auch nicht zu irgendwelchen polizeilichen Maßnahmen veranlasst. Gegen 22 Uhr wurden wir dann zur Leopoldstraße gerufen. Die fünf Musikanten waren umringt von einer Schar von Menschen, die der Aufführung der fünf Musikanten lauschten. Wir warteten, bis das gerade gespielte Stück zu Ende war, im der Hoffnung, dass sich doch noch ein Mitteiler zu erkennen gab. Nichts! Jetzt schien es uns angezeigt, die Personalien festzustellen für den Fall, dass sich später noch jemand als Beschwerdeführer melden würde. Am Einsatzort war dies kaum möglich, da die Umstehenden zu murren anfingen und Schimpfworte fielen. Also bat ich die fünf jungen Leute in unseren Streifenwagen einzusteigen um dann auf dem Polizeirevier die Personalien feststellen zu können. Dies tat sie auch ohne Widerrede. Es wurde also niemand vorläufig festgenommen und es wurde auch kein Platzverweis ausgesprochen. Erst Jahre später erhielt ich, neben einigen Telefonanrufen, eine Postkarte, in der mir mitgeteilt wurde, dass es sich bei dem Anrufer um einen Stadtrat handelte, der gegen den damaligen Oberbürgermeister Dr. Hans-Jochen Vogel Stimmung machen wollte.

Friedrich Weiler Ex Polizeimeister Funkstreifendienst; Isar 2/II

Bewertung

Die „Schwabinger Krawalle“ gehören nach Ansicht des Historikers Detlef Siegfried (Universität Kopenhagen) „zu den herausragenden immateriellen Erinnerungsorten der Bundesrepublik – ein mythisches Ereignis, das das Ende der Adenauer-Ära und die Liberalisierung der Bundesrepublik anzuzeigen scheint.“[5]

Der ideologische Ort der Schwabinger Krawalle zwischen den sogenannten Halbstarkenkrawallen der späten 1950er Jahre und den Studentenunruhen der 68er-Bewegung war lange unklar und ist bis heute Gegenstand der Diskussion. An den Protesten hatten sich Hochschüler, aber auch Lehrlinge und junge Arbeiter beteiligt. Konkrete politische Forderungen wurden zunächst nicht erhoben; im Mittelpunkt stand der Anspruch auf kulturelle Selbstbestimmung. Der Historiker Stefan Hemler spricht von einem „generationell-jugendkulturellen Konfliktsignal“, das nur in einem abstrakteren Sinne als „einer der Vorboten von '1968'“ bezeichnet werden könne.[6]

Einzelnachweise

  1. 850 Jahre München – Weltstadt – Herz? auf br.online.de
  2. Michael Sturm: Wildgewordene Obrigkeit? In: Gerhard Fürmetz (Hrsg.): Schwabinger Krawalle. Essen 2006, S. 59–105, hier S. 100
  3. Michael Sturm: Wildgewordene Obrigkeit? In: Gerhard Fürmetz (Hrsg.): Schwabinger Krawalle. Essen 2006, S. 59–105, hier S. 84–86
  4. Zit. nach Butz Peters: RAF: Terrorismus in Deutschland. Stuttgart 1991, S. 39
  5. Rezension zu Gerhard Fürmetz (Hrsg.): Schwabinger Krawalle. auf sehepunkte.de
  6. Stefan Hemler: Aufbegehren einer Jugendszene. In: Gerhard Fürmetz (Hrsg.): Schwabinger Krawalle. Essen 2006, S. 25–57, hier S. 57

Literatur

  • Gerhard Fürmetz (Hrsg.): Schwabinger Krawalle. Protest, Polizei und Öffentlichkeit zu Beginn der 60er Jahre. Essen 2006, ISBN 3-89861-513-8 (Rezension)
  • Hans-Jochen Vogel: Die Amtskette. Meine 12 Münchner Jahre. Ein Erlebnisbericht. München 1972.
  • MÜNCHEN – Die Geschichte der Stadt, Süddeutsche Zeitung GmbH München 2008, S.376 ff.