„Tabula rasa“ – Versionsunterschied

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== Redewendung ==
== Redewendung ==
Eine übliche Redewendung im Deutschen („Tabula rasa machen“, analog zu „reinen Tisch machen“) bezieht sich auf die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs in der Antike als wiederbeschreibbare Wachstafel. Die Redewendung beschreibt dementsprechend die Intention, mit einer Sache abzuschließen und einen Neuanfang zu wagen – also im übertragenen Sinne die Schreibtafel abzuschaben und ihren Ursprungszustand wiederherzustellen.
Eine ungewöhnliche Redewendung im Deutschen („Tabula rasa machen“, analog zu „reinen Tisch machen“) bezieht sich auf die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs in der Antike als wiederbeschreibbare Wachstafel. Die Redewendung beschreibt dementsprechend die Intention, mit einer Sache abzuschließen und einen Neuanfang zu wagen – also im übertragenen Sinne die Schreibtafel abzuschaben und ihren Ursprungszustand wiederherzustellen.


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==

Version vom 11. Oktober 2010, 19:54 Uhr

Wachstafel mit Griffel

Tabula rasa (lat. wörtlich „abgeschabte Schreibtafel“) bedeutet eigentlich: unbeschriebene Tafel (auch: unbeschriebenes Blatt, leere Tafel).

Hiermit wurde im übertragenen Sinne die Seele (als Ort der Erkenntnis der Menschen) in ihrem ursprünglichen Zustand bezeichnet, das heißt bevor sie Eindrücke von der Außenwelt empfing. Im buchstäblichen Sinn war tabula rasa in der Antike eine wachsüberzogene Schreibtafel, von der nach dem Beschreiben die Schrift wieder vollständig entfernt werden konnte.

In der Antike

Der Vergleich der Seele mit prägbarem Wachs stammt von Platon.[1] Auch bei Aristoteles[2] findet man einen Vergleich zwischen der Seele und einer Wachstafel, ebenso bei den Stoikern.

Im Mittelalter und im Zeitalter der Aufklärung

Ab dem Mittelalter wird dieser Gedanke von mehreren Philosophen aufgegriffen, so von Albertus Magnus, Franciscus Mercurius van Helmont, Pierre Gassendi, und vor allem bei John Locke.

Konstruktion bei John Locke

Locke verwendet diese Vorstellung als Metapher für den menschlichen Verstand bei der Geburt („ein unbeschriebenes Blatt“). Dieser wird im Verlauf des Lebens durch die Erfahrung geprägt.[3]

Lockes materialistischer Sensualismus nutzte diese These gegen die Lehre von den angeborenen Ideen (ideae innatae), wobei er konkret an die idealistischen Philosophen der Cambridger Schule (Cambridger Platonismus: Henry More, Ralph Cudworth), aber auch an Herbert von Cherbury sowie Descartes und seine Anhänger wie überhaupt an die von Platon und der Stoa beeinflussten Philosophen dachte, die das Vorhandensein angeborener Begriffe und Prinzipien mit Nachdruck vertreten hatten.

Vor allem Grundbegriffe der Mathematik und Logik wurden als angeborene Ideen betrachtet. Mit seinen Auffassungen vertiefte Locke den materialistischen Empirismus von Francis Bacon. Sie übten auf die philosophische Entwicklung des 18. Jahrhunderts und 19. Jahrhunderts einen bedeutenden Einfluss aus. Da aber die vornehmlich materialistischen Anschauungen Lockes sehr widersprüchliche Momente in sich bargen, konnten so verschiedene Philosophen wie George Berkeley und Denis Diderot an seinen Sensualismus anknüpfen.

Zur Kritik der Vorstellung von der „tabula rasa“

Diese Annahmen bei Locke widersprechen der etwa von Immanuel Kant vertretenen Auffassung, gewisse Vorstellungen, wie die Vorstellung des euklidischen Raumes oder die des Gottesbegriffes, seien dem Menschen angeboren. Die Vorstellung der tabula rasa steht auch im starken Gegensatz zu der Auffassung, dass ein Teil, wenn nicht gar das ganze Bewusstsein, durch das Erbgut bestimmt wird. Die soziologische und psychologische Identitäts- und Sozialisationsforschung (Lacan, Winnicott, Mead, Erikson, Oevermann, Wagner u. a.) haben jedoch gezeigt, dass sich Bewusstseinsstrukturen durch Erfahrung und als Folge von Interaktionsprozessen ausbilden. In der Neuzeit hat Sigmund Freud diesen Begriff in seiner Abhandlung „Notiz über den Wunderblock“ (1925) verwendet.

Verwendung im Völkerrecht – Tabula-rasa-Theorie

Dieses Prinzip, auch Clean slate rule, wird im Zuge von Dekolonialisierungsprozessen verwendet, um den „Neustart“ des dekolonialisierten Staats gegenüber anderen Staaten zu erleichtern. Man wollte es dem neuen Staat nicht zumuten, die alten Rechtspositionen der ehemaligen Kolonialherren zu übernehmen. Man spricht hier von der so genannten Spezialsukzession und überlässt hier dem Gebietsnachfolger die Wahl, welche Rechtspositionen er übernehmen will und welche nicht. Ausgenommen sind hier Verträge über den Grenzverlauf und anderer Hoheitsakte im Grenzgebiet. Im Bereich der Vermögenswerte gehen Schulden des Vorgängers nur in einem bestimmten Anteil über (gerechter Anteil). Eine Ausnahme hiervon ist die Dekolonisierung von Haiti, das nach seiner Unabhängigkeit enorme Abgaben an Frankreich zu leisten hatte, die das Land ruinierten.

Redewendung

Eine ungewöhnliche Redewendung im Deutschen („Tabula rasa machen“, analog zu „reinen Tisch machen“) bezieht sich auf die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs in der Antike als wiederbeschreibbare Wachstafel. Die Redewendung beschreibt dementsprechend die Intention, mit einer Sache abzuschließen und einen Neuanfang zu wagen – also im übertragenen Sinne die Schreibtafel abzuschaben und ihren Ursprungszustand wiederherzustellen.

Einzelnachweise

  1. Theaitetos 191c Sokrates: So setze mir nun, damit wir doch ein Wort haben, in unsern Seelen einen wächsernen Guß, welcher Abdrücke aufnehmen kann, bei dem einen größer, bei dem andern kleiner, bei dem einen von reinerem Wachs, bei dem andern von schmutzigerem, auch härter bei einigen und bei andern feuchter, bei einigen auch gerade so, wie er sein muß... Dieser, wollen wir sagen, sei ein Geschenk von der Mutter der Musen, Mnemosyne; und wessen wir uns erinnern wollen von dem Gesehenen oder Gehörten oder auch selbst Gedachten, das drücken wir in diesen Guß ab, indem wir ihn den Wahrnehmungen und Gedanken unterhalten, wie beim Siegeln mit dem Gepräge eines Ringes. Was sich nun abdrückt, dessen erinnern wir uns und wissen es, solange nämlich sein Abbild vorhanden ist. Hat sich aber dieses verlöscht oder hat es gar nicht abgedruckt werden können, so vergessen wir die Sache und wissen sie nicht. (Übersetzung Friedrich Schleiermacher 1805)
  2. Aristoteles: De anima (Über die Seele) III 4, 429b29-430a2
  3. John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand 1690. Buch 2 Kapitel 1 § 2: (Alle Vorstellungen kommen von der sinnlichen und Selbst-Wahrnehmung.) Wir wollen also annehmen, die Seele sei, wie man sagt, ein weißes, unbeschriebenes Blatt Papier, ohne irgend welche Vorstellungen; wie wird sie nun damit versorgt? (Übersetzung Julius von Kirchmann 1872/73)

Literatur