Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich
Das Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ) ist ein großlandschaftliches Dialektwörterbuch, in dem seit 1911 der bairische Wortschatz in Österreich und dem benachbarten Südtirol dokumentiert wird. In den ersten fünf Bänden sind auch die historische Kanzleisprache und weitere bairischsprachige Gebiete der ehemaligen Monarchie berücksichtigt. Schwesterprojekt ist das Bayerische Wörterbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Typus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das WBÖ richtet sich in erster Linie an Wissenschaftler (Sprachwissenschaftler, Dialektologen, Namenkundler, Lehnwortforscher, Historiker, Volkskundler), aber auch an die an Dialekten interessierten Laien.
Da sich die Sammeltätigkeit für das WBÖ (seit 1913) vorwiegend auf die Sprach-, Sach- und Vorstellungswelt der eingesessenen Bauern und Handwerker konzentrierte, liegt der Schwerpunkt der Wortschatzbeschreibung und -darstellung im basisdialektalen Bereich, höherschichtige Sprachformen werden eher am Rande berücksichtigt. Das WBÖ dokumentiert heute vorwiegend die gesprochenen Dialekte der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Das Untersuchungsgebiet, dessen Umfang sich aus den politisch-territorialen Verhältnissen der Zeit der WBÖ-Gründung (1911) erklärt, umfasst die heutige Republik Österreich (ohne das alemannische Sprachgebiet in Vorarlberg), das schweizerische Samnaun, Südtirol, Südmähren, Südböhmen, den unteren Böhmerwald, einige bairische Belegorte an der heutigen ungarisch-österreichischen Grenze (auf ungarischem Gebiet) sowie die aus dem bayrisch-österreichischen Binnenraum besiedelten Sprachinseln. Bis zu dem 1998 beschlossenen Straffungskonzept fanden im WBÖ außerdem der mittlere und obere Böhmerwald, das Egerland mit Iglau und einige isolierte Belegorte in Slowenien, Westungarn, Rumänien und in der Slowakei Berücksichtigung. Seit 2016/2017 wurde darüber hinaus die Berücksichtigung historischer Wörter bzw. Bedeutungen zugunsten der Straffung des Wörterbuchs aufgegeben.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Kommission zur Schaffung des Österreichisch-Bayerischen Wörterbuchs und zur Erforschung unserer Mundarten der Akademie der Wissenschaften in Wien wurde am 15. März 1911 mit der Zielsetzung gegründet, in Zusammenarbeit mit der Kommission für Mundartforschung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ein gemeinsames gesamtbairisches Dialektwörterbuch zu erstellen. Nach dem Arbeitsplan oblag jeder Akademie das Sammeln und Ordnen des Wortschatzes auf dem eigenen Staatsgebiet.
Die Genehmigung von „Arbeitsplan und Geschäftsordnung für das Bayerisch-Österreichische Wörterbuch“ erfolgte durch die Klassensitzungen der Akademien in Wien und München (Ende 1912), die Einrichtung der Wörterbuchkanzlei und (mit München koordinierter) Beginn der Fragebogenerhebungen 1913.
Obmänner der Wiener Kommission waren die Professoren Joseph Seemüller (1911 bis 1920), Paul Kretschmer (1920 bis 1956), Dietrich Kralik (1956 bis 1959), Richard Meister (1959 bis 1965), Otto Höfler (1965 bis 1967), Eberhard Kranzmayer (1967 bis 1975), Ingo Reiffenstein und Peter Wiesinger. Leitende Redaktoren waten bislang Anton Pfalz, Viktor Dollmayr, Eberhard Kranzmayer, Maria Hornung, Werner Bauer, Ingeborg Geyer und Franz Roitinger.
Im Laufe der Jahre stellte sich heraus, dass das Bearbeitungsgebiet zu umfangreich ist und die sprachlichen Unterschiede – etwa zwischen dem Nord- und dem Südbairischen – zu groß sind für ein gemeinsames Projekt. Dazu kamen noch rein praktische Gründe, aus denen sich eine Bearbeitung in zwei getrennten Wörterbuchprojekten als vorteilhafter erwies. 1961 erfolgte die endgültige Aufgabe des Plans einer mit München koordinierten Publikation des Wörterbuchs. Publikationsbeginn war 1963.
Weitere Eckpunkte:
- Seit 28. Mai 1969: Kommission für Mundartkunde und Namenforschung
- Seit 1. Januar 1993: Einrichtung Österreichische Dialekt- und Namenlexika
- Seit 21. Januar 1994: Institut für Österreichische Dialekt- und Namenlexika
- 1998 Verabschiedung eines Straffungskonzeptes
2015 erfolgte die vorübergehende Einstellung des Projekts. Seit Dezember 2016 wird das WBÖ an der Forschungsabteilung „Variation und Wandel des Deutschen in Österreich“ am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage (ACDH-CH) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften weiter bearbeitet. Im Oktober 2020 wurden die ersten Wörterbuchartikel ab dem Buchstaben F auf dem „Lexikalischen Informationssystem Österreich“ (LIÖ) online gestellt, wo auch das gesamte digitalisierte Handzettelmaterial zur Verfügung steht. Die Einbindung in die neu gegründete Abteilung ermöglicht einen engen Austausch mit weiteren dort ansässigen Projekten wie dem Projekt „Österreichische Dialektkartographie 1924–1956. Digitalisierung, Kontextualisierung, Visualisierung“[1] oder dem Spezialforschungsbereich (SFB) „Deutsch in Österreich. Variation – Kontakt – Perzeption“.[2]
Quellen und Materialbasis
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Belegmaterial des WBÖ umfasst geschätzte 4 Millionen Einzelzettel. Es sind dies im Wesentlichen:
- Fragebogenantworten und freie Sammlungen von Laien (ca. 55 %): 1913 bis 1932 wurden an die Schulorte der damaligen Habsburgermonarchie (geschätzte 400 bis 500 Informanten) je 109 vorwiegend sachorientierte Fragebogen ausgesendet. Die Sammler notierten die Antworten auf mitverschickten Zettelblöcken; 1928 bis 1935 wurden mit 9 Fragelisten 300 bis 500 Informanten um Auskunft zu wortgeographischen Fragen gebeten (die Listen wurden später verzettelt); 1941 und 1960 folgten zwei kleinere Fragebogenerhebungen. Die freien Sammlungen wurden von an den Mundarten interessierten Laienforschern in jahrelanger Kleinarbeit zusammengetragen.
- Durch phonetisch/sprachwissenschaftlich geschulte Kräfte erhobene Belege (ca. 35 %): Mundarterhebungen durch Exploratoren; Belege aus laut- und wortkundlichen Untersuchungen und Ortsmonographien (v. a. Dissertationen), teilweise Belege aus Sprachatlanten; Exzerpte aus Tonbandaufnahmen.
- Exzerpte aus historischen und literarischen Quellen (ca. 10 %): Weistümer, Urbare, Urkunden(bücher), Chroniken, Inventare, Rechnungsbücher und dergleichen; historisch-literarische Denkmäler (z. B. Meier Helmbrecht); Mundartdichtungen (z. B. Stelzhamer, Artmann).
Das in Zettelformat vorliegende Belegmaterial wurde zwischen 1993 und 2011 in die Datenbank der bairischen Mundarten in Österreich (DBÖ) eingegeben und digitalisiert.
Publikationsstand
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Publikationsbeginn: 1963
- Band 1 (A) 1970
- Band 2 (B/P – Bezirk) 1976
- Band 3 (Pf – C) 1983
- Band 4 (D/T – tętzig) 1998
- Band 5 (deu – Ęzzes) 2015
- Die Buchstabenstrecke ab F wird seit 2020 fortlaufend online publiziert.[3]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Werner Bauer: Die Fragebogenerhebungen in den deutschen Dialektwörterbüchern. In: Lexikographie der Dialekte. Beiträge zu Geschichte, Theorie und Praxis. Hrsg. v. Hans Friebertshäuser. Tübingen 1986, S. 93–102 u. 231–260.
- Werner Bauer: Zur Darstellung des Mundartwortschatzes im Wörterbuch. In: Sprache und Dialekt in Oberösterreich. Vorträge der 1. Arbeitstagung am 13. und 14. Mai 1988 in Schloß Zell a. d. Pram. Hrsg. v. Johann Lachinger, Hermann Scheuringer und Herbert Tatzreiter (= Schriften zur Literatur und Sprache in Oberösterreich 1). Linz 1989, S. 16–35.
- Werner Bauer: Möglichkeiten und Grenzen der Bedeutungsbeschreibung im Dialektwörterbuch. In: Bedeutungserfassung und Bedeutungsbeschreibung in historischen und dialektologischen Wörterbüchern. Beiträge zu einer Arbeitstagung der deutschsprachigen Wörterbücher, Projekte an Akademien und Universitäten vom 7. bis 9. März 1996 anlässlich des 150jährigen Jubiläums der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Hrsg. v. Rudolf Grosse. Stuttgart/Leipzig 1998, S. 27–33.
- Werner Bauer: Historische Quellen des WBÖ zu den bairisch-österreichischen Sprachvarietäten des 14.–19. Jahrhunderts. In: Probleme der Textauswahl für einen elektronischen Thesaurus. Beiträge zum ersten Göttinger Arbeitsgespräch zur historischen deutschen Wortforschung 1. und 2. November 1996. Hrsg. v. Rolf Bergmann. Stuttgart/Leipzig 1998, S. 81–103.
- Werner Bauer: Die wissenschaftliche Erforschung der Dialekte Österreichs. Die Wiener dialektologische Schule. In: Beiträge zur Österreichischen Literaturgeschichte. Mitteilungen der Mundartfreunde Österreichs 48–52 (1998). Wien 1998, S. 25–40.
- Ingeborg Geyer, Isolde Hausner: Österreichische Dialekt- und Namenlexika. In: InfoNet-AUSTRIA. Österreichs Informationslandschaft im Querschnitt. Hrsg. v. d. Österreichischen Nationalbibliothek. Wien 1998.
- Ingeborg Geyer: „Begriffsartikel“ in Mundartwörterbüchern. In: Akten des X. Internationalen Germanistenkogresses Wien 2000 „Zeitenwende – Die Germanistik auf dem Weg vom 20. ins 21. Jahrhundert“. Band 2. Hrsg. von Peter Wiesinger unter Mitarbeit von Hans Derkits. (= Jahrbuch für Internationale Germanistik, Reihe A, Kongreßberichte, Bd. 54). Lang, Bern u. a. 2002, S. 263–269.
- Ingeborg Geyer: Arbeitsbericht zum Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich. In: Linzerschnitten. Beiträge zur 8. Bayerisch-österreichischen Dialektologentagung, zugleich 3. Arbeitstagung zu Sprache und Dialekt in Oberösterreich in Linz, September 2001. Hrsg. von Stephan Gaisbauer und Hermann Scheuringer. Linz 2004, S. 583–588.
- Ingeborg Geyer: Belegdarbietung in Großlandschaftswörterbüchern im Spannungsfeld von Zeit und Raum am Beispiel des Wörterbuchs der bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ). In: Sabine Krämer-Neubert, Norbert Richard Wolf (Hrsg.): Bayerische Dialektologie. Akten der Internationalen Dialektologischen Konferenz 26.–28. Februar 2002 (Internationale Dialektologische Konferenz, 26.–28. Februar 2002). (= Schriften zum Bayerischen Sprachatlas, hrsg. v. L. Eichinger, H.-W. Eroms, R. Hinderling, W. König, H. H. Munske u. a.). Winter, Heidelberg 2006, S. 195–204.
- Ingeborg Geyer: Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich: Rückblick auf 105 Jahre Erheben, Aufbereiten und Auswerten im institutionellen Rahmen der ÖAW. In: Sebastian Kürschner, Mechthild Habermann, Peter O. Müller (Hrsg.): Methodik moderner Dialektforschung. Erhebung, Aufbereitung und Auswertung von Daten am Beispiel des Oberdeutschen. In: Germanistische Linguistik 241–243 (2019), S. 471–488.
- Maria Hornung: Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich. In: Dialektlexikographie. Berichte über Stand und Methoden deutscher Dialektwörterbücher. Festgabe für Luise Berthold zum 85. Geburtstag am 27. Jänner 1976. Hrsg. v. Hans Friebertshäuser (= Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte 17 [Neue Folge]). Wiesbaden 1976, S. 37–47.
- Eberhard Kranzmayer: Die Arbeit der Akademie am Österreichisch-Bayerischen Dialektwörterbuch (Organisation und Durchführung, Aufgabe und wissenschaftliche Bedeutung). In: Anzeiger der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse 88 (1951), S. 113–123.
- Ingo Reiffenstein: Das neue Straffungskonzept für das Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ). In: Anzeiger der philosophisch-historischen Klasse 134/2 (1997–1999), S. 113–126.
- Michaela Schwegler: Dialektforschung am Beispiel des „Wörterbuchs der bairischen Mundarten in Österreich“. In: Augsburger Volkskundliche Nachrichten 5 (1999), S. 111–117.
- Philipp Stöckle: Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ). In: Germanistische Dialektlexikographie zu Beginn des 21. Jahrhunderts (= ZDL-Beihefte. Band 181). Hrsg. von Alexandra N. Lenz und Philipp Stöckle. Steiner, Stuttgart 2021, ISBN 978-3-515-12911-4, S. 11–46 (DOI:10.25162/9783515129206).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich
- Lexikalisches Informationssystem Österreich
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage
- Datenbank der bairischen Mundarten in Österreich electronically mapped
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Website des ÖAW-Projekts Digitizing Austrian Maps (Diauma) Abgerufen am 28. Oktober 2020.
- ↑ Website des SFB Deutsch in Österreich (DiÖ). Abgerufen am 27. April 2017.
- ↑ LIÖ – Lexikalisches Informationssystem Österreich. Abgerufen am 23. Oktober 2020.