Residenzpflicht

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Die Residenzpflicht ist eine Auflage für in Deutschland lebende Asylbewerber und Geduldete. Sie verpflichtet die Betroffenen, sich nur in dem von der zuständigen Behörde festgelegten Bereich aufzuhalten. In Österreich gilt mit der Gebietsbeschränkung eine ähnliche Regelung, allerdings eingeschränkt auf die Dauer des Zulassungsverfahrens, d. h. nur bis im Sinne des Dublin-Verfahrens entschieden ist, ob Österreich für das Asylverfahren zuständig ist.

Geschichte

Der Paragraph wurde 1982 geschaffen und ist in § 56 Asylgesetz verankert. Er steht in Widerspruch zum Grundsatz der Freizügigkeit gemäß Artikel 26 des Genfer Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951, in dem das Recht auf Freizügigkeit garantiert ist, da der Status eines anerkannten Flüchtlings nicht derselbe ist, wie der eines Asylbewerbers im laufenden Anerkennungsverfahren.[1]

Rechtliches

Residenzpflicht in Deutschland
  • landesweite Bewegungsfreiheit für Asylbewerber
  • Berlin und Brandenburg kooperieren und erlauben gegenseitige Reisen nachdem eine Dauerverlassenserlaubnis erteilt wurde
  • Niedersachsen und Bremen kooperieren und erlauben gegenseitige Reisen
  • regierungsbezirkweite Bewegungsfreiheit für Asylbewerber
  • Eine Residenzpflicht für die Dauer des gesamten Asylverfahrens gibt es innerhalb der Europäischen Union nur in Deutschland. Dort ist sie für Asylbewerber im Asylgesetz und für Geduldete im Aufenthaltsgesetz geregelt. Das Aufenthaltsgesetz erlaubt den Ausländerbehörden darüber hinaus, einzelnen Personen mit Aufenthaltserlaubnis oder Visum eine räumliche Beschränkung zur Auflage zu machen,[2] wovon in der Regel aber kein Gebrauch gemacht wird.

    Seit dem 1. Januar 2015 ist die Residenzpflicht für Asylbewerber und Geduldete grundsätzlich auf drei Monate begrenzt; nur für diejenigen Asylbewerber und Geduldete, deren Lebensunterhalt nicht gesichert ist, wird der Wohnsitz durch eine Auflage (Wohnsitzauflage) eingeschränkt.[3]

    Am 1. März sprach die Große Kammer des EuGH ein Urteil zum Thema Wohnsitzauflage.[4][5] Im Unterschied zur Residenzpflicht verpflichtet die Wohnsitzauflage Asylbewerber und Geduldete nicht, sich nur in einem bestimmten Bereich der Ausländerbehörde physisch aufzuhalten, sondern die Wohnsitzauflage verpflichtet, in einem bestimmten Ort zu wohnen.

    Asylsuchende

    Menschen mit Aufenthaltsgestattung, d. h. die einen Asylantrag gestellt haben und deren Asylverfahren noch läuft, unterliegen zunächst der Residenzpflicht.

    Wie groß ihr Aufenthaltsbereich ist, ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Der Aufenthaltsbereich kann auf den Bezirk, den Kreis oder das Bundesland beschränkt sein, in dem der Asylbewerber wohnen muss. Er kann auch aus mehreren Bezirken oder Bundesländern bestehen.[6] Asylbewerber und Geduldete, die in Berlin oder Brandenburg wohnen müssen, können sich in beiden Bundesländern frei bewegen. Entsprechendes gilt für Asylbewerber in Bremen und Niedersachsen.

    Der Verstoß gegen die Residenzpflicht kann mit Geldbuße bis zu 2.500 Euro geahndet, bei Wiederholung auch mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft werden.[7]

    Verschärfte Residenzpflicht

    Im November 2015 wurden von der Bundesregierung zahlreiche Restriktionen der Asylpolitik diskutiert.[8] Unter anderem soll die bestehende Residenzpflicht so verschärft werden, dass bei einem Verstoß der Anspruch auf soziale Leistungen erlischt; zudem ruht der Asylantrag. Bei einem zweifachen Verstoß gegen die Residenzpflicht soll eine sofortige Ausweisung erfolgen.

    Geduldete

    Die Residenzpflicht für Geduldete ist in § 61 bzw. § 95 des Aufenthaltsgesetzes geregelt. Für Geduldete ist der Aufenthalt zunächst nur auf das jeweilige Bundesland beschränkt, kann aber durch weitere Auflagen zusätzlich eingeschränkt werden.

    Analog zu den Bestimmungen für Asylbewerber beschränken Ausländerbehörden einiger Landkreise den Aufenthalt für Geduldete prinzipiell nur auf den jeweiligen Landkreis.

    Dies wird unter anderem auch dadurch begünstigt, dass die aufenthaltsbeschränkende Maßnahme für Asylbewerber auch nach einer Ablehnung des Asylgesuchs und dem damit in der Regel verbundenen Wechsel in den Status der Duldung bestehen bleiben soll.

    Das Strafmaß für Verstöße entspricht dem Strafmaß für Asylbewerber.

    Politisches

    Die Residenzpflicht für alle Asylbewerber ist einmalig in der Europäischen Union und existiert nur in Deutschland. Nachdem Thüringen ab dem 1. Juli 2013 die bestehenden Gesetze gelockert hat, ist in allen Bundesländern außer Bayern und Sachsen die Residenzpflicht auf das Landesgebiet ausgedehnt. Asylsuchende und geduldete ausländische Staatsbürger dürfen sich dort also im ganzen Landesgebiet aufhalten.[9]

    In Österreich besteht seit 2004 eine Gebietsbeschränkung für die ersten 20 Tage des Aufnahmeverfahrens. Die Gebietsbeschränkung nach § 12 AsylG gilt seit dem 1. Januar 2010[10] für die gesamte Dauer des Zulassungsverfahrens, d. h. bis im Sinne des Dublin-Verfahrens entschieden ist, ob Österreich für das Asylverfahren zuständig ist. Für das weitere Asylverfahren besteht § 12 AsylG keine Gebietsbeschränkung.

    Der Protest und Widerstand gegen die Residenzpflicht ist seit langem ein Tätigkeitsschwerpunkt von Flüchtlingsselbstorganisationen, von dem derzeit zwei von der Residenzpflicht betroffene Mitglieder vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen das Gesetz klagen, die damit die Abschaffung der sie selbst betreffenden Residenzpflicht erreichen wollen. In einem Fall wurde in einer Entscheidung vom 20. November 2007 die Individualbeschwerde für unzulässig erklärt.[11]

    Da Verstöße gegen die Residenzpflicht als opferlose Straftat zur Kriminalitätsstatistik gezählt werden, tragen sie zur Erhöhung der Fallzahlen für Asylbewerber bei. Ein Vergleich mit den Zahlen für deutsche Staatsangehörige ist damit schwierig, wird im politischen Diskurs jedoch dennoch bisweilen als Argument für Restriktionen wie die Residenzpflicht verwendet.

    Politik der deutschen Bundesregierung in der 18. Legislaturperiode

    Der Koalitionsvertrag der deutschen Bundesregierung in der 18. Legislaturperiode beinhaltet folgenden Passus bezüglich der Residenzpflicht:

    „Die räumliche Beschränkung (sogenannte Residenzpflicht), für Asylbewerber und Geduldete wird auf das jeweilige Land ausgeweitet. Hiervon unbenommen bleiben Vereinbarungen zwischen den Ländern zugunsten genereller landesübergreifender Bewegungsfreiheit. Vorübergehendes Verlassen des Landes ist bis zu einer Woche auf der Grundlage einer einseitigen Mitteilung unter Angabe des Zielorts möglich. Eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts kann bei Straftätern und Personen, bei denen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz bekannt geworden sind oder bei denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen konkret bevorstehen, angeordnet werden. Bei Studium, Berufsausübung und -ausbildung besteht in der Regel ein Anspruch auf Befreiung von der räumlichen Beschränkung und Wohnsitzauflage.“[12]

    Faktisch würde damit die Grundlage geschaffen um auch in Bayern und Sachsen die Residenzpflicht auf Landesebene auszuweiten, in geltendes Recht wurde diese Vorlage jedoch noch nicht umgesetzt. Die Residenzpflicht als solche soll ausdrücklich beibehalten werden.

    Abweichend vom Koalitionsvertrag wurde mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann im Zuge der Verschärfung des Asylrechts für Flüchtlinge aus dem Balkan ein Kompromiss ausgehandelt. Dieser beinhaltet auch die bundesweite Abschaffung der Residenzpflicht nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland.[13]

    Der Fall Madiama Diop

    Madiama Diop ist ein Asylbewerber aus dem Senegal, der bei dem deutschen American-Football-Verein Würzburg Panthers ein Führungsspieler ist.[14] Aufgrund der Residenzpflicht ist es ihm nicht erlaubt, an Auswärtsspielen seines Vereins teilzunehmen. Nachdem auf der Internet-Plattform Change.org eine Petition gestartet wurde um ihm die Teilnahme an Auswärtsspielen zu ermöglichen, erhielt der Fall deutschlandweit Aufmerksamkeit seitens der Medien.[15] Nach dem Start der Petition wurde bekannt, dass die bayerische Partei CSU die Aufenthaltsbeschränkung auf einen Regierungsbezirk „in absehbarer Zeit“ aufheben wolle.[16] Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann äußerte gegenüber dem Bayerischen Rundfunk: „Es gibt keine Residenzpflicht mehr für Landkreise oder Regierungsbezirke – sondern es gibt eine Residenzpflicht, die sich auf das einzelne Bundesland bezieht“.[17]

    Siehe auch

    Einzelnachweise

    1. Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 http://www.unhcr.de/fileadmin/user_upload/dokumente/03_profil_begriffe/genfer_fluechtlingskonvention/Genfer_Fluechtlingskonvention_und_New_Yorker_Protokoll.pdf.
    2. § 12 Aufenthaltsgesetz
    3. Bessere Rechtsstellung für asylsuchende und geduldete Ausländer. In: Pressemitteilung. Bundesministerium des Innern, 2. Januar 2015, abgerufen am 1. Februar 2015.
    4. curia.europa.eu Urteil 1. März 2016 in den verbundenen Rechtssachen C-443/14 und C-444/14
    5. tagesschau.de (1. März 2016)
    6. § 56 Asylgesetz (AsylG), § 58 AsylG
    7. § 86, § 85 AsylG
    8. tagesspiegel.de
    9. Karte zum Stand der Erweiterung des Aufenthaltsbereiches (nach Bundesländern), Stand vom 8. November 2013.
    10. Deutsche „Residenzpflicht“ bleibt einmalig in Europa. www.residenzpflicht.info, abgerufen am 27. April 2014.
    11. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: Entscheidung über die Zulässigkeit der Individualbeschwerde Nr. 44294/04 S. E. O. gegen Deutschland vom 20. November 2007, abgerufen am 14. November 2010.
    12. spd.de (PDF).
    13. welt.de
    14. taz.de
    15. change.org
    16. sueddeutsche.de
    17. br.de