„Paradigma“ – Versionsunterschied

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Auf der Nymphenburgvorlesung von 1984 hat Kuhn sich nach etwa 34 erfolglosen Definitionsversuchen vom Begriff „Paradigma“ öffentlich verabschiedet. Für weiteres siehe [[Thomas Samuel Kuhn#Kuhns Paradigmenbegriff|Kuhns Paradigmenbegriff]].
Auf der Nymphenburgvorlesung von 1984 hat Kuhn sich nach etwa 34 erfolglosen Definitionsversuchen vom Begriff „Paradigma“ öffentlich verabschiedet. Für weiteres siehe [[Thomas Samuel Kuhn#Kuhns Paradigmenbegriff|Kuhns Paradigmenbegriff]].


Der Psychologe [[Jens Asendorpf]] definiert 2009 den Begriff wie folgt: {{"|1=Ein Wissenschaftsparadigma ist ein einigermaßen zusammenhängendes, von vielen Wissenschaftlern geteiltes Bündel aus theoretischen Leitsätzen, Fragestellungen und Methoden, das längere historische Perioden in der Entwicklung einer Wissenschaft überdauert.|3=Jens B. Asendorpf|4=<ref> ''Persönlichkeitspsychologie.'' Springer, Heidelberg 2009, ISBN 978-3-642-01030-9, S.&nbsp;13.</ref>|4=ja}}
[[Jens Asendorpf]] (* 1950) definiert 2009 den Begriff wie folgt:
Ein Wissenschaftsparadigma ist ein einigermaßen zusammenhängendes, von vielen Wissenschaftlern geteiltes Bündel aus theoretischen Leitsätzen, Fragestellungen und Methoden, das längere historische Perioden in der Entwicklung einer Wissenschaft überdauert.<ref>Jens B. Asendorpf: ''Persönlichkeitspsychologie.'' Springer, Heidelberg 2009, ISBN 978-3-642-01030-9, S.&nbsp;13.</ref>


Eine Begriffsanalyse lieferte [[Margaret Masterman]] 1970.<ref>Margaret Masterman: ''The Nature of a Paradigm.'' In: Imre Lakatos, Alan Musgrave: ''Criticism and the Growth of Knowledge.'' Cambridge 1970, S. 59–90.</ref>
Eine Begriffsanalyse lieferte [[Margaret Masterman]] 1970.<ref>Margaret Masterman: ''The Nature of a Paradigm.'' In: Imre Lakatos, Alan Musgrave: ''Criticism and the Growth of Knowledge.'' Cambridge 1970, S. 59–90.</ref>

Version vom 28. Juni 2012, 19:30 Uhr

Das Wort Paradigma (griechisch παράδειγμα parádeigma, aus παρὰ parà „neben“ und δείκνυμι deiknymi „zeigen“, „begreiflich machen“; Plural Paradigmen oder Paradigmata) bedeutet „Beispiel“, „Vorbild“, „Muster“ oder „Abgrenzung“, „Vorurteil“; in allgemeinerer Form auch „Weltsicht“ oder „Weltanschauung“.

Seit dem späten 18. Jahrhundert bezeichnet Paradigma eine bestimmte wissenschaftliche Lehrmeinung, Denkweise oder Art der Weltanschauung. Wenn sich eine solche grundlegend ändert, nennt man das Paradigmenwechsel.

Aristoteles

In AristotelesRhetorik ist das induktive Argument das Beispiel (paradeigma); in Gegensatz zu anderen induktiven Argumenten wird nicht von besonderen Fällen zu einem allgemeinen übergegangen, sondern von einem besonderen Fall zu einem anderen, wobei beide unter dieselbe Art fallen (Rhetorik I.2, 1357b25 ff.).[1]

Das wissenschaftliche Paradigma

Seit dem späten 18. Jahrhundert verwendet man das Wort Paradigma, um damit eine bestimmte wissenschaftliche Denkweise oder eine bestimmte Art der Weltanschauung zu bezeichnen. Der Begriff des Paradigma wurde von Georg Christoph Lichtenberg eingebracht.[2] Im klassischen Deutsch kann man den Begriff auch im Sinne unterschiedlicher (wissenschaftlicher) „Schulen” verwenden. Gute Beispiele für eine solche „grundlegende Weltsicht“ sind das geozentrische Weltbild (Ptolemäus) oder das heliozentrische Weltbild (Nikolaus Kopernikus).

Die gebräuchlichste Verwendungsweise des Wortes in diesem Zusammenhang geht jedoch auf den amerikanischen Wissenschaftstheoretiker Thomas Samuel Kuhn (1922–1996) zurück, der darunter „Lehrmeinung” versteht und damit einen Satz von Vorgehensweisen beschreibt. In seinem Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen definiert er ein „wissenschaftliches Paradigma“ als:

  • das, was beobachtet und überprüft wird
  • die Art der Fragen, welche in Bezug auf ein Thema gestellt werden und die geprüft werden sollen
  • wie diese Fragen gestellt werden sollen
  • wie die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Kuhn meint mit Paradigma also ein vorherrschendes Denkmuster in einer bestimmten Zeit. Paradigmen spiegeln einen gewissen allgemein anerkannten Konsens über Annahmen und Vorstellungen wider, die es ermöglichen, für eine Vielzahl von Fragestellungen Lösungen zu bieten. In der Wissenschaft bedient man sich in diesem Zusammenhang auch oft Modellvorstellungen, anhand derer man Phänomene zu erklären versucht. (Leitbild)

Nach Kuhn ist ein Paradigma solange anerkannt, bis Phänomene auftreten, die mit der bis dahin gültigen Lehrmeinung nicht vereinbar sind. Dann werden neue Theorien aufgestellt, die sich manchmal sofort durchsetzen, manchmal erst nach längeren Diskussionen zwischen Verfechtern verschiedener Lehrmeinungen. Das Sich-Durchsetzen einer neuen Lehrmeinung oder den Prozess des Meinungsumschwungs bezeichnet man als Paradigmenwechsel.

Auf der Nymphenburgvorlesung von 1984 hat Kuhn sich nach etwa 34 erfolglosen Definitionsversuchen vom Begriff „Paradigma“ öffentlich verabschiedet. Für weiteres siehe Kuhns Paradigmenbegriff.

Der Psychologe Jens Asendorpf definiert 2009 den Begriff wie folgt: „Ein Wissenschaftsparadigma ist ein einigermaßen zusammenhängendes, von vielen Wissenschaftlern geteiltes Bündel aus theoretischen Leitsätzen, Fragestellungen und Methoden, das längere historische Perioden in der Entwicklung einer Wissenschaft überdauert.“ (Jens B. Asendorpf)

Eine Begriffsanalyse lieferte Margaret Masterman 1970.[3]

Der Begriff „Paradigma“ in der Linguistik

In der Linguistik hat das Wort „Paradigma“ folgende Bedeutungen:

  • ein Muster, gebildet durch geordnete Attribute und Werte, das die Menge der Formen eines Wortes modelliert und eine Formenklasse darstellt (Flexionsparadigma von Verben oder Substantiven; Konjugation, wie beispielsweise singen – sang – gesungen, bzw. Deklination)
  • eine Funktion, die bei gegebenem Wort und gegebener Wortklasse die Formbelegung der einzelnen Positionen des Paradigmas liefert
  • eine (einzigartige) Sammlung von (auf vertikaler Ebene) austauschbaren Zeichen (Elementen) derselben (Wortart) Kategorie, wie beispielsweise „der Hund/Tiger/Fisch frisst“ oder auch die Anlautkonsonanten in B-/G-/T-/Vier

Varianten

Weitere Verwendungen von „Paradigma“

Der Begriff „Paradigma“ wird auch verwendet für eine Erzählung, die in „Beispielen eine moralische Lehre erläutert“.[4] So können z. B. Märchen im weiteren Sinne als Paradigmen bezeichnet werden.

Das Wort wird in Wissenschaft, Technik und Wirtschaft mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen verwendet; insbesondere beispielsweise im Computerbereich oder der Managementliteratur. Dabei steht es weniger für eine umfassende Weltanschauung oder -ansicht, wie im ursprünglichen (epistemologischen) Sinne, als für eine besondere, fokussierte Sichtweise auf einen (möglichst grundlegenden) Aspekt des jeweiligen Fachgebietes. So wird beispielsweise vom Paradigma der „Wiederverwendbarkeit von Software“ (ein sogenanntes Programmierparadigma), vom Paradigma der Teamarbeit oder der schlanken Produktion (lean production) gesprochen. Hier bezeichnet der Begriff „Paradigma“ eine grundsätzliche Haltung zu einer Klasse von Phänomenen (aber nicht zu einem einzelnen).

Die Werbung beziehungsweise das Marketing nutzt den Begriff „Paradigma“, um Produkte als besonders neuwertig und innovativ erscheinen zu lassen, um damit eine größere Aufmerksamkeit zu gewinnen.

In der Organisationstheorie gibt es das Konzept der Unternehmenskultur. Eines der meist zitierten Modelle ist das Kulturnetz nach G. Johnson[5] (1998), beschrieben als Netzwerk interner Strukturen und Prozesse, welche die Selbstwahrnehmung einer Organisation kontinuierlich sowohl erzeugen als auch verstärken. Die sieben genannten Elemente des Kulturnetzes sind: Geschichten und Mythen, Symbole, Machtstrukturen, Organisationsstrukturen, Kontrollsysteme, Rituale und Routinen – und das Paradigma.

In der Verhaltenswissenschaft bezeichnet man mit dem Begriff „Paradigma“ ein klassisches Vorurteil: Eine gefühlsbedingte, absolute Wertung (gut/schlecht), bevor eine verstandesmäßige Verarbeitung von Informationen stattfinden kann (siehe auch Denkmuster). Neu wird auch der Begriff „Paradigmenparalyse“ (eine Lähmung durch Vorurteile) verwendet. Damit wird beschrieben, dass logische Denkprozesse – und in der Folge konsequentes Handeln – durch Vorurteile (Paradigmen) unterbrochen, gelähmt (paralysiert) oder verhindert werden können.

In der Psychosomatischen Medizin wird der Begriff Maschinenparadigma durch Thure von Uexküll gebraucht, um damit die eher ganzheitliche Sichtweise der Psychosomatik von der rein organisch ausgerichteten Medizin zu unterscheiden. Die Organmedizin habe sich durch das Vorbild der Physik das reduktionistische Maschinenmodell zu eigen gemacht. Der Physik sei es gelungen, „eine in sich geschlossene Lehre der mechanischen Kräfte zu entwickeln und den Begriff der Kausalität von den ihm noch anhaftenden metaphysischen Vorstellungen zu befreien.“[6]

Weiter wird das Wort „Paradigma“, besonders in der Entwicklungspsychologie, als eine Versuchsanordnung oder ein Versuchsdesign verstanden, welches auf Grundlage einer bestimmten Annahme oder Theorie entwickelt wurde.

In den 1980er Jahren hat der Physiker und Esoteriker Fritjof Capra den Begriff „Paradigmenwechsel“ verwendet, um die von ihm postulierte Wende zu einem harmonischen freiheitlichen und ganzheitlichen neuen Zeitalter zu kennzeichnen.

Der Begriff „Paradigma“ ist also sehr unscharf und „weich“ definiert: Es lässt sich schwer allgemein abgrenzen, welche Aussage ein Paradigma darstellt und welche nicht (insofern ist es ein gutes Beispiel für eine Injunktion).

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary: Paradigma – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Literatur

  • Thomas Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. 2. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-518-27625-9.
  • Alexander Peine: Innovation und Paradigma. Transcript, Bielefeld 2006, ISBN 3-89942-458-1.

Quellen

  1. 5. The Three Means of Persuasion Aristotle’s Rhetoric
  2. Stephen Edelston Toulmin: Menschliches Erkennen, I: Kritik der kollektiven Vernunft. Übersetzt von Hermann Vetter. 1. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1978, ISBN 3-518-07436-9, S. 131f.
  3. Margaret Masterman: The Nature of a Paradigm. In: Imre Lakatos, Alan Musgrave: Criticism and the Growth of Knowledge. Cambridge 1970, S. 59–90.
  4. Vergleiche Worteintrag im Wahrig
  5. G. Johnson: Rethinking incrementalism. In: Strategic Management Journal. Band 9, 1998, S. 75–91.
  6. Thure von Uexküll u. a. (Hrsg.): Psychosomatische Medizin. 3. Auflage. Urban & Schwarzenberg, München 1986, ISBN 3-541-08843-5, S. 3–4.