„Asymmetrie (Ethik)“ – Versionsunterschied

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Version vom 26. Juli 2013, 13:56 Uhr

Die Asymmetrie bezeichnet in der Angewandten Ethik ein Paar naïver moralischer Überzeugungen über Entscheidungen, die das Erzeugen von Personen betreffen. Texte zur Asymmetrie beginnen typischerweise mit der Beobachtung, dass ausgehend von der Common-Sense Moral gesagt werden könne, dass es zwar einerseits so etwas wie „eine Pflicht gibt, die Existenz leidender Personen zu verhindern, aber keine entsprechende Pflicht oder Tugend, die Existenz glücklicher Personen zu bedingen.“[1] Mit anderen Worten und etwas formaler besteht „die Asymmetrie“ aus den folgenden moralischen Überzeugungen:

  1. „Das Leben einer Person, die abslout miserabel dran wäre – jenseits der Schwelle eines lebenswerten Lebens, gilt als ein Grund, die Existenz dieser Person zu verhindern.
  2. Das Leben einer Person deren Leben ein gutes und lebenswerts Leben wäre, gilt allein nicht als Grund, die Existenz dieser Person zu bedingen.“[2]

Einordnung

Aufbauend auf der analytischen Philosophietradition und insbesondere dem Werk von Derek Parfit zum sogenannten Nichtidentitätsproblem sowie innerhalb der allgemeineren Populationsethik hat sich ab den 1980ern zu diesen beiden Propositionen der Asymmetrie eine zunehmend eigenständige philosophische Debatte herauskristallisiert, die die Kohärenz dieser beiden Annahmen innerhalb von Theorien moralischer Begründungen hintergfragt. (McMahan 1981) gilt als erste Veröffentlichung, die die Asymmetrie problematisierte.[3] Die Bezeichnung Asymmetrie hat sich in diesen Debatten als ein stehender Begriff etabliert.

Zur Verteidigung der Asymmetrie

(McMahan 2009) buchstabiert einige Möglichkeiten aus, die beide Teile der Asymmetrie begründen. Zunächst könne man etwa versuchen, die Asymmetrie bei Fortpflanzungsentscheidung auf eine allgemeinere Asymmetrie zurückzuführen zwischen Handlungen, die Verletzen, und Handlungen, die Begünstigen: So wie viele Verletzungen stärker gewichten würden als Begünstigungen, ließe sich das Bedingen der Existenz einer leidenden Person als eine Quasiverletzung stärker gewichten als die Quasibegünstigung im Bedingen der Existenz einer glücklichen Person. Eine ähnliche Reduktion wird von (Persson 2009) kritisiert und von (Tooley 1998) verteidigt: Beide schlagen vor, das Bedingen einer leidvollen Existenz als eine Verletzung negativer Rechte der Person in spe aufzufassen. (McMahan 2009) sieht hier zweierlei Problemtypen:

  • Einerseits seien Begünstigen und Verletzen vergleichende Begriffe. Verletzt werde eine Person von einer Handlung, wenn sie durch die Handlung schlechter dran ist als ohne die Handlung (wobei man hier einen zeitlichen oder kontrafaktischen Vergleich anstellen könnte). Die Person, die bei dem Bedingen der leidvollen Existenz aber „verletzt“ würde, existiert im Moment der Handlung nicht und es bleibe daher fraglich, inwiefern überhaupt von einer Verletzung im eigentlichen Sinne gesprochen werden könne.
  • Andererseits sei die Asymmetrie zwischen Begünstigen und verletzen „stärker“ als die Asymmetrie zwischen dem Erzeugen „glücklicher“ und „miserabler“ Personen, weil im Allgemeinen davon ausgegangen werde, dass eine Begünstigung moralisch irgendwie positiv belegt ist und nicht wie in der Asymmetrie nur als eine moralische neutrale Möglichkeit oder individuelle Freiheit aufgefasst wird.

McMahan schlägt schließlich vor, zwischen handlungsbegründenden Funktionen von intrinsischen Gütern und Übeln sowie aufwiegenden Funktionen derselben zu unterscheiden. Handlungsbegründend ist dabei ein Gut oder ein Übel, wenn dessen Vorliegen geeignet ist, eine Handlung zu begründen. Aufwiegend im Gegensatz dazu ist eine gute Folge einer Handlung, wenn die zwar mit der Handlung verbundene Übel aufwiegen kann, allerdings selbst keine Gründe bereitstellt, die Handlung zu setzen (Aufwiegende Übel analog). Akzeptiert man diese verschiedenen Funktionen von Gütern und übel, ließe sich die Asymmetrie begründen, wenn man annimmt, dass nicht personen betreffende Güter nur eine Aufwiegende, aber keine Handlungsbegründende Funktion haben und gleichzeitig von nichtpersonenbetreffenden Übeln voraussetzt, dass ihnen beide Funktionen zukommen. McMahan hält diesen Ausweg aber für eine ad hoc-Begründung, die aus ethischen Problemstellungen jenseits der Asymmetrie nicht motivieren oder wiederfinden lasse. (Algander 2012) widerspricht an dieser Stelle und führt entsprechende Beispiele an.

Eine andere Verteidigung der Asymmetrie hat Roberts 2011) vorgeschlagen, die sie „Variabilismus“ nennt, da die zugeschriebene moralische Erheblichkeit von Handlungen mit dem Kontext in dem die Handlung stattfindet variiert. Demnach habe „der Verlust innerhalb einer möglichen Welt, in der die Person, die einen Verlust erfährt, existiert oder sicher existieren wird, volle moralische Erheblichkeit sowohl für Handlungen die diesen Verlust bedingen oder alternative Handlungen, die diesen Verlust umgehen. Andererseits [habe] ein Verlust derselben Person innerhalb einer Welt, in der die Person niemals existiert, keine irgendwie geartete moralische Erheblichkeit.“[4]

Alternativen zur Asymmetrie

Die Probleme bei der Begründung der Asymmetrie haben viele AutorInnen veranlasst, Positionen zu finden, die jeweils Teile der Asymmetrie zurückweisen. Dafür gibt es nun verschiedene Strategien: Zunächst kann man, ähnlich wie bei Roberts „Variabilismus“, die Menge potentiell moralisch betroffenen Personen einschränken. Insbesondere für utilitaristische Theorien ist eine Bestimmung dieser Menge kruzial. Dabei gibt es die Möglichkeiten alle Personen in Betracht zu ziehen, unabhängig davon ob sie existieren oder nicht („Totalismus“). Andererseits kann man nur tatsächlich existierende Personen in Betracht ziehen („Existentialismus“[5]) oder notwendigerweise existierende Personen.[6] Viele weitere Bestimmungen sind vorstellbar.

Subjektiv-symmetrische Positionen

Die subjektiv symmetrische Positionen gehen davon aus, dass sich moralische Übel immr auf die Erfahrungen von existierenden Subjekten beziehen müssen. Somit kann die subjektiv symmetrische Position zwar begründen, weshalb es moralisch neutral ist, glückliche Existenzen zu bedingen; Sie muss ar die These, dass es ein (ceteris paribus) ein Übel wäre, eine Person mit der Aussicht auf ein miserables Leben in die Welt zu setzen, zurückweisen. Solch eine Positionierung ist in (Heyd 1994 S. 80 ff.) vorgeschlagen. Eine weitere kritisierter Schlussfolgerung dieser Position, ist dass es plötzlich einen erheblichen Unterschied macht, ob eine Existenz von vornherein verhindert wird oder unmittelbar nach ihrem Beginnen vernichtet wird.[7] .

Unpersönlich-symmetrische Positionen

Unpersönlich-symmetrische Positionen gehen davon aus, dass es neben personenbezogenen Übeln und Gütern auch solche Übel und Güter gibt, die sich nicht auf Ziele oder Erfahrungen von Individuen beziehen. Beispiele, die VertreterInnen für solche nicht-personenbezogenen Werte anführen würden, wären etwa normative Vorstellungen von Gleichheit oder ein inhärenter Wert der Natur, wie er von Teilen der Umweltethik unterstellt wird. Relevanter für die Asymmetrie ist, dass die prospektive Existenz einer „glücklichen“ Person wäre sich auch als ein impersonales Gut auffassen ließe. Symmetrisch ist die Position, weil sowohl Übel als auch Güter gleichermaßen in die ethische Abwägung mit einbezogen werden. Das hat zur Folge, dass sich der erste Teil der Asymmetrie begründen lässt, allerdings wird es dann auch mindestens zu einer Tugend, die Existenz „glücklicher“ Personen zu bedingen. (Bradley 2013) optiert für solch eine Auflösung der Asymmetrie. Problematisiert wurde an dieser Auflösung – neben der Zurückweisung des zweiten Teils der Asymmetrie – auch, dass es unter ihren Vorzeichen mitunter ceteris paribus verwerflicher sein könnte eine Existenz zu verhindern als eine Existenz zu beenden, weil bei der beendeten Existenz weniger glückliche Lebenszeit vorenthalten würden als bei der gänzlich verhinderten.

Antinatalistische Position

Eine dritte Möglichkeit ist es, unpersönliche Übel anzuerkennen – „weniger Leid ist immer besser als mehr Leid“ – aber unpersönliche Güter zurückzuweisen: „Weniger Glück ist nur dann ein Übel, wenn eine Person individuiert werden kann, für die das Fehlen von Glück ein Übel ist.“[8] Diese Position erkennt den ersten Teil der Asymmetrie an, muss aber den zweiten Teil zurückweisen und implizieren, dass das Bedingen jeder Existenz immer ein moralisches Übel darstellt, sofern diese Existenz nur irgendwelche intrinsischen Übel beinhalten werde. Diese Position wird in der Philosophie am prominentesten von David Benatar vertreten. Im Gegensatz zu populären antinatalistischen Positionierungen wie etwa seitens der Church of Euthanasia oder dem Voluntary Human Extinction Movement oder aber auch im Gegensatz zur Position von Schopenhauer setzt das Argument von Benatar kein misanthropes Weltbild voraus und kann affirmieren, dass menschliches (und nichtmenschliches) Leben unter geeigneten Bedingungen im Großen und Ganzen ein gutes Leben ist.

Literatur

  • Per Algander: A Defence of the Asymmetry in Population Ethics. In: Res Publica. 18. Jahrgang, Nr. 2, Mai 2012, ISSN 1356-4765, S. 145–157, doi:10.1007/s11158-011-9164-0.
  • Gustaf Arrhenius: The person-affecting restriction, comparativism, and the moral status of potential people. In: Ethical Perspectives. 10. Jahrgang, Nr. 3, 2005, S. 185–195 (kuleuven.be).
  • David Benatar: Better never to have been: the harm of coming into existence. Clarendon Press, Oxford 2009, ISBN 978-0-19-954926-9.
  • Ben Bradley: Asymmetries in Benefiting, Harming and Creating. In: The Journal of Ethics. 17. Jahrgang, Nr. 1-2, Juni 2013, ISSN 1382-4554, S. 37–49, doi:10.1007/s10892-012-9134-6.
  • Krister Bykvist: The benefits of coming into existence. In: Philosophical Studies. 135. Jahrgang, Nr. 3, 2007, S. 335–362.
  • Daniel J. Elstein: The Asymmetry of Creating and Not Creating Life. In: The Journal of Value Inquiry. 39. Jahrgang, Nr. 1, März 2005, ISSN 0022-5363, S. 49–59, doi:10.1007/s10790-006-7256-4.
  • David Heyd: Genethics: Moral Issues in the Creation of People. University of California Press, 1994.
  • Jeff McMahan: Problems of population theory. In: Ethics. 92. Jahrgang, Nr. 1, 1981, S. 96–127.
  • Jeff McMahan: Harming Future Persons (= International Library of Ethics, Law, and the New Medicine). Springer Netherlands, 2009, ISBN 978-1-4020-5696-3, Asymmetries in the Morality of Causing People to Exist, S. 49–68.
  • Derek Parfit: Reasons and Persons. Reprint Auflage. Oxford University Press, USA, 1986, ISBN 0-19-824908-X.
  • Ingmar Persson: Harming future persons ethics, genetics and the nonidentity problem. Springer, Dordrecht; London 2009, ISBN 978-1-4020-5697-0, Rights and the Asymmetry Between Creating Good and Bad Lives, S. 29–47.
  • Stuart Rachels: Is it good to make happy people? In: Bioethics. 12. Jahrgang, Nr. 2, 1998, S. 93–110.
  • Melinda A. Roberts: The asymmetry: A solution. In: Theoria. 77. Jahrgang, Nr. 4, 2011, S. 333–367.
  • Peter Singer: Practical ethics. Cambridge University Press, 1993.
  • Michael Tooley: Value, obligation and the asymmetry question. In: Bioethics. 12. Jahrgang, Nr. 2, 1998, S. 111–124.

Einzelnachweise

  1. (Benatar 2009 S. 32).
  2. (Roberts 2011 S. 1-2).
  3. (Parfit 1986 S. 390).
  4. (Roberts 2011 S. 356). Eigene Übersetzung.
  5. Terminologie nach (Singer 1993 87–90).
  6. (Arrhenius 2005 S. 193).
  7. (McMahan 2009).
  8. (Benatar 2009 S. 32).