„Kippelemente im Erdklimasystem“ – Versionsunterschied

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=== Abschmelzen des grönländischen Eisschilds ===
=== Abschmelzen des grönländischen Eisschilds ===
Der Kippunkt des vollständigen Abschmelzens des grönländischen Eisschilds könnte bereits ab einer globalen Erwärmung von knapp 2°C erreicht werden. Dies würde voraussichtlich über Jahrhunderte bis Jahrtausende einen Meeresspiegelanstieg von etwa 7 Metern verursachen.<ref name="PIKA"/>
Der Kippunkt des vollständigen Abschmelzens des grönländischen Eisschilds könnte bereits ab einer globalen Erwärmung von knapp 2°C erreicht werden. Dies würde voraussichtlich über Jahrhunderte bis Jahrtausende einen Meeresspiegelanstieg von etwa 7 Metern verursachen.<ref name="PIKA"/>

=== Abschmelzen des westantarktischen Eisschildes ===
Für den größten Teil der Antarktis wird für die nächsten Jahrzehnte kein Abschmelzen erwartet. Bei der Westantarktis geht man jedoch davon aus, dass es als dort zu tiefgreifenden Veränderungen kommen wird. Einige sehr große Gletscher des Westantarktischen Eisschildes enden im Meer. Dort stützen sie sich mehrere hundert Meter unterhalb der Wasseroberfläche an einem in Richtung Festland abfallenden Meeresboden ab. Da sich das Meerwasser in den vergangenen Jahrzehnten dort erwärmte, führte dies zu einem verstärkten Abschmelzen und einen Rückzug der Gletscherzunge von z.B. dem [[Pine-Island-Gletscher]] oder dem [[Thwaites-Gletscher]]. Analysen ergaben, dass der Tipping-Point für ein vollständiges Abschmelzen des Thwaites-Gletschers bereits erreicht wurde und dieser über einen Zeitraum von 200 bis 900 Jahren vollständig abschmelzen wird.<ref>{{cite journal
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=== Erlahmen der atlantischen thermohalinen Zirkulation ===
=== Erlahmen der atlantischen thermohalinen Zirkulation ===

Version vom 11. Juni 2014, 07:30 Uhr

Als Kippelement (englisch Tipping Element) wird in der Erdsystemforschung ein überregionaler Bestandteil des globalen Klimasystems bezeichnet, der bereits durch geringe äußere Einflüsse in einen neuen Zustand versetzt werden kann, wenn er einen sogenannten Kipp-Punkt („Tipping-Point“) erreicht hat. Diese Änderungen können sich abrupt vollziehen und zum Teil unumkehrbar sein.[1]

Geschichte

Das Konzept der Kippelemente wurde von Hans Joachim Schellnhuber um das Jahr 2000 herum in die Forschungsgemeinschaft eingebracht.[2][3] Aufbauend auf seinen Arbeiten zur nichtlinearen Dynamik wies er - als einer der koordinierenden Leitautoren der Arbeitsgruppe II - im dritten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (2001) auf die bis dahin vernachlässigte Möglichkeit diskontinuierlicher, irreversibler und extremer Ereignisse im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung hin. Bis dahin war vorwiegend von linearen, allmählich stattfindenden Veränderungen ausgegangen worden.[4]

Der im Februar 2008 publizierte Fachartikel „Tipping elements in the Earth's climate system“ gehörte in den Jahren 2008 und 2009 zu den am häufigsten zitierten Fachartikeln im Bereich der Geowissenschaften.[5] Die Forschungsarbeit zu dem Artikel hatte im Oktober 2005 begonnen. Bei einem Workshop in der Britischen Botschaft in Berlin hatten 36 britische und deutsche Klimaforscher das Konzept diskutiert und mögliche Kippelemente im Erdsystem identifiziert. Im Jahr darauf wurden 52 weitere internationale Experten befragt sowie die gesamte relevante wissenschaftliche Literatur zu dem Thema ausgewertet. Als Ergebnis wurden neun potentielle Kippelemente benannt, bei denen der Kipp-Punkt vor dem Jahr 2100 erreicht werden könnte.[6] Inzwischen wurden weitere mögliche Kippelemente identifiziert.[7]

Bisher identifizierte Kippelemente

Die Arbeitsgruppe um Schellnhuber benannte im Jahr 2008 die folgenden neun potenziellen Kippelemente:[6]

Von diesen neun Kippelementen stellen nach Einschätzung der befragten Experten derzeit das Abschmelzen des arktischen Meereises und des grönländischen Eisschilds die größte Bedrohung dar.[8]

Später wurden noch weitere Kippelemente identifiziert:[1]

  • Schwinden der Tibetischen Gletscher
  • Methan-Ausgasung aus den Ozeanen
  • Auftauen der Yedoma Dauerfrostböden
  • Austrocknen des Nordamerikanischen Südwestens
  • Abschwächung der marinen Kohlenstoffpumpe
  • Zerstörung von Korallenriffen

Abschmelzen des arktischen Meereises

Umfang der arktischen Meereisbedeckung in den letzten 1450 Jahren[9]

Ob das Abschmelzen des arktischen Meereises bereits einen Kipppunkt überschritten hat, bzw. ob es in Zukunft dazu kommen wird, wird seit einigen Jahren diskutiert.[10] In Folge der globalen Erwärmung hat sich in den letzten Jahrzehnten - bedingt durch die polare Verstärkung - die Lufttemperatur in der Arktis um das Dreifache des globalen Durchschnitts erhöht. Es wurde dort seit den 1970er Jahren um 2°C wärmer; die sommerliche Meereisbedeckung ist seitdem durchschnittlich um 40% zurückgegangen.[11] Zudem wurde die Eisschicht in großen Arealen dünner.[8] Eine vorübergehende Änderung der Arktischen Oszillation und der Pazifischen Dekaden-Oszillation ab 1989 führte zudem dazu, dass größere Anteile der Eisdecke sich lösten. Der sich vergrößernde Anteil der nicht von Eis bedeckten Wasserfläche führte zu einer größeren Absorption der Sonneneinstrahlung, und somit zu einem weiteren Abtauen von Eis, einem Anstieg der Meerestemperatur und einer geringeren Eisbildung in den Wintermonaten. Nach 1988 sei der Einfluss der Eis-Albedo-Rückkopplung größer geworden als externe Einflüsse. Dass dieser Effekt trotz der Normalisierung der Arktischen Oszillation und der Pazifischen Dekaden-Oszillation weiter anhält, weist nach Lindsay und Zhang auf ausgeprägte nonlineare Effekte hin. Sie gehen daher davon aus, dass der Kipppunkt für das Abschmelzen der arktischen Meereisbedeckung bereits Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre überschritten wurde.[12] Holland et al. (2006) dagegen nahmen aufgrund eigener Berechnungen an, dass der Kipppunkt frühestens im Jahr 2015 erreicht wird.[13] Berechnungen von Livina und Lenton (2013) zufolge fand im Jahr 2007 eine abrupte und seitdem anhaltende Veränderung in der Amplitude der jahreszeitlichen Schwankungen der arktischen Meereisbedeckung statt, die durch die interne Dynamik des arktischen Klimasystems (und nicht durch externe Einflüsse) begründet zu sein scheint, und von den Autoren als Kipppunkt betrachtet wird.[10] Es wird davon ausgegangen, dass es sich um einen reversiblen Kipppunkt handelt.[14]

Abschmelzen des grönländischen Eisschilds

Der Kippunkt des vollständigen Abschmelzens des grönländischen Eisschilds könnte bereits ab einer globalen Erwärmung von knapp 2°C erreicht werden. Dies würde voraussichtlich über Jahrhunderte bis Jahrtausende einen Meeresspiegelanstieg von etwa 7 Metern verursachen.[1]

Abschmelzen des westantarktischen Eisschildes

Für den größten Teil der Antarktis wird für die nächsten Jahrzehnte kein Abschmelzen erwartet. Bei der Westantarktis geht man jedoch davon aus, dass es als dort zu tiefgreifenden Veränderungen kommen wird. Einige sehr große Gletscher des Westantarktischen Eisschildes enden im Meer. Dort stützen sie sich mehrere hundert Meter unterhalb der Wasseroberfläche an einem in Richtung Festland abfallenden Meeresboden ab. Da sich das Meerwasser in den vergangenen Jahrzehnten dort erwärmte, führte dies zu einem verstärkten Abschmelzen und einen Rückzug der Gletscherzunge von z.B. dem Pine-Island-Gletscher oder dem Thwaites-Gletscher. Analysen ergaben, dass der Tipping-Point für ein vollständiges Abschmelzen des Thwaites-Gletschers bereits erreicht wurde und dieser über einen Zeitraum von 200 bis 900 Jahren vollständig abschmelzen wird.[15]

Erlahmen der atlantischen thermohalinen Zirkulation

Animation der thermohalinen Zirkulation (Video)

Das zunehmende Abschmelzen des arktischen Meer- und Landeises führt zu einem größeren Zufluss von Süßwasser, sowie zu vermehrter Geschwindigkeit und Stabilität der in Richtung Süden führenden arktischen Meeresströmung. Dies könnte das nordatlantische Tiefenwasser beeinflussen, und schließlich zu einer Verlangsamung der thermohalinen Zirkulation führen. Während der Kollaps der thermohalinen Zirkulation mit nachfolgendem abruptem Klimawechsel wahrscheinlich ein zeitlich entferter Kipppunkt ist, wird die Verlangsamung der thermohalinen Zirkulation - die einen ähnlichen, aber abgeschwächten Effekt hätte - robust vorhergesagt.[16][17]

Literatur

  • Timothy M. Lenton, Hermann Held, Elmar Kriegler, Jim W. Hall, Wolfgang Lucht, Stefan Rahmstorf, Hans Joachim Schellnhuber: Tipping elements in the Earth's climate system. In: PNAS. 105. Jahrgang, Nr. 6, 2008, S. 1786–1793, doi:10.1073/pnas.0705414105.

Weblinks

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b c Kippelemente – Achillesfersen im Erdsystem. Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, abgerufen am 6. Juni 2014.
  2. Kaspar Mossman: Profile of Hans Joachim Schellnhuber. In: PNAS. 105. Jahrgang, Nr. 6, 2008, S. 1783–1785, doi:10.1073/pnas.0800554105.
  3. New Hot Papers: Timothy M. Lenton & Hans Joachim Schellnhuber. ScienceWatch.com, Juli 2009, abgerufen am 15. Februar 2014.
  4. Joel B. Smith, Hans Joachim Schellnhuber, M. Monirul Qader Mirza: Vulnerability to Climate Change and Reasons for Concern: A Synthesis. In: IPCC Third Assessment Report - Climate Change 2001. Working Group II: Impacts, Adaptation and Vulnerability. Cambridge University Press, 2001 (PDF).
  5. Kippelemente bleiben „heißes“ Thema. Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, abgerufen am 6. Januar 2014.
  6. a b Kippelemente im Klimasystem der Erde. Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, 5. Februar 2008, abgerufen am 6. Juni 2014.
  7. Kippelemente – Achillesfersen im Erdsystem. Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, abgerufen am 16. Februar 2014.
  8. a b Timothy M. Lenton, Hermann Held, Elmar Kriegler, Jim W. Hall, Wolfgang Lucht, Stefan Rahmstorf, Hans Joachim Schellnhuber: Tipping elements in the Earth's climate system. In: PNAS. 105. Jahrgang, Nr. 6, 2008, S. 1786–1793, doi:10.1073/pnas.0705414105.
  9. Christophe et al. Kinnard: Reconstructed changes in Arctic sea ice over the past 1,450 years. In: Nature. 2011, doi:10.1038/nature10581.
  10. a b Valerie N. Livina, Timothy M. Lenton: A recent tipping point in the Arctic sea-ice cover: abrupt and persistent increase in the seasonal cycle since 2007. In: The Cryosphere. 7. Jahrgang, Nr. 1, 2013, S. 275–286, doi:10.5194/tc-7-275-2013.
  11. Kristina Pistone, Ian Eisenman, V. Ramanathan: Observational determination of albedo decrease caused by vanishing Arctic sea ice. In: PNAS. 111. Jahrgang, Nr. 9, 2014, S. 3322–3326, doi:10.1073/pnas.1318201111.
  12. R. W. Lindsay, J. Zhang: The Thinning of Arctic Sea Ice, 1988–2003: Have We Passed a Tipping Point? In: Journal of Climate. 18. Jahrgang, Nr. 22, 2005, S. 4879–4894, doi:10.1175/JCLI3587.1.
  13. Marika M. Holland, Cecilia M. Bitz, Bruno Tremblay: Future abrupt reductions in the summer Arctic sea ice. In: Geophysical Research Letters. 33. Jahrgang, Nr. 23, 2006, doi:10.1029/2006GL028024.
  14. Paul Wassmann, Timothy M. Lenton: Arctic Tipping Points in an Earth System Perspective. In: Ambio. 41. Jahrgang, Nr. 1, 2012, S. 1–9, doi:10.1007/s13280-011-0230-9 (nih.gov).
  15. I. Joughin, B. E. Smith, B. Medley: Marine Ice Sheet Collapse Potentially Under Way for the Thwaites Glacier Basin, West Antarctica. In: Science. 344. Jahrgang, Nr. 6185, 15. Mai 2014, ISSN 0036-8075, S. 735–738, doi:10.1126/science.1249055 (sciencemag.org).
  16. Carlos M. Duarte, Susana Agustí, Paul Wassmann, Jesús M. Arrieta, Miquel Alcaraz, Alexandra Coello, Núria Marbà, Iris E. Hendriks, Johnna Holding, Iñigo García-Zarandona, Emma Kritzberg, Dolors Vaqué: Tipping Elements in the Arctic Marine Ecosystem. In: Ambio. 41. Jahrgang, Nr. 1, 2012, S. 44–55, doi:10.1007/s13280-011-0224-7 (nih.gov).
  17. Timothy M. Lenton: Arctic Climate Tipping Points. In: Ambio. 41. Jahrgang, Nr. 1, 2012, S. 10–22, doi:10.1007/s13280-011-0221-x (nih.gov).